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Der Tatzelwurm nimmt Gestalt an: das 17. und 18. Jahrhundert
ОглавлениеDas 17. und 18. Jahrhundert stehen ganz unter dem Eindruck eines einzigartigen Gelehrten, des Schweizer Biologen und Geologen Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733), der als Stadtarzt und Professor in Zürich tätig war, aber auch als Forscher, indem er als Erster und recht präzise die Gesteinsformationen und Bergketten seines Heimatlandes beschrieb. Als Erster erfasste er fossile Pflanzen (1709 im „Herbarium diluvianum“), er führte Buch über Bodenschätze50 und erlangte besondere Bekanntheit für seine Deutung eines versteinerten Riesensalamanders als Skelett eines in der Sintflut ertrunkenen Menschen, die er 1726 veröffentlichte. Man belächelt ihn deshalb in Büchern über die Geschichte der Zoologie und der Paläontologie, wer aber seine Werke zur Hand nimmt, merkt schnell, dass es sich um einen aufmerksamen und kritischen Geist handelte, der aber auch ein Kind seiner Zeit war.
In seiner „Natur-Geschichte des Schweitzerlandes“ (erstmals 1716 erschienen) widmete er, nach einem kurzen Exkurs über Funde von Riesen, ein ganzes Kapitel den Sichtungen von Drachen in seiner Heimat. Das Material umfasst Sagen, Meldungen aus Chroniken und zeitgenössische Augenzeugenberichte, teilweise stark gestützt auf Werke seiner Vorgänger, Johann Jacob Wagners „Historia naturalis Helvetiae curiosa“ von 1680 und „Mundus Subterraneus“ des jesuitischen Universalgelehrten Athanasius Kircher, erstmals erschienen 1665. „Allein ich komme nun […] auf die Betrachtung der Ungeheuern unter den Thieren, ich meyne die Drachen, an deren Würcklichkeit noch viele zweifeln.“51
Scheuchzer hatte solche Zweifel nicht, was aber nicht bedeutet, dass er blindlings alles glaubte. Manchmal fasste er über Mittelmänner am Ort der Sichtung nach. Zu jedem Kanton führt er mindestens einen Augenzeugenbericht an, seine Liste umfasst dabei die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Unterwalden, Glarus, Appenzell und Graubünden (Pündtner-Land) sowie die Grafschaft Sargans und die Landschaft Gaster.52
Der wissenschaftliche Ansatz Scheuchzers zeigt sich in seinem Bestreben einer Kategorienbildung. Auch der Arzt und Naturforscher Johann Jacob Wagner (1641–1695) war 1680 verwirrt, weil kaum ein Drache aussah wie der andere, und machte deshalb einen ersten Versuch, die Vielfalt der gemeldeten Drachen irgendwie zu klassifizieren, und zwar nach solchen mit und ohne Flügel und nach solchen mit und ohne Füße. Diese Einordnung gilt tatsächlich für alle noch folgenden Meldungen.53 Scheuchzer stand – trotz der verglichen mit dem heutigen Material geringen Menge von rund 25 Beobachtungen – vor demselben Problem, dass sich aus den Berichten kein einheitliches Bild des Drachen herausschälte (sieht man von Katzenkopf und Flügeln ab) und dass selbst ein mit viel gutem Willen erstelltes Phantombild keinerlei zoologischen Regeln zu gehorchen schien:
„Es ist z. E. [z. B.] eine beständige Regel der Natur/ daß kein Thier ist/ welches aus Theilen von verschiednen Classen der Thieren zusammen gesezt ist. Z. E. ein Thier das den Kopf von den vierfüßigen Erd-Thieren/ Flügel oder Füsse von den Vögeln/ einen Schwanz von Fischen hat streitet wider das bemeldte Gesetz. Also muß niemand glauben/ daß ein solches Thier in der Welt ist/ wenn gleich ein Reisender uns überreden wollte/ ein solches gesehen zu haben. Diesemnach dürfen wir kecklich sagen, daß in den folgenden Erzehlungen die Umstände gewiß falsch sind/ wo von Flügeln der Drachen geredt wird/ […] Hat man aber nicht vierfüßige Thiere und Fische die Flügel haben? Ich antworte/ daß freylich bekannt und wahr ist, daß es einige vierfüßige Thiere und Fische gibt/ welche fliegen/ aber sie haben solche Glieder zum Fliegen, die mit den Flügeln der Vögel und der vermeynten Drachen keine Aehnlichkeit haben. Bey den Fleder-Mäusen z. E. sind die Flügel nichts anders/ als eine Haut/ welche von einem Fuß zu dem andern gehet; es sind Füsse, die etwas anders gestaltet sind/ als die Füsse andrer Mäusen. Bey den Fischen sind es Floßfedern/ welche/ wie die Floßfedern andrer Fischen/ aber grösser sind. Also beweist dieses nichts wider den angebrachten Satz. Was die ungeflügelten Schlangen mit vier Füssen betrifft, so sind es entweder eine Art von Crocodillen oder wie ich lieber glaube, ein Gedicht [etwas Erfundenes]. Denn daß eine Schlange würckliche Füsse haben soll/ streitet wider die Einrichtung der Gebeinen/ welche die Natur den Schlangen gegeben hat. […] Wer indessen die Art der abergläubischen und leichtglaubigen Menschen insonderheit in den vorigen Zeiten/ kennt/ der wird sich über einige von den folgenden Erzehlungen nicht wundern.“54
Einige dieser Berichte schilderten fliegende Drachen, die Scheuchzer schnell als „Luft-Zeichen“ oder Meteore deutete. Andere erschienen ihm eher wie Tiere. Scheuchzer zitiert einen Brief des Landvogts von Luzern Christoph Schorer an den Gelehrten Athanasius Kircher:
„Als ich in dem Jahr 1649. bey Nacht den hellen Himmel betrachtet, sahe ich einen glänzenden Drachen aus einem Loch einer sehr grossen Fels-Klippe an dem Pilatus-Berg, mit sehr schneller Bewegung der Schwingen vorüber fliegen. Er war sehr groß, mit einem langen Schwanz und Halß, der Kopf endigte sich in einen zackichten Schlund: Im Fliegen warff er Funcken von sich, wie das glüende Eisen, wenn es geschmiedet wird. Ich dachte anfangs, es wäre etwa eine feurige Luft-Erscheinung, allein nachdem ich alles fleißig beobachtet habe, erkannte ich, so wol aus der Bewegung, als aus der Beschaffenheit der Gliedmassen, daß es ein würklicher Drache wäre.“55
Die Vermutung, dass es sich eventuell um ein kosmisches oder meteorologisches Phänomen handeln könnte, stand damit immerhin schon mal im Raum. Letztlich erschien aber für Wagner ein Drache doch die plausiblere Erklärung zu sein. Auf der Suche nach Deutung verwandeln sich die fliegenden Drachen bald auch in Tiere, die dem Tatzelwurm ähneln. Schorer unterrichtete Athanasius Kircher brieflich von der Beobachtung eines Jägers:
„Der Jäger hieß Paul Schumperlin, welcher an einem Berg Flue genannt, welchen er des Jagens wegen besteigen wolte, an dem Eingang einer grossen Höle, in dem Jahr 1654. um den St. Jacobs-Tag [25. Juli] einen Drachen angetragen. Er hatte einen Schlangen-Kopf, der Halß und Schwanz waren gleich lang, er gieng auf vier Füssen, die einen Schuh und drüber hoch waren: an dem ganzen Leib war er schuppicht und mit vielen grauen weissen und braunen Flecken besprengt. Der Kopf war einem Pferde-Kopf nicht unähnlich. Sobald er den Jäger gesehen, erschütterte er seine Schuppen und begab sich in die Höle.“56
1658 traf Hans Egerter auf der Alp Cammor auf einen schrecklichen Drachen mit zwiegespaltener Zunge. Stich nach Johann Jakob Scheuchzer, 1723.
