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George Wheler und Jacob Spon – 1673 (Jeremy Salter und Dr. Pickering)
ОглавлениеReise von Wheler und Spon über Prusa nach Smyrna – Besichtigung der sieben Gemeinden der Johannes-Apokalypse – Ionischer Bund – Reise von Pickering und Salter nach Didyma – Älteste bekannte Zeichnung des Apollontempels – Belagerung Didymas durch die Goten 262 n. Chr. – Ausbau des Apollontempels zur Festung – Steinmetzinschriften am Apollontempel
Am 20. Juni des Jahres 1675 stachen der Engländer George Wheler und der Franzose Jacob Spon von Venedig aus in See, um nach Konstantinopel zu reisen. Nachdem sie die Stadt eingehend besichtigt hatten, wollten sie eigentlich nach Athen weiterreisen. Aber dies gestaltete sich als schwierig. Zufällig trafen Wheler und Spon beim Botschafter auf eine Gruppe englischer Kaufleute, die zurück nach Smyrna (heute Izmir) wollten. Das war für die beiden eine günstige Gelegenheit, um die kleinasiatische Westküste kennenzulernen. Somit schlossen sie sich am 6. Oktober 1675 den Händlern an.
Ihr Weg führte sie zunächst etwas ins Landesinnere nach Prusa (heute Bursa), in eine der alten Hauptstädte der Osmanen, bevor sie 1453 Konstantinopel erobert hatten (Karte 1). Prusa liegt unterhalb des Bithynischen Olymp (2542 m ü. NN), der heute Uludağ genannt wird und den die Händler auch erklommen. Vom Gipfel aus hatten sie eine herrliche Aussicht über die Propontis (heute Marmarameer) bis nach Konstantinopel. Interessant sind außerdem die Angaben zur Zusammensetzung der damaligen Bevölkerung Prusas: „40.000 Türken, 12000 Juden und nicht so viele Griechen und Armenier“.
Am 13. Oktober verließen die Engländer die Gegend und trafen wenig später auf ein halbes Dutzend Reiter, die ihnen später als Räuberbande vorgestellt wurde. Sie kamen jedoch ungeschoren davon, weil sie selbst bewaffnet waren und noch Janitscharen (Angehörige der Leibwache des Sultans) dabeihatten. Über weitere Stationen trafen die englischen Kaufleute mit Wheler und Spon am 21. Oktober in Smyrna ein.
Antike Ruinen gab es dort reichlich, doch war ihre Deutung nicht einfach. Das Stadion und das Theater konnten sie aber leicht identifizieren; letzteres wurde gerade abgetragen, um eine neue Karawanserei zu bauen. Auch gab es zahlreiche Kirchen, für Griechen und Armenier sowieso, aber ebenso eine römisch-katholische. Daneben berichten die Engländer von dreizehn Moscheen und mehreren Synagogen. „Eine sehr lebendige Stadt, allerdings ohne Stärke und Schönheit“, wie sie schreiben.
Von Smyrna aus machten Wheler und Spon u.a. einen Ausflug nach Ephesos, welches sie ausführlich besichtigten. Dabei suchten sie die berühmte Johannesbasilika auf, die ihrer Ansicht nach in eine Moschee umgewandelt worden war. Diese Kirche, im 6. Jh. n. Chr. von Kaiser Justinian errichtet, galt als eine der größten und prächtigsten im Byzantinischen Reich. Doch Wheler und Spon irrten sich, denn die Moschee, die sie aufsuchten, war von Anfang an eine Moschee gewesen: die Isabey-Moschee aus dem Jahr 1375 (Abb. 3). Und dafür hatten sie einen halben Dollar Eintritt bezahlen müssen an den „skrupellosen Wächter“. Zusätzlich waren sie enttäuscht von der Johannesbasilika, da sie „kein außergewöhnliches Gebäude“ sei.
Abb. 3: Ephesos. Blick auf die Isabey-Moschee vom Ayasoluk-Hügel aus.
Die wirkliche Johannesbasilika lag damals schon in Trümmern, als Wheler und Spon nach Ayasoluk (heute Selçuk) kamen; denn nachdem diese Kirche in eine Moschee umgewandelt worden war, hatten sie die Mongolen 1402 zerstört.
