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„hab auch derselbig Stein unzahlbarlich vil Menschen, Frauen und Mann, mit Hilff Gottes ernehrt und thüe groß wunderlich ding, mit verborgnen Gift zu melden, und stelle [stille] alle Flüß des Bluts, wie die genennt werden mögen, es syen die roth Stuhlgäng, zu Wunden, zu der Nasen, und sonderlich der Frauen übrigen Flüß und weiblich Krankheit, ohn allen Schmerzen“.26

Der Rat – wohl parteiisch, weil er zwischen einem studierten Arzt und einem einfachen Bauern zu entscheiden hatte – sprach dem Arzt die Rechte an dem Drachenstein zu. Hier trifft nicht nur Stadt- auf Bauernwelt, sondern auch Urwesen auf Verwaltungsapparat.

Die weitere Geschichte des Drachensteins hat der Schweizer Kryptozoologe Andreas Trottmann erforscht und dem Autor zur Verfügung gestellt. Der damalige Besitzer Martin Schryber ließ sich 1523 vom Schultheiß und Rat der Stadt Luzern die Wunderkraft des Drachensteins in einer Urkunde bestätigen, der Stein ging durch mancherlei Hände und wurde schließlich 1929 vom Kanton Luzern von der Familie Meyer von Schauensee erworben und wird seitdem im Natur-Museum Luzern ausgestellt.

Was dieser Stein nun eigentlich sei, darüber gab es vielerlei Spekulationen. Im 18. Jahrhundert bereits zeigte sich der Naturforscher und erste Drachenexperte der Alpen, Johann Jakob Scheuchzer, äußerst skeptisch. Er glaubte zwar an Drachen, nicht aber an den Stein:

„Ich halte aber ungeachtet dessen, was ich dort [im ersten Teil seines Buchs] zur Beglaubigung der Historie von dem Drachen-Stein angebracht habe, davor, daß dieser Stein ein Agat-artiger Kieselstein [also Achat] ist, welcher durch eine besondere Kunst, so wie er aussieht, gemahlet worden, davon man in genauer Betrachtung einige Anzeigungen entdecken kan. Mir ist die Kunst bekannt, welche hie und da ausgeübet wird, dadurch die harteste Agat und Chalcedonier mit beliebigen Figuren so können bemahlt werden, daß die Farbe in die Substanz des Steins, ohne die geringste Zerfressung, hinein dringet, und für natürlich kan ausgegeben werden.“27

Spätere Experten wie der deutsche Physiker Ernst Florens Friedrich Chladni (1756–1827), der als Erster bewies, dass Meteoriten Stein- und Metalltrümmer aus dem All sind, hielten einen meteoritischen Ursprung für möglich – sicher nicht wegen des Aussehens des Steins, sondern wegen der Geschichte, die über ihn erzählt wurde.

2006 erfolgte eine Untersuchung an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA.

„Dank zerstörungsfreier Analytik gewannen nun Wissenschafter des Natur-Museums Luzern, der Universität Bern und des Naturhistorischen Museums Bern zum ersten Mal einen Einblick in den Kern des Luzerner Drachensteins. Die an der EMPA in Dübendorf mit Hilfe von Computertomographie ermittelten Resultate zeigen, dass der Drachenstein vollständig aus einem Material, mit größter Wahrscheinlichkeit gebranntem Ton, besteht. Damit kann vorderhand zwar ausgeschlossen werden, dass dieser im Natur-Museum Luzern gezeigte ‚Heilstein mit wundersamen Kräften‘ einen Meteoriten enthält. Was es mit der Drachenbeobachtung vor rund 600 Jahren auf sich hat und wie die Tonkugel entstanden ist, bleibt jedoch nach wie vor ein Rätsel“,

schließt Andreas Trottmann.

Die Geschichte mit dem italienischen Drachenei ist nicht weniger kompliziert. Noch um 1850 hing in der Kirche von Madonna di Campiglio ein Drachenkopf an einer Kette vom Dach herab. „Neben ihm hing das Ei, das man angeblich bei diesem Drachen gefunden hatte.“ Beides wurde jedoch beim Umbau der Kirche weggeworfen. Der Drache stammte aus dem nahen Nambinosee, er habe Schafe, Ziegen, Lämmer und einmal sogar einen Hirten gefressen. Anrainer beauftragten daraufhin einen Sulzbacher Bärenjäger, der den Drachen erschoss, aber einige Zeit darauf an dessen Gift starb, „da das Blei das Gift anziehe“28. Somit datiert die Sage das Ereignis zumindest in die Zeit nach der Entwicklung der Feuerwaffen.


