Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 12

KAPITEL 1

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Zwei Ritter näherten sich von Süden her dem kleinen Ort Stetten bei Haigerloch. Der Edelfreie Hildebolt von Wehrstein kam mit seinem Lehensmann Ritter Wolfram von Husen an Allerheiligen von Konstanz her. Schon von weitem sahen sie die dunklen Rauchwolken in den Himmel steigen. Vorsichtig ritten sie heran und zügelten dann ihre Rösser. Es war den Bauersleuten gelungen, zwei der brennenden Häuser zu löschen, der Rest der Ortschaft lag in Asche. Nun machte sich das schmutzige Grüppchen daran, seine Toten auf den Platz an der Linde zu schaffen, um sie zu beweinen und dann der Erde zu übergeben.

»Nun geht es also wieder los«, sagte Wolfram leise und ließ seinen Blick über erschlagene Körper und rauchende Trümmer schweifen.

Sein Lehensherr seufzte. »Ja, da hat der Zoller ganze Arbeit geleistet. Das wird Albert nicht schmecken. Nein, das wird ihm ganz sauer aufstoßen.«

Hatten die beiden Männer in den letzten Stunden noch fröhlich gescherzt, so war der Wehrsteiner, als sie weiter ins Eyachtal hinabritten, schweigsam und in seine Gedanken versunken. Nun, nachdem die lang schwelende Fehde wieder in einen offenen Kampf ausgeartet war, würde es für ihn schwierig werden.

Bis vor wenigen Jahren waren die Verhältnisse klar gewesen. Die Herrschaft Wehrstein war teilweise zu Eigen, Teile aber zu Lehen vom Pfalzgraf von Tübingen. Die Wehrsteiner waren immer wieder im Gefolge der Zollerngrafen gewesen, hatten bisher jedoch noch keinen Zank mit ihren Nachbarn von Hohenberg. Nun waren aber im letzten Jahr, durch die Heirat der Pfalzgrafentochter Luitgard mit Burkhard von Hohenberg, die Wehrsteiner Lande als Mitgift an Hohenberg gekommen. Sich in einer offenen Schlacht und als Gefolgsmann des Zollerngrafen gegen seinen neuen Lehensherrn zu stellen, war sicherlich nicht klug.

Ritter Hildebolt dankte Gott und der heiligen Jungfrau, dass er an diesem Tag noch auf Reisen gewesen war. Doch würde der Zoller in Zukunft so einfach auf die Gefolgschaft der Wehrsteiner verzichten? Konnte er sich aus diesem Gezänk um alte Erbansprüche und neue Gebietsaufteilungen heraushalten? Sorgenfalten zeichneten sich auf seiner Stirn ab. Zwischen den großen Mühlsteinen zweier sich streitender Grafenhäuser konnte ein kleines Rittergut rasch zermahlen werden.

»Schaut nicht so grimmig drein, Herr«, unterbrach der Begleiter das finstere Grübeln. »Es wird schon alles gut gehen. Die Weiber sind robuster, als man denkt.«

Hildebolt sah den Gefolgsmann verständnislos an, doch dann nickte er, und die Falten auf der Stirn glätteten sich ein wenig. Er verzichtete darauf, dem anderen Ritter zu sagen, dass die Sorgen nicht seinem hochschwangeren Weib gegolten hatten. Stattdessen gab er seinem Pferd die Sporen und jagte in halsbrecherischer Geschwindigkeit den schmalen Pfad entlang, so dass Wolfram Mühe hatte, ihm zu folgen.

»Ich hoffe, sie kommt ihrer Pflicht endlich nach und schenkt mir meinen Erben«, rief der Wehrsteiner Wolfram zu, als die beiden zusammen die Eyach überquerten.

»Vielleicht könnt Ihr ihn schon heute Abend in Euren Armen halten«, antwortete der Lehensmann und trieb sein Pferd die steile Böschung hinauf.

»Dann beeilen wir uns. Heute Nacht die Füße am Kamin zu wärmen, lockt mich weit mehr als eine weitere Nacht unter Gottes eisigem Himmel, und wir haben noch ein ganzes Stück vor uns.«

Der Wehrsteiner duckte sich dicht über den Hals des Pferdes, um dem kalten Wind bei diesem steifen Ritt kein so leichtes Ziel zu bieten. Nun flogen seine Gedanken wie ein Falke zur heimischen Burg voraus und zu seinem Weib, das er dort vor fast drei Wochen zurückgelassen hatte.

