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05. November 2016

Freitag, 13:00 Uhr

Sie hatten Berge alter Akten durchgesehen und die ganze Woche nichts Anderes als Papierkram erledigt. „So fertig, das war die Letzte“, Robert schob den Stapel Papier zur Seite, lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, streckte die langen Beine vor sich aus und grinste seine Kollegin und Freundin Marina Thomas an. „Das Wochenende naht mit Riesenschritten, das war doch mal eine ruhige Woche.“ Er hatte den Satz noch nicht richtig zu Ende gesprochen, als das Telefon klingelte. „Du sollst das Unglück doch nicht immer herbeireden“, rügte Marina ihn, als er den Hörer abnahm. „Kunz, K9 Mordkommission“, meldete Robert sich. Er setzte sich auf und zog den Notizblock zu sich heran. „Wo ist das genau?“ Er notierte sich die Adresse und legte dann auf. „Du hattest Recht, ich hätte es nicht beschreien sollen“, sagte er danach an seine Kollegin gewandt. „Was ist es?“ „Wir haben eine Leiche im einem alten Bootshaus an der Leine, das auf dem Internatsgelände steht. Der KDD hat gesagt, dass es wohl eine ziemliche Sauerei ist. Gut, dass wir noch kein Mittagessen hatten.“ Marina zog die Augenbrauen in die Höhe. „Na toll, und das freitags.“

Sie nahmen ihre Jacken vom Haken und gingen auf den Parkplatz, wo der Dienst-BMW stand. „Es geht nach Leinhausen“, sagte Robert, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. „Das Internat befindet sich in der Dorotheenstraße. Also gehen wir mal zurück in die Schule“ grinste er. Er warf noch einmal einen Blick auf den Zettel mit der Adresse und stutze. „Was ist denn los?“, wollte seine Kollegin wissen, der seine Reaktion nicht entgangen war. „Das Dorotheen-Internat - Tom hat die Woche einen Freund aus dem Sportverein zu Besuch gehabt, der dieses Internat besucht. Wir sind auf dem Weg zum Training dort gewesen, weil er seine Sportsachen noch holen musste.“ „Das ist aber doch nichts Außergewöhnliches“, Marina sah daran nichts Besonderes. „Das nicht, aber Tom hatte das Gefühl, dass mit Hanno - so heißt sein Freund - etwas nicht stimmte und dass es da wohl Probleme in der Schule gibt.“ „Du glaubst aber doch nicht etwa jetzt, dass der Junge etwas damit zu tun hat?“ „Nein, das nicht. Aber es ist doch schon ein bisschen komisch. Naja, Zufälle gibt’s.“ „Warten wir es ab“, Marina ließ den Motor an und fuhr los. „Zuerst gucken wir uns jetzt mal die Schlachtplatte an“, seufzte sie.

Der KDD und die Spurensicherung erwarteten sie schon vor dem Haupteingang des Internats. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum alten Bootshaus, das ein gutes Stück von den Gebäuden entfernt lag. Begleitet wurden sie von Dr. Steiner, dem Rektor der Schule, einem Mann Mitte Fünfzig mit Nickelbrille und schütterem blonden Haar, das strähnig und farblos wirkte. Er fuhr sich immer wieder nervös mit den Händen durchs Gesicht. „Seit wann wird das Bootshaus denn schon nicht mehr genutzt?“, erkundigte sich Robert auf dem Weg. Der Direktor blickte ihn an, als stünde ein Alien vor ihm. „Bitte was?“ „Ich wollte wissen, seit wann das Bootshaus nicht mehr genutzt wird“, wiederholte Robert seine Frage. Der Mann war ihm unsympathisch, aber persönliche Sympathie oder Antipathie hatte bei einer Ermittlung zunächst nichts zu suchen. „Seit ungefähr vier Jahren. Da wurde das neue Bootshaus für die Rudermannschaft aus Fördermitteln gebaut. Bis jetzt haben wir noch keine neue Verwendung für das Gebäude gefunden, das eigentlich noch in Ordnung ist. Aus diesem Grund ist es derzeit nur eine Art Lager für alte Geräte.“ „Und welche Personen haben Zutritt zum Bootshaus?“ Der Rektor zuckte die Schultern. „Eigentlich jeder aus dem Kollegium. Der Schlüssel hängt an einem allgemeinen Schlüsselbrett, wo alle möglichen Schlüssel für Geräteräume, Sporthallen, Materialräume, und so weiter hängen. Jeder der Zugang zum Sekretariatsbereich hat, kann theoretisch den Schlüssel nehmen und in das Bootshaus gehen.“

