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9 - Einkauf im Supermarkt

Für einen Städter, der neu in einem Dorf wohnt, muten viele Dinge sehr seltsam an, ist er doch eine völlig andere Geschwindigkeit gewohnt. Dies bezieht sich nicht nur auf das Autofahren, sondern auf alle Bereiche des Lebens, nach dem Motto: Zeit ist Geld. Aber ist das wirklich alles? Wer nun aus einer Großstadt kommt, empfindet das Dorfleben, und auch das Miteinander, als völlige Ausbremsung. Egal was, alles ist wesentlich langsamer und gemütlicher. So auch beim Einkaufen im Supermarkt.

Friedhelm fährt mit seinem PKW auf den Parkplatz des Supermarktes, steigt aus und verriegelt sein Auto. Aus einer Tasche seines Anoraks kramt er eine Ein-Euro-Münze hervor, geht zum Unterstand, wo die ganzen Einkaufswagen geparkt sind, entriegelt mit der Münze einen Wagen, und schiebt ihn langsam gehend zum Haupteingang des Marktes. Die Schiebetür öffnet sich und er sieht drei ältere Frauen schwatzend dastehen, die keine Anstalten machten, ihn passieren zu lassen, obwohl sie ihn kommen sahen.

„Meine Damen, darf ich bitte mal vorbei?“

„Herrgott, können Sie nicht einen Moment warten oder um uns herumfahren?“

„Wenn ich es könnte, hätte ich es ja getan.“

„Die jungen Leute von heute haben überhaupt keine Zeit mehr. Alles muss holterdiepolter gehen, schrecklich.“

Friedhelm verdrehte innerlich die Augen und sagte, als die drei Grazien ihn schließlich passieren ließen: „Zu gütig von Ihnen, danke.“

„Auch noch unverschämt werden.“

Er beachtete die drei nicht weiter, schob den Einkaufswagen von Reihe zu Reihe und legte seine benötigten Waren hinein. Zum Schluss seines Einkaufs ging er noch zu den Obst- und Gemüseregalen, um auch dort noch das eine oder andere mitzunehmen. Er wollte noch Champignons haben, die der Markt nur heute im Sonderangebot hatte, bog mit seinem Wagen um die Ecke und stand neben einer Frau, die sich jede Packung ansah, um sie wieder zurück ins Regal zu legen.

„Darf ich bitte mal da ran? Ich will mir nur zwei Packungen Pilze rausnehmen, dann können Sie genüsslich weiterschauen.“

„Sehen Sie denn nicht, dass ich hier stehe?“

„Das sehe ich. Ich möchte nur zwei Pakete rausholen.“

„Da müssen Sie noch einen Moment warten.“

Seine Gedanken gingen hin und her und er wusste nicht, ob er der Frau die Meinung sagen sollte, oder einfach ihren Wagen beiseiteschieben sollte, um sich die zwei Pakete Pilze aus dem Regal zu nehmen. Er entschied sich für Letzteres.

„Sie unverschämter Kerl, können Sie nicht einen Moment warten?“

„Nein, kann ich eben nicht. Meine Frau, die ich zum Arzt fahren muss, wartet zu Hause auf mich.“

„Dann fahren Sie doch zuerst zum Arzt und gehen dann einkaufen.“

Friedhelm reichte es mit der Einkauferei für heute und er fragte sich, warum ihm die Leute so blöde kamen, oder machte er etwas total falsch?

Er hatte alles bekommen, was er brauchte, auch die zwei Pakete Champignons, und schob seinen Einkaufswagen in Richtung Kasse. Dort angekommen sah er, wie eine Frau im Schneckentempo ihre Waren aus dem übervollen Einkaufswagen auf das Band legte. Der Kassiererin schwante schon etwas. Sie nahm das neben der Kasse liegende Telefon und sagte dann nach einer Weile:

„Gerda, kannst du bitte Kasse zwei aufmachen? Danke.“

Zwei ältere Frauen - sie mochten zwischen siebzig und achtzig Jahren alt sein - gingen zur Kasse zwei, so dass Friedhelm der dritte dort war. Die beiden hatten nicht viel eingekauft und er hoffte immer noch, schnell aus dem Markt zu kommen. Kassiererin Gerda setzte sich auf den Stuhl, richtete die Kasse ein und begann die Waren der ersten Frau über den Scanner zu ziehen.

„Ach, Gerda, dich habe ich ja schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Wie geht es dir? Was machen Helmut und die Kinder?“

Für Friedhelm gingen die Einkaufsqualen weiter, konnte er in der Situation doch wenig Einfluss nehmen. Wenn er jetzt rumgemotzt hätte, wäre es dann schneller gegangen? Vermutlich nicht.

