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Edmund Chishull – 1709 und 1716 (William Sherard)

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Chishulls Reise nach Ephesos/Ayasoluk – Sherards Abstecher nach Milet und Didyma – Altar des Poseidon bei Didyma – Herkunft der Namen Didyma und Branchidai – Geschichte Didymas von spätantiker bis spätbyzantinischer Zeit – Kirchenbauten dieser Zeit in Didyma

Viele Reisende des 17. und 18. Jhs. kamen an die Westküste Kleinasiens, um die sieben christlichen Gemeinden zu besuchen, von denen in der Offenbarung des Johannes die Rede ist (Off 2,1–3,22). Zu ihnen gehörten George Wheler und Jacob Spon, die im vorangegangenen Kapitel thematisiert wurden. Die sieben Gemeinden waren ebenso ein Ziel von Edmund Chishull, als er 1698 nach Smyrna kam. Man muss sich dabei vor Augen halten, dass sich zuerst im westlichen Kleinasien das Christentum flächendeckend ausgebreitet hatte (Karte 1). Der Apostel Paulus gründete bereits im 1. Jh. n. Chr. viele Gemeinden und später fanden die wichtigsten ökumenischen Konzilien dort statt. Dazu gehören die von Nikaia (325 n. Chr.), Konstantinopel (381 n. Chr.), Ephesos (431 n. Chr.) und Chalcedon (451 n. Chr.). Auf ihnen kamen die Bischöfe des gesamten Mittelmeerraumes und Europas zusammen und trafen theologische Grundsatzentscheidungen, die heute noch für die meisten Kirchen der Welt verbindlich sind. Kein Wunder also, dass die Europäer solche Orte aufsuchen wollten und auf der Suche nach Kirchen und Christen waren.

Der Geistliche Edmund Chishull hatte am 12. September 1698 ein Schiff in England bestiegen und kam nach etwas mehr als zwei Monaten in Smyrna an, nämlich am 19. November 1698. Hier wirkte er als Kaplan der englischen Handelskompanie. Außerdem nutzte er die Zeit, um mit den Kaufleuten verschiedene Reisen zu unternehmen.

So brachen sie am 21. April 1699 zu einer Tour nach Sardis und Ephesos auf, die – wie auch Smyrna – zu den sieben Gemeinden der Johannes-Apokalypse zählen. Am Abend des 27. April gelangten sie nach Sardis, der Hauptstadt des antiken Lyderreiches. Sein letzter König war der sagenhaft reiche Kroisos (Lateinisch „Crösus“), der von etwa 555 bis 547 v. Chr. regierte. Unter Alyattes, seinem Vater, wurden dort wahrscheinlich die ersten Geldmünzen weltweit geprägt, und zwar aus Elektron, einer Legierung aus Gold und Silber. Auch in Sardis war das Andenken an die antike Stadt nie verloren gegangen, denn die moderne türkische Siedlung nannte sich Sart.

Am 30. April kam die Reisegruppe Ephesos so nahe, dass sie es hätte noch am selben Tag erreichen können. Doch Chishull und seine Begleiter wollten in einem Dorf übernachten, wo nur griechische Christen wohnten, nämlich in Şirince (bei Chishull: Kirkingécui). Da es östlich und oberhalb von Ephesos liegt, wäre das günstig gewesen, denn sie kamen aus östlicher Richtung. Nur hatten sie einen Führer dabei, der sich nicht gut auskannte. Er führte die Gruppe zwar endlos bergauf, aber sein Pfad endete im Niemandsland. So mussten sie wieder hinunter und gelangten schließlich doch erst nach Ephesos, um von dort in einem anderthalbstündigen Ritt endlich hinauf nach Şirince zu kommen.

Am nächsten Tag war Chishull überrascht, als ihm der ansässige Priester ein Buch mit den vier Evangelien zeigte, welches noch im 1. Jh. n. Chr. geschrieben worden wäre. Prochorus hätte es verfasst, einer der sieben Diakone in Jerusalem, die in der Apostelgeschichte erwähnt werden (Apg 6,1–7). Der Tradition nach war Prochorus später der Schreiber des Evangelisten Johannes gewesen, sowohl in Ephesos beim Verfassen des Evangeliums als auch auf der Insel Patmos beim Schreiben der Offenbarung. Doch wie Chishull und seine Begleiter erkannten, stammte das Buch mit den Evangeliumstexten aus dem 6./7. Jh. n. Chr. Dennoch wollten sie es erwerben, was aber wohl misslang.