Von Ephesos kehrten Wheler und Spon nach Smyrna zurück. Von dort aus wollten sie noch weitere der sieben Gemeinden besichtigen, die in der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament beschrieben werden (Off 2,1–3,22). Vor ihrem Aufenthalt in Smyrna hatten sie bereits Thyatira aufgesucht und jetzt ritten sie nach Pergamon und Sardis. Anschließend wandten sie sich Laodicea und zuletzt Philadelphia (heute Alaşehir) zu. Dort waren sie erfreut, auf vier Kirchen zu treffen und mehr als 200 Häuser mit christlichen Bewohnern.
Nachdem Wheler und Spon alle sieben Gemeinden der Johannes-Apokalypse aufgesucht hatten, wendeten sie sich den Städten des Ionischen Bundes zu. Dazu gehörten dreizehn Poleis, die in der Antike einen gemeinsamen Bund unterhielten: Phokaia, Smyrna, Klazomenai, Erythrai, Teos, Lebedos, Kolophon, Chios, Samos, Ephesos, Priene, Myus und Milet (Karte 1). Die Plätze dieser antiken Städte alle selbst aufzusuchen, gelang Wheler und Spon nicht. Deshalb nahm Wheler in seine Publikation einen Bericht von Dr. Pickering und Jeremy Salter auf, die sich in Smyrna aufhielten und bereits zwei Jahre zuvor den Süden bereist hatten.
Pickering und Salter waren zusammen mit anderen englischen Kaufleuten am 23. Juni 1673 von Smyrna Richtung Süden aufgebrochen. Nach zwei Tagen zu Pferd gelangten sie nach Scala Nuova (heute Kuşadası), nachdem sie am ersten Tag neun Stunden und am zweiten Tag zwölf Stunden im Sattel gesessen hatten. Meist übernachteten die Reisenden in Zelten mangels geeigneter Unterkünfte.
Am dritten Tag erreichten die englischen Händler den heutigen Küstenort Güzelçamlı (damals Tschangly), in dessen Nähe sich das berühmte Panionion befand. Das Panionion war in der Antike der Versammlungsort des schon erwähnten Ionischen Bundes. Pickering und Salter schreiben, dass sie den Ort anhand einer Inschrift identifizieren konnten, die in der dortigen Marien-Kirche verbaut war. Für den folgenden Tag hatte sich die Gruppe vorgenommen, die südlich gelegene Mykale (heute Samsun Dağı) zu überqueren. Dieses bis zu 1265 m ü. NN hohe Mittelgebirge bot durch seine dichten Wälder viel Schatten und einige Quellen, aber der Aufund Abstieg war durch seine steilen Hänge sehr beschwerlich. Am Südfuß der Mykale trafen sie auf das gleichnamige Dorf Sanson (heute Güllübahçe), bei dem sich einige antike Ruinen befanden. Pickering und Salter vermuteten richtig, dass es sich dabei um das antike Priene handelte, eine der dreizehn Städte des Ionischen Bundes.
Die Reisenden ritten weiter nach Süden über die Schwemmebene des Flusses Mäander (heute Büyük Menderes). Über diesen 16 Faden (rund 30 m) breiten Fluss konnten sie mithilfe einer Fähre übersetzen. Zwei Stunden später erreichten sie das Dorf Palatia (heute Balat), wo sie an einem Flussarm des Mäander ihre Zelte aufschlugen. Am nächsten Tag, dem 27. Juni 1673, besichtigten die Kaufleute die reichlich vorhandenen antiken Ruinen. Darunter beeindruckten sie besonders die Reste des riesigen Theaters, von dem schon Cyriacus von Ancona geschwärmt hatte (siehe das Kapitel zu ihm). Außerdem sahen die Männer eine Thermenanlage und eine große Moschee. Bei der Therme und dem Theater stießen sie jeweils auf große Gewölbe, die sie glauben ließen, die ganze Stadt sei über Gewölben errichtet wegen des nassen und weichen Baugrundes. Das war natürlich ein Trugschluss, da Baustrukturen mit Gewölben für antike Theater und Thermenanlagen überhaupt typisch sind. Schließlich fanden sie eine Inschrift, die bei einer griechischen Kirche verbaut war. Da in ihr die Polis Milet mehrere Male erwähnt wurde, erwogen sie, dass sie sich auf dem Gebiet der antiken Metropole Milet befanden (auch Mitglied im Ionischen Städtebund). Dennoch blieben Zweifel: Denn wie es sich für Antikenbegeisterte gehört, hatten die Reisenden die Landeskunde des Strabon (etwa 63 v.–23 n. Chr.) dabei; das Buch mit dem auch Cyriacus von Ancona über 200 Jahre vorher unterwegs gewesen war.