„Ja, uns geht es allen gut, auch den Kindern. Der Jüngste wurde vor zwei Monaten eingeschult.“

„Was, ist er schon so alt?“

„Ja, ja, an den Kindern merkt man, dass man älter wird. Wie geht es dir denn? Hast du immer noch Probleme mit deinem Knie und dem Magengeschwür?“

„Ach, mit dem Knie wird das wohl nichts mehr werden. Das Magengeschwür wurde mir vor vier Monaten herausoperiert.“

„Was, so schlimm?“

Es ging noch eine Zeit lang so weiter und Friedhelm konnte seinen Unmut kaum noch im Zaum halten, anlässlich seiner Zeitnot. Endlich bezahlte sie ihren Einkauf und ging gemächlich Richtung Ausgang, drehte sich noch einmal um und sagte:

„Schöne Grüße und alles Gute, man sieht sich.“

Friedhelm dachte nur, hoffentlich nicht mehr in diesem Laden. Die Frau vor ihm legte ihre wenigen Sachen auf das Band und nahm im Gehen ihr Portemonnaie aus ihrer Einkaufstasche.

„Ach, Gerda, schön, dich mal wiederzusehen. Wie geht es dir.“

„Danke, gut, und dir?“

„Ich war gestern beim Arzt. Der hat einen Schleimbeutel im Armgelenk festgestellt, der nur noch mit einer Operation zu entfernen ist.“

„Ach herrje, so schlimm? Macht 12,38 €.“

„Wie viel? 12,38 €?“

„Ja, 12,38 €.“

„Kann ich Dir das alles in Kleingeld geben?“

„Ja, gerne. Ich bin heute damit sowieso knapp dran.“

Friedhelm war einem Zusammenbruch sehr nahe und fragte sich, was er heute angestellt haben musste, dass ihm so etwas widerfuhr. Die Frau schüttete ihr Portemonnaie aus und bat Gerda, das Geld abzuzählen, da sie ihre Brille vergessen hatte. Als diese fertig war, meinte sie:

„Das sind aber nur 11,87 €. Da fehlen noch 51 Cent.“

Friedhelm kochte.

„Moment, ich müsste noch etwas Kleingeld in den Manteltaschen oder in meiner Handtasche lose rumliegen haben. Sekunde, bitte.“

Sie kramte und kramte, und ihre Suche war abrupt beendet, als sie sagte:

„Gerda, ich habe ganz vergessen, dass ich das ganze Kleingeld heute Morgen rausgenommen habe. Hier ist noch ein 50 €-Schein, habe es leider doch nicht anders.“

Die Kassiererin konnte nichts mehr sagen, war ihre Hoffnung auf das Kleingeld doch jäh verflogen. So musste sie die wenigen Münzen, die sie noch hatte, rausgeben. Die beiden verabschiedeten sich und nun war Friedhelm an der Reihe. Die Kassiererin an Kasse eins hatte mittlerweile schon vier Kunden bedient, als eine Frau an der Reihe war, die, wie die beiden vor ihm, ein Schwätzchen begann.

„Macht 38,39 €, bitte.“

Er zückte seine prall gefüllte Geldbörse und begann den Betrag der Kassiererin vorzuzählen. Die war sehr glücklich, bekam sie doch ganz viel Kleingeld.

„Geht das hier immer so?“

„Wie meinen Sie das?“

„Na ja, mit den älteren Leuten?“ Von hinten eine donnernde Stimme:

„Meine Zeit, geht es mal endlich voran da vorne? Setzt euch ins Café, dann könnt ihr genug quatschen, es reicht.“

Friedhelm drehte sich um und meinte nur: „Gemach, gemach, alles hat seine Zeit.“ Dann ging er aus dem Geschäft. Er eilte mit seinem Einkaufswagen zu seinem Auto und traute seinen Augen nicht. Stand doch ein Fahrzeug quer hinter seinem, so dass er weder vorwärts noch rückwärts rausfahren konnte, denn vor ihm parkte auch noch ein Auto.

Zum Glück nahte sich die Person, die das Auto quer vor seinem abgestellt hatte. Der Fahrer meinte nur:

„Entschuldigung, es war alles voll und die Tratschtanten an Kasse eins fanden kein Ende.“

Friedhelm atmete auf, beschloss aber für sich: Heute ist nicht mein Tag!

Der erste Tag im Ruhestand

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