Am 1. Mai um 10 Uhr kam die Reisegruppe nach Ephesos. Dort sahen sie viele antike Ruinen, aber auch viele türkische Bauten. Chishull bedauerte, dass die „barbarischen“ Türken Ephesos in Ayasoluk (bei Chishull: Aiasáluck; heute Selçuk) umbenannt hätten. Dabei ist Ayasoluk nur die verschmolzene Version von „Haghios Theologos“ (ein Titel des Evangelisten Johannes). So nannten die byzantinischen Griechen den Burghügel nordöstlich der antiken Stadt Ephesos; denn dort hatte Kaiser Justinian im 6. Jh. n. Chr. die Johannesbasilika errichten lassen (Abb. 9).


Abb. 9: Ephesos. Johannesbasilika, Blick von Nordwesten auf die Grabkammer des Johannes mit dem Synthronon im Hintergrund.

Edmund Chishull wollte diese berühmte Kirche besichtigen. Doch leider hatte er auch hier keinen kundigen Führer dabei. Denn Chishull verfiel wie Wheler und Spon dem Irrtum, dass die Johannesbasilika in eine Moschee umgewandelt worden war. Denn man hatte ihn zur Isabey-Moschee geführt, die sich unterhalb des Ayasoluk-Hügels befindet. Die Kirche, in der das Grab des Evangelisten Johannes verehrt wird, war schon längst verfallen (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon).

Chishull beschreibt nun Merkwürdigkeiten an der „Johannesbasilika“. Sie sei zwar in gutem Zustand, aber der Umbau von einer Kirche zur Moschee sei nicht gelungen. Chishull störten z.B. die türkischen Skulpturen über den Eingängen zum Hof der Moschee. Ihn verwunderte besonders, dass keine Reste eines Altars im Osten und keine Spuren eines Eingangs im Westen zu sehen waren; beides doch typisch für Kirchengebäude. Daraus zog er den Schluss, dass nur wenig vom Baubestand der Basilika für die Moschee verwendet worden war.

Bekannt war Chishull und seinen Begleitern überdies der Tempel der Artemis, eines der Sieben Weltwunder. Der einst riesige Bau befand sich zwischen dem antiken Ephesos und dem Ayasoluk-Hügel. Doch schon damals konnte man nur noch sein Fundamente bewundern. Chishull schreibt, dass es dort nichts mehr gebe, was der Rede wert sei. Denn im Jahr 262 n. Chr. hatten die Goten das Artemision geplündert. Danach war der Artemistempel kaum restauriert worden. Schließlich veranlasste der berühmte Kirchenvater des Ostens, Johannes Chrysostomos, am Anfang des 5. Jhs. n. Chr. die Zerstörung des Artemistempels.

Von Ephesos aus machte sich die Gruppe um Chishull wieder auf den Rückweg nach Smyrna. Leider reisten sie nicht weiter nach Süden und besuchten z.B. Priene, Milet oder Didyma. Darauf verzichteten damals viele Reisende. Der Weg über die Berge nach Süden ins Tal des Mäanders war manchen vielleicht zu beschwerlich. Außerdem lagen die berühmtesten christlichen Stätten nördlich des Mäander, wie Ephesos, Smyrna, Sardis oder auch Pergamon. Dennoch hätte Milet für Christen anziehend sein können, denn der Apostel Paulus hatte sich hier auf seiner dritten Missionsreise einige Zeit aufgehalten (Apostelgeschichte 20,17–38). In Milet empfing er im Jahr 56 n. Chr. die Ältesten der ephesischen Gemeinde und hielt eine Abschiedsrede, bevor er anschließend in Jerusalem verhaftet wurde.

Aber um 1700 war das türkische Dorf Balat inmitten der sumpfigen Mäanderebene anscheinend wenig reizvoll. Und an wichtigen heidnischen Monumenten – wie den gewaltigen Ruinen des Apollontempels von Didyma – bestand für christliche Reisende kaum Interesse; wobei dieser Tempel einen weitaus besseren Erhaltungszustand aufwies als der Artemistempel von Ephesos (daran hat sich bis heute nichts geändert).

Edmund Chishull selbst gelangte somit nie nach Milet oder Didyma. Seine Tour nach Sardis und Ephesos hatte er am 3. Mai 1699 glücklich in Smyrna beenden können. Er unternahm weitere Reisen u.a. nach Konstantinopel. Am 10. Februar 1702 verließ Chishull Smyrna für immer und brach nach Adrianopel (heute Edirne) auf, von wo er über weitere Stationen zurück nach England gelangte.

Überdies war Edmund Chishull mehr an antiken Inschriften als an antiken Gebäuden interessiert. So veröffentlichte er selbst einen Band mit Inschriften aus dem westlichen Kleinasien. Darin nahm er jedoch auch kurze Beschreibungen antiker Stätten auf, die andere für ihn dokumentiert hatten. Dazu gehört ein Abschnitt über Milet und Didyma, den William Sherard verfasst hatte. Sherard war von 1703 bis 1716 britischer Konsul in Smyrna. Er besuchte Didyma in den Jahren 1709 und 1716.

Sherard gibt über Didyma einen kurzen Zustandsbericht ab, der zeigt, dass er die Beschreibung des antiken Geographen Strabon gut kannte. Sherard schreibt nämlich, dass Didyma ungefähr auf halber Strecke zwischen dem Poseidion und Milet liegt. Das stimmt nicht ganz, denn Didyma befindet sich etwa 6,5 Kilometer nordöstlich vom Kap Poseidion und dann sind es noch einmal 15 Kilometer nach Milet (Karte 2). Strabon gibt die Distanz zwischen dem Poseidion und Didyma mit 18 Stadien an, etwa 3,2 Kilometer (Strabon, Geographica 14,1,5).

Das Poseidion war in der Antike ein Heiligtum für den Meeresgott Poseidon. Dem Gott hatte man direkt am Meer einen prächtigen Altar aus Marmor errichtet, und zwar im 6. Jh. v. Chr. Später, als das Heiligtum verfallen war, wuchs ein einzelner Baum auf den Resten des Altars (Abb. 10). Daher erhielt das Kap in der Neuzeit den Namen Monodendri (Griechisch für „ein Baum“). Das im Altertum Poseidion genannte Kap befindet sich an der Südwestspitze der Milesischen Halbinsel und stellte den Beginn der Südgrenze Ioniens dar. Die Nordgrenze lag bei Phokaia und dem etwas südlich einmündenden Fluss Hermos (heute Gediz Nehri; Karte 1), der rund 30 Kilometer nordwestlich von Smyrna ins Meer mündet (Strabon, Geographica 14,1,2).


Abb. 10: Kap Monodendri. Blick von Osten auf die Reste des Poseidonaltars (1913).

Noch heute kann man die von Wellen umspülten Altarreste des Poseidion besichtigen. Außerdem gibt es einen Leuchtturm, der schon von Weitem sichtbar ist und die Auffindung des Kaps erleichtert. Das Poseidion gehörte den Milesiern, wie Strabon schreibt. Wenn man von diesem Altar die genannten 18 Stadien landeinwärts geht, erreicht man das Orakelheiligtum des Apollon Didymeus, nämlich das in Branchidai. So lautet die Bezeichnung für Didyma bei Strabon.

Apollon Didymeus bedeutet „Apollon von Didyma“. Didyma ist also eine der beiden Ortsbezeichnungen. Wahrscheinlich hieß der Ort vor der Ankunft der Griechen Dindyma. Dafür sind zwei Indizien vorhanden: Die Ureinwohner, die Karer, kannten viele Ortsnamen mit der Endung -yma, wie z.B. Loryma oder Sidyma. Außerdem gibt es viele Berge in Westkleinasien, die Dindymon heißen. Daher erhielt auch eine einheimische Muttergottheit den Namen Dindymene.

Folglich trafen die ersten Griechen einen Ort an, der womöglich Dindyma hieß. Da sie ein Heiligtum für die Zwillinge Apollon und Artemis einrichten wollten, passten sie den Namen auf Didyma an. Denn „Didymoi“ ist das griechische Wort für „Zwillinge“. Mithin liegt bei der Benennung Didymas eine sogenannte Volksetymologie vor, das heißt die Einwanderer wandelten einen vorgefundenen Namen in einen um, der ihnen vertraut war. Dies ist die bisher wahrscheinlichste Erklärung für die Entstehung des Namens „Didyma“.

Freilich war Apollon der bedeutendste Gott in Didyma, denn seinen Ruhm verdankte das Heiligtum vor allem seiner Orakeltätigkeit. Darauf deutet die Bezeichnung bei Strabon deutlich hin. Doch seine Schwester Artemis wurde schon immer mit verehrt in seinem Heiligtum und hatte einen eigenen Tempel. Dies belegen Inschriften und seit Kurzem das Fundament des Tempels; wobei Bauteile von ihm schon länger bekannt sind (siehe das Kapitel zu Bumke).

Didyma hatte jedoch noch einen zweiten Namen, den Strabon erwähnt, nämlich Branchidai. Er geht auf Branchos zurück, der dem Mythos nach ein Sohn des Zeus war. Seine Mutter hatte ihn empfangen, als Zeus in Form eines Sonnenstrahls durch die Kehle in sie eindrang; auf Griechisch heißt Branchos „Heiserkeit“ oder „Halsschmerzen“. Der junge Knabe soll sehr hübsch gewesen sein; denn als er eines Tages Vieh hütete, sah ihn Apollon und verliebte sich in ihn. Durch einen Kuss verlieh Apollon dem Branchos die Sehergabe und fortan konnte er weissagen. An der Stelle seines Grabes wurde ihm später ein Tempel erbaut, und zwar in Branchidai.

Soweit der Mythos, der allerdings in verschiedenen Varianten überliefert ist. Die Liebe Apollons zu Branchos verhalf Apollon zu seinem Beinamen Philesios (der Liebende), den er gelegentlich in Didyma trägt. Die Nachkommen des Branchos hießen von ihm abgeleitet Branchiden (Griechisch „Branchidai“). Sie sollen das Heiligtum verwaltet und in der Frühzeit die Priester gestellt haben. Zu Strabons Zeiten war das jedoch schon lange nicht mehr der Fall, damals lebte der Name des Priestergeschlechts nur im Ortsnamen Branchidai fort. Zudem hatte sich in hellenistischer Zeit eine andere Gründungslegende etablieren können: Am Ort der Heiligen Quelle und des heiligen Lorbeerbaumes sollen Zeus und Leto die Zwillinge Apollon und Artemis gezeugt haben (siehe das Kapitel zu Furtwängler).

Sherard schreibt nicht viel darüber, was er in Didyma sah. Er erwähnt die sehenswerten Überreste des gewaltigen Apollontempels und -orakels. Obwohl viele Trümmerteile des Tempels am Boden lägen, stünden dagegen viele Säulen noch aufrecht. Aber mehr als vier können es nicht gewesen sein, wie man anhand der Zeichnung von 1673 erkennen kann (siehe Abb. 4). Im Einklang mit Strabon schreibt Sherard, dass es viele alte Weihgeschenke von Königen und Fürsten gebe. Genauere Angaben macht er leider keine, außer dass das Heiligtum zuerst Branchidai, dann Didyma und heute Yoran genannt würde.

Wie schon gesagt, war Edmund Chishull besonders an Inschriften interessiert. William Sherard fertigte für ihn eine Abschrift der sogenannten großen Schatzstiftung an, die schon Cyriacus von Ancona dokumentiert hatte (siehe das Kapitel zu ihm). Diese Inschrift vom Anfang des 3. Jhs. v. Chr. kann vielleicht als die berühmteste von Didyma gelten, da sie über Jahrhunderte hinweg viele Gelehrte dokumentierten. Sherard sah sie bei seinen beiden Besuchen in Didyma nördlich des Apollontempels liegen (1709 und 1716). Damals war sie noch vollständig erhalten, denn ihr Anfangsteil ging erst im Laufe des 19. Jahrhunderts verloren.

Edmund Chishull war der Meinung, den in der Inschrift wiedergegebenen Brief hätte Seleukos II. (246–226 v. Chr.) an Milet geschickt. Damit lag er jedoch falsch, denn wie oben dargestellt war Seleukos I. (305–281 v. Chr.) der Absender. Dieser Irrtum hielt sich noch bis zum Ende des 19. Jhs. in der Forschung.

Edmund Chishull gelangte während seines dreieinhalbjährigen Aufenthalts in Smyrna offensichtlich nie nach Didyma. Hätte es in Didyma damals eine sehenswerte Kirche gegeben, wäre er womöglich gekommen. In frühbyzantinischer Zeit gab es in Didyma mindestens drei größere Kirchen. Im Innenhof des Apollontempels hatte man eine dreischiffige Basilika errichtet. Von zwei weiteren Kirchen existieren zahlreiche Bauteile. Eine von ihnen stand unmittelbar südlich des Artemistempels. Aber offenbar war von ihnen zu Zeiten Chishulls nicht mehr viel zu sehen.

