Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 17
KAPITEL 6
ОглавлениеSchon seit Stunden verharrte Graf Friedrich von Zollern, der Erlauchte, auf den kalten Steinplatten kniend, die Hände flehend dem Gekreuzigten entgegengestreckt. Er spürte nicht die Eiseskälte in der Kapelle, spürte nicht den rauen Stein unter den gebeugten Knien. Er sah nur die im steten Luftzug flackernden Kerzen auf dem Altar und das schmerzverzerrte Gesicht des Erlösers. Lautlos bewegten sich seine Lippen. Sein Antlitz war tränenverschmiert.
Der Kaplan stand schon seit einiger Zeit in der Tür zur Michaelskapelle auf Burg Zollern und beobachtete seinen Herrn. Die Hände frierend in den Ärmeln der Kutte verborgen, die schmalen Lippen fest aufeinander gepresst, wartete er unschlüssig und wagte nicht, den Graf aus seinem Gebet zu reißen. Plötzlich blickte Friedrich auf, wandte sich mit einem Ruck um und sah den Kaplan fragend an.
»Nun, Vater Laurenz, bringt Ihr mir gute Nachrichten?«
Es schwang so viel Angst in der Stimme des hohen Herrn, dass der Gottesmann nur mühsam ein verächtliches Schnauben unterdrücken konnte. Welch Gejammer um ein einziges Weib, das nicht einmal mehr zum Gebären taugen würde, so alt wie sie bereits war! Er mühte sich, den Herrn seinen Ärger nicht spüren zu lassen.
»Es steht nach wie vor ernst um Eure Gemahlin, Graf. Das Kind ist nicht zu retten. Es starb schon im Mutterleib. