Читать книгу Seidenstadt-Schweigen - Ulrike Renk - Страница 9
5. Kapitel
ОглавлениеEr fuhr die Moerser Straße entlang, bog auf die Moerser Landstraße ein. Am Ende von Traar, fast schon in Kapellen, hatten sie ein kleines Haus gefunden, das ihnen beiden gefiel. Sie mieteten das Haus mit der Option, es später zu kaufen.
Martinas BMW stand auf dem Stellplatz vor der Garage, Fischer parkte seinen Wagen dahinter.
Fischer holte einen Karton aus dem Wagen und schloss die Haustür auf.
Martina stand in der Mitte des zukünftigen Wohnzimmers. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt, bekleidet war sie mit einem ausgeleierten Sweatshirt und einer alten Jogginghose. Die Hände hatte sie in den Rücken gestemmt. Langsam drehte sie sich um ihre Achse, betrachtete die frischgestrichenen Wände. Die Farbauswahl war ein Problem gewesen. Ihr Haus in Moers hatte Martina in sanften Pastellfarben gestrichen. Jürgen wollte keine Kopie davon bewohnen. Nur weiße Wände, so wie in seiner bisherigen Behausung, fand sie zu langweilig. Sie einigten sich darauf, jeweils eine Wand pro Raum in einer kräftigen Farbe zu streichen. Da Martina schon seit gestern Urlaub hatte, übernahm sie diese Aufgabe.
»Na, was sagst du?« Martina strahlte Jürgen an. »Gefällt es dir?«
Fischer stellte den Karton ab und schaute sich um. Die Stirnseite des Raumes hatte seine Freundin in einem tiefen Rot gestrichen.
»Ochsenblutrot. Es ist genauso geworden, wie ich es haben wollte.« Sie kam auf ihn zu, küsste ihn, vorsichtig darum bemüht, mit ihren farbbeklecksten Händen und Armen seinen Anzug nicht zu berühren.
»Es sieht toll aus. Doch, es gefällt mir.« Jürgen Fischer war zuerst skeptisch gewesen. Nun nickte er. »Ich zieh mich um, dann kann ich dir helfen.«
Martina folgte ihm nach oben in das zukünftige Schlafzimmer. Sie hatten ein neues Bett und Matratzen gekauft.
»Eigentlich bin ich mit dem Streichen fertig für heute. Lass mich schnell duschen, dann schauen wir, was wir noch machen können.«
Fischer zog seinen Anzug aus, hängte ihn in den Schrank, den sie aus Martinas Haus mitgenommen hatten. Es sah komisch aus, fand er. Nur der eine Anzug und ansonsten leere Bügel.
Er schlüpfte in eine Jeans und ein T-Shirt, schaute sich um. Das Bett war noch nicht bezogen, der Karton mit der Bettwäsche stand in der Ecke. Grinsend holte er Bezüge und Laken hervor. Wenn es nach ihm ginge, würden sie erst einmal das Bett einweihen.
Martina schien ähnliche Gedanken zu haben. Sie kam, nur in ein großes Badelaken gewickelt und mit nassen Haaren aus dem Badezimmer.
»Du hast das Bett bezogen? Gute Idee. Im Kühlschrank steht eine Flasche Sekt.«
»Eigentlich sollten wir noch etwas tun, Kartons auspacken, Sachen einräumen.«
Draußen war die Dämmerung hereingebrochen, während sie sich geliebt hatten. Jürgens Hand fand ihre, sie verschlangen die Finger ineinander. Für einen Moment überlegte er die Lampe einzuschalten, aber bisher hing nur die nackte Glühbirne von der Decke, ein kaltes Licht.
»Keine Lust. Wie war dein Tag?«
»Bis auf einen Blindgängerfund am Zoo war alles ruhig. Hast du Hunger?«
»Wie ein Wolf.« Martina lachte.
Sie beschlossen sich anzuziehen und Essen zu gehen.
Am nächsten Morgen stand Jürgen früh auf. Es war ungewohnt, in dem halbleeren und noch fremden Haus aufzuwachen. Er duschte, küsste Martina, die sich murmelnd umdrehte, um weiterzuschlafen. Der Weg von Traar zum Präsidium am Ostwall war um einiges länger, daran würde er sich erst noch gewöhnen müssen.
Oliver Brackhausen wartete schon auf ihn.
»Guten Morgen. Gibt es etwas Neues?« Fischer überflog die Notizen, die auf seinem Schreibtisch lagen.
»Nein«, brummte Brackhausen.
»Noch nicht ausgeschlafen?« Fischer lachte.
»Scheißnacht gehabt.«
»Vollmond?«
»Nein, Streit mit Vera.«
Brackhausen sah nicht so aus, als würde er darüber reden wollen, deshalb fragte Fischer nicht weiter nach.
