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Ein-Euro-Job – Gestohlene Lebenszeit, Energie und Chancen
ОглавлениеIm Frühjahr 2005 wurde dem Autor ein sog. Ein-Euro-Job, eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung zugewiesen; sechs Stunden am Tag, fünf Tage die Woche und für 1,50 Euro die Stunde als Mehraufwandsentschädigung zum ALG-II hinzu, Sozialversicherungsfrei (vgl. u. a. Kap. 5.2.1). Der Träger dieser Maßnahme bzw. die sog. Beschäftigungsgesellschaft erhielt vom Jobcenter pro Teilnehmer und Monat 550 Euro. Der Autor war unmittelbar nach diesem Ein-Euro-Job bei o. g. Beschäftigungsgesellschaft als Projektleiter tätig, weshalb ihm u. a. diese Zahlen zugänglich waren. Von diesen 550 Euro bekamen die Teilnehmer der Maßnahme bei voller Anwesenheit maximal 180 bis 190 Euro im Monat als Mehraufwandsentschädigung erstattet. Tatsächlich war dies häufig weniger, da Krankheit und jegliche andere Fehlzeiten, auch gesetzlicher Urlaub, von der Arbeitszeit abgezogen wurden.
Mit gut einem Dutzend zumeist anderen Akademikern aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen, unter denen sich auch zwei Doktoren befanden, wurde ich in einem Projekt eingesetzt, dass sich Umwelterziehung nannte. Unser Projekt lief in Kooperation mit einer Grundschule, die sich in einem gut situierten Ortsteil Neuköllns (Rudow) – auch das gibt es – am Rande der Stadt befand. Mit dem prekär beschäftigten Projektleiter zerbrachen wir uns zunächst die Köpfe darüber, wie wir uns überhaupt in dieses Projekt einbringen können, wobei zunächst einmal die ziemlich konfusen Vorstellungen des jungen Projektleiters und des Trägers zutage traten, nach dem Motto: Hauptsache der Rubel rollt. Schließlich wurden Gespräche mit der besagten Schule geführt, wobei sich herausstellte, dass sie einen Schulgarten hatte, um den sie sich aber infolge von Mittelkürzungen nicht mehr wie früher kümmern konnte. Also kamen wir auf den Gedanken aus dem Schulgarten einen ökologischen Muster- und Lehrgarten zu gestalten. In der Tat war das ein sehr kreativer Prozess, der uns ebenso viel Spaß bereitete. Was wir dort machten war nichts anderes als eine landschaftsarchitektonische und gärtnerische Umgestaltung des Schulgartens. So fanden wir tatsächlich zwei Gartenbau- und Landschaftsingenieure oder Landschaftsarchitekten neben einem Gärtner in unseren Reihen, die dem Projekt seine wesentlichen Konturen gaben. Letztendlich fand so ziemlich jeder seiner Facon gemäß eine Aufgabe. Der Autor kam auf die Idee eine Sonnenuhr zu bauen, wozu er sonst womöglich sein ganzes Leben lang nicht mehr gekommen wäre. Zum Glück wurden wir das gesamte Frühjahr und den Sommer hindurch von einer gut gelaunten Sonne verwöhnt, sodass da auch einige Stunden des amüsanten Zusammenseins in angenehmer Erinnerung bleiben werden.
Wir hatten allerdings keinen Bauwagen zur Verfügung, in den wir uns bei schlechtem Wetter hätten begeben können, noch wurden uns Arbeitskleidung oder Sicherheitsschuhe zur Verfügung gestellt, abgesehen von den billigsten Arbeitshandschuhen. Und sonst hantierten da einige von uns mit elektrischen Garten- und Baugeräten, mit denen sie nie gelernt hatten umzugehen. Versicherungstechnisch befanden wir uns da auf ziemlich dünnem Eis. Zudem wurde unsere Tätigkeit mehr oder weniger beständig von der Frage nach unserer beruflichen Zukunft überschattet bzw. von dem nicht unberechtigten Zweifel daran, ob dieser Ein-Euro-Job als Referenz für einen erfolgreichen Wiedereinstieg in das Arbeitsleben taugt, vor allem wenn man zu den höher Qualifizierten gehörte. Es fragte sich, ob man sich mit diesem Hintergrund nicht viel eher lächerlich auf dem Arbeitsmarkt machen würde, nicht zuletzt auch angesichts der damals aufkommenden Stigmatisierung der Menschen, die sich in Hartz IV befanden und allem was damit in Verbindung gebracht wurde, so auch Ein-Euro-Jobs. So kam die Überlegung auf, ob man diesen Abschnitt in seiner Biographie nicht besser vielleicht sogar verschweigen sollte, womit dann allerdings wieder eine größere Lücke im Lebenslauf entstehen würde, die ebenfalls unschön aussehen würde. Auf der anderen Seite war aber offensichtlich, dass wir qualifizierte Arbeit verrichteten, die an dieser Stelle einmal viel besser und anständig bezahlt wurde, neben der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die uns vorenthalten wurden und, und, und. Denn was viele mit Herzblut und geringen Mitteln in diesem Projekt schufen, einen prächtig blühenden Garten, konnte sich durchaus sehen lassen. Den ein oder anderen dämmerte allmählich, dass sie sozusagen die Arschkarte gezogen hatten und sich demzufolge mehr um ihre Zukunft sorgen mussten. Bemerkenswert war aber an dieser Schule auch die Erfahrung, dass man sich heutzutage offenbar schwer tut, den Kindern Achtsamkeit und Respekt zu vermitteln, denn mehr als einmal wurden Blumenbeete und Pflanzen niedergetrampelt. In gewisser Weise hatte dies Symbolcharakter.