Die christliche Geschichte Didymas wurde bisher nur wenig erforscht. Daher soll im Folgenden versucht werden, die wichtigsten Daten wiederzugeben. Nach dem Stillstand in klassischer Zeit erlebte das Apollonheiligtum im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit eine Blütephase. Doch einen ersten Rückschlag erlitt das heidnische Heiligtum mit der Belagerung durch die Goten im Jahr 262 n. Chr. Damals vermauerte man die Ostfront des Apollontempels mit Werkstücken abgetragener Gebäude. Dazu zählte z.B. das Bühnenhaus des Theaters, welches erst unter Kaiser Hadrian errichtet worden war (117–138 n. Chr.; siehe das Kapitel zu Furtwängler). Diese Schließung der Eingangsseite des Apollontempels erfolgte allerdings sehr sorgfältig und nach den Regeln antiker griechischer Baukunst, das heißt die Blöcke wurden mit Eisen- und Bronzeklammern ohne die Verwendung von Mörtel verbunden (Abb. 11).


Abb. 11: Nordostecke der sogenannten Gotenmauer.

Den heidnischen Kult nahm man nach der überstandenen Belagerung wieder auf, denn das Brunnenhaus für das Orakel wurde im Innenhof erneuert (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon). Im Jahr 303 n. Chr. erteilte Apollon ein Orakel, welches die Christen unmittelbar betraf: Kaiser Diocletian (284–305 n. Chr.) wurde nach einer Anfrage angewiesen, die Christen zu verfolgen. Der Kaiser erließ daraufhin ein Edikt, welches zur bis dahin schwersten Verfolgung der Christenheit führte. Wenige Jahre später, 311 n. Chr., wurde durch ein weiteres Edikt des Kaisers Galerius (305–311 n. Chr.) die Christenverfolgung eingestellt.

Damit begann der Niedergang der Verehrung der heidnischen Götter. Eine kurze Wiederbelebung erfolgte nur unter Kaiser Julian Apostata in den Jahren 361 bis 363 n. Chr. (siehe das Kapitel zu Cyriacus von Ancona). Erst in den Jahren 391 und 392 n. Chr. erließ Kaiser Theodosius zwei Edikte, die den Besuch der Tempel, das Opfer an Götzen und jeglichen Götzenkult verboten. Damit dürfte auch in Didyma das Orakel des Apollon endgültig verstummt sein.

Der Tempel des Apollon war nie ganz fertig geworden, obwohl man womöglich bis zum Ende des 4. Jhs. n. Chr. an der Errichtung seiner Säulen gearbeitet hatte. Damals werden die Kulte aller in Didyma verehrten Götter eingestellt worden sein. Somit war der Weg frei, ihre Kultbauten für neue Zwecke zu nutzen. Da die Bevölkerung den heidnischen Göttern trotz des Verbots oft noch weiter huldigte, wandelte man ihre Tempel häufig in Kirchen um, damit dies unterblieb.

Neben Apollon war in Didyma seine Schwester Artemis die bedeutendste Gottheit. Sie hatte ihren eigenen Tempel etwa 80 m nördlich des Apollontempels. Den Artemistempel wandelte man jedoch nicht in eine Kirche um, sondern man errichtete sie direkt südlich dieses Tempels. Ein Grund dafür könnte sein, dass der heidnische Bau bereits in einem so schlechten Zustand war, dass man ihn nicht mehr umbauen, sondern nur noch abtragen konnte. Womöglich war der Artemistempel schon von den Goten 262 n. Chr. beschädigt worden, als sie den Apollontempel belagerten. Das legt auch die damalige Brandzerstörung von Häusern westlich des Apollontempels und an der Heiligen Straße von Milet nahe, die sich nicht weit weg vom Artemistempel befanden (siehe das Kapitel zu Tuchelt sowie das zu Tuchelt und Schneider). Dass die Kräfte Milets und Didymas nicht ausreichten, um den Kultbau der Artemis danach zu restaurieren, scheint sehr wahrscheinlich. Somit könnte den Artemistempel von Didyma ein ähnliches Schicksal ereilt haben wie den Artemistempel von Ephesos; denn auch dieser wurde 262 n. Chr. beschädigt und danach nicht vollständig wiederaufgebaut. Schließlich ließ man ihn Anfang des 5. Jhs. n. Chr. abreißen (siehe oben).

Der vermutlich schlechte Zustand des Artemistempels von Didyma nach dem Gotensturm legte es nahe, neben ihm die erste Kirche Didymas zu errichten, vielleicht schon im 5. Jh. n. Chr. Darauf deutet der Grundriss der Kirche hin: ein dreischiffiger Bau mit nur einer großen Apsis im Osten.

