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James Dallaway – 1794
ОглавлениеReise von Smyrna nach Didyma – Das neue Dorf „Jeronda“ – Eine bislang unbekannte Zeichnung von Gaetano Mercati
Beinahe völlig unbekannt ist der Aufenthalt von James Dallaway in Didyma im Jahr 1794. Über seine Reisen von Konstantinopel aus berichtet er 1797 in einem Buch, welches man 1799 ins Französische und 1800 ins Deutsche übersetzte. Leider wurden nicht alle Zeichnungen, die in der englischen Ausgabe enthalten sind, mit in die anderssprachigen übernommen. Nur so kann man erklären, dass eine wichtige Darstellung des Apollontempels von 1794 offensichtlich in Mittel-europa nie Beachtung gefunden hat. Aber dazu später.
James Dallaway wurde am 20. Februar 1763 in Bristol geboren. Er studierte am Trinity Collage in Oxford und wurde 1785 zum Diakon und später zum Pfarrer der Anglikanischen Kirche ordiniert. Anschließend studierte er noch Medizin und machte darin 1793 seinen Bachelor. Dies verhalf ihm zur Stelle des Kaplans und Arztes an der britischen Botschaft des Osmanischen Reiches in Konstantinopel. Diesen Posten hatte er vom März 1794 bis zum Oktober 1795 inne. Genauso wie Edmund Chishull als Kaplan war es Dallaway vergönnt, einige Exkursionen an der kleinasiatischen Westküste entlang unternehmen zu können (siehe das Kapitel zu Chishull).
Genaue Angaben zur Reiseroute und -zeit sind nicht überkommen, weil ein Teil der Aufzeichnungen James Dallaways auf seiner Rückreise von Konstantinopel verloren ging und somit nie veröffentlicht wurde. Jedoch liegen die Beschreibungen der antiken Ruinen komplett vor mit einigen interessanten Episoden und Details.
James Dallaway war 1794 über den Balkan nach Konstantinopel gekommen. Da er vielseitig interessiert war, enthält der erste Teil seines Buches über die Hauptstadt der Osmanen ausführliche Informationen, die ihre Geschichte, Bauten, Lebensverhältnisse, Religion und Politik betreffen. Von Konstantinopel aus machten sich Dallaway und seine Begleiter auf den Weg nach Süden. Sie kamen auch in das antike Prusa in Bithynien (heute Bursa), von wo aus sie aus den Bithynischen Olymp bestiegen – wie schon George Wheler und Jacob Spon im Jahr 1675 (siehe das Kapitel über sie).
Dies ist nicht die einzige Parallele zu früheren Reisenden und zu manchen ihrer Fehlschlüsse: Sein Weg führte Dallaway weiter über Smyrna (heute Izmir) zu den Ruinen des antiken Ephesos. Dort suchte er – wie andere auch – vergeblich nach den Resten des Artemistempels, eines der Sieben Weltwunder. Angekommen im benachbarten Ayasoluk (heute Selçuk), stellte Dallaway scheinbar fest, dass die einstmals berühmte Johannesbasilika zu einer Moschee umgewandelt worden war, der allerdings schon das Dach fehlte. Damit irrte er jedoch, weil es sich um die Isabey-Moschee von 1375 handelte, die nie eine Kirche gewesen war (siehe die Kapitel zu Wheler und Spon sowie zu Chishull). Der Aufenthalt in Ayasoluk blieb Dallaway besonders unangenehm in Erinnerung, weil die ganze Nacht die Schakale heulten und keinen Schlaf zuließen.
Von Ayasoluk ritten James Dallaway und seine Begleiter über die Hafenstadt Scala Nuova (heute Kuşadası) nach Söke, wo sie übernachteten (Karte 1). Sie waren nun nicht weit von den Ruinen des antiken Priene entfernt, welches sie am nächsten Tag aufsuchten. In dem nahen Griechendorf Kelebeş (Griechisch Kelebesion) hatte er ein besonderes Erlebnis: Unter den Dorffrauen fielen Dallaway zwei auf, die genauso wunderschön waren wie Frauen auf antiken Reliefs. Und noch etwas war neben den Ruinen des von Alexander dem Großen gestifteten Athenatempels bemerkenswert (Abb. 26): Die Reisenden bekamen in Kelebeş Fleisch von einem wilden Eber zu essen. Wildschweine sind noch heute im Mykale-Gebirge heimisch, am Fuß dessen sich die Ruinen von Priene und mittlerweile die Ruinen von Kelebeş befinden. Allerdings wird in keiner Gaststätte Wildschwein offen angeboten. Auch 1794 muss das selten der Fall gewesen sein, sonst hätte es Dallaway kaum der Erwähnung wert befunden.
Abb. 26: Priene. Die Ruine des Athenatempels von Westen (William Pars, 1764).
Nachdem er und seine Mitreisenden sich an den schönen Mädchen erfreut und sich gestärkt – und nebenbei noch das antike Priene besichtigt hatten –, begaben sie sich weiter nach Süden. Mit einem dreieckigen Floß überquerten sie den Mäander. Eine Fähre gleicher Form hatte 1764 schon Richard Chandler beschrieben. Anscheinend war sie über 150 Jahre in Gebrauch, denn auch Anfang des 20. Jhs. benutzten sie noch die ersten deutschen Archäologen (siehe das Kapitel zu Chandler, Revett und Pars).
Von Milet erwähnt Dallaway hauptsächlich das gut erhaltene und riesige Theater. Anschließend reiste er nach Didyma weiter, wo ein neues Dorf entstanden war. Wie Dallaway schreibt, werde es nur von Griechen bewohnt und sei in den vergangenen Jahren gegründet worden. Da der Graf von Choiseul-Gouffier auf seiner Reise 1776 Didyma noch unbewohnt vorgefunden hatte, muss die Siedlung zwischen 1776 und 1794 entstanden sein. Dallaway berichtet weiter, dass das Dorf bei den Ruinen des Apollontempels von den Türken „Giaur-Ura“ genannt werde (also Ura der Ungläubigen) und von den Griechen „Jeronda“. Das Ura der Türken lag etwa eine halbe Stunde nordöstlich von Giaur-Ura am Weg nach Milet (Karte 2).
Interessant sind die unterschiedlichen Bezeichnungen für die beiden Dörfer: Die Türken nannten ihr Dorf „Ura“ und das Griechendorf beim ehemaligen Heiligtum „Giaur-Ura“. Die Griechen wiederum bezeichneten ihr Dorf mit „Jeronda“, abgeleitet von dem antik-byzantinischen Namen „Hieron“ für Didyma. Das türkische Dorf nannten die Griechen „Turko-Jeronda“, obwohl es nichts mit dem antiken Heiligtum zu tun hatte. Heute ist aus Jeronda „Yoran“ geworden und das aufgelassene Dorf Turko-Jeronda ist noch unter „Islam-Yoran“ bekannt.
Dazu sind zwiespältige Beobachtungen bei Dallaway zu lesen. Er schreibt, es sei auffällig, wie die Dörfer der Griechen überall besser gedeihen als die der Türken. Doch bereits wenig später ist er von den modernen Griechen nicht mehr begeistert: Auf einem Fest in Giaur-Ura tanzen die griechischen Männer bei Mondlicht nach antiker Weise, wie sie behaupten. Das Lyraspiel dazu ist Dallaway jedoch zu eintönig und es wäre keine Melodie zu erkennen. Dies läge daran, dass die moderne Lyra nur drei Saiten aufweise und grob gefertigt sei, während im Altertum eine Lyra sechs oder acht Saiten besaß. Das alles wäre noch zu ertragen gewesen, wenn die Griechen nicht den größten Teil der Nacht durchgefeiert und die Engländer damit um ihren verdienten Schlaf gebracht hätten.
Keine 20 Jahre vorher hätten Dallaway und seine Begleiter eine ruhige Nacht in Didyma/Jeronda verbringen können, weil es damals noch unbewohnt war. Aber bis 1794 hatte sich dies geändert: Über den Zustand der Ruinenstätte im Jahr 1794 gibt eine bislang unbekannte Zeichnung Auskunft. Sie bildet den Höhepunkt von Dallaways Aufzeichnungen über Didyma. Allerdings fertigte er sie nicht selbst an, sondern der Italiener Gaetano Mercati, der zum Stab des englischen Botschafters gehörte (Abb. 27).
Abb. 27: Ansicht der Ruine des Apollontempels und des Dorfes Jeronda von Norden (Gaetano Mercati, 1794).
Auf der ältesten farbigen Darstellung Didymas ist im Grunde genommen nichts anderes zu sehen als auf dem Stich aus Richard Chandlers Publikation von 1769. Man blickt von Norden auf die Ruine mit den drei noch stehenden Säulen und einem großen Haufen mit Trümmern des Apollontempels. Wichtig ist aber, dass links im Hintergrund vier moderne Wohnhäuser zu erkennen sind. Sie waren bei Chandlers Besuch 1764 und auch bei dem des Grafen von Choiseul-Gouffier 1776 offensichtlich noch nicht vorhanden. Auf der Zeichnung sind die vier Häuser eher symbolisch zu verstehen. Denn vermutlich wird es schon mehr von ihnen gegeben haben und die Bauten hatten wahrscheinlich keine Sattel- oder Turmdächer, sondern wie üblich Flachdächer.
