Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 19
KAPITEL 8
ОглавлениеGraf Friedrich von Zollern ritt mit seinen beiden Söhnen und ein paar seiner Männer hinab nach Hechingen. Heute war Gerichtstag im Hause des Biulini. Im Sommer wurde auf dem Marktplatz unter der Linde Recht gesprochen, doch bei dieser Kälte war allen Beteiligten die ausgeräumte Lagerhalle des reichen Händlers lieber.
Der Graf zügelte sein Pferd ein wenig und ließ es im Schritt über den steilen, rutschigen Pfad gehen, der sich vom Burgtor im Südosten in einer weiten Schleife von Süden nach Westen und dann nach Norden um den hoch aufragenden Berg wand. Als der Weg breiter wurde, winkte der Graf seine Söhne heran. Die Ritter hielten respektvoll Abstand.
»Gestern Nacht habe ich einen Boten von Graf Eberhard von Württemberg empfangen. Der König hat Esslingen befestigen lassen und lädt Eberhard im Juni zum Hoftag nach Ulm, um die in Augsburg bereits angekündigte Sühne festzusetzen. Was meint ihr dazu?«
Der Graf hatte es sich schon seit Jahren angewöhnt, seine Söhne an der Politik und den anderen wichtigen Dingen der Grafschaft teilhaben zu lassen. Irgendwann würde er vor seinen Schöpfer treten, dann wollte er sein Land in guten Händen wissen. Doch würde er sein Land in zwei oder in vier Hände legen? Schon lange drückte ihn die Frage des Erbes. Üblich war es, alle Söhne zu beteiligen, die den Vater überlebten und kein geistliches Amt annahmen. Friedrich, der Erlauchte, war ein kluger Mann. Er sah die Grafschaften in seiner Umgebung blühen und verdorren. Er wusste, dass jede weitere Teilung den Untergang bedeuten konnte. Der Hohenberger wird uns verschlingen, wenn wir Schwäche zeigen, dachte er oft.
»Das wird sich Graf Eberhard nicht gefallen lassen«, riss ihn die Stimme seines jüngsten Sohnes aus den Gedanken. »Der Württemberger wird wieder zuschlagen, und dann sind wir an seiner Seite.«
Dreiundzwanzig Jahre war er alt, etwas kleiner und kräftiger gebaut als der Vater, mit braunem Haar und grauen Augen.
»Keine Hand breit Boden geben wir dem Habsburger Emporkömmling«, sagte er wild. »Krongut – pah! Es ist unser, und wir werden es an der Seite des Württemberger verteidigen. Er ist stark genug, um gegen die königlichen Speichellecker standzuhalten.«
Sein älterer Bruder unterbrach ihn. »Rede keinen solchen Blödsinn. Wenn der König mit seinen Rittern kommt, dann kann der Württemberger ihm auf Dauer keinen Widerstand leisten.«
»Der Markgraf von Baden wäre auch auf unserer Seite«, schnitt ihm der Jüngere ungestüm das Wort ab.
»Trotzdem ist es unklug, sich dem König offen entgegenzustellen. Wir sollten die Großen in den Kampf ziehen lassen. Lass sie sich gegenseitig schwächen und verwunden. Mit schlauer Taktik und wohl überlegtem Spiel können wir als die eigentlichen Sieger hervorgehen.«
Der Merkenberger sah seinen Bruder verächtlich an. »Wie ein Waschweib willst du dich hinter dem Ofen verkriechen. Ränke schmieden wie Williburgis’ Schnatterweiber? Wir sind Ritter, und wir werden mit dem blanken Schwert kämpfen!«
Eitelfriedrich lachte spöttisch. »Ja, ein feiner Ritter bist du, wenn du blind wie der Ochse vor dem Pflug in die Klinge läufst und dir die Seele rausschneiden lässt. Gebrauche erst mal deinen Kopf, bevor du mit dem Schwert rasselst.«
Der jüngste Grafensohn lief vor Wut rot an und wollte dem Bruder seine Antwort ins Gesicht schleudern, doch der Vater beendete den Streit.
