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Vom Tatzelwurm verfolgt: erste Meldungen aus Österreich

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Bislang haben wir vor allem die Ansichten der Gelehrten kennengelernt, nicht die der einfachen Leute, und die Meldungen stammten fast ausschließlich aus der Schweiz. Mitte des 18. Jahrhunderts meldet sich Österreich zu Wort, zunächst mit einer etwas fischigen Geschichte, dann mit einer der berühmtesten Darstellungen des Tatzelwurms. Dies ist auch der Zeitpunkt, an dem der Eigenname des Tatzelwurms zum ersten Mal auftaucht, denn anders als in der Schweiz gilt die beobachtete Spezies nicht mehr allgemein als „Drache“.

Die erste Begegnung ergab sich bei einem frühen Rekordversuch, der aber gleich international Wellen schlug. So berichtete das britische „Gentleman’s Magazine“, eine damals monatlich in London erscheinende Zeitschrift, darüber. Am 22. Juli 1750 hatte sich nämlich ein Fischer in den Kopf gesetzt, in der Donau bei Linz in Oberösterreich zum tiefsten Punkt zu tauchen:

„Als er nach einiger Zeit nicht wieder hochkam, warfen seine Kameraden ihre Netze nach ihm aus. Nach vielen vergeblichen Versuchen brachten sie letztlich doch seinen Körper nach oben, von dem ein Arm und ein Bein sich in einem verrotteten Baumstamm verfangen hatten. Als sie daran gingen, den Körper aus den Maschen zu lösen, um ihn ins Boot zu legen, erblickten ihre Augen eine Schlange von gewaltigen Ausmaßen, die sich an seine linke Brust geheftet hatte. Sie erschraken darüber so sehr, dass sie aufschrien; da ließ das Ungeheuer von seiner Beute und warf sich, nachdem es sie in furchterregender Weise angezischt hatte, in den Fluss zurück.“73

Die zweite oben angesprochene Meldung betrifft die wohl berühmteste Darstellung des Tatzelwurms, nämlich auf einem Bildstock in Unken, einem Ort im Bundesland Salzburg, gleich an der Grenze zu Deutschland. Doch es gibt zwei Überlieferungen davon.

„Im gahen [jähen] Schrecken starb hier von Springwürmern verfolget Hans Fuchs aus Unken 1779.“ So steht es auf einem Marterl, einem Bildstock mit auf Holz gemaltem Bild zur Erinnerung an ein Unglück, das in jenem Jahr dort aufgestellt wurde. Auf dem Marterl sind zwei große Eidechsen mit glatter Haut und vier Beinen mit jeweils vier Zehen abgebildet, die riesigen Salamandern gleichen. Ihre Größe mag etwa zwei Meter betragen, und eines der beiden abgebildeten Exemplare wirkt fett und wohlgenährt. Diese Darstellung hat viele Tatzelwurmforscher veranlasst, sie als erstes wahrheitsgetreues Porträt des Alpendrachen zu betrachten, es verhält sich jedoch weniger eindeutig, als es zunächst scheint.

„Da das Bild die Jahreszahl 1779 trägt, muß es öfters schon erneuert worden sein, denn unmöglich konnte es 150 Jahre allem Wind und Wetter stand halten“, äußert sich der Südtiroler Tatzelwurmforscher Karl Meusburger 1931 etwas skeptisch.74 Anscheinend stand damals das Marterl noch, bis in die heutige Zeit hat es nicht überdauert, es existieren bloß zwei Abbildungen. Keine davon zeigt das Original, sondern beide wurden nur vorgeblich nach dem Original gezeichnet. Schon deshalb lässt sich heute nicht mehr feststellen, wie die Tatzelwürmer auf diesem Marterl wirklich aussahen. Die älteste erhaltene Darstellung ist eine „getreue Copie“, die der Revierförster Nero 1859 für das Buch „Wildanger“ des Münchner Mineralogen und Schriftstellers Ritter Franz von Kobell (1803–1882) anfertigte. „Also dürften wir in dieser Zeichnung die dem Originale am ehesten entsprechende Abbildung haben“, meint dazu der Tatzelwurmforscher Hans Flucher.75 Diese Abbildung wiederum wurde 1872 für eine Reproduktion in dem „Buch der Welt“ des Verlags Carl Hoffmann kopiert. Für dieses in wöchentlichen Lieferungen als illustriertes Unterhaltungsblatt erscheinende Buch hat der Kopist allerdings die Hintergrundlandschaft, das Aussehen der Ungeheuer und des dargestellten Mannes extrem stark verändert.76 Er trägt nun neueste Tiroler Tracht, liegt auf dem Rücken und nicht mehr mit Gesicht nach unten, und was die Würmer angeht, so stellt der Zoologe Otto Steinböck (1893–1969) ganz richtig fest:

