Читать книгу Bittere Vergeltung - Ulrike Puderbach - Страница 8

Оглавление

04. November 2016

Donnerstag, 17:20 Uhr

Sie hatte keinen Schimmer, wie viel Zeit seit seinem Besuch am Vormittag vergangen war. Aus einem Augenwinkel konnte sie durch das Fenster sehen, dass es bereits dämmerig wurde. Also war es wahrscheinlich fünf Uhr oder später. Warum suchte sie denn niemand? Oder suchten sie sie bereits und keiner kam auf die Idee im alten Bootshaus nachzusehen, das bei den meisten Lehrern und Schülern bereits völlig in Vergessenheit geraten war?

Während sie verzweifelt darüber nachdachte, wer ihr etwas antun wollte und ihr immer mehr Schüler und Ehemalige einfielen, die sie wahrscheinlich bis aufs Blut hassten, öffnete sich die Tür. Er war zurückgekommen und trug immer noch den schwarzen Hoodie, und die Sturmhaube. In der linken Hand hielt er einen kleinen Aktenkoffer und er bewegte sich langsam und bedächtig auf sie zu. Als er das Bett erreicht hatte, baute er sich vor ihr auf und blickte mit kalten wässrig blauen Augen auf sie herab. „Endlich ist meine Zeit gekommen und ich kann dich für all das bezahlen lassen, was du mir und all den anderen unschuldigen Seelen angetan hast.“ Er legte den Koffer auf einen kleinen Tisch neben dem Bett und ließ die Schlösser aufschnappen. Das Innere des Koffers sah aus wie ein Besteckkasten, nur dass es nicht Messer, Gabeln und Löffeln waren, die dort drin lagen, sondern seltsame Instrumente. Es waren verschiedene Skalpelle und Haken mit gebogenen Ösen daran - in dem Koffer lagen alte Folterinstrumente, wie sie zu Zeiten der Inquisition benutzt worden waren, um aus unschuldigen Frauen Geständnisse heraus zu pressen und sie dann als Hexen zu verbrennen. Fast liebevoll nahm er eins der Messer mit einer leicht gebogenen Klinge aus dem Koffer, fuhr damit vorsichtig unter ihr Oberteil und schlitzte es mit einer langen Bewegung von unten nach oben komplett auf. Genauso verfuhr er mit dem Top und ihrem BH. Sie wand sich und begann zu schreien, aber blitzschnell stopfte er ihr einen Knebel in den Mund und erstickte jeden weiteren Laut. Sie würgte und in einem Moment der Panik hatte sie das Gefühl zu ersticken, doch dann mahnte sie sich innerlich zur Ruhe und begann durch die Nase zu atmen. ‚Er hat seine Maske noch an, das heißt, er will nicht, dass ich ihn erkenne. Vielleicht will er mir nur Angst machen und lässt mich wieder laufen‘, ging es durch den Kopf. Doch dann blickte sie in seine kalten Augen und sah, dass er mit dem Messer auf ihre Brüste zukam. Bevor er den ersten Schnitt setzte und der Schmerz, der wie flüssiges Feuer durch ihr Fleisch schoss, ihr fast die Sinne raubte, zischte er: „Du wirst niemandem mehr wehtun - bete um Vergebung, solange du noch kannst. Auch wenn ich nicht glaube, dass ein Gott so barmherzig sein kann.“

