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2. Kapitel
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Fritz räumte seine Sachen in den Holzspind, strich die Hemden glatt, legte sie Kante auf Kante. Dann schaute er sich in dem Zimmer um. Es war Anfang Februar und bitterkalt. Er rieb sich die Hände. Noch war keiner außer ihm auf der Stube.
Nach den sechs Monaten beim Reichsarbeitsdienst waren die Muskeln des 19-Jährigen gestählt. Sein Gesicht hatte die Farbe von Nussholz. Die kurzen Haare, die er gescheitelt trug, waren ausgebleicht. Er strich sich über den Kopf. Heute würde sein Wehrdienst beginnen, dem er schon vor seinem Abitur im letzten Jahr entgegengefiebert hatte.
Er war gestern Abend mit dem Zug in Berlin angekommen, hatte eine kurze Nacht bei seiner Tante verbracht und war dann mit der S-Bahn zur Kaserne nach Stahnsdorf gefahren.
Noch war das Dachgeschosszimmer mit den sechs Etagenbetten leer. Er schaute sich um. Der Dielenboden war gebohnert, doch jedes Mal wenn ein schweres Fahrzeug vorbeifuhr, rieselte Staub aus dem Gebälk.
Fritz stellte sich an das kleine Gaubenfenster und schaute nach draußen. Es hatte begonnen, sachte zu schneien.
Vorgestern hatte seine Mutter ihn zum Abschied umarmt, etwas, was ihm peinlich war. Sie schmierte ihm Stullen für die Fahrt und gab ihm ein Paket mit.
»Da ist Schinken drin. Und dicke Socken. Pass auf dich auf, mein Junge.« Sie rieb eine Träne in ihre Wange. Fritz schaute zur Seite, wusste nicht, was er sagen sollte.
Sein Vater war unterwegs, um die neue Stoffkollektion der Weberei anzubieten. Er würde erst am Wochenende wieder zu Hause sein. Bevor er gefahren war, hatte er Fritz eine neue Armbanduhr geschenkt. Sie war nur vergoldet und Fritz schämte sich, sie zu tragen. Die Geschäfte der Weberei liefen schlecht. Die größeren Konkurrenten und die Verseidag nahmen ihnen die Kunden weg. Wenn es so weiterging, würde sein Vater schließen müssen.
»Es wird Krieg geben, Fritz«, sagte sein Vater zum Abschied. »Sieh zu, dass du dich unauffällig verhältst, deinen Dienst schnell ableistest und dann wieder nach Hause kommst. Ich brauche dich hier im Geschäft.«
Im Geschäft zu arbeiten war das Letzte, was Fritz wollte. Trotzdem fühlte es sich komisch an, das erste Mal so weit weg von zu Hause.
»Heil Hitler!«
Überrascht drehte Fritz sich um. Er hatte nicht gehört, dass die Tür geöffnet wurde.
»Heil Hitler!«, grüßte er zackig zurück. Er war schon lange bei der Hitlerjugend, ihm lag das Militärische.
»Heinrich«, stellte sich der Neue knapp vor. Er trug einen Mantel aus rauer Wolle. Schlechte Qualität, das sah Fritz auf den ersten Blick. Statt eines Koffers hatte er nur einen Pappkarton. Ohne zu fragen, schmiss er diesen auf das Bett, das an der Wand in der Nähe der Heizungsrohre stand. Eigentlich hatte Fritz diese Pritsche haben wollen, aber er war sich nicht sicher, ob sie freie Wahl hatten oder ob ihnen die Betten zugeteilt wurden. Doch wenn Heinrich sich einfach eines aussuchte, wollte er nicht nachstehen. Er nahm das Bett am anderen Ende des Zimmers. Als Neulinge mussten sie mit dem Dachgeschoss vorliebnehmen. Im Sommer stand hier die Hitze, im Winter schneite es durch die Dachpfannen, hatte man ihm erzählt.
»Wann sollen wir uns melden?«, fragte der andere.
»Um acht«, antwortete Fritz. Er fand Heinrich auf Anhieb unsympathisch.
»Hallo, bin ich hier richtig?« Diesmal hörte Fritz, dass die Tür geöffnet wurde.
Er drehte sich um, hob den rechten Arm, »Heil Hitler.«
»Jaja. Alfred Peerhoven. Und wie heißt ihr?« Der junge Mann zog sich Fahrradklammern aus den Hosenbeinen, lächelte offen und freundlich. Fritz sah ihm skeptisch entgegen. Er hatte nicht ordentlich gegrüßt, das würde er sich merken. Dann runzelte er die Stirn. Peerhoven kam ihm bekannt vor.
Alfred schmiss seinen Koffer achtlos auf eines der oberen Betten in der Mitte. Er befühlte den derben Wollstoff der Decke, rümpfte die Nase. Sein Koffer war von feinster Qualität, das sah Fritz sofort. Rindsleder, mit Messingbeschlägen. Auch die Schuhe des jungen Mannes waren edel, Fritz musterte ihn ausgiebig. Alfred sah seinen Blick, lächelte. Dann zog er ein Zigarettenetui aus Silber hervor. »Möchtet ihr?«
»Wo kommst du her?«, fragte Heinrich.
»Aus Krefeld, aus der Seidenstadt.«
So ein Zufall, dachte Fritz. Oder war es Schicksal? Bevor er sagen konnte, dass er aus Hüls war, öffnete sich die Tür erneut.
»Ick glop, ick werd verrückt. Mensch, hier friert einem ja der Arsch ab. Moin, Dieter Müller.«
»Heil Hitler!« Fritz riss den Arm hoch, die anderen schauten ihn merkwürdig an.
Nach und nach füllte sich die Stube. Fritz hatte Schwierigkeiten, sich die Namen zu merken. Das gibt sich mit der Zeit, dachte er.
Um acht Uhr traten sie zum Appell an, danach marschierten sie zum Einkleiden, ihnen wurden Uniformen und Ausrüstungsgegenstände ausgehändigt. Darüber war Fritz froh. Zwei auf der Stube kamen aus besseren Elternhäusern, das hatte er sofort gesehen. Einer hatte sogar einen adeligen Namen, von Steglitz. Sein Onkel war Gauleiter am Niederrhein. An ihn würde Fritz sich halten.
Als abends das Licht gelöscht wurde, wusste Fritz, dass nun die beste Zeit seines Lebens begonnen hatte. Alles würde anders werden. Alles. Anders und besser.