»Ihr habt mir euren Standpunkt klar gemacht, und ich werde die Vor- und Nachteile abwägen. In einem Punkt jedenfalls gebe ich euch gleich Recht. Der Württemberger ist ein Heißsporn von kaum zwanzig Lenzen. Er wird nicht Ruhe halten und wie ein Lamm nach Ulm ziehen, um seine Strafe zu empfangen. Und ich glaube auch, dass der Hohenberger ihm nicht gewachsen ist. Der König wird kommen, mit Schwert- und Lanzengeklirr und mit großem Gefolge!«
»Wenn die Sonne weiter so scheint, dann werden wir bald abreisen«, sagte Tilia, schnitt den Strunk aus einem Kohlkopf und warf ihn mit einer Heftigkeit über den Hof, die ihre innere Erregung verriet. Das Geschoss verfehlte ein mageres Huhn, das gerade nach Würmern scharrte, nur knapp. Panisch gackernd und mit den Flügeln schlagend, suchte das Federvieh das Weite.
»Die legt bestimmt monatelang kein Ei mehr«, murmelte Gret trocken und schnitt ein paar faulige Stücke aus dem Gemüse.
»Wie kann es im Februar schon so warm sein?« Tilia rückte ihrem Kohl zu Leibe, als würde sie gegen einen Todfeind kämpfen. Eine Weile schielte Gret immer wieder zu ihrer Halbschwester hinüber, dann ließ sie das scharfe Messer sinken.
»Nun komm schon. So schlimm ist es doch auch wieder nicht, dass wir zu den Zollern ziehen. Immerhin bleiben wir zusammen. Sofie kommt mit und« – sie schnitt eine Grimasse – »der liebe Rüdger auch.«
»Ja, schon, aber die kleine Dorothea jetzt schon in ein Kloster abzuschieben –« Tilia blinzelte heftig.
»Wenn du an ihrer Stelle zu den Nonnen gehen würdest, dann könntest du sie auch nicht mehr sehen«, merkte die Magd an. »Sieh es so. Wer soll für das Kind denn sorgen, wenn wir weg sind?« Sie nickte in Richtung Palas. »Das Weib dort oben vielleicht?«
Tilia schüttelte heftig den Kopf. »Dann schon lieber zu den Nonnen als in diese Hände!«
Sie arbeiteten eine Weile schweigend, dann fing Tilia noch einmal davon an. »Aber Mutter. Wer wird nach ihr sehen?«
»Beatrix wird für sie sorgen, doch ich glaube, die Herrin ist gar nicht mehr richtig da«, sagte Gret langsam und suchte nach den richtigen Worten. »Nur ihr Körper ist noch auf Wehrstein. Für sie wäre ein Kloster der rechte Platz.«
Die Ritterstochter seufzte. »Wie wird es hier sein, wenn wir weg sind?«
»Schrecklich«, sagte Gret und zog eine Grimasse. »Das faule Stück von einem Weib wird keinen Handstreich tun, und Beatrix ist viel zu weich, um sich durchzusetzen. Daher werden die Mägde und Knechte es sich wohl sein lassen, sobald der Herr außer Sicht ist.«
»Es stimmt mich jetzt schon traurig. Wehrstein ist doch meine Heimat«, seufzte Tilia.
»Ja, und alle Frauen sind dazu verdammt, das vertraute Heim zu verlassen, um einem fremden Mann zu dienen oder dem Herrn im Himmel.«
Warum sie zu den Zollern geschickt wurden, darüber sprachen die Frauen nicht. Tilia wollte Gret nicht erzählen, was der Vater ihr gesagt hatte, doch Gret machte sich auch so ihre eigenen Gedanken. Sie konnte gut beobachten und hatte in ihrem kurzen Leben schon viel über den Lauf der Welt gelernt. Es war ihr klar, dass der Zollerngraf nicht aus purer Freundlichkeit die jüngste Wehrsteintochter ins Hauskloster der Grafen aufnahm. Sie wusste auch, dass die freien Entscheidungen des Hausherrn nicht mehr ganz so frei sein würden, wenn seine Tochter im Hause eines der beiden Fehdenführenden weilen würde. Und ihr war klar, dass sie nicht deshalb mitging, weil Tilia sie liebte und bei sich haben wollte. Auf dieser Welt geschahen die Dinge, weil Männer sie so haben wollten – oder weil sie glaubten, dass sie sie so haben wollten.