Doch seit der Antike hatte sich die Beschaffenheit der Gegend gründlich geändert: Die einstige Küstenstadt Milet lag jetzt nicht mehr am offenen Meer, sondern nur noch am Südarm des Flusses Mäander; seinen Nordarm hatten die Kaufleute per Fähre überquert. Als man den hellenistischen Apollontempel in Didyma zu bauen begann, mündete der Mäander noch rund 10 Kilometer nordöstlich von Milet ins Meer (Karte 3). Seitdem aber hatte der Fluss seine Mündung an Milet vorbei ins Meer hinaus verlagert. Dabei war auch der Latmische Golf abgeschnitten worden, den Strabon noch beschrieben hatte. Aus der einstigen Bucht war ein See entstanden (heute Bafa Gölü; siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona), den die Kaufleute um Pickering und Salter allerdings noch nicht erreicht hatten. Somit fanden sie zwar viele eindrucksvolle Ruinen, waren sich am Ende aber nicht sicher, in Milet oder in dem benachbarten Pyrrha gewesen zu sein (welches bis heute nicht gefunden werden konnte).
Am späten Nachmittag desselben Tages brach die Gruppe auf zu einem weiteren Zweistundenritt, der sie in ein unbekanntes griechisches Dorf führte. Dort blieben sie bis zum nächsten Morgen, um nach zwei Stunden zu einer Meeresbucht zu gelangen, bei der es sich ihrer Meinung nach um den Latmischen Golf gehandelt haben könnte. Da sie wenig später jedoch Didyma erreichten, wird es wohl die Kowella-Bucht gewesen sein. Dort befand sich der antike Hafen von Didyma, der Panormos hieß (heute Mavişehir; Karte 2).
Die riesigen Ruinen, vor denen sie nun standen, wurden von den dortigen Türken „Iotan“ genannt. Dieser Name stammt ab von der byzantinischen Bezeichnung Didymas als „Hieron“ und stellte wohl eine Verwechslung mit dem heute noch gebrauchten „Yoran“ dar.
Abb. 4: Ruine des Apollontempels von Norden aus gesehen (Jeremy Salter, 1673).
Jeremy Salter fertigte eine Zeichnung an, und zwar die erste des Apollontempels überhaupt, die erhalten ist (Abb. 4). Die Zeichnung gibt einige Details des Tempels treffend wieder, enthält aber auch Ungenauigkeiten: Gut erkennbar ist, dass der Apollontempel von Norden aus gezeichnet wurde, also aus der Richtung, aus der die Reisenden kamen. Die zwei Säulen mit dem Architrav sind auf der Skizze fälschlich mit korinthischen statt mit ionischen Kapitellen versehen. Außerdem sind im Hintergrund zwei weitere Säulen zu sehen. Eine trägt richtig ein ionisches Kapitell. Aber ihr Säulenschaft erhielt nie seine Kanneluren, da sie unfertig blieb. Die vierte Säule rechts daneben trägt wiederum ein korinthisches Kapitell und ist etwas kleiner als die mit dem ionischen Kapitell. So scheint es möglich, dass bei Pickering und Salters Besuch insgesamt noch vier statt der heutigen drei Säulen aufrecht standen (Abb. 5).
Abb. 5: Apollontempel von Norden.
Auf der rechten Hälfte der Skizze sind ein Stück Mauer und ein Pfeiler mit einem sogenannten Sofakapitell zu sehen. Mit solchen Pfeilern oder besser Pilastern waren die Wände des Innenhofes des Tempels verziert. Von außen konnte man sie eigentlich nicht sehen, es sei denn, Teile der Wände waren bereits eingestürzt. Dies war der Fall, wie die Zeichnung rechts des Pilasters erkennen lässt. Folglich ist der Pilaster mit dem Sofakapitell an der falschen Stelle eingezeichnet. Aber wichtiger ist zu wissen, dass damals noch ein kurzer Abschnitt der Wand des Naos aufrecht stand. Offensichtlich ist er – zusammen mit einer Säule – in den folgenden 150 Jahren eingestürzt, weil erst auf den Abbildungen späterer Zeit die Mauerkrone des Naos komplett zerstört ist und nur noch drei Säulen erhalten sind.