Die Feste Wehrstein thronte stolz wie der Adlerhorst über dem Neckartal und dem Weiler Fischingen. Sie hatte schon viele Könige kommen und gehen sehen, bot schon seit vielen hundert Jahren sicheren Schutz für ihre Bewohner und die Reisenden, die sich ihr für eine Atempause auf ihrer Wanderung anvertrauten. Umgeben von runden Türmen an jeder Ecke und einer hohen, zinnenbewehrten Stützmauer, erhob sich von der höchsten Stelle auf felsigem Grund der Bergfried. Trutzig ragte er über dem kahlen Steilhang auf, der sich gleich hinter den letzten Fischinger Häusern erhob. Burg Wehrstein war eine großartige Anlage. Wie viele Menschen hatten dereinst wohl im nahen Steinbruch die grauen Brocken gebrochen, sie auf krummem Rücken hierher getragen und auf schwankendem Gerüst zu festen Mauern gefügt? Hatten dies mächtige Bauwerk für ein ganzes Jahrtausend errichtet? Mächtig und wehrhaft, ja, den Edlen von Wehrstein in alten Zeiten angemessen, doch heute zu groß für ein Geschlecht, dem nur noch Güter in der Größe derer des Ritters Hildebolt zur Verfügung standen. So reichte der Frondienst der Bauern gerade mal, die Außenmauern und den Turm immer wieder auszubessern. Dabei hätte der Palas schon lange ein neues Dach nötig gehabt. Im oberen Stock war nur noch der kleine Raum auf der Südseite trocken, der nun der Edelfrau und ihrer Tochter Anna als Kemenate diente. Der Hausherr schlief seit dem Winter bei seinen Mannen im großen Saal, in dem sich auch die Wächter, Mägde und Knechte zusammendrängten, denn einige der altersschwachen Nebengebäude waren beim letzten Erdbeben in sich zusammengefallen und bisher nicht wieder aufgebaut worden. Die Steine dienten nun dazu, wenigstens die Küche auszubessern und eine kleine Vorratskammer anzubauen.

An diesem Allerheiligenmorgen wurden die Bewohner und Gäste auf Wehrstein noch vor dem Morgengrauen durch schauderhafte Schreie geweckt. Lang gezogen und quälend drangen sie durch die mit Fellen verhängten Fensterschlitze, krochen durch Mauerritzen und Gebälk und verscheuchten auch den Trunkenen die Schläfrigkeit.

»Nanu, wird heute in solch finsterer Früh schon ein Schwein geschlachtet?«, gähnte der Franziskanermönch, der auf seiner Pilgerreise nach Santiago heute Nacht hier Schutz gesucht hatte. Er erhob sich ächzend und zupfte sich ein paar Binsenhalme aus der zerschlissenen Kutte.

»Aber nein«, klärte ihn ein mageres Bürschlein von kaum acht Jahren auf, das neben ihm unter der Bank geschlafen hatte. »Das ist die Herrin, die da so schrecklich brüllt, dass Gott sich selbst die Ohren zuhalten muss.« Ein neuer, anhaltender Schrei drang die hölzernen Stiegen herab.

»Sie kriegt den Erben des Herrn – vielleicht, wenn es nicht wieder ein Mädchen wird«, erklärte der Knabe und fügte dann – für den Mönch – noch altklug hinzu: »Wenn die Kinder kriegen, dann schreien die Weiber halt so.«

Von draußen schallte es nun ähnlich weh und schmerzlich. Verwundert drehte der Mönch sein ergrautes Haupt.

»Mir scheint trotz allem, es wird heute Abend einen festlichen Schweinebraten geben.«

»Aber nein«, sagte der Junge noch einmal und schüttelte in komischer Verzweiflung den Kopf. »Das ist die Hailwig, meine Schwester. Die ist nämlich schon mindestens fünfzehn und kriegt jetzt auch ein Kind.« Plötzlich färbten sich seine Wangen rot. »Sie hat keinen Mann, Pater, aber weil doch das Kind vom Herrn ist, dann ist das doch sicher keine so große Sünde, oder?« Er sah den alten Mönch mit weit aufgerissenen, fragenden Kinderaugen an.

»Der Herr Jesu Christ wird ihr die Sünden vergeben«, murmelte der Gottesmann und strich über das mausbraune, verfilzte Haar des Kindes, bevor er sich langsam bückte und begann, seine wenigen Habseligkeiten in seinem Bündel zu verstauen. Eine Magd drückte ihm noch ein wenig Brot und Käse in die Hand. Dann machte er sich, schwer auf seinen Stab gestützt, weiter nach Westen auf. Die Schreie der Gebärenden begleiteten ihn zum Tor hinaus.