Sie hatten das Bootshaus erreicht und der Direktor drückte die Klinke herunter, aber Robert hielt ihn zurück. „Moment, lassen Sie das bitte die Kollegen der Spurensicherung machen. Die beiden Beamten der Spurensicherung streiften sich ihre Anzüge über und betraten das Bootshaus als erste. „Na dann Mahlzeit“, kam die Stimme von Werner Hartmann aus dem Inneren des Hauses. „Bitte nur hinter mir bewegen und zum Kotzen nach draußen gehen.“ Er kam noch einmal zum Eingang und ließ sich die Kamera angeben, um den kompletten Tatort zu videografieren, bevor sein Kollege und er sich an die Sicherung der Spuren machen konnten. Hinter dem Mundschutz konnte Robert nur die braunen Augen sehen, aber er erkannte darin, dass das hier keine alltägliche Leiche war. Manchmal fragte er sich sowieso, wie die Kollegen der SpuSi das jeden Tag aushalten konnten - genauso wie die Leichenfledderer im Team von Professor Hofmann. Natürlich mussten seine Kollegen und er auch oft Leichen sehen, aber mit einmal Hingucken war es bei ihnen auch meistens getan, während Rechtsmedizin und Spurensicherung sich diese Grausamkeiten jeden Tag bis in jedes Detail anschauen mussten.

Er wandte sich erneut an den Direktor. „Wer hat die Leiche denn gefunden?“ „Ein Kollege, der Geschichte und Biologie unterrichtet. Er befindet sich jetzt in ärztlicher Behandlung. Nachdem er zusammengebrochen ist, haben wir einen Notarzt gerufen.“ Marina blickte den Rektor mit zusammengekniffenen Augen an. „Sie haben doch eben gesagt, dass dieses Bootshaus seit Jahren so gut wie nicht mehr genutzt wird. Was wollte denn der Kollege ausgerechnet heute dann hier?“ Der Rektor fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. „Das müssen Sie ihn selber fragen, vielleicht wollte er nach dem Rechten sehen oder hat etwas gesucht.“ „Und was bitte soll er hier gesucht haben?“, Marina ließ nicht locker. „Hier lagert doch kein Unterrichtsmaterial, oder?“ Robert schaute einfach nur zu und ließ seine Kollegin machen. Treffsicher hatte sie erkannt, dass hier nicht alle so ganz die Wahrheit sagten. Die beiden Kollegen tauschten einen schnellen Blick, in diesem Moment kam Hartmann aus dem Boothaus. „Mit dem Videografieren sind wir durch, ihr dürft jetzt an die Schlachtplatte treten.“ Auch wenn sie sein Gesicht hinter dem Mundschutz nicht sehen konnten, so erahnten sie das Grinsen dahinter, das man aus seinen Worten hören konnte. Marina warf ihrem Kollegen einen Seitenblick zu und raunte: „Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich das wirklich will.“ „Komm schon, Augen zu und durch“, Robert hakte sie unter und gemeinsam betraten sie hinter Hartmann den Raum.

Auf dem Bett lag eine Frau, beziehungsweise das, was der Täter von ihr übrig gelassen hatte. Ihre Hände und Füße waren mit Seilen an das metallene Bettgestell gefesselt. Auf der Stirn des Opfers stand mit ihrem eigenen Blut das Wort „Hure“ geschrieben. Die Frau war nackt und ihr kompletter Oberkörper war durch unzählige Stiche verunstaltet. Alles war voller Blut, das einzige, was sich mit Sicherheit sagen ließ, war, dass der Täter ihr beide Brüste abgetrennt und die Kehle durchgeschnitten hatte. Robert holte tief durch den Mund Luft, um den aufkommenden Würgereiz zu unterdrücken, Marina drehte sich um und ging hinaus, um an der Luft tief durchzuatmen. Dann kam sie zurück. „Mein Gott“, stieß sie hervor. „Wer tut so etwas?“ Auch Robert ließ der Anblick nicht kalt und er schüttelte nur fassungslos mit dem Kopf. „Die Frage ist wohl eher, wer so wütend der so verzweifelt ist, dass er eine solche Tat begeht.“ Er wandte sich an Hartmann, der mit einem Wattestäbchen versuchte, am Opfer mögliche DNA-Spuren zu sichern. „Gute Frage“, antwortete der Kollege. „Fest steht, dass es hier ein Haufen Arbeit wird, DNA zu finden, sofern überhaupt welche vorhanden ist. Wir geben unser Bestes, aber rechnet besser nicht vor Montag mit irgendwelchen Ergebnissen, wenn wir überhaupt was finden können.“ „Braucht ihr uns hier noch?“, wollte Robert wissen, der genauso wie Marina so schnell wie möglich diesen Tatort verlassen wollte. „Nein, wenn ihr alles gesehen habt, dann könnt ihr auch gehen. Wir sind noch eine ganze Weile hier.“ Mit diesen Worten widmete er sich wieder dem blutverschmierten Tatort und die beiden Kommissare zogen sich erleichtert nach draußen zurück. „Puh, das hier war mit das Übelste, was ich in den letzten Jahren gesehen habe. Komm, wir knöpfen uns jetzt mal den Lehrer vor, der sie gefunden hat.“ Er hakte seine Kollegin unter und sie gingen an dem Direktor vorbei, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. „Und danach gehen wir beide nach Hause. Nächste Woche kommt eine Menge Arbeit auf uns zu, du hast Hartmann gehört.“

Bittere Vergeltung

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