Damit wäre also die Frage der Wiederbesiedlung Didymas geklärt: Spätestens nach dem Erdbeben von 1493 war Didyma entvölkert. Und erst zwischen 1776 und 1794 kamen Griechen – vermutlich von den benachbarten Inseln wie Samos – an die Ruinenstätte und gründeten Jeronda bzw. Giaur-Ura neu. Davon zeugt mit wenigen Strichen die Zeichnung von Gaetano Mercati.
Aus Dallaways weiteren Aufzeichnungen sind keine neuen Angaben zur Tempelruine zu entnehmen: Er schreibt, dass es anstelle des heiligen Baumhaines – von dem der antike Geograph Strabon berichtet (Strabon, Geographica 14,1,5) – nur mehr größere Sträucher gebe. Somit böte das einst blühende Orakel einen traurigen Anblick. Weiterhin erwähnt Dallaway Reliefs mit jeweils zwei Greifen und einer Lyra in ihrer Mitte, die ja als Pilasterkapitelle im Tempelinnern angebracht waren (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Die meisten Säulen seien umgestürzt. Die Säulenschäfte der zwei stehenden Säulen auf der Nordseite schätzte er auf eine Länge von jeweils 40 Fuß (etwa 12 m) ein. Damit lag er nicht falsch, denn rund ein Drittel der Säulenschäfte war noch im Schutt verborgen (Gesamthöhe 19,70 m).
James Dallaway untersuchte auch die nähere Umgebung des Apollontempels. Von einer Erhebung am Meer sah er die Mauern eines runden Turmes. Weitere Angaben dazu macht er nicht. Die Turmreste sind in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen sind sie heute nicht mehr auffindbar. Zum anderen berichtete schon Richard Chandler 1764 von ihnen. Chandler schrieb, dass er zwischen dem Apollontempel und dem Meer, die Ruinen eines runden Gebäudes gesehen habe. Dieser Rundbau könnte für ein Leuchtfeuer oder als Wachtturm gedient haben. Darüber hinaus beobachtete er, dass die Mauern von schlechter Qualität seien und wohl kaum antik. Folglich könnte es sich um ein Gebäude byzantinischer Zeit gehandelt haben. Es muss aber recht imposant gewesen sein, da es sonst Chandler und Dallaway neben dem Apollontempel kaum erwähnt hätten.
Das Gelände der milesischen Halbinsel wurde in den letzten Jahrzehnten intensiv auf bauliche Reste und Kleinfunde abgesucht (auch Survey genannt). Jedoch konnten zwischen Didyma und dem Meer im Westen keine Reste eines größeren Rundbaues gefunden werden. Mithin kann das von Chandler und Dallaway beschriebene Gebäude nur in den etwa 100 Jahren nach ihnen komplett abgetragen worden sein, weil es bereits in der ersten genauen Karte von 1900 nicht mehr mit verzeichnet ist.
Der Besuch von James Dallaway in Didyma war also für die heutige Forschung nicht umsonst, obwohl sie seinen Aufenthalt bisher kaum wahrgenommen hat. Mit der bei ihm überlieferten Zeichnung von Gaetano Mercati, dem Bericht über das neue Giaur-Ura und über den noch nicht gefundenen Rundturm hinterlässt er in seinem Buch von 1797 wichtige Hinweise für die weitere Erforschung Didymas. Dallaway war von Beruf Pfarrer und Arzt, schrieb aber vor allem historische, kunsthistorische und architektonische Abhandlungen. Somit wirkte er im weitesten Sinne als Altertumsforscher, der sich ferner noch als Herausgeber betätigte.
Mit Didyma hatte er im Spätsommer oder Frühherbst 1794 den südlichsten Punkt seiner Reise erreicht. Von hieraus begab er sich wieder nach Norden, wobei er z.B. die Inseln Samos, Chios, Lesbos und Lemnos besuchte. Lediglich eine einzige Datumsangabe ist in seinem Werk überliefert. So ist zu lesen, dass er am 18. November 1794 auf der Insel Tenedos ein Schiff nach Konstantinopel bestieg. Im Jahr 1795 muss Dallaway sich dann intensiv mit der Suche des antiken Troja beschäftigt haben, denn dieses Thema nimmt in seinem Buch viel Raum ein. Im Oktober 1795 begab er sich auf die Rückfahrt nach England. Dort traf er Ende desselben Jahres wohlbehalten ein, nachdem er unterwegs noch weitere griechische Inseln und Italien besucht hatte. Schließlich starb James Dallaway am 8. Juni 1834 im englischen Leatherhead.