Sofie kam heulend über den Hof gerannt und barg den Kopf in Grets Schürze. Dorothea ließ nicht lange auf sich warten. Ihre kurzen Finger umklammerten vier geschnitzte Holzfiguren. Mit hochgerecktem Kinn blieb sie herausfordernd vor den Frauen stehen.
»Ich will meine Männchen wiederhaben«, heulte Sofie. »Die hat sie mir einfach weggenommen, dabei hat mein Papa die doch alle gemacht.«
Auch wenn er oft brummig und schlecht gelaunt war, liebte der Schmied seine Tochter. Vor allem an den langen Winterabenden, wenn es für die Knechte nicht viel zu tun gab, saß er in der Küche vor dem Feuer und schnitzte allerhand Spielzeug für die Kinder. So hatte er ein Pärchen handgroßer Figuren für Sofie geschnitzt und auch eines für Dorothea, in deren Schlepptau das Mädchen meist zu finden war.
Gret sah die Ritterstochter streng an. »Warum hast du Sofies Puppen? Du hast doch deine eigenen.«
Dorothea presste die Beute noch ein wenig fester an die Brust. »Weil, ich will jetzt aber mit allen spielen. Ich bin schon ganz viel älter als die, und meinem Papa gehört die ganze Burg und alle Leute hier, und deshalb darf ich das bestimmen«, erklärte sie und stampfte dann, um ihre Aussage zu bekräftigen, mit dem Fuß auf die Erde.
»Das kann schon sein. Dennoch solltet ihr lieber zusammen spielen. Also gib mir jetzt Sofies Puppen.« Fordernd streckte Gret die Hände aus, doch Dorothea wich zurück.
»Nein, du hast mir gar nichts zu befehlen. Du bist nur eine Magd!«
Gret zuckte unmerklich zusammen, zog die Hände zurück und begann schweigend mit der einen Hand den Kohl weiter zu bearbeiten, mit der anderen strich sie tröstend über das Haar ihrer weinenden Tochter.
Seufzend erhob sich Tilia, ging zu ihrer jüngeren Schwester, riss den schmutzigen Kittel hoch und klatschte ihr zweimal kräftig auf die nackten Pobacken.
»Du bist die Tochter eines Ritters, da hast du Recht, und deshalb solltest du als Erstes lernen, dich besser zu benehmen. Du gibst Sofie ihre Figuren zurück, und zwar sofort!«
Dorothea heulte auf, kreischte vor Schmerz und Zorn, fand aber noch den Mut, »Nein, nein« zu brüllen. Ohne mit der Wimper zu zucken, schlug Tilia ein weiteres Mal zu. Da löste sich Sofie von ihrer Mutter, rannte herbei, zerrte an Tilias Rock und heulte: »Nein, du darfst sie nicht schlagen, sie ist doch meine Freundin!«
Dankbar lächelnd drückte Dorothea Sofie zwei der Figuren in die Hand, griff nach ihrem Arm und zog sie dann über den Hof davon. Die beiden Frauen sahen den Mädchen kopfschüttelnd nach. »Bei den Großen ist es dann genau andersherum«, bemerkte Gret trocken. »Schlag noch mal drauf, wenn einer schwach ist, dann kann man sich ja sein Hab und Gut einverleiben.«
Tilias Augen wurden feucht. »Sie sind wie wir früher. Wie viele Tage haben sie noch zusammen? Wie bald schon wird man sie auseinanderreißen.«
»Das ist der Lauf dieser Welt«, entgegnete Gret mit harter Stimme, ohne die Halbschwester anzusehen. »Ich war kaum älter, als der Herr Ritter meine Mutter und ihren Bruder wegschickte. Glaubst du, das war für mich leicht?«
Es war das erste Mal, dass Gret dieses Thema ansprach. Was sollte Tilia darauf antworten? Dass ihre Selbstsucht, wenigstens die Freundin zu behalten, der Grund für die Trennung gewesen war? Dass sie Hailwig mehr geliebt hatte als ihre richtige Mutter? Tilia schwieg.