Dieser frühbyzantinische Kirchenbau wurde bisher jedoch nie genau untersucht, obwohl das Apsisfundament schon seit langem bekannt ist. Aber die Grabungsleiter Didymas verfolgten immer andere Interessen und die christliche Geschichte Didymas stand noch nie im Mittelpunkt. Folglich sind die Ausmaße der frühbyzantinischen Kirche südlich des Artemistempels unbekannt sowie spätere Umbauphasen.

Klar ist jedoch, dass an derselben Stelle Griechen im Jahr 1830 eine dem heiligen Charalambos geweihte Kirche errichteten, nachdem sie die Gegend um den Apollontempel seit Ende des 18. Jh. neu besiedelt hatten. Heute bildet der Bau die Moschee von Yoran oder Eskihisar (Türkisch für „alte Burg“).

Die zweite größere Kirche baute man um 500 n. Chr. im Innenhof des Apollontempels. Bei ihr handelt es sich um einen dreischiffigen Bau mit ebenfalls einer Apsis (Plan 4). Sie war knapp 36 m lang und 16 m breit. Das Baumaterial für diese Säulenbasilika lieferten abgetragene Gebäude, wie der Naiskos für das Kultbild des Apollon, das Brunnenhaus der Orakelquelle oder das sogenannte Prophetenhaus, welches sich außerhalb des Apollontempels befand. Die Orakelquelle integrierte man in den Kirchenbau. Der Eingang zum eigentlichen Brunnen lag neben dem Templon, der Altarschranke (Abb. 12). Folglich nahm das Allerheiligste der Kirche, der Bereich des Altars, das Allerheiligste des Apollontempels mit auf, und zwar den Orakelbrunnen. Westlich dieser Basilika wurde im Innenhof außerdem ein kleines Baptisterium errichtet (ca. 4,40 x 4,40 m). Es diente hauptsächlich zur Taufe Erwachsener. Die Kindertaufe praktizierte man jedoch auch. Deswegen wurde später ein Taufbecken im Kircheninnern installiert. Vermutlich entnahm man das Wasser für die Taufen aus dem ehemaligen Orakelbrunnen, der heute noch existiert, aber zugeschüttet ist (siehe das Kapitel zu Wheler und Spon).


Abb. 12: Apsis der frühbyzantinischen Kirche im Sekos des Apollontempels.

Wie schon erwähnt, gab es im 5./6. Jh. n. Chr. mindestens drei größere Kirchen in Didyma. Dies belegen Bauteile, die zur Ausstattung von drei steinernen Kanzeln gehören, die man auch Ambo nennt. Aber nur von den zwei genannten Kirchen bei den Tempeln der Götter Apollon und Artemis sind die Standorte bekannt, von der dritten jedoch nicht.

Die archäologischen Ausgrabungen brachten noch weitere Gebäudereste des 5./6. Jhs. n. Chr. zutage. Besonders erwähnenswert ist das Gebiet nordwestlich des Apollontempels, wo die Heilige Straße von Milet in das Apollonheiligtum führt. Dort errichtete man Hallen mit Läden auf einer Seite der Straße über einem älteren, im 4. Jh. n. Chr. zerstörten Baubestand. Am Apollontempel verstärkte und erhöhte man die Vermauerung der Ostfront. Überdies kamen bei den Ausgrabungen viele Münzen dieser Zeit zum Vorschein, die ebenfalls eine hohe Frequentierung des Ortes anzeigen. Da das Apollonorakel damals nicht mehr aktiv war, ist von einer größeren Anzahl dauerhafter Bewohner auszugehen.

Dies bezeugt ferner eine Inschrift des Jahres 533 n. Chr. Darin wird berichtet, dass die Siedlung Stadtrecht und obendrein den Namen „Justinianoupolis“ erhalten hatte. Außerdem geht es darum, dass Justinianoupolis steuerlich unabhängig von Milet werden will. Freilich gibt die Inschrift keine direkte Auskunft darüber, welcher Ort denn den Namen „Justinianoupolis“ verliehen bekommen hatte. Aber da sie in Didyma gefunden wurde, kann nur das ehemalige Apollonheiligtum gemeint sein; denn warum sonst hätte man sie dort aufstellen sollen?

