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Schrei des Schmetterlings

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Neue Inhalte nahm man in jener Zeit nicht allein über Bücher auf, sondern schneller und intensiver noch über eine politisch hellwache und unglaublich kreative Popkultur. Ohne viel Federlesens haben junge Musiker in ihrem Medium die Botschaften der Suchbewegungen poetisiert, radikalisiert und popularisiert. Well, take me back down where cool water flows … Walking along the river road at night, / barefoot girls dancing in the moonlight – green river … Im Sommer 1969, nur ein paar Wochen nach der ersten Mondlandung, nach Woodstock, hörte ich den Song im Radio. 2:14 – ein paar sich wiederholende Gitarrenriffs, eine gleichmäßig pulsierende Basslinie, das antreibende Schlagzeug, die raue Stimme eines 24-Jährigen, der von den endlos scheinenden, seligen Sommern seiner Kindheit erzählt, von Tagen und Nächten am grünen Fluss, ersten Schwimmversuchen, nächtlichen Rufen der Ochsenfrösche, barfuß tanzenden Mädchen im Mondlicht. Green River war eine Hymne an die noch unzerstörte große Natur und den Zusammenhalt der Menschen, die in ihr und mit ihr lebten.

Ein Jahr später, im August 1970, war ich nach einer mehrwöchigen Reise per Anhalter quer durch die USA, an der Westküste angekommen. Mit den Leuten, die mich aufgenommen hatten, fuhr ich am nächsten Abend von Berkeley über die Golden Gate Bridge nach San Francisco hinüber. In der lauen Sommernacht hörten wir Green River live von einer weit entfernten Bühne. Creedence Clearwater Revival spielten, wenn ich mich recht erinnere, ein Benefiz-Konzert zugunsten einer frisch gegründeten freien Drogenklinik, und ich lauschte atemlos ihrem Song: … you’re gonna find the world is smouldring / and if you get lost, come on home to green river. Wenn du das Gefühl hast, die Welt gerät in Brand, und du nicht mehr weißt wohin, dann komm heim an den grünen Fluss …

Meine Sternstunde als Rockfan hatte ich zwei Jahre vorher erlebt: Ich war – auch per Anhalter – nach Frankfurt am Main gekommen, um mich für das Wintersemester 1968/69 zu immatrikulieren. Abends spielten The Doors. Das Konzert in der Kongresshalle war kurz und ging tumultartig zu Ende. Nach dem provozierenden Song über den »Unknown Soldier« – mit einer dramatisch inszenierten, von Trommelwirbeln begleiteten Performance einer standrechtlichen Erschießung – verlangten ein paar der vielen anwesenden amerikanischen GIs wütend nach »Light my fire«. Als das Orgel-Intro einsetzte, drängte ein kleiner Trupp Soldaten zur Bühne und schwenkte seine Regimentsfahne. Jim Morrison riss sie ihnen aus den Händen und schleuderte sie mit einer obszönen Geste zerknüllt ins Publikum. Das war’s. Sofort nach dem Song ging das Licht an. Die Doors verließen die Bühne, das Publikum räumte den Saal. Ich blieb. Da ich noch keine Bude hatte und früh am nächsten Morgen nach Hause musste, wollte ich möglichst lange im Warmen bleiben. In der fast leeren Halle machten sich Beleuchter und Putzfrauen an die Arbeit. Doch dann kamen The Doors zurück auf die Bühne, nahmen ihre Instrumente wieder auf und begannen zu jammen.

When the music’s over. Im Mittelteil des Stücks ein sanfter Gitarrenlauf, ruhige Basslinie, verhaltener Gesang: Before I sink into the big sleep / I want to hear the scream of the butterfly. Hier ist nicht mehr wie bei Rachel Carson vom Lied des Rotkehlchens die Rede, sondern surrealistisch vom Schrei des Schmetterlings. I hear a very gentle sound, very soft, very clear. Und dann laut und klar die gesprochene Passage des Stücks: What have they done to the earth? What have they done to our fair sister? Den Krieg gegen die Natur imaginiert Jim Morrison auf der fast dunklen Bühne mal leise, fast verstummend, dann aufschreiend als Vergewaltigung der Erde. Was haben sie der Erde, unserer schönen Schwester, angetan? Ihr die Kleider vom Leib gerissen, sie gefesselt, zu Boden gezerrt, gebissen, ihr Messer in die Seite gestoßen, ihren Körper verwüstet und geplündert. Dann wieder leise: Ich höre einen ganz zarten Ton. Und wie ein Urschrei: We want the world and we want it … now. Now? Now! Gänsehaut pur!

Die Entdeckung der Nachhaltigkeit

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