Williburgis von Zollern saß in der Kemenate und webte schweigend an einer Borte aus grünen und goldenen Fäden. Sie sah kaum auf ihre flinken Finger, die den Weg der Fäden bereits allein fanden. Teilnahmslos beobachtete die Grafentochter eine fette Ratte, die immer wieder ihre Nase hinter der großen Truhe unter dem Fenster hervorstreckte, aufgeregt schnüffelte, sich dann aber wieder in die sichere Dunkelheit zurückzog. Vielleicht waren ihr zu viele Menschen im Raum.
Da gebe ich dir Recht, unterhielt sie sich in Gedanken mit dem kleinen Nager. Ich würde sie auch lieber wegschicken und mit meinen Gedanken hier allein sein.
Die Damen der jungen Grafentochter saßen im Licht zweier Öllampen um ein Tischchen. Durch das mit Pergament bespannte Fenster drang nur ein trüber Lichtschein. Noch war der Wind nachts zu kalt, um die Fenster wieder zu öffnen, um Licht und Luft hereinzulassen. Williburgis sehnte den Tag herbei. Ihr war, als könne sie in der rauchigen, abgestandenen Luft nicht mehr atmen. Die Gesprächsfetzen klangen in ihren Ohren wie das Geschnatter der Gänse im Hof. Jede der Frauen hatte ein Stickzeug auf dem Schoß, doch schneller noch als die Nadeln bewegten sich die Zungen.
Den bequemsten Sessel hatte sich Kunigunde von Baden genommen, die Gattin des ältesten Zollernsohnes. Klein und pummelig, mit roten Wangen und stumpfem, widerspenstigem Haar, war sie eher unauffällig. Um ihre Stellung zu betonen, kleidete sie sich jedoch stets in leuchtenden Farben, trug, trotz ihrer Leibesfülle, Schnabelschuhe mit eineinhalb Fuß langen gebogenen Spitzen und hohen hölzernen Sohlen. Daher konnte sie sich nur sehr langsam und mit seltsam trippelnden Schritten fortbewegen. Das war jedoch nicht schlimm, da Kunigunde jegliche Bewegung hasste, einschließlich des Reitens. Dafür liebte die gutmütige, aber oberflächliche Frau jeden guten Klatsch.
Zu ihrer Linken saß die Edeldame Benigna von Lichtenstein. Ihr Mann war im Gefolge des Württembergers. Sie sah ihn nicht oft, was ihr aber nicht besonders leidtat. Dafür war sein jüngerer Bruder hier Ritter beim Zollerngraf. Benigna war nicht gerade eine Schönheit, ihr Gesicht länglich, die Nase zu groß. Doch ihre Lippen waren voll und sinnlich. Sie war eine lebenshungrige Frau von fast dreißig Jahren, und sie hatte keine Lust, eingesperrt in einer Kemenate brav darauf zu warten, dass ihr Ehegatte einmal im Jahr vorbeikam, um ein Kind mit ihr zu zeugen. Drei kleine Lichtensteiner liefen schon auf der Burg herum. Wer wirklich die Väter der Sprösslinge waren, darüber schwieg sich die Dame aus. Ihr Gatte zumindest dachte, dass sie sein Fleisch und Blut seien.
