Читать книгу Der erste Tag im Ruhestand - Udo Lange - Страница 7
Оглавление1 - Wer ist der Boss?
Es gibt Dinge im Leben, die sind unausweichlich, auch wenn sich ein Ehepaar innig liebt, wie Susanne und Jörg. Beide haben sich vor Jahren kennengelernt und zählten sich damals zu den Mittfünfzigern, denen noch ein spätes, inniges Glück zuteilwerden sollte. Nachdem sie mehrere Jahre das Zusammenleben ausprobiert und auch so manche Schwierigkeit überwunden hatten, heirateten sie im kleinen Kreis, waren und sind sehr glücklich, obwohl so manch großer Unterschied besteht. Sie ist gerne in Haus und Garten, er ein Wandervogel. Aber das ist nicht das Einzige, was sie unterscheidet. Susanne ist es zuwider, kochen zu müssen, sie liebt aber den Umgang mit Wäsche. Bei Jörg ist es genau umgekehrt. So sind die häuslichen Arbeiten perfekt aufgeteilt und beide glücklich mit ihren Aufgaben.
Eines Morgens - das ausgiebige Frühstück war gerade beendet - begann eine „wunderbare“ Diskussion.
„Schätzelein, was soll ich heute zu Mittag zu kochen? Worauf hättest du Appetit?“
„Ich habe gerade gefrühstückt, da kann ich dir beim besten Willen noch nicht sagen, was du kochen sollst. Stell‘ mir die Frage bitte ein paar Stunden später.“
Das Frühstück war etwa um 10.30 Uhr beendet. Jörg standen innerlich die Haare zu Berge, konnte er doch schon ahnen, wie die Sache ausgehen würde. Ein paar Stunden später, es war schon nach 14 Uhr, wagte er nochmals die Frage zu stellen, worauf sie Appetit hätte.
„Was hast du denn da?“
„Jede Menge Gemüse. Dazu könnte ich Reis, Nudeln oder Kartoffeln kochen.“
„Aha.“
„Und was bedeutet jetzt dein „Aha?“
„Na, noch nichts, ich überlege noch. Am besten ist, du kochst, wonach dir ist. Ich kann dir nicht sagen, worauf ich Appetit habe. Es schmeckt sowieso alles gut, was du zubereitest.“
„Gut, dann mache ich Kartoffeln dazu, ok?“
„Ja, ja, mach‘ man.“
Jörg begann Kartoffeln zu schälen sowie das Gemüse zu putzen und klein zu schneiden, um es in den entsprechenden Töpfen zu garen. Es mochten vielleicht zehn Minuten vergangen sein, seit alles auf dem Herd stand. Die Kartoffeln begannen zu kochen. Er hantierte noch mit Schüsseln herum, als er im Hintergrund hörte:
„Wenn die Kartoffeln kochen, brauchst du die Herdplatte nur auf eins zu stellen, das reicht.“ Jörg sah Susanne aus der Küche gehen und bemerkte, dass die Kochplatte nicht mehr auf drei stand, sondern wieder auf eins und das Wasser nicht mehr sprudelnd kochte, sondern eher das Kochgut zog.
„Kannst du mir bitte mal verraten, warum du den Herd niedriger gestellt hast? Und warum bitte steht der Kurzzeitwecker jetzt auf zwanzig Minuten statt auf dreizehn Minuten?“
„Das habe ich so gelernt.“
„Hast du dir einmal überlegt, aus welchem Grund ich die Kartoffeln so klein geschnitten habe?“
„Nö, wie gesagt, das habe ich so gelernt.“
Jörg ging das alles zu weit und er wollte schon aufbrausen. Im letzten Moment hielt er sich zurück und stellte den Wecker jetzt auf zehn Minuten und die Herdplatte auf knapp zwei, so dass das Kartoffelwasser wieder leicht sprudelte.
„Du brauchst die Platte nicht wieder auf drei oder so zu stellen.“
„Kochst du oder ich?“
„Ich meine ja nur. Das verbraucht dann weniger Strom.“
„Und die Kartoffeln möchtest du halb roh essen?“
„Nö, die sollten schon gar sein. Aber ich meine ja nur.“
„Hast du schon bemerkt, dass ich heute koche?“
„Ja, ja, du kannst ruhig einen Rat von mir annehmen.“
„Meinst du, ich wüsste nicht, wie man was kocht?“
„Meine Zeit, ich meine ja nur.“
„Warum redest du mir ständig rein? Schade, dass die Küche zum Flur hin nur einen Vorhang hat, sonst würde ich die Küche von innen zuschließen.“
„Das fehlt noch. Du nimmst überhaupt keinen Rat von mir an. Was ist bloß los mit dir?“
„Ich nehme gerne einen Rat von dir an, wenn er vernünftig ist. Bloß weil du mal vor fünfzig Jahren Kochen in der Schule hattest, heißt das noch lange nicht, dass alles genauso wie früher gemacht werden muss.“
„Das habe ich ja auch nicht gesagt, aber du könntest ruhig was von mir annehmen.“
„Weißt du was? Du kannst hier weitermachen.“
„So habe ich das doch gar nicht gemeint. Mein Gott, lege doch nicht gleich jedes Wort auf die Goldwaage.“
„Ach, was, meinst du vielleicht, ich sollte alles schlucken? Was glaubst du, was passiert, wenn ich dich nicht ernst nehme? Das hatten wir in der Vergangenheit schon einmal.“
„Das war aber auch etwas völlig anderes, das hatte ja nichts mit Kochen zu tun.“
Jörg merkte, wie in ihm die Wut innerlich weiter hochstieg, bis ihm schließlich der Kragen platzte.
„Wer ist hier der Boss, du oder ich? Jetzt komm‘ nur nicht auf die Idee, zu sagen, wir beide. Entweder du, dann kochst du auch, oder ich, dann halte dich bitte auch zurück.“
Gemurmel und Gegrummel aus dem Hintergrund.
„Wir kochen das nächste Mal genauso, wie du es haben möchtest, ok?“
„Ist in Ordnung.“ Es kehrte Ruhe ein, keiner sagte mehr ein Wort.
Tage später wurden die Kartoffeln genauso zerkleinert und gekocht, wie SIE es gelernt hatte. Der „Erfolg“: Die Kartoffeln waren teilweise noch leicht glasig und hart und „schmeckten“ dementsprechend. Von dem Zeitpunkt an sagte Susanne nichts mehr und ließ Jörg in der Küche gewähren. Nur hin und wieder kam ein: „Na, klappt’s?“ oder „Kann ich helfen?“
Die beiden hatten sich darauf verständigt - egal wer kocht - dass der andere zu schweigen hat, denn nur einer kann in der Küche der Boss sein.