Im See von Nambino soll ein Drache gefangen worden sein, der in der Wallfahrtskirche Madonna di Campiglio ausgestellt wurde.

Die älteste bekannte Beschreibung des Drachenkadavers stammt von 1673. Michel’Angelo Mariani29 berichtet „als Merkwürdigkeit“, „daß vom Gewölbe der genannten Kirche nebst einem Straußenei eine Art Fisch im gräulichem Klumpen […] herabhänge, daß dieses Ungeheuer in einem See oberhalb Campei von einem Hirten getötet worden sei, daß aber dieser Hirte dabei sein Leben eingebüßt habe“. Carlo Colloni hörte 1888 die identische Erzählung von einem „Urgroßvater“ aus dem Rendenatal, nur hatte sich nun das Straußenei in ein Drachenei verwandelt.30

Doch es gibt weitere Augenzeugen: David Lorenzetti soll das gleiche Tier als 14-Jähriger gesehen haben, als es nach seiner Erlegung vier Tage lang ausgestellt war. Da er seine Geschichte um 1930 weitererzählte, muss sie sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts ereignet haben. Aufgeschrieben hat Lorenzettis Bericht Ada von der Planitz, die den Bericht an den Südtiroler Forscher Karl Meusburger weiterleitete:

„Kopf und Ohren dieses Tieres waren nach [seiner] Beschreibung katzenartig, die Augen waren groß, das Gebiß zeigte viele Zähne. Die Länge betrug vielleicht 40 Zentimeter. Die vorderen Beine waren etwas länger als die hinteren, der Schwanz war zuerst breit, endete dann aber spitz. Die Farbe war ein dunkles Braun mit schwarzen Querstreifen. Vom Kopf bis zu den Schultern zog sich eine Mähne, die zu beiden Seiten herabhing.“31

Das Tier sei erlegt worden, weil es auf den Almen den Kühen an die Euter ging und ihnen alle Milch aussaugte. Nach Lorenzetti hatte sich das in seiner Jünglingszeit ereignet, denn: „Nachdem viele Neugierige es besichtigt hatten und es auch noch photographiert worden war, wurde es zum Ausstopfen nach Trento gesandt.“ Dieser Augenzeuge nahm allem Anschein nach eine bereits seit 200 Jahren in Umlauf befindliche Sage und erzählte sie so weiter, als sei er unmittelbar anwesend gewesen. Seine Schilderung ähnelt der vieler weiterer Tatzelwurmzeugen, und doch hat er nur eine vorgefundene Geschichte stark umgeformt und als eigene ausgegeben. Wie verlässlich ist wohl der Bericht, den er von dem toten Tier gibt? Es soll sich nach anderen Aufzeichnungen eigentlich nur um den Kopf eines Drachen gehandelt haben!

Der Priester und Naturforscher Karl Meusburger, der Augenzeugenberichte sonst generell wenig anzweifelte, hielt den Drachen in der Wallfahrtskirche nach Lorenzettis Beschreibung für ein künstlich geschaffenes Monster:


Die Seekatze oder Spöcke (Chimaera monstrosa) ist eine mit Haien und Rochen verwandte Knorpelfischart.

„Im Museum von Verona sind einige Exemplare eines ungefähr halbmeterlangen, drachenartigen Tieres zu sehen. In Wirklichkeit sind es keine in der Natur vorkommenden Tiere, es hat vielmehr ein geschickter Präparator […] einen echten Fisch durch Einschneiden und darauffolgendes Biegen und Verdrehen einzelner Körperteile derart umgestaltet, daß er eine drachenähnliche Gestalt bekommen hat.“

Meusburger nimmt an, der Drache sei aus einer Spöcke oder Seekatze geschaffen worden, wissenschaftlich Chimaera monstrosa. „Sogar die Katzenohren sind vorhanden, denn im männlichen Geschlecht hat die Spöcke neben den Augen zwei dünne Knochenauswüchse.“ Das Präparat sei vermutlich vor langer Zeit gekauft und in der Kirche ausgestellt worden.32

Das ist so ganz unwahrscheinlich nicht – in vielen italienischen Kirchen hängen zum Beispiel Krokodile von der Decke, die vor Urzeiten ein Adeliger erschlagen haben soll, in anderen werden Knochen von Walen oder fossilen Säugetieren als Drachenreste gezeigt.

Der Tatzelwurm

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