Kaiser Justinian, nach dem Didyma damals benannt wurde, war der bedeutendste Kaiser des 6. Jhs. Er regierte von 527 bis 565 n. Chr. und vergrößerte das Byzantinische Reich durch zahlreiche Eroberungen. Seine Hauptstadt war Konstantinopel, ehedem Byzanz, welches schon Konstantin der Große (324–337 n. Chr.) zur Hauptstadt des Römischen Reiches erhoben hatte. Der Aufstieg des ehemaligen Heiligtums Didyma zu einer selbständigen Stadt ist verbunden mit einer Blütephase im 5./6. Jh. n. Chr.

In antiken Inschriften wird das Apollonheiligtum meist als Didyma bezeichnet und in literarischen Quellen meist als Branchidai. Daneben scheint es von den Einheimischen schon früh nur „Hieron“ (Heiligtum) genannt worden zu sein. Denn in der Gegend Milets war es das wichtigste Heiligtum. Unter der Bezeichnung „Hieron“ taucht der Ort zum ersten Mal in der zweiten Hälfte des 7. Jhs. in einer Bischofsliste auf. Womöglich hieß er schon zu Justinians Zeiten so und erhielt dann als eine Art „Ehrennamen“ den Namen „Justinianoupolis“. Dieser kann sich jedoch nicht länger als bis ins 7. Jh. gehalten haben; denn von da an wird der Ort immer als Hieron bezeichnet (und bis heute davon abgeleitet als Yoran).

Seitdem war Hieron auch Bischofssitz. Vorher ist das eher unwahrscheinlich, weil weder Justinianoupolis noch Hieron in den Akten der christlichen Konzilien auftauchen. Dagegen nahm z.B. der Bischof Milets schon 325 n. Chr. an dem Konzil von Nikaia teil. Milet wurde außerdem im zweiten Viertel des 6. Jhs. n. Chr. zum Erzbistum erhoben.

Vom 5. bis zum 7. Jh. blühten nicht nur Milet und Didyma (Justinianoupolis) auf, sondern auf der ganzen milesischen Halbinsel lässt sich eine hohe Siedlungsaktivität nachweisen. Das belegen Reste vieler dörflicher Ansiedlungen oder auch zahlreicher kleinerer Kirchen. Vom 8. bis zum 10. Jh. lassen solche Funde jedoch deutlich nach und es sind kaum noch Neubauten zu verzeichnen. Das 11. bis 13. Jh. bildete dann die zweite byzantinische Blütephase.

Das haben auch die archäologischen Ausgrabungen in Didyma (Hieron) belegen können. An vielen Stellen traten Häuserreste dieser Epoche zutage, wobei außerdem immer eine große Anzahl Scherben der damals typischen byzantinischen Glasurkeramik mit dabei war. Rund um den Apollontempel wurden überdies Bauteile für neun Ölpressen gefunden, die zur Herstellung von Olivenöl dienten. Eine solche Presse mit der entsprechenden Ölmühle zum Zerkleinern der Oliven kam 2004 bei Ausgrabungen südlich des Apollontempels zum Vorschein (siehe das Kapitel zu Furtwängler).

Doch selbst in wirtschaftlichen Hochzeiten galt es, immer wieder Rückschläge zu verkraften, denn das westliche Kleinasien ist ein Erdbebengebiet. Im frühen 7. Jh. war ein Erdbeben wohl dafür verantwortlich, dass die Kirche im Innenhof des Apollontempels einstürzte. Sie wurde jedoch anschließend in veränderter Form wiederaufgebaut. Dieses Erdbeben zerstörte ferner die Arkadenhalle an der Heiligen Straße und das Macellum nordwestlich des Apollontempels (siehe das Kapitel zu Tuchelt und Schneider).

Irreparable Schäden verursachte ein späteres Erdbeben am Apollontempel selbst: In den beiden Räumen, die seinem Innenhof östlich vorgelagert waren, kam es zu einem Brand, der die Säulen dort zum Einstürzen brachte. Dabei handelte es sich um den sogenannten Zwölf- und den Zweisäulensaal. Diese beiden Säle waren schon länger bewohnt gewesen und die hölzernen Einbauten hatten wohl Feuer gefangen (Abb. 13 und 14).


Abb. 13: Blick in den Zwölfsäulensaal des hellenistischen Apollontempels.


Abb. 14: Der Zweisäulensaal des hellenistischen Apollontempels von Südwesten.