Das Schweigen hielt auch während der Fahrt an. Fischer parkte den Wagen am Grotenburg-Stadion. Als sie den Zoo betraten, kam ihnen ein Mitarbeiter entgegen.
»Guten Morgen. Friedel Schmitz, stellvertretender Zooleiter. Sie sind Hauptkommissar Fischer, richtig? So wie es aussieht, dauert es noch.«
»Gibt es Probleme?«, fragte Fischer.
»Wir können das Regenwaldhaus nicht räumen. Die Gefahr, dass das Haus beschädigt wird, wenn die Bombe hochgehen sollte, ist sehr groß. Es gibt aber ein Spezialzelt, das man über derartige Blindgänger aufstellen kann. Ein besonderes Gewebe, das die Druckwelle abfängt. Es wurde speziell für Bombenfunde in U-Bahnen und auf großen Plätzen entwickelt. Das Zelt muss aber erst noch organisiert werden. Ich bin froh, dass es so etwas gibt. Nicht auszudenken, was mit den Tieren passieren würde, sollte doch etwas schiefgehen.«
»Sind die Kollegen aus Düsseldorf schon da?«
»Ja, sie warten dort hinten. Bleiben Sie hier? Ich habe jemanden geschickt, um Kaffee zu holen.«
Wenn es hier nichts weiter für ihn zu tun gab, wollte Fischer lieber wieder fahren und seinen Schreibtisch in Ordnung bringen. »Danke, nein.«
Brackhausen war schon vorgegangen und hatte die Kollegen vom Kampfmittelräumdienst in ein Gespräch verwickelt. Fischer lächelte. Er konnte sich noch gut an seinen ersten Bombenfund erinnern.
»Ich fahre wieder zum Präsidium. Wenn die Bombe beseitigt ist und dort in der Grube tatsächlich eine Leiche liegt, werden wir die nötigen Maßnahmen ergreifen und uns darum kümmern.«
»Die Leiche – falls da eine ist – ist aber alt, nicht wahr? Das gibt keinen Skandal?«, fragte der stellvertretende Zoodirektor.
»Ich gehe davon aus, dass es jemand aus dem Krieg sein könnte. Machen Sie sich keine Sorgen, für mich sieht es bisher nur aus wie ein Kleiderbündel.«
Fischer ging zurück zum Eingang. Dort stand Lutz Rosen, ein Schutzpolizist, und diskutierte mit einem älteren Mann. Der Mann trug einen feinen hellbraunen Anzug. Er stützte sich auf einen Rollator.
»Ich habe es Ihnen doch schon erklärt.« Lutz seufzte. »Sie können vorläufig nicht hier rein.«
»Ich habe eine Jahreskarte. Ich bin jeden Tag hier. Sie ist gültig, schauen Sie.« Der Mann zog seine Brieftasche aus dem Jackett und nahm eine Karte hervor.
»Guten Morgen, Herr van Treek, gibt es ein Problem?« Friedel Schmitz trat zu den beiden.
»Dieser Mann will mich nicht einlassen.« Der alte Mann fuchtelte entrüstet mit seiner Jahreskarte herum. »Dabei ist die Karte gültig. Sagen Sie ihm das, Herr Schmitz.«
»Sie können jetzt tatsächlich nicht in den Zoo. Es ist eine Bombe gefunden worden, die muss entschärft werden. Ich hoffe, heute Nachmittag ist alles behoben und geklärt, dann werden wir wieder öffnen.«
»Eine Bombe? Wer macht denn so etwas?«
»Das ist eine Bombe aus dem Krieg. Ein Blindgänger.«
Van Treek zog die buschigen Augenbrauen zusammen. »Wo denn?«
»Hinten am Regenwaldhaus.«
»Was mach ich denn jetzt? Ich kann doch nicht nach Hause gehen und dann wiederkommen. Was, wenn ich dann immer noch nicht rein darf? Das können Sie doch mit mir nicht machen.« Van Treek schien in sich zusammenzusacken.
»Kann ich Sie nach Hause bringen?«, bot Fischer dem alten Mann an. Dieser schüttelte unwillig den Kopf, drehte sich um und ging langsam die Straße hinunter.
»Er kommt fast jeden Tag. Muss schon an die 90 sein. Als er einen Schlaganfall hatte und einige Zeit nicht kommen konnte, haben wir ihn regelrecht vermisst.« Schmitz schaute dem Mann hinterher. »Er spendet immer und hat auch schon Tierpatenschaften übernommen.«
»Wahrscheinlich wird morgen alles wieder seinen gewohnten Gang gehen und er kann wiederkommen.« Fischer verabschiedete sich und ging zum Wagen.