Salome von Ringelstein-Killer war trotz ihrer einundzwanzig Jahre bereits Witwe. Ein Treffen mit den Rittern des Hohenbergers hatte ihrem Mann eine Lanze im Bauch eingebracht. Das einzige Kind dieser kurzen Ehe war vor einem Jahr in den Brunnen gefallen und dort ertrunken. Salome hatte dunkelblondes Haar, ein rundes Gesicht, eine kleine Nase, war aber sonst um die Hüften üppig gebaut. Auch die Brüste luden zum zweimal Hinsehen ein. Sie war eine lebenslustige und ein wenig leichtsinnige Frau, und sie hatte eine scharfe Zunge.
Während die drei recht derb über die Vorzüge und Nachteile der einzelnen Ritter herzogen, saß die junge Eleonora von Zell-Andeck schweigend dabei. Das zierliche rothaarige Mädchen mit dem sommersprossigen Gesicht hielt nicht viel von Männern. Streng klösterlich erzogen, wäre sie lieber bei den Nonnen geblieben, als sich den rauen Späßen und derben Reden der Ritter auf einer Grafenburg auszusetzen.
»Also wenn ich mir die dicke Nase und die großen Hände des Ritters Anselm von Hölnstein ansehe, dann könnte ich mir vorstellen, dass er ganz schön etwas unter seinem Kettenrock zu bieten hat!«, bemerkte Salome, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. Kunigunde und Benigna kicherten, Eleonore presste schweigend die Lippen aufeinander.
»Dann seid Ihr sicher die Erste, die es herausfinden wird«, lästerte die Zollerngattin, »es sei denn, Benigna kann uns über die Vorzüge ihres Bruders aufklären.«
Die Edeldame von Hölnstein zuckte die Schultern. »Ich möchte Euch ja nicht Eurer Fantasien berauben, doch ich gebe Anselm gerne einen Hinweis, dass sich Salome nach seinen starken Armen, und was er noch so hat, sehnt. Vielleicht findet er dafür noch Zeit, bevor er zu den Württembergern zurückkehrt.«
»Als Witwe hat man es einfach gut«, jammerte Kunigunde in tragischem Ton, »selbst wenn mein Gatte nicht hier ist, bin ich unter der strengen Aufsicht seines Vaters oder, noch schlimmer, seines jüngeren Bruders.«
Die Zollerngattin erntete von zwei der Damen fröhliches Gekicher und von Williburgis einen vorwurfsvollen Blick. Dabei wussten alle Damen, dass die dicke Kunigunde den Männerarmen nicht sehr zugetan war und ihren Gatten lieber wegreiten denn zurückkommen sah. Sie pflegte zu sagen:
»Einmal im Jahr, um ein Kind zu zeugen, reicht völlig aus. Zum Glück hat der Herrgott die Fehden erschaffen, dass die Männer nicht immer auf der Burg rumsitzen.«
Die Kammerfrau Agnes, Tochter des Edelknechts Boller, trat ein. Sie hörte Kunigunde von Badens letzte Worte und hub sofort eine ihrer moralischen Reden an. Sie sprach von Gottes Strafe für unkeusches Leben und den zahlreichen Krankheiten, die dieser zur Sühne schicken würde.
»Dann frage ich mich, welch schlimme Sünden du schon alle begangen hast, da du uns ständig von deinen überall zwickenden Leiden erzählst«, rief die Hölnsteinerin übermütig.
Gekränkt presste die Kammerfrau die Lippen aufeinander, drehte sich auf dem Absatz um und stürmte hinaus. Die anderen lachten.
Williburgis von Zollern ließ sich wieder von ihren eigenen Gedanken forttreiben. Die Stimmen der anderen verschmolzen zu einem an- und abschwellenden Rauschen wie der Wind in den Wipfeln oder wie ein klarer Bach, der über die Steine springt.