Jürgen Antweiler betrat das zuständige Polizeirevier. Nachdem er noch unzählige Male versucht hatte, seine Frau auf ihrem Handy zu erreichen, doch immer nur die Mailbox ansprang, hatte er sich entschlossen, jetzt schon zur Polizei zu gehen, auch wenn die achtundvierzig Stunden noch nicht vorüber waren. Er sprach den diensthabenden Polizisten am Empfang an und kam ohne Umschweife zur Sache. „Ich möchte meine Frau vermisst melden.“ „Einen Moment bitte, ich melde Sie an. Bitte weisen Sie sich aus.“ Jürgen Antweiler schob seinen Personalausweis durch die kleine Klappe zu dem Polizisten. Kurz darauf wurde der Ausweis zurückgegeben und der automatische Türöffner summte. „Zimmer 39, gleich hier links“, sagte der Polizist. Antweiler bedankte sich und betrat gleich danach das Dienstzimmer. Ein ungefähr fünfzigjähriger Polizist in Zivil saß hinter dem Schreibtisch und blickte ihn über den Rand einer Lesebrille hinweg fragend an. Jürgen Antweiler stellte sich vor und erklärte sein Anliegen. „Ich weiß auch, dass die vorgeschriebenen achtundvierzig Stunden noch nicht vorbei sind, aber meine Frau ist seit gestern Abend wie vom Erdboden verschluckt. Sie ist weder heute Morgen zum Unterricht in der Schule erschienen, noch kann ich sie auf ihrem Handy erreichen. Und ihr Auto steht unberührt in der Tiefgarage.“ „Ihre Frau ist also Lehrerin?“ „Ja, sie unterrichtet an der Internatsschule Geschichte und Erdkunde.“ „Und niemand hat sie seit gestern Abend gesehen?“, fragte der Beamte noch einmal nach. „Nein, definitiv nicht. Sie hat gestern Abend gegen acht Uhr das Haus verlassen und gesagt, sie müsste zu einem Elterngespräch; ich habe mir auch nichts dabei gedacht, als sie abends, als ich schlafen ging, noch nicht wieder da war. Aber als heute Morgen ihr Bett völlig unberührt war, habe ich versucht sie anzurufen und bin dann zur Schule gefahren.“ Der Beamte überlegte einen Moment. „Und es kommt sonst nicht vor, dass ihre Frau wegbleibt, ohne etwas zu sagen?“ „Nein, sie sagt immer, wenn sie länger irgendwo bleibt oder bei einer Freundin übernachtet.“ „Dann sagen Sie mir jetzt genau, welche Kleidung ihre Frau trug, als sie das Haus gestern Abend verließ und ich schreibe sie als vermisst aus. Die Beschreibung geht an alle Wachen der Stadt und die Streifenwagen. Dann können wir nur noch abwarten, ob sie sich meldet oder jemand sie sieht.“ Antweiler besann sich auf die Kleidungsstücke, die am Abend zuvor im Bad am Kleiderhaken gehangen hatten. Er beschrieb alles so genau wie möglich und der Beamte machte sich Notizen.

Er hatte sein Werk vollendet. Er hatte es ihr heimgezahlt und sie gequält. Unzählige Bücher über Foltermethoden, die es jemandem erlaubten, das Opfer so lange wie möglich am Leben zu halten und ihm trotzdem unendlichen Schmerz zu bereiten, hatte er in den letzten Jahren gelesen. Die Schnitte hatte er an Schweine- und Rindfleisch aus dem Discounter immer wieder geübt, denn schließlich wollte er vorbereitet sein. Alle diese Schnitte hatte er ihr zugefügt. Sie hatte sich vor Schmerzen gewunden, soweit es ihre Fesseln zuließen und er hatte in ihren Augen vor jedem neuen Schnitt gesehen können. Er hatte es genossen, ihr unglaubliches Leid und Schmerzen zuzufügen, wie sie kaum jemand aushalten konnte. Sie gehörte zu den Menschen, die es nicht besser verdient hatten. Und bevor er ihr nach einer Stunde Folter mit Messer und Haken endlich mit dem erlösenden Schnitt die Kehle aufschlitzte, hatte er die Maske abgenommen, damit sie im Moment ihres Todes sein Gesicht erkannte. Das war sein letzter Triumph gewesen und er hatte eine unendliche Genugtuung verspürt, als er in ihren Augen das blanke Entsetzen sah, bevor das Leben darin endgültig verlosch.

Jetzt fühlte er sich müde und abgespannt. Er wischte seine blutbeschmierten Instrumente sorgsam ab und packte sie zurück in den Koffer. Seine Einmalhandschuhe und den Lappen packte er in einen Plastikbeutel, den er zuknotete und gleich in einen Mülleimer im Park werfen würde. Mit einem letzten Blick auf die Tote verließ er das alte Bootshaus und zog die Tür hinter sich zu.

Bittere Vergeltung

Подняться наверх