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9. Kapitel
ОглавлениеHerbst 1939
»Liebe Mutti, …« Fritz saß an dem wackeligen Schreibtisch in dem Zimmer, das er sich mit Alfred Peerhoven teilte. Es war der dritte Versuch, seiner Mutter einen Brief zu schreiben. Zwei Bögen Papier lagen zerknüllt auf dem Boden.
»Liebe Mutti,
nun habe ich die Grundausbildung hinter mich gebracht. Es war eine gute Zeit, besser als die Monate davor beim Reichsarbeitsdienst. Keine Feldarbeit mehr, sondern Kopfarbeit. Natürlich haben wir auch Sport gehabt und mussten uns körperlich verausgaben. Marschieren mit voller Ausrüstung ist ganz schön anstrengend und die Geländeübungen und der Gefechtsdienst erst. Nur gut, dass du mir hin und wieder Pakete hast zukommen lassen. Die Speckseiten waren köstlich.« Er kaute an seinem Füller. Es gab so viel, was er hätte schreiben wollen, doch seine Eltern würden ihn nicht verstehen.
»Jetzt bin ich an der Offiziersschule in der Nähe von Hannover. Wünstorf, falls du auf der Karte nachschauen möchtest.
Ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Natürlich weiß ich, dass Vati und du gerne mit mir darüber gesprochen hättet. Ich weiß auch, dass Vati ärgerlich sein wird. Er hat mir sehr deutlich klar gemacht, dass er nichts von dieser Laufbahn hält, dass er mich lieber zu Hause hätte, damit ich das Geschäft übernehme. Nun sind die Zeiten aber nicht danach. Letzte Woche sind wir in Polen einmarschiert. Wir haben das schon lange geahnt, lange befürwortet. Es ist Krieg und wir werden ihn gewinnen. Meine Zukunft liegt in der Armee. In ein paar Monaten werdet ihr meine Entscheidung verstehen und begrüßen, da bin ich mir sicher.
Dies hier ist die Panzertruppenschule. Ihr habt richtig gelesen. Ich werde in den nächsten Monaten am Panzerspähwagen ausgebildet und ein Aufklärer sein.
Vielen Dank, Mutti, für die Zeitungsausschnitte. Mich interessiert natürlich sehr, was in der Heimat passiert. Zu gerne wäre ich am 9. November letzten Jahres dabei gewesen.
Einer meiner Kameraden war auf Sonderurlaub, da seine Mutter verstarb. Er hat mir vom Brand der Synagoge erzählt. Mann, was habe ich ihn beneidet.« Er las die letzten Sätze noch mal, überlegte, sie durchzustreichen. Sein Vater beschäftigte Juden in der Weberei. Darüber hatten sie schon oft heftig gestritten. »Ich sehe den Menschen und nicht seine Herkunft«, argumentierte sein Vater. »Sie sind fleißig und gut ausgebildet.« Fritz konnte darüber nur den Kopf schütteln.
»Ich habe jetzt einen Weg beschritten, um das Vaterland zu schützen. Seid stolz auf mich! Ich hoffe, dass ich die Ausbildung schnell schaffe und noch eine Chance habe, an der Front eingesetzt zu werden.
Heil Hitler
Euer Fritz.«
Noch einmal las er sich die Zeilen durch. Sein Vater, das war ihm schon lange bewusst, war ein Kleingeist. Er sah nicht das Große des Staates, sondern nur seine Weberei und den Tuchhandel. Er wollte Fritz an seiner Seite. Aber als kleiner Tuchhändler würde Fritz sein Leben nicht beenden.
Es lag eine knisternde Spannung über der Kaserne. Diejenigen, die schon länger dabei waren, hofften auf einen Einsatz. Fritz war klar, dass er noch lange nicht so weit war. Doch er würde sich alle Mühe geben, um schnell voranzukommen. Adolf war da anders. Er meinte, die Offiziersausbildung wäre ein Spaziergang. Er wollte keine Befehle entgegennehmen, er wollte sie geben.
Macht war die Triebfeder für Fritz. Davon war er besessen. Eigentlich hätte er nach der Grundausbildung Anspruch auf einen kurzen Heimaturlaub gehabt, doch diesen schlug er aus. Er wollte keine Zeit verlieren.
»Kommst du? Gleich gibt es Essen. Bin ja mal gespannt, ob die Kantine hier besser ist als in Stahnsdorf.« Auch Adolf war nicht nach Hause gefahren. Das lag aber an der zweiten Frau seines Vaters. Nach dem Tod der Mutter hatte Peerhoven eine Frau geheiratet, die so alt war wie sein Sohn. Adolf war voller Wut auf seinen Vater, seine Stiefmutter wollte er erst gar nicht sehen.
Fritz faltete den Briefbogen zusammen, steckte ihn in einen Umschlag, verschloss diesen sorgfältig.
»Na, haste Mami geschrieben?« Adolf grinste. Fritz wusste inzwischen, dass sein Freund die Gefühle hinter einer großen Klappe verbarg. Er hatte das Bild seiner Mutter immer dabei. Nachts, wenn er dachte, dass es niemand bemerkte, holte er es hervor.
»Ich habe ihnen meine Entscheidung mitgeteilt. Mein Vater wird sich aufregen. Aber in ein paar Wochen wird er es verstehen. Gibt es etwas Neues von der Front?«
»Lass uns runtergehen, dort ist ein Volksempfänger und wir können die neusten Nachrichten hören.«
Fritz stand auf, strich seine Uniform glatt. Er mochte das Schwarz mit den feinen rosa Paspelierungen. Es sah edel aus. Er nahm ein Zigarettenetui aus der Tasche, bot Adolf eine an. Er hatte das silberne Etui in Berlin gekauft, es glich dem Peerhovens.
»Danke.« Adolf riss ein Streichholz an, gab ihm Feuer. In dieser Stube zog es wenigstens nicht mehr so und auch die Heizung schien zu funktionieren. Überhaupt war alles besser als in Berlin, auch wenn sie hier ab vom Schuss waren.
Fritz folgte Adolf nach unten. Er war glücklich und zufrieden, sicher, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.