In ein dickes Wolltuch gehüllt, die vom Reißen geplagten Glieder nur notdürftig an den glimmenden Kohlen gewärmt, saß die weise Frau aus Fischingen auf einem Schemel in der zugigen Kemenate der edlen Dame. Vom Fußende her betrachtete die Alte die Schwangere schweigend und kaute ungerührt auf einer gelblichen Wurzel herum, während das junge Fräulein von Neueck, das die Hand der Schwangeren hielt, jedes Mal zusammenzuckte, wenn ein neuer Krampf den Leib erfasste und die Herrin gequält aufstöhnte.

»Nun tu doch endlich etwas!«, hob sie ihre helle Stimme. »Merkst du nicht, wie sie leidet?«

»Dass sie leidet, ist nicht meine Schuld. Da müsst Ihr Gott und dem Herrn Ritter zürnen.« Sie spuckte gelb schäumenden Speichel in die frischen Binsen. »Und außerdem tue ich was, wenn es so weit ist – und wenn diese Schlampen von Mägden endlich mit dem heißen Wasser kommen!«

Das Fräulein von Neueck haderte noch mit sich, ob sie der unverschämten Alten darauf eine Antwort geben sollte, als die Tür aufgestoßen wurde und die beiden Mägde, mit geschürzten Röcken und rot glühenden Wangen, den Wasserkessel hereinschleppten.

»Na dann wollen wir mal«, murmelte die Hebamme, strich sich ihre schmutzigen Hände mit ranzigem Fett ein, trat ans Bett, schob die Röcke der Schwangeren hoch und fuhr ihr zwischen die Beine, bis die Edelfrau einen spitzen Schmerzensschrei ausstieß.

»Was steht ihr rum und glotzt«, keifte die Alte die Mägde an. »Haltet sie fest!«

Drunten, nur wenige Schritte über den gefrorenen Hof rüber, in dem niederen Küchengebäude, das etwas schief an der Ringmauer lehnte, kauerte die Unfreie Hailwig auf einem Strohsack nahe am Herd. Sie hatte es hier wärmer als die Herrin in ihrer Kemenate, und das Fehlen der Hebamme bezeichnete die Köchin als echten Segen. Den jüngeren Bruder, der neugierig nachsehen gekommen war, hatte Hailwig mit rüden Worten hinausgeworfen, so dass nun nur noch die Köchin und das Küchenmädchen bei ihr waren. Das Küchenmädchen rührte wild in der Milchsuppe, die sie gleich in den Saal bringen musste, und warf der Gebärenden ab und zu nervöse Blicke zu. Adelheid jedoch, die selbst schon eine ganze Schar lebender und toter Kinder zur Welt gebracht hatte, war nicht aus ihrem Gleichmut zu bringen. Sie wischte den Schweiß von der Stirn, stützte bei den Wehen Hailwigs Rücken, drückte, massierte, schob und zog, gab klare Befehle und hielt nach wenigen Stunden ein kerngesundes, lauthals schreiendes Mädchen in Händen, krebsrot und wild um sich schlagend, als sie das Würmchen in warmem Wasser wusch.

Der Kampf in der Kemenate oben zog sich hin. Die Schreie der Edelfrau begleiteten die Mägde und Knechte bei ihrem Tagewerk und verklangen erst, als die Sonne sich bereits dem Horizont näherte.

Müde, schweißbedeckt und abgekämpft ritten die beiden Männer im Glanz der Sterne durch das Burgtor. Die Wächter grüßten ihren Herrn ehrerbietig und hielten ihm das zitternde Ross, während er sich schwerfällig aus dem Sattel schwang. Steifbeinig schwankten die Männer zum Palas hinüber, traten in den vom Kaminfeuer nur schwach erleuchteten Saal und ließen sich dann auf eine Bank vor den wärmenden Flammen sinken. Waffenrock, Schwert und Kettenhemd fielen achtlos zu Boden, von wo sie einer der Knechte aufhob, um sie zu reinigen. Erleichtert seufzte der Edelfreie, als ihm eine Magd die Schuhe auszog und er die schmerzenden kalten Füße den Flammen entgegenstrecken konnte. Eine Weile nippten die beiden Männer schweigend an ihren Bechern mit heißem Gewürzwein.

»Euer Eigen hat sich um zwei schreiende Rotznasen erweitert, Herr«, rief einer der Edelknechte dem Wehrsteiner nach einer Weile zu und hob seinen Becher.

»Keine Verluste zu beklagen!«, ergänzte ein anderer.