Das Sofakapitell der Zeichnung weist unten einen horizontalen Streifen auf, der an den beiden Ecken nach oben umbiegt und sich jeweils an seinem oberen Ende zu einer Volute einrollt. Genauso waren die Sofakapitelle tatsächlich verziert. Ihren oberen Abschluss bildet ein sogenanntes ionisches Kyma, das man auch ansatzweise bei Salter erkennen kann. Er hat das Sofakapitell mit einer Blüte in der Mitte gezeichnet. Solche gab es tatsächlich, wobei die Blüte im Original nicht so groß ist und zusammen mit zahlreichen Ranken aus einem Blattkelch hervorsprießt (Abb. 6). Diese Rankenkapitelle wechselten sich am Bau mit Kapitellen ab, die mit zwei antithetischen Greifen verziert waren. Obendrein hatte man zwischen den Pilasterkapitellen einen Fries angeordnet, der nur aus Greifen bestand. Greifen, Mischwesen aus einem Raubvogel und einem Löwen, waren im Altertum dem Gott Apollon zugeordnet. Sie sollten vor allem das Übel abwehren und hatten somit apotropäische Wirkung, das heißt sie bewachten den Tempel des Apollon.
Abb. 6: Pilasterkapitell mit Ranken des hellenistischen Apollontempels.
Das von Jeremy Salter gezeichnete Sofakapitell weist noch auf etwas anderes hin: Mit dem Bau des hellenistischen Apollontempels wurde um 330 v. Chr. begonnen und etwa 250 Jahre später war der Naos zum großen Teil fertig. Im Innenhof hatte man den Pilastern die Sofakapitelle aufgesetzt und den Greifenfries dazwischen ausgearbeitet. Als letztes Bauglied folgte darüber ein Architrav mit zwei Fascien (Streifen) und drei Ornamentbändern übereinander: Perlstab, lesbisches Kyma, Lotus-Palmettenfries (Abb. 7). Nachdem dieses Bauglied im späten Hellenismus in 25 m Höhe versetzt worden war, hatte man den Innenhof bis auf das letzte Glätten der Wände fertiggestellt. Dass man die Bauarbeiten hier abbrach und sich in römischer Zeit dem Aufstellen der Säulen um den Naos widmete, sollte sich als großes Glück erweisen. Denn auf dem nur grob geglätteten Wandsockel des Innenhofes haben sich viele eingeritzte Bauzeichnungen erhalten. Eine davon konnte mehrere Jahrzehnte lang nicht richtig gedeutet werden. Sie gibt einen Giebel eines kleinen Tempels wieder. Wie sich aber 2013 herausstellte, wurde an der Westwand des Innenhofes der Tempel der Artemis entworfen: Ein bislang einzigartiges Phänomen in der antiken Baugeschichte (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider sowie das zu Bumke).
Abb. 7: Rekonstruktionszeichnung des Gebälks im Sekos des hellenistischen Apollontempels.
Zurück zur Zeichnung von Salter: Links und rechts des eben beschriebenen Pilasters sind insgesamt fünf unfertige Kapitelle zu sehen, die auf dem Kopf stehen. Heute ist nur noch ein Exemplar von ihnen vorhanden, welches nahe bei der Nordostecke des Apollontempels aufgestellt ist. Beim Besuch der Engländer scheinen also mehrere unfertige Kapitelle in Tempelnähe gelegen zu haben, die bereit zum Versetzen waren. Dies führte zu der Vermutung, dass man die Bauarbeiten am Apollontempel einstmals plötzlich eingestellt hatte:
Im Jahr 262 n. Chr. plünderten die Goten das Artemisheiligtum von Ephesos. Die Kunde ihres Einfalls nach Westkleinasien hatte sich vorher schon bis nach Milet und Didyma verbreitet. Bis dahin hatte aufgrund des Friedens in diesem Teil des Römischen Reiches kein Bedarf an einer Stadtmauer bestanden. In Milet waren große Bereiche der hellenistischen Stadtmauer im Laufe der Zeit abgetragen worden. Nun aber musste über die Hälfte von ihr neu errichtet werden, um gegen die aus Südrussland zu Schiff kommenden Goten wehrhaft zu sein.