Es wurde Herbst und es wurde Winter und die Tage unter freiem Himmel wurden immer rarer und grauer. So wurden in diese Zeit die obligatorischen „Qualifizierungseinheiten“ verlegt, die integraler Bestandteil von Ein-Euro-Jobs sind und etwa einen halben, bis zu einem ganzen Tag pro Woche in Anspruch nahmen. Zumeist überbot man sich hier in Dünnbrettbohrerei, wie etwa in der Vermittlung von Grundrechenarten, und das wohl bemerkt zumeist für Akademiker. Dann gab es einen großen Block, der sich Sozialkunde nannte und der eigentlich nur ein Sammelsurium von Allerweltsthemen und alten Hüten darstellte, nach dem Motto: hast du schon gewusst, dass… Sowenig neue Erkenntnisse dabei herum kamen, so böse überraschend war diese ganze „Qualifizierung“ an sich. Besondere „Höhepunkte“ dieser (De)Qualifizierungsoffensive beglückten uns wenn der Geschäftsführer der Beschäftigungsgesellschaft, seines Zeichens ehemaliger Physiker, höchst selbst beehrte. So wurden wir von ihm mit wahrhaft Nützlichem für den Arbeitsmarkt gerüstet, in dem er uns in Rüstungstechnik bzw. Waffensystemen – ein ehemaliges Betätigungsfeld von ihm – unterwies. Bei den Grundrechenarten kamen wir einige Male zu dem zweifelhaften Vergnügen, den Mann korrigieren zu müssen. Der Rest war Schweigen oder auch nicht und Schach spielen.
Nun im Winter, wo draußen keine Arbeit mehr zu verrichten war, wurden wir mit einer anderen, neuen Projektgruppe in einer typischen Berliner Altbauladenwohnung eingepfercht, etwa 30 Menschen beider Geschlechter auf etwa 50 qm und mit einer einzigen Toilette. In Ermangelung einer sinnvollen Tätigkeit und Arbeit beschäftigte ich mich bereits einige Zeit vor diesem Ein-Euro-Job mit Schreiben (Belletristik) und befand mich diesbezüglich bis dahin auf einem guten Weg. Das war wenigstens etwas, das mir Sinn zu machen schien, mich vielleicht voran bringen konnte bzw. eventuell neue Wege eröffnen konnte. Bedauerte ich bereits bisher wegen dieses Ein-Euro-Jobs kaum noch Gelegenheit und Muße zum Schreiben zu haben, so haderte ich nun noch um einiges mehr über diese Internierung, diese Einbuchtung und den Zwang zum Nichtstun. Denn es ging bei diesem Job nun eigentlich nur noch darum, die ganze Zeit physisch anwesend zu sein, so wie es vorgeschrieben war. Man konnte quasi allen Blödsinn machen, nur vernünftig und produktiv arbeiten, auch wenn es nur für einen selbst war, das war in einem Raum, in dem sich so viele Menschen aufhielten, schwatzten, spielten, lachten und die Luft in diesen schlecht belüfteten Räumen verbrauchten, beim besten Willen nicht möglich. Hier spürte man tatsächlich bald geradezu physisch wie einem die Lebenszeit gestohlen wurde, wie eingesperrt man war und zum Nichtstun verdammt. Und dies spürte man vielleicht noch umso mehr je älter man war, wie die demütigende Ohnmacht, die sich einem so unausweichlich in den Weg stellte. Wie verfluchte ich jede einzelne dieser nutzlosen und vergeudeten Stunden und die verlorene Lebensenergie, die der kaum zu ermessenden Aufreibung an dieser kafkaesken Situation geschuldet war.
Ansonsten bleibt noch anzumerken, dass unsinnigerweise ich, wie die Hälfte meiner Kollegen, während dieses Ein-Euro-Jobs noch einmal Zuweisungen für andere Ein-Euro-Jobs erhielten, die man mitten in der laufenden Maßnahme hätte antreten sollen. Das Geld hätte man sicher gern mitgenommen; aber wie hätte man das mit der Arbeitszeit managen sollen? Um diesen groben Unfug aufzuklären, und vor allem unserer Mitwirkungspflicht zu genügen, mussten wir uns natürlich für einige „wunderbare“ Stunden im Jobcenter einfinden. Auf meine Frage an die äußerst junge (vielleicht noch nicht einmal zwanzigjährige) Angestellte am Schalter, wie es angesichts unserer Tätigkeit in einem Ein-Euro-Job zu solchen Zuweisungen kommen könne, gab die ungerührt, die in jeder Hinsicht tief blicken lassende Antwort: „Die werden einfach so zugewiesen.“ Na dann ist ja alles in bester Ordnung. Vielleicht haben die betreffenden Sachberarbeiter/innen bloß mal blinde Kuh gespielt (aber vielleicht mussten sie das noch nicht einmal) oder gewürfelt, denn man gönnt sich ja sonst nichts. Soviel noch einmal zur „Effizienz“ und „individuellen Kundenbetreuung“ der Arbeit der Jobcenter.