Hildebolt von Wehrstein nickte seinen Leuten zu. »Dann müssen wir wohl ein Fass für euch alle aufmachen.«

Die fröhliche Zustimmung war bis hoch in die Kemenate zu hören, wo die Wöchnerin, halb ängstlich, halb hoffnungsvoll mit dem Kind in den Armen ihren Gatten erwartete. Sie lauschte seinem schweren Schritt und hörte die ängstlich erwartete Frage, noch bevor sie den Ritter zu Gesicht bekam.

»Ist es ein Sohn?«

Sie richtete sich ein wenig auf und sah in das bärtige, abgekämpfte Antlitz ihres Gemahls.

»Nein, eine Tochter – aber ein gesundes kräftiges Kind«, fügte sie noch hinzu, doch er hatte sich bereits auf dem Absatz umgedreht und die Kemenate wieder verlassen.

Weinend drückte sie das schlafende Kind an sich. »Zwei Töchter und sonst nur totes Fleisch, ach, Herr im Himmel, muss er mir da nicht zürnen?« Und dennoch nagte auch heißer Zorn in ihrer Brust.

»Ist es denn meine Schuld, Heilige Jungfrau? Ist es meine Sünde allein, die uns straft? Ist nicht der Same des Mannes des Kindes Keim? Die Mutter nur das wärmende Nest?«

Der Wehrsteiner ging mit langen Schritten über den Hof, stieß die Tür zur Küche auf und trat in die Wärme. Respektvoll wichen die Frauen zurück, die sich um den Strohsack der jungen Mutter versammelt hatten.

»Und du, hast wenigstens du mir einen Sohn zustande gebracht?« Trotzig sah ihm Hailwig in die Augen. Die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst, schüttelte sie den Kopf.

Dem Ritter entfuhr ein Fluch, so dass sich die Frauen hastig bekreuzigten. »Du wirst meiner Tochter Amme«, stieß er noch hervor, ehe er in die Nacht stürmte. Die Tür fiel krachend ins Schloss.

Im Turm holte er sich Wein, stürzte ihn so hastig hinunter, dass ihm ein rotes Rinnsal über den Bart floss und in das Hemd tropfte. Ein zweiter Krug folgte dem ersten. Ziellos taumelte der Hausherr über den Hof, lief schwankend an der Mauer entlang, stieg zum Turm hoch bis auf die Plattform, erbrach sich und sank dann auf den kalten Boden. Den Rücken an den rauen Stein gepresst, sah er in den klaren Sternenhimmel und haderte mit seinem Schicksal und mit Gott.

»Warum, warum«, brüllte er in die Nacht. »Herr im Himmel, bin ich kein richtiger Mann, dass ich keinen Knaben zeugen kann? War ich nicht ein frommer Christ und Ritter? Was für Sünden habe ich auf mich geladen? Sag es mir, du dort oben auf deinem Wolkenthron!«, schrie er. Die Wächter sahen betreten zur Seite.

»Das Kind kommt ins Kloster«, sagte er bestimmt, als er am nächsten Morgen die Kemenate wieder betrat. »Ich habe nicht die Güter, zweimal eine Mitgift zu bezahlen. Vielleicht wirst du mir ja doch noch meinen Erben schenken, für den dann noch ein Rittergut da sein muss.«

Sein Eheweib nickte unter Tränen. »Ich werde beten und alles versuchen.«

Rau und ein wenig unbeholfen strich er ihr über das Haar. »Vielleicht erhört der Herr unsere Gebete, wenn wir ihm dieses Kind schenken.«

Während der Hohenberger in die zollerischen Lande einfiel und Balingen verwüstete, wuchsen die beiden Mädchen abseits der Fehde heran. Sie tranken Milch von derselben Mutterbrust, spielten zusammen auf dem Burghof, streiften gemeinsam über Wiesen und Felder und liefen beide weinend zu Hailwig, wenn sie sich das Knie aufgeschlagen oder die Hände im Dornengestrüpp zerkratzt hatten. Sie liebten sich, sie waren Schwestern, sie hatten den gleichen Vater, der sie beide ignorierte, und dennoch war Tilia von Wehrstein Ritterstochter und edelfrei, Gret ein Leben lang leibeigene Magd.

Ein wenig wehmütig beobachtete Sibylla von Wehrstein ihre Jüngste mit dem Gesinde im Hof herumtollen, wenn sie mit der älteren Tochter Anna auf einer Bank vor dem Palas saß, Stoffe säumte und Borten bestickte. Doch sie ließ das Kind gewähren, bis es seinen fünften Sommer gesehen hatte.

Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band

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