Ein weiterer Augenzeuge für Scheuchzers Sammlung ist Hans Egerter. Als dieser 1658
„in der Alp Cammor […] sich aufgehalten hatte, hat er […] einen erschrecklichen Drachen angetroffen, welcher sich unter einem Felsen aufhielt. Er hatte einen ungeheuren Kopf, eine in zwey getheilte Zunge, welche er weit vor den Mund hinaus streckte, er war schwarz mit gelben Strichen, der Rücken war von dem Kopfe bis an den Schwanz knotigt, der Bauch aber war goldgelb; an den Vordertheil des Leibes hatte er ein paar Füsse, ungefehr einen Schuh lang; den Hintertheil aber konnte der Mann nicht recht sehen, doch bemerckte er einen sehr langen Schwanz, welcher etliche mal umgewunden war. Als er den Mann gesehen, hat er sich aufgerichtet, und wie eine Gans durch die Nase geblasen, von welchem Hauch der Mann mit Hauptwehe und dem Schwindel überfallen worden, auch wurden ihm die Augen sehr geschwächt, und er glaubt gewiß, daß sich die Bestie an ihn gemachet haben würde, wenn er nicht davon geloffen wäre. Nachdem er aber hernach Arzneyen vor die Augen gebraucht, hat er die vorige Schärffe derselben wieder erlanget.“57
Der Tatzelwurm, der nur Vorderfüße hat, wird später noch oft geschildert, ebenso die Gefährlichkeit seines giftigen Atems.
Im Prinzip ähnlich und doch ganz anders war das Exemplar, auf das Andreas Roduner, Landschreiber der Landvogtei Sargans, 1660 beim Wangserberg traf. Als er den Hang
„mit noch einem andern bestieg, begegnete ihnen ein erstaunlich grosser Berg-Drache. Sobald er sie gesehen, richtete er sich auf die hinteren Füsse in Manns-Länge. Sein Leib war mit sehr rauhen Schuppen belegt; die Länge war ungefehr eines halben Wiesbaums, welchem er auch an Dicke gleich war. Er hatte vier Füsse; das Gesicht und die Ohren waren wie an einer Katze; der Schwanz war ungefehr drey Ellen lang; der Bauch war von den Vorder- gegen den Hinter-Füssen zu, mit braun-rothen Striemen, wie Blut-Adern, bezeichnet; der ganze Rücken bis an den Kopf war mit Burst [Borsten] besetzt, und der Kopf selbst hatte einen Haarbusch.“58
All diese Drachensichtungen versammelt Johann Jakob Scheuchzer in seinem Buch „Ouresiphoites Helveticus, sive itinera per Helvetiae alpinas regiones“ von 1723 und illustriert sie mit anschaulichen Kupferstichen. So auch das Erlebnis des Zeugen Hans Tinner aus dem Jahr 1668 mit einer Riesenschlange. Scheuchzer zitiert den Bericht Johann Jacob Wagners:
Der Landschreiber Andreas Roduner erblickt einen Berg-Drachen mit katzenartigem Kopf. Stich von Johann Jakob Scheuchzer, 1723.
„Hans Tinner, aus dem Dorff Frumsen, […] ein ehrbarer und glaubwürdiger Mann, welcher noch jezo im Leben ist, hat mir heiliglich bezeiget, daß er vor 12. Jahren [1668] gegen dem Ende des Monats April auf den benachbarten Berg, der Frumsen-Berg genannt, gegangen sey, und daselbst an einem Ort, in der Hauweien genannt, eine förchterliche schwarz-grüne Schlange gesehen habe, welche zuerst um sich gewunden war, hernach aber sich aufgerichtet hatte. Ihre Länge war wenigsten 7. Schuhe, die Dicke aber wie die eines Wiesbaums; der Kopf war einem Katzenkopfe nicht unähnlich; sie hatte aber gar keine Füsse. Er sagte mir ferner, daß er sie geschossen, und durch Hülffe seines Bruders völlig getödtet hätte; und daß vor dem Tode dieser Schlange die Einwohner sich beklagt haben, daß die Euter ihrer Kühe ausgeleeret werden, ohne zu wissen, wer es gethan hat; daß aber dieses Übel hernach aufgehöret habe.“59