„Auf beiden Tafeln sind je zwei Tatzelwürmer in ungefähr gleicher Stellung abgebildet; der eine in Seitenansicht, der andere in der Aufsicht. Der erstere ist in der alten Fassung am ehesten noch mit einem Hund zu vergleichen; jedenfalls ist der mit Ohren versehene Kopf (abgesehen von der dreispitzigen Zunge), die Stellung der Beine und der Schwanz säugerähnlich dargestellt. Ganz anders in der neuen Fassung; da ist der Kopf, allerdings ohne Ohren, schweineähnlich, die Stellung der Beine aber und der Schwanz lurchartig dargestellt. Der seitlich zusammengedrückte Schwanz würde auf einen Molch als Vorbild hinweisen.“77


1779 starb Hans Fuchs aus Unken von Springwürmern verfolgt. Auf dieser Variante des Marterls von Unken hält sich Fuchs des Giftes wegen die Nase zu. Abgebildet in Franz von Kobells „Wildanger“, 1859.


Die Version von 1872, abgebildet in dem „Buch der Welt“ des Verlags Carl Hoffmann, zeigt eine andere Leiche und zwei anders gestaltete Würmer.

Ob nun aber die Abzeichnung von 1859 das, was ursprünglich auf dem Bild zu sehen war, getreulich bewahrt oder selbst bereits stark veränderte, ist schwer zu sagen. Das Marterl zeigt kein Foto des Tatzelwurms, sondern, wie ebenfalls Steinböck feststellte, ganz einfach zwei ins Riesenhafte vergrößerte schwarze Alpensalamander. Man fragt sich ohnehin, wie ein Toter noch erzählt haben soll, was ihn zu Tode erschreckte? Es wird sich im Laufe dieser Darstellung noch öfter erweisen, dass zusätzliche Aussagen eher Unklarheit schaffen, als dass sie strittige Fragen einer bestimmten Sichtung zu klären vermögen!

Eine weitere Beobachtung erfolgte im Sommer 1781 bei Ebensee in Oberösterreich. Schon der Landshuter Botaniker Joseph August Schultes (1773–1831) erwähnt, so schreibt Franz von Kobell 1859 in seinem Buch „Wildanger“,

„von diesem Thiere gehört zu haben, als er im Jahre 1804 eine Excursion auf die Gletscher des Dachsteins machte, auch erzählte ihm der Wundarzt Wattmann zu Ebensee, daß ein Bauer, der am Rettelstein am Gemundersee auf Gemsen ausging, einen Lindwurm, eine Schlange von der Dicke eines dreijährigen Kindes geschossen habe. Der Beschreibung nach hielt Schultes das Thier für eine große Eidechse und Wattmann vernahm auf seinen Wunsch den Bauer um den näheren Vorgang. Dieser erzählte, daß er das Thier, welches sich ihm bergan, pfeifend, mit aufgesperrtem Rachen, doch etwas unentschlossen, näherte, im Sommer des Jahres 1781 erlegt habe. Es sey 5 Fuß [1,50 m] lang gewesen, von eidechsenförmiger Gestalt, der Kopf gleich dem einer Ziege (ohne Ohren), im Rachen viele scharfe spitze Zähne. Der Leib dick wie oben angegeben, mit einem starken schweren Schwanz und mit 4 Füßen, wovon die hinteren etwas länger gewesen. Die Farbe der Haut war bräunlichschwarz, am Bauche etwas weiß gefleckt, auch hatte es ¾ Zoll lange, aber sehr dünn stehende Haare, so daß zwischen jedem etwa ein fingerbreiter Abstand gewesen. Er hatte das Skelett 5 Jahre aufbewahrt, dann aber bis auf eine Rippe, die 7 Zoll lang war, weggeworfen. Wattman sah diese Rippe. Der Schütze war als ein gerader von jeder Prahlsucht freier Mann bekannt.“78

1796 datiert die allgemeine Beschreibung eines nun Birgstutzen genannten Tieres im Salzburgischen. Der Chronist Lorenz Hübner (1751–1807) erwähnt in seiner „Beschreibung des Erzstiftes und Reichsfürstenthums Salzburg“ die dort ansässige giftige Eidechse:

„Die grüne Eidechse (Lacerta agil. L. im Gebirge Hadachsel genannt), eine Art Lacerta seps L. [= Gifteidechse], welche aber noch nicht genau beschrieben, und im Gebirge unter dem Nahmen Birgstutzen bekannt und gefürchtet ist. Die Alpenbewohner erzählen von diesen Thieren allerhand Mährchen, welche vermuthlich größten Theils Kinder des Schreckens sind. Die Birgstutzen haben 4 kurze Füsse, und sollen beynahe die Dicke eines Armes und die Länge einer Elle haben, wenn die Furcht nicht jedes Maß vergrößerte. Man hält sie für sehr giftig, und sie sind, so viel man aus den sehr verschiedenen Beschreibungen abnehmen kann, ein Mittelding zwischen Eidechse und Schlange.“79

Der Tatzelwurm

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