Die Kemenate, der schönste und wärmste Raum der Burg, war für sie ihre ganze Kindheit über fast ein Heiligtum gewesen. Hier war die schöne, kluge Mutter zu finden, wenn eines der Kinder Trost oder Rat brauchte. Hier war es ruhig und selbst im Winter noch erträglich warm. Im Schlafraum der Damen und Kinder auf der anderen Seite des Ganges herrschte immer buntes Treiben. Entlang der Wand standen fünf schrankartige Holzkästen mit schmalen Betten. Je zwei Frauen teilten sich eine Matratze, denn trotz der dicken Vorhänge an den Betten und den holzvernagelten und fellverhangenen Fensterschlitzen zog es im Winter fürchterlich. Durch die dicken Mauern drang die Feuchtigkeit. Keine Feuerstelle war da, die Kälte zu vertreiben und die Wassertropfen an den Mauersteinen zu trocknen. Die beiden Kohlepfannen, die im Winter aufgestellt wurden, konnten den Raum kaum erwärmen. So war es früher stets der Körper der Schwester gewesen, der in den langen, dunklen Nächten Wärme, Geborgenheit und Trost gespendet hatte, und dann, nach deren Heirat, der einer anderen Dame.
Nun war Williburgis die Herrin, wohnte und schlief in der Kemenate in einem großen Bett mit weichen Daunen. Und dennoch hatte sie das Gefühl, die Nächte wären seitdem länger und kälter geworden.
In den ersten Wochen hatte die Kinderfrau auf einem Strohsack zu ihren Füßen geschlafen, doch nun hatte sie sie weggeschickt, war nicht auf die erstaunten Fragen eingegangen, hatte den gekränkten Blick übersehen. War es richtig gewesen? Hatte sie überhaupt eine Wahl? Was würde passieren, wenn es jemand bemerkte? Würde er wiederkommen?
Herr im Himmel, betete sie stumm, es ist eine Sünde, und ich fühle die Last auf meiner Seele, doch hätte ich Nein sagen können? Sie zitterte. Ich muss es beichten, muss von Vater Laurenz die Absolution bekommen, doch schon der Gedanke, mit dem sauertöpfischen Priester darüber zu reden, ließ Übelkeit in ihr aufsteigen. Vielleicht sollte sie wieder ihr altes Bett beziehen, zusammen mit der Kinderfrau. An deren üppigen Busen gekuschelt schlafen. Der Gedanke war verlockend, doch sie verwarf ihn. Was würden der Vater und die Brüder, was die Frauen sagen? Nein, sie musste in der Kemenate bleiben, und sie musste ihm gehorchen.
Williburgis von Zollern hatte bereits geschlafen, als sie plötzlich aus ihren Träumen hochschreckte. Sie blinzelte verwirrt und lauschte in die Finsternis, hörte, wie die Tür leise geschlossen wurde. Sie war nicht mehr allein in der Kemenate. Leise Atemzüge, kaum hörbar, nackte Füße auf den Holzbohlen. Williburgis hielt den Atem an. Eine Hand tastete über ihre Bettdecke, hob sie dann langsam an. Der kalte Luftzug jagte ihr einen Schauer über den ganzen Körper. All die zarten Härchen stellten sich auf, nicht nur von der Kälte. Ein schwerer Körper rutschte zu ihr auf die Matratze, die Hand tastete sich weiter vor.
»Du hast ja dein Hemd angelassen«, murmelte er und machte sich an den Bändern zu schaffen.
»Mir war heute etwas kalt«, antwortete sie heiser.
»Ich werde dich wärmen«, kam die sanfte Stimme zurück. Die kräftigen Hände strichen über ihre Haut, zogen sie an den nackten, männlichen Körper.
»Du musst keine Angst haben. Ich werde dich nicht entehren. Doch du bist allein, und ich bin es auch. Wozu die einsamen Nächte?«
Sie machte sich stocksteif, doch als die Hände fortfuhren, ihren Rücken zu streicheln, und keine Anstalten machten, von dort fortzuwandern, entspannte sie sich. Ihr Kopf sank an die männliche Brust. Sie schlief ein. Als Williburgis wieder erwachte, war er verschwunden. Eine Weile zweifelte sie, ob sie sich das alles nicht nur eingebildet hatte.