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2. Kapitel Europäisierung des StrafrechtsIV. Unionsrechtskonforme Auslegung › 1. Richtlinienkonforme Auslegung

1. Richtlinienkonforme Auslegung

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Eine besondere Ausprägung findet die unionsrechtskonforme Auslegung in der richtlinienkonformen Auslegung, die dem Bürger die Berufung auf Richtlinien des Unionsrechts erlaubt.[1] Richtlinien können unmittelbare Wirkung auf das Strafrecht entfalten, wenn sie verbindlichen Charakter haben und hinreichend bestimmt sind. In der Entscheidung Kortas[2] hatte der EuGH deutlich gemacht, dass die Bestrafung des Importeurs eines mit einem in Schweden nicht zugelassenen Farbstoff gefärbten Lebensmittels nach schwedischem Strafrecht unzulässig sei, wenn der Farbstoff im Anhang einer europäischen Richtlinie als zulässig aufgeführt war. Dies gelte selbst dann, wenn die Kommission über den Antrag Schwedens, den Farbstoff nach nationalem Recht nicht zulassen zu dürfen, längere Zeit nicht entschieden hat.[3]

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Ein Unionsbürger kann sich ferner auf eine verbindliche und in ihrer konkreten Regelung hinreichend bestimmte Vorschrift einer Richtlinie berufen, wenn diese noch nicht umgesetzt worden ist. Der EuGH hat bereits in der Entscheidung Ratti[4] ausgeführt, dass es mit dem verbindlichen Charakter der Richtlinie nicht vereinbar sei, wenn sich der Adressat nationaler Strafvorschriften nicht auf den Inhalt einer Richtlinie berufen könne, weil der Mitgliedstaat sie nicht umgesetzt habe. Der säumige Staat könne sich gegenüber dem Adressaten seiner nationalen Norm nicht auf eine mangelnde Pflichterfüllung gegenüber der Union berufen. Eine nationale Strafnorm dürfe nicht angewendet werden, wenn diese zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Sanktion einer zwingend umzusetzenden Richtlinie widerspräche. Die Berufung auf eine Richtlinie sei auch dann möglich, wenn die Umsetzungsfrist erst nach der Tat, aber vor der Entscheidung des Strafgerichts über die Tat abgelaufen sei. Dies machte der EuGH in der Entscheidung Arblade und Leloup[5] deutlich und berief sich hierbei auf den europäischen Grundsatz lex mitior.[6] Der EuGH hat in der Entscheidung Awoyemi[7] auch Bürgern aus Drittstaaten, die ihren Wohnsitz in der Europäischen Union haben, das Recht zugesprochen, sich auf eine Richtlinie zu berufen, soweit sich der Betroffene gegen einen Rechtsakt eines Mitgliedstaates wendet, der von der Richtlinie betroffen ist.

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Der BGH hat in einer Entscheidung zum Betrug mit sog. Abo-Fallen im Internet[8] ausgeführt, die richtlinienkonforme Auslegung unterliege Grenzen. Sie setze grundsätzlich erst dann ein, wenn der Inhalt der Richtlinie insgesamt oder im angewendeten Bereich eindeutig sei. Auch für das Strafrecht hat der 2. Strafsenat einen absoluten Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung mit der Begründung abgelehnt, dieser Vorrang liefe Gefahr mit der eingeschränkten Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union auf dem Gebiet des Strafrechts und dem Grundsatz der möglichst weitgehenden Schonung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in Konflikt zu geraten. Daher könnten Richtlinienvorgaben nicht in jedem Fall vorbehaltlos in das Strafrecht übertragen werden, zumal der Richtliniengeber die Auswirkungen einer anderen Lebensbereiche betreffenden Richtlinie auf das Strafrecht eines jeden Mitgliedstaats mitunter nicht im Blick gehabt hat bzw. haben kann. Dabei sei ferner zu beachten, dass der normative Gehalt einer nationalen Vorschrift im Wege der richtlinienkonformen Auslegung nicht grundlegend neu bestimmt werden darf. Daraus folgert nun der BGH, dass eine einschränkende Auslegung des Betrugstatbestandes aufgrund der Richtlinie 2005/29/EG ausscheidet. Das Leitbild eines „durchschnittlich verständigen und aufmerksamen Verbrauchers“ ziele darauf ab, diesen in seiner Dispositionsfreiheit generalpräventiv vor unlauteren Beeinflussungen vor, bei oder nach Vertragsabschluss zu schützen und damit seine (rechtsgeschäftliche) Entscheidungsfreiheit unmittelbar den Schutz der Mitbewerber sowie einen unverfälschten Wettbewerb zu gewährleisten. Das Ziel dieser Richtlinie gebiete es gerade nicht, den Betrugstatbestand des nationalen Strafrechts einschränkend auszulegen. Die Richtlinie verfolge nicht den Zweck, Geschäftspraktiken straffrei zu stellen, die zu einer Verletzung von Rechtsgütern der Verbraucher führen und Verhaltensweisen zu privilegieren die auf die Täuschung unterdurchschnittlich aufmerksamer und verständiger Verbraucher gerichtet sind.[9] Daher könne sich niemand auf die Richtlinie berufen, um irreführende Geschäftspraktiken, die der gezielten Täuschung von Verbrauchern zur Vermögensschädigung dienen, zu legalisieren. Ferner sieht der BGH eine richtlinienkonforme Auslegung, die den unterdurchschnittlich aufmerksamen und verständigen Verbraucher vom Täuschungsschutz nicht erfasst, als unzulässig an, weil eine solche Auslegung dem „durch § 263 StGB intendierten Rechtsgüterschutz widerspräche“.

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Auch wenn diese Lösung des BGH im Ergebnis wohl richtig sein dürfte, offenbart sie jedoch durchaus Missverständnisse des europäischen Strafrechts. Der BGH erkennt zwar explizit die richtlinienkonforme Auslegung an und erstreckt sie auch grundsätzlich auf das gesamte nationale Recht, zieht daraus jedoch unzutreffende Schlüsse und missachtet seine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV.[10] Der bedenkliche Ansatz des BGH liegt in der Feststellung, die europäische Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken dürfe nicht dazu missbraucht werden, Geschäfte, die allein auf die Täuschung des Verbrauchers angelegt sind, aus dem Betrugstatbestand auszuschließen. Diese Begründung hat Züge der petitio principii, strafbare Handlungen könnten nicht in den Anwendungsbereich der Grundrechte fallen, weil dies einen Grundrechtsmissbrauch bedeute. Der 2. Strafsenat beachtet mit seiner Theorie der Grenzen richtlinienkonforme Auslegung nicht, dass Richtlinien des Unionsrechts, wenn sie ein verbotenes Verhalten umschreiben, im Umkehrschluss auch einen Freiheitsraum schaffen können.[11] Daher muss ein Gericht, das nationales Betrugsstrafrecht anwendet, zunächst den Anwendungsbereich und die Reichweite einer möglicherweise relevanten Unionsrichtlinie klären, um die Frage zu beantworten, ob und wie das Unionsrecht wirkt. Das erfordert jedoch – soweit es sich nicht um einen Acte-Claire handelt – die Anrufung des EuGH. Der BGH hat damit das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt.[12]

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