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6 - Die Angeltour

Die Eltern zogen mit uns drei Kindern und unserer Oma von einem kleinen Ort in Baden-Württemberg, in dem ich geboren wurde, in eine Stadt am Rhein. Von unserem neuen Zuhause aus ging meine jüngere Schwester anfangs zur Mädchenrealschule.

An einem Sonntag veranstaltete diese einen „Tag der offenen Tür“. Wie es damals so üblich war, ging die ganze Familie dort hin, um zu sehen, wie die Klassenräume aussahen und um die eine oder andere Lehrerin zu begrüßen. Es war für mich ein sehr langer Weg, da ein Erwachsener eine gute halbe Stunde bis dorthin benötigte. Dazu musste er aber recht flotten Schrittes unterwegs sein.

In der Schule angekommen schauten wir uns ganz viele Räume an. Für mich war die Klasse, in der riesige Landkarten hingen, sehr interessant. Meine Händchen fuhren immer wieder über die Kartenflächen. Ich erinnere mich nicht mehr, welche Fragen ich meinen Eltern und Geschwistern stellte. Es müssen ganz viele gewesen sein, denn wie mir später meine älteste Schwester erzählte, waren die Eltern ob meines Wissensdurstes ziemlich genervt gewesen. Zu dem damaligen Zeitpunkt muss ich etwa vier oder fünf Jahre alt gewesen sein. Das Interesse an Geographie ist jedenfalls bis heute geblieben und war zu Schulzeiten mein Steckenpferd.

Einige Zeit später. Es war ein sonniger Tag, alle waren „ausgeflogen“. Vater und meine älteste Schwester arbeiteten, die jüngere war in der Schule, Mutter war einkaufen und Oma und ich waren alleine zu Hause. Irgendwie musste mir die Zeit mit ihr zu langweilig geworden sein, denn ich beschloss, nach draußen spielen zu gehen, was ich auch umgehend tat. Dann erinnerte ich mich daran, dass da noch der große Fluss ein Stück weiter hinter der Realschule war. Mit den Eltern waren wir dort ab und zu spazieren gewesen, und mich haben immer die Angler mit ihren langen Ruten fasziniert. Das wollte ich auch mal ausprobieren. Dazu besorgte ich mir einen langen Stock, einen Bindfaden und ein kleines Stückchen Holz als Schwimmer. Als alles zu meiner Zufriedenheit fertig war, stapfte ich Richtung Mädchenrealschule los, ohne auch nur ein Wort zu Hause zu sagen. Denn erlaubt hätte mir das sowieso niemand! Zu gefährlich war der Weg, da einige Hauptstraßen überquert werden mussten, die noch ohne Ampeln waren. Alleine Angeln wollte ich aber auch nicht, zumindest sollte meine jüngere Schwester mitkommen. Also ging ich schnurstracks in ihre Schule, wusste aber nicht, in welchem Klassenraum sie gerade war. So öffnete ich irgendeine Klassentür in der Hoffnung, sie dort anzutreffen und zum Angeln mitnehmen zu können

Den Klassenraum fand ich verdunkelt vor, da ein Diavortrag gehalten wurde. Mich sprach eine weibliche Stimme an - vermutlich die Lehrerin, die gerade ihren Unterricht hielt - wen ich suche und wo ich hin wolle. Ich antwortete, dass ich meine Schwester abholen wolle, um mit ihr am großen Fluss zu angeln. Statt einer Bejahung kam schallendes Gelächter der ganzen Klasse. Ich fand die Reaktion unerhört. Die Lehrerin fragte mich nach dem Namen meiner Schwester. Was ich damals nicht wissen konnte, war, dass ich irrtümlich in der Parallelklasse gelandet war. Eine der Schülerinnen führte mich dann in die richtige Klasse, da sie meine Schwester kannte. Aber auch da nur schallendes Gelächter, was ich wieder nicht verstand, hatte ich doch freundlich mein Anliegen vorgetragen, denn mir war meine Absicht bitterernst.

Dann sagte die Lehrerin zu meiner Schwester, sie solle mich bitte sofort nach Hause bringen und auch gleich die Schultasche mitnehmen. Als wir aus dem Gebäude waren, protestierte ich heftig, denn ich wollte zum Angeln. Es half alles nichts, kein Bitten und kein Betteln, es kam keine Reaktion. Sie ging mit mir nach Hause. Ich war tief enttäuscht. So hatte ich mir ein Ende der Angeltour nicht vorgestellt.

Zu Hause angekommen fiel Oma aus allen Wolken, als sie erfuhr, wo ich gewesen war, und Mutter, die mittlerweile vom Einkaufen zurück war, machte mir eine kurze Ansage, nahm mich aber dann liebevoll in den Arm und sagte:

„Jungchen, Gott sei Dank ist dir nichts passiert.“

Meine Schwester brauchte nicht mehr zur Schule zurückzugehen, denn die wäre geschlossen gewesen und der Unterricht lange vorbei, wenn sie angekommen wäre.

Der erste Tag im Ruhestand

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