Dass Tatzelwürmer die Kühe melken, ist schon im Bericht Lorenzettis vorgekommen. Diese Eigenschaft wird uns noch öfters begegnen. Versuchte man, mit solchen Erzählungen zu begreifen, warum manche, wohl kranke Kühe weniger Milch gaben als sonst? Unklar ist, wie viele Füße ein Alpendrache hat, doch die Form einer Schlange mit Katzenkopf kristallisiert sich allmählich zu einem der typischen Merkmale eines Tatzelwurms heraus. Dennoch scheint jeder Tatzelwurm einzigartig zu sein. Das folgende Exemplar, 1665 gemeldet, hat eine Art Hühnerkamm auf dem Kopf:
„Hans Bueler aus der Pfarrey Sennwald, ein Mittglied des Consistorii, gieng vor 15. Jahren im Sommer auf dem Frumser-Berg, und sahe an einem Orte, das Erlawäldlein genannt, an dem Kalenbach ein schwarzes Thier aus den Dornbüschen hervorkriechen, welches vier kurze Beine hatte; die Dicke war wie eines Wiesbaums; auf dem Kopf hatte dasselbe einen Busch (oder Kamm) einen halben Schuh lang. Er hat aber die ganze Länge des Thiers nicht können beobachten, weil der hintere Theil des Leibes noch in dem Gesträuch verborgen war.“60
Der nächste Drache wurde in Graubünden beobachtet. Als einziges Exemplar hat er einen zweigeteilten Schwanz, dafür führt er ein weiteres Element ein, das uns später noch öfter begegnen wird: Er löst sich, wegen seiner großen Giftigkeit, binnen weniger Tage völlig auf.
Hans Tinner, ein „ehrbarer und glaubwürdiger“ Zeuge, sah 1668 eine „förchterliche schwarz-grüne Schlange“ mit einem Katzenkopf. Stich von Johann Jakob Scheuchzer, 1723.
„Sehr seltsam ist, was mir Herr Peter von Juvat, Pfarrer zu Stul im Bergumer-Gericht, in einem Brief vom 29. October 1702. erzehlt: ‚Es begab sich in dem Jahr 1696. zu Anfang des Augusti, als ein Kühehirt Bartolome Alegro de Ponte, aus dem Plurser-Gebiet, die Kühe auf den Berg Joppatsch zur Weyde trieb, daß er auf dem Gipfel des Berges, welchen er allein bestiegen hat, in einer tieffen Grube (in un garan Fopp) eine zusammen gewundne Bestie gesehen, welche stille lag, und von den einfallenden Sonnen-Strahlen roth aussah. Der Hirt [sah das Tier] aufgewickelt und mit aufgerichtetem Leib, ungefehr zwey Ellen lang, mit einem etwas zusammen gedrückten Katzen-Kopf, welcher roth und härig war, mit funckelnden Augen, und einem weissen Gürtel um den Halß. Anstatt der Füssen hatte er schuppichte Absätze wie ein Fisch, eine Zunge gleich einer Schlange, und einen in zwey getheilten Schwanz. Durch diesen Anblick erschrocken, wolte sich der Hirt durch die Flucht in Sicherheit bringen; allein die Bestie verfolgte ihn mit schneller Bewegung. […] Indessen greifft der Mann zu seiner Büchse, welche die Alp-Hirten oft mit sich zu führen pflegen, und schießt die Bestie mit einer Kugel; sie war aber davon nicht tod, sondern verfolgte darauf ihren Feind, auf welchen sie wie ein Pfeil in einer geraden Linie zugeschossen; er aber hat sie mit Steinen tod geworffen. Drey Tage hernach ward das Aas des Thiers ganz verfault gefunden, auf welchem ein grosser Schwarm Fliegen saß. Die Anwohner dieses Berges bezeugen, daß man oft solche Drachen von dem Berg Joppatsch auf den vorüberstehenden Urgeis wie Pfeile hinfliegen gesehen.‘“61
Der doppelschwänzige Drache, den der Kuhhirt Bartolome Alegro de Ponte am Berg Joppatsch sah. Stich nach Johann Jakob Scheuchzer, 1723.