Eine Inschrift auf einem Türsturz bezeugt aber, dass der in eine Festung umgewandelte Tempel wiederhergestellt wurde, und zwar wahrscheinlich am Ende des 11. Jhs. Dabei zog man eine weitere Verteidigungsmauer ein, die die nördliche mit der südlichen Tempelante verband (Plan 4). Obendrein wurde die Wand zwischen dem Zwölf- und dem Zweisäulensaal neu aufgebaut und mit einem Wehrgang versehen. Zu guter Letzt errichtete man wahrscheinlich damals die gekrümmte Vormauer östlich des Apollontempels. Sie trat bei den Ausgrabungen am Anfang des 20. Jhs. zutage, wurde aber wie alle Befestigungsanlagen am Apollontempel entfernt (siehe das Kapitel zu Wiegand und Knackfuß zum Jahr 1906).

Von diesem Schicksal blieben leider auch die Kirche und das Baptisterium im Innenhof nicht verschont. So kann man sich heute nur schwer vorstellen, wie der nachantike Apollontempel aussah. Die Bauteile der Kirche sind jedoch noch vorhanden und liegen südlich des Apollontempels (siehe Abb. 135). Heutzutage würde man sicher nicht mehr so radikal vorgehen und jegliche Anbauten nach der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. entfernen.

Am Anfang des 20. Jhs. standen die Arbeiten in Didyma unter der örtlichen Leitung von Hubert Knackfuß. Er war ein Architekt und damit beauftragt, den Apollontempel freizulegen. Es war eine enorme Leistung der türkischen und griechischen Arbeiter, die es schafften, den Apollontempel in den Jahren 1906 bis 1913 von seinen Trümmern zu befreien. Jedoch wurden die nachantiken Befunde dabei kaum dokumentiert, sondern so schnell wie möglich abgetragen. Auf diese Weise gingen wertvolle Hinweise zur Abfolge der Nutzungsphasen des Apollontempels in der Nachantike unwiderruflich verloren. Folglich ist es nicht genau feststellbar, wann die erste Kirche eingebaut, zerstört und erneuert wurde. Das Gleiche gilt für die verschiedenen Befestigungsmauern.

Weiterhin wird in der spärlichen Grabungsdokumentation noch eine spätbyzantinische Kapelle erwähnt, die sich nordöstlich des Apollontempels befunden haben soll. Näheres wurde dazu aber nicht festgehalten, weder ein Grundriss noch ihre genaue Lage. Insgesamt gab es in spätbyzantinischer Zeit in Hieron/Didyma mindestens sieben Kirchen oder Kapellen: die genannte nordöstlich des Apollontempels, die Kirchen im Apollontempel und südlich des Artemistempels, eine Kapelle auf dem Hügel nördlich des Artemistempels und drei Kapellen südlich des Apollontempels.

Erst für das 13. Jh. gibt es wieder schriftliche Quellen zu Hieron. Im Jahr 1214 wird es in den Akten des Johannesklosters auf der Insel Patmos erwähnt, und zwar geht es um den Hafen von Hieron, der zwischen Palatia (Milet) und Melanoudion (das antike Herakleia, heute Kapıkırı am Bafa Gölü) liegt. Weiterhin wird 1264 ein Niketas als Bischof von Hieron genannt. Bei dem byzantinischen Autor Maximos Planudes kommt Hieron in einem Brief vor. 1296 schreibt er, dass das Heiligtum des Apollon in Branchidai jetzt Hieron heißt und es an seiner Stelle eine Festung (Phrourion) gibt. Aus dieser Angabe geht immerhin hervor, dass das Phrourion von Hieron am Ende des 13. Jhs. noch nicht in der Hand der Seldschuken war.

Als letztes Bauwerk im Apollontempel hatte man eine kleine Kapelle errichtet (Plan 4). Sie stand auf dem Schutt der zweiten Kirche im Innenhof des Tempels. Diese Kirche wird bei einem Erdbeben eingestürzt sein. Ob dies vor 1300 war oder danach, schon unter türkischer Besatzung, ließen die Ausgrabungen nicht erkennen. Somit könnte der letzte Kirchenbau im Apollontempel von griechischen Christen erst unter der Herrschaft der Seldschuken errichtet worden sein. Lange war er jedoch nicht in Gebrauch und die Kapelle stürzte bald ein. Jedenfalls wird sie im nächsten schriftlichen Bericht über Hieron nicht erwähnt, den Cyriacus von Ancona im Jahr 1446 verfasste (siehe das Kapitel zu ihm).

Das Apollonheiligtum von Didyma

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