Auch in Didyma wurde man aktiv: Das Apollonheiligtum war schon mehrere Male von Barbaren geplündert worden. Das letzte Mal von Seeräubern am Anfang des 1. Jhs. v. Chr. Das ganze Heiligtum konnte man nicht schützen. So versetzte man lediglich den Apollontempel in den Verteidigungszustand. So war es möglich, im Notfall alle Tempelschätze, auch die der anderen im Heiligtum verehrten Götter, im Apollontempel sicher zu verwahren. Der Bau bot dafür gute Voraussetzungen: Nur nach Osten hin war er offen, die anderen drei Seiten konnte niemand aufgrund der 20 m hohen Tempelmauern überwinden. Also vermauerte man die Tempelfront mit Werkstücken verschiedener Bauten, auf die man verzichten konnte. Dazu gehörten zahlreiche Grabbauten und das Bühnengebäude des Theaters. Man schloss mit ihnen die Zwischenräume der Frontsäulen und der Säulen, die bis zu den Anten des Naos folgten. Auf diese Weise entstand ein geschlossener rechteckiger Baukörper, den man nur noch durch eine Tür im Osten und eine kleine Pforte im Nordosten betreten konnte (Plan 4).
Nachdem die Goten das Artemision von Ephesos verwüstet hatten, belagerten sie den zur Festung umgebauten Apollontempel. Als den darin Eingeschlossenen das Wasser knapp wurde, ließ Apollon eine neue Quelle aufsprudeln, wie drei Epigramme aus den Jahren danach berichten. Ihr Inhalt ist beinahe gleich und sie wurden zu Ehren Titus Flavius Festus verfasst, der die neue Quelle im Tempelinnenhof mit einem Brunnenhaus versehen ließ. Dies geschah in den Jahren 286 bis 293 n. Chr., als Festus Prokonsul der Provinz Asia war.
Hier die Übersetzung eines der Epigramme:
„Dies ist das Wunder: Die Quelle, die einst als die des Pythios emporströmte in goldfließendem Nass, hat auf sein Geheiß, als der Barbaren Kriegsgott, die von bitterem Durst gequälten Bürger einschloss, diese gerettet, indem sie diese Ader emporsandte. Jetzt aber ist sie die (Quelle) des Festus, des Beisassen der goldenen Dike. Denn er hat sie mit so viel glänzendem Schmuck umgeben und bringt dadurch des Gottes Geschenk zu Ehren; die Bürger aber erhält er durch der Nymphen Fluten, die Verbindung mit der delphischen Kastalia nachbildend. Denn den Nymphen ist die Wahrsagekunst lieb, durch die den Propheten der göttliche Geist gesetzt wird.“
(Übersetzung Theodor Wiegand)
In letzter Zeit wurden Zweifel daran laut, ob denn die Goten Didyma tatsächlich belagert hätten und die älteste Vermauerung wirklich zum Schutz vor ihnen errichtet worden wäre. Neben den drei Epigrammen belegen dies die archäologischen Befunde westlich des Apollontempels: Dort ging in der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. ein mit Häusern und Straßen bebautes Areal bei einer Brand-katastrophe zugrunde (siehe das Kapitel zu Tuchelt).
Den letzten Hinweis gibt aber der Fundort des Inschriftsteins mit den drei Epigrammen: Er war neben der Wasserkammer verbaut, die den letzten antiken Brunnen im Innenhof des Apollontempels umgab. Selbst in der frühbyzantinischen Kirche war dieser „heidnische“ Brunnen noch zugänglich und benutzbar (Plan 4). Wahrscheinlich befand sich hier, im Nordosten des Innenhofes, der Ort, an dem die Prophetin Apollons vom Wasser inspiriert wurde und die Orakel von sich gab.
Dieser Brunnen ist heute noch vorhanden. Jedoch wurde er in den 50er-Jahren des 20. Jhs. zugeschüttet und sein oberer Bereich zerstört. Selbst damals soll er das einzig wirklich trinkbare Süßwasser ganz Didymas (heute Yoran oder Eskihisar) bereitgestellt haben; alle anderen Brunnen im Ort boten bitteres Wasser dar. Heute laufen unzählige Touristen über den einstmals heiligsten Ort im Apollontempel, ohne von seiner Bedeutung zu wissen: Denn eine Quelle bei einem Lorbeerbaum bildete im 8. Jh. v. Chr. das Naturmal, an dem man das erste Heiligtum für Apollon einrichtete (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zu den Jahren 1908 und 1909 sowie zum Jahr 1911).
Die im Osten des Apollontempels neu errichtete Mauer wurde bei den ersten Ausgrabungen Ende des 19. Jhs. gefunden und von den Ausgräbern fortan „Gotenmauer“ genannt. Man hatte sie also nach dem Abzug der Goten nicht wieder abgerissen. Allerdings ließen später die Archäologen die Gotenmauer abgetragen. Heute ist nur noch ihr Baumaterial vorhanden, welches auf der Terrasse östlich des Apollontempels liegt.
Eine in der Forschung diskutierte Frage lautet, ob man nach der Belagerung durch die Goten die Bauarbeiten am Tempel wieder aufnahm oder ob das Jahr 262 n. Chr. ihr Ende darstellte. Grundsätzlich spricht nichts dagegen anzunehmen, dass danach weitergebaut wurde. Vermutlich war man noch bis zum Ende des 4. Jhs. n. Chr. tätig und versuchte, weitere Säulen der Ringhalle zu errichten. Dies belegt auch das nicht versetzte Kapitell an der Nordostecke des Apollontempels (siehe oben).
Doch zurück zur Zeichnung von Jeremy Salter (siehe Abb. 4): Wie schon erwähnt, wurden die Wände im Innenhof des Apollontempels nur grob geglättet. Die Außenwände erhielten jedoch nicht einmal diese grobe Glättung. Ihre Oberfläche beließ man so roh, wie die Blöcke aus dem Steinbruch kamen. Auf der Zeichnung sind auf den Wandquadern griechische Buchstaben zu erkennen, die heute noch auf vielen von ihnen vorhanden sind. Sie bezeugen die Vorliebe der Reisenden für Inschriften, von denen sie zahlreiche dokumentierten.
Bei den Buchstaben auf den Quadern handelt es sich u.a. um Abkürzungen von Personennamen. Diese Abkürzungen konnte man zum Teil auflösen, weil die gleichen Namen in Inschriften auftauchen, die den Baufortschritt des Apollontempels in hellenistischer Zeit dokumentieren. Zu den ausführenden Steinmetzen gehörten viele Sklaven. Sie konnten dem Apollonheiligtum selbst gehören, der Polis Milet oder Privatleuten. Wenn Sklaven des Heiligtums die Bauteile vorbereiteten, standen die Buchstaben IE auf dem Bauteil (Abkürzung für TOΥ IEऩOΥ, „vom Heiligtum“). Wenn die Polis Milet Sklaven an das Heiligtum vermietet hatte, waren die Buchstaben ΔH oder ΔHMO eingemeißelt (Abkürzung für TOΥ ΔHMOΥ, „von der Polis“). Beide Varianten konnten zusammen oder allein auf einem Block stehen. Zusätzlich kommt häufig eine Namensabkürzung vor. Sie zeigt den privaten Vermieter von Sklaven an das Heiligtum an. Diese Deutung der Steinmetzinschriften von Albert Rehm ist nicht unumstritten, aber bis heute die plausibelste (Abb. 8).
Abb. 8: Nördliche Treppenwange mit Steinmetzinschriften des hellenistischen Apollontempels.
Sämtliche dieser Steinmetzinschriften sind nur erhalten, weil der Apollontempel nie fertig wurde. Und solche Details machen den Bau zu einem einzigartigen Wissensspeicher für die antike Baukunst, denn es gibt kein anderes antikes Bauwerk, an welchem so viele Merkmale von seinem Fertigungsvorgang erhalten sind.
Die Zeichnung von Jeremy Salter aus dem Jahr 1673 zeigt außerdem, dass die Trümmer des Apollontempels damals noch nicht überwachsen, geschweige denn überbaut waren. Die Bauteile des eingestürzten Tempels liegen wie unberührt seit dem Erdbeben von 1493 da (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). Interessant ist weiterhin, dass auf drei Säulen korinthische Kapitelle zu sehen sind und ein weiteres am Boden liegt. Wie oben schon erwähnt, besaßen die Säulen des doppelten Säulenkranzes um den Tempel aber allesamt ionische Kapitelle; oder sollten solche besitzen, da nicht alle Säulen fertig wurden. Korinthische Kapitelle wies der Apollontempel mindestens zwei auf, womöglich aber vier: die zwei Halbsäulen an der Ostwand des Innenhofes trugen sicher korinthische Kapitelle und die beiden Säulen im sogenannten Zweisäulensaal östlich davon wahrscheinlich auch.
Auffällig ist außerdem, dass weder auf der Zeichnung noch im Bericht dazu von weiteren antiken Bauten Didymas die Rede ist. Offensichtlich waren keine Reste solcher Gebäude zu sehen. Dass es sie dennoch gab, darauf wurde schon im Kapitel über Cyriacus von Ancona hingewiesen. Aber von der unter Kaiser Trajan (98–117 n. Chr.) gepflasterten Heiligen Straße, die von Milet aus nach Didyma führte, oder vom Artemistempel war wohl nichts mehr zu sehen (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider sowie das zu Bumke).
Erstaunlich ist somit, dass eine auf den ersten Blick einfache Zeichnung des Engländers doch viele Informationen enthält, die für die Erforschung des Heiligtums wichtig sind. Im Übrigen sei noch einmal darauf hingewiesen, dass dies die erste und älteste bekannte Darstellung des Apollontempels überhaupt ist (siehe Abb. 4).
Dass die englischen Kaufleute wirklich als Entdecker unterwegs waren, zeigt sich an ihren Deutungen der vorgefundenen Ruinen. Hier hatten sie außer den Texten der antiken Autoren kaum andere Hinweise. Bei der Identifizierung des großen marmornen Trümmerhaufens von Iotan taten sie sich schwer. Dr. Pickering war der Meinung, sie hätten das Grabmal des karischen Dynasten Maussollos (377–353 v. Chr.) gefunden. Dieser Bau, auch Mausoleum von Halikarnassos genannt, gehörte in der Antike zu den Sieben Weltwundern. Das antike Halikarnassos (heute Bodrum) liegt jedoch an der Spitze der gleichnamigen Halbinsel südlich von Didyma (Karte 1).
Nachdem George Wheler die Notizen der Kaufleute über Iotan studiert hatte, vermutete er zunächst, es würde sich bei den Ruinen um ein riesiges Theater handeln. Aber nach weiteren Überlegungen zog er den richtigen Schluss, dass die Händler zum Orakel des Apollon von Didyma gelangt waren. Dieses Heiligtum hätte laut Strabon einen so großen Tempel beherbergt, dass er unfertig geblieben und deshalb kein Dach gehabt hätte. Außerdem lag das Heiligtum nicht weit weg von Milet (rund 15 Kilometer Luftlinie), was mit der Beschreibung des Strabon übereinstimmte (Strabon, Geographica 14,1,5–12).
Pickering und Salter verließen nun Ionien und erreichten die antike Landschaft Karien. Dort gelangten sie nach Iasos (damals Askemkalesi), anschließend nach Mylasa (heute Milas) und Stratonikeia (heute Eskihisar); alle drei bedeutende Städte in der Antike. Damit endet der Einschub von Pickering und Salter in Whelers Publikation.
Am 18. November 1675 brachen Wheler und Spon schließlich von Smyrna nach Athen auf, nachdem sie endlich ein Schiff für ihre Weiterreise gefunden hatten. Knapp ein Jahr später war auch ihr Aufenthalt in Griechenland und ihre Rückreise beendet: George Wheler erreichte am 15. November 1676 Canterbury. Er freute sich, Verwandte und Freunde wiederzusehen und dankte Gott für alle Bewahrung auf seiner Reise.
George Wheler und Jacob Spon schrieben jeweils ein Buch über ihre Entdeckungstour. Wheler widmete sich den antiken Ruinen, fügte aber viele Beobachtungen zu Flora und Fauna in seinen 1682 erschienenen Bericht ein. Jacob Spon brachte seine Aufzeichnungen bereits 1678 heraus. Von seinem dreibändigen Werk widmete er einen Band den dokumentierten Inschriften. Spon verfasste damit einen der frühesten Inschriftenbände überhaupt. Dies unterstreicht, dass er und sein Kollege Wheler nicht nur zum Vergnügen und aus Abenteuerlust antike Stätten aufsuchten, sondern auch aus Forscherdrang. Sie stehen damit ganz in der Tradition des Cyriacus von Ancona, der über 200 Jahre zuvor den östlichen Mittelmeerraum bereist hatte.