Um 1706 datiert eine Meldung, die den Drachen noch einmal mit Unwettern in Verbindung bringt:
„Unter die bösen Drachen muß auch der gezehlt werden, welchen ungefehr vor 10 Jahren ein ehrlicher Mann Namens Meyer (dessen Bruder bey Hrn. Cammerer Bumer in Diensten steht) über dem Dorff Quinten unter dem Schatten einer grossen Tanne liegen sehen. Er hatte Füsse und Flügel, welche mit rothen Flecken gezeichnet waren, und schier wie Silber glänzten. Wenn er Athem holete, so war es als wenn er seufzete und zuweilen erschütterte er die Flügel. Der Mann gieng aber zurück, so bald er ihn gesehen hatte. Zwey Tage hernach erfolgte ein Ungewitter mit Hagel.“
Scheuchzer meinte, der Drache sei vielleicht ein Wetteranzeiger wie die Molche und Salamander. Das zeugt erneut davon, wie sehr der Schweizer Naturforscher versuchte, den Drachen der Alpen als reales Tier aufzufassen, von dem er sämtliche Eigenschaften „vernünftig“ erklären wollte, ohne auf Aberglauben zurückzugreifen.
1707 und erneut im Mai 1716 sah der Bauer Caspar Gilg Drachen bei Bonstetten im Kanton Zürich. Er bezeugte dem Pfarrer Butschlin, sie seien „vier Schuhe lang [gewesen], mit vier Füssen, welche fast zwey Finger lang und breit, deren Halß ungefehr eines Arms dick und mit einem gelben Ring umgeben war. Das Thier war sonst schwarz, und hatte eine gelbe Crone auf dem Kopf.“62 Im Sommer 1717 stieß Joseph Scherer aus Nefels am Fuß des Glärnisch-Bergs, knappe zwei Kilometer von Glarus entfernt, auf ein Tier,
„welches einen Katzen-Kopf, und in demselben hervorragende Augen hatte; es war einen Schuh lang, mit einem dicken Leib, hatte vier Füsse, und etwas wie Brüste an den Bauch herunterhangen; der Schwanz war auch einen Schuh lang; sonst war der ganze Leib schuppig und bunt gefärbet. Der man hat dasselbe mit einem spitzen Stock durchstochen, es soll ganz weich und voll giftigem Blut gewesen seyn, so daß ihm von einigen Tropfen das Bein so angeschwollen, daß er einen ganzen Monat lang damit zu thun hatte.“
Die Gebeine wurden einem Herrn Tschudi übergeben, der Teile an Scheuchzer weitergab und ihm meldete, dass „auf der Alpenweyde Roßmair eine Art grosser Eidexen sich befinde“63.
Zu diesen breit dargestellten Meldungen kommen viele weitere: Scheuchzer erwähnt eine Schlange, „welche A. 1680 zu Anfang des Frühlings von Bauren bey Lausanne ist gesehen worden, und so dick gewesen, als das dünnere und dickere Bein bey einem Menschen, auch, welches sehr ausserordentlich ist, Ohren gehabt hat“64, und einen Drachen bei Weinigen, nämlich „die vierfüssige Bestie […], welche vor einigen Jahren in Bittenloo im Wellenberg bey dem Dorff Weinigen, schön gefärbt, mit einem Katzenkopf und Busch, im übrigen aber schlangenförmig, auf dem Stamm eines alten umgefallenen Baums ist gesehen worden“65.
Dass Scheuchzer durchaus nicht nur naiv kopierte, beweist ein letzter Bericht seines Buchs:
„Der dritte [Drache] ist jezt noch am Leben, wenn die Erzehlung wahr ist, daß er unlängst zu Ostergau auf dem Blutten-Esel, ungefehr eine Stunde von Willisau, von vielen sey gesehen worden. Er soll zweyfüssig seyn, ungefehr einen halben Schuh dick, schuppicht, grünlichter Farbe, und mit einem dicken Kopf. Ich habe mir Mühe gegeben, die Sache gründlich zu erforschen, habe aber erfahren, daß das Gerücht ganz ungegründet gewesen; wovon ich also der Nachwelt habe berichten wollen.“66
Wo möglich, versucht Scheuchzer, sich selbst ein Bild zu machen. Bekannt ist der Schweizer Naturforscher vor allem für seine paläontologischen Arbeiten. So veröffentlichte er mehrere Bücher mit lithografischen Abbildungen von Tier- und Pflanzenfossilien auf der Grundlage seiner umfangreichen Sammlung von Versteinerungen und Mineralien. In der Deutung war er ein Kind seiner Zeit, sah diese als Überreste der Sintflut und deutete so auch das Skelett eines ausgestorbenen Riesensalamanders fälschlicherweise als das eines in der Sintflut ertrunkenen Menschen. Es verwundert daher nicht, dass Scheuchzer als Belege für Drachen Funde von riesigen Gerippen in den Alpenhöhlen anführte. Eines sei nach Athanasius Kircher „auf dem Berg Staffelwand in einer tieffen Höle, in dem Jahr 1602. gefunden worden, nachdem der Drach durch einen von einem Erdbeben erregten Bergfall umgekommen“67, ein weiteres „Beingerüst ist an dem Pilatus-Berg, an der Unterwalder-Seite, aus einem Loch hervorgegraben worden, wie der Dr. Jacob von Sarnen, der es selbst gesehen, an Wagnern berichtet hat“68.
Besagter Johann Jakob Wagner meldete eine Reihe weiterer Drachenreste:
„In dem Jahr 1689. den 9. Julii, wurden mir einige ausgegrabene Drachen-Gebeine zugebracht, welche folgendergestalt beschaffen waren: 1) Der halbe Kiefer des Drachen mit einem sehr grossen Vorder-Zahn, seine Länge war 1 ½. viertel Ellen und einen halben Zoll, das Gewicht 7 ½. Unze. 2) Ein Vorder-Zahn besonders, […] seine Länge ist 1 ½. viertel Ellen, die Dicke ½. Viertel, das Gewicht 2. Unzen, 3. Drachmen; sie waren weiß und glänzend, wie die Pferde-Zähne. 3) und 4) Zwey Stock-Zähne, […] die Wurzel dieser Zähne ist gelb, die Crone aber weiß. 5) und 6) Zwey Klauen von den Füssen, welche stumpf und aschfarben waren, ein jeder wog 1. rachm. 7) Das Schenkel-Bein, gelblichter Farbe, seine Länge war 1 ½. Viertel einer Elle, es hatte aber die beyden End-Knochen nicht mehr, sein Gewicht war 2. Unzen, 3. Drachm.“
Scheuchzer übernimmt Wagners Bericht, glaubte selbst aber, „daß diese Ueberbleibsel nicht von einem Drachen, sondern von einem Bären seyen“69. Ebenso berichtet er „vom dem 1728ten Jahr, in welchem in einer Höle eines sehr hohen Bergs, die Ober-Urner-Schwendi genannt, einige Knochen gefunden, und vor Ueberbleibsel eines Drachen ausgegeben worden, welche aber meines Urtheils nichts anders sind, als die Ueberbleibsel eines Bären“70.
Trotz aller Skepsis gegenüber einzelnen Sichtungen und Funden hielt Scheuchzer die Existenz der Drachen für erwiesen. In seinem Buch verwendet er größte Mühe auf den Versuch, die Beinzahl des Drachen herauszufinden: Hat er vier, zwei oder gar keine Beine? Scheuchzer kam zu keinem sicheren Ergebnis und vermutete mehrere Spezies von Riesenreptilien in den Alpen:
„Dessen ungeachtet halte ich davor, daß aus den angebrachten Schweizerischen Drachen-Exempeln und deren Vergleichung mit ausländischen, klar sey, daß es solche Thiere gebe, sie mögen nun eine besondre Art der Thieren ausmachen, oder, wie viele wollen Mißgebuhrten von Schlangen seyn; denn man siehet, daß nicht alle von einerley Art sind; einige sind geflügelt, andre ohne Füsse, welche zu den Schlangen gehören, und noch andre haben Füsse, welche man mit besserm Recht mit den Eidexen vergleicht. Sie sind auch an der Farbe, Schuppen, und der Figur der Theilen verschieden.“71
Sie wurden selten gesehen, weil sie sich in Höhlen verbargen: „Ich habe oft bey mir gedacht, ob nicht die füßigen Drachen ohne Flügel vor eine Art von unterirdischen Eidexen könne gehalten werden, welche die meiste Lebenszeit in unterirdischen Grüfften, mit weniger Nahrung und vielleicht von blossem Erden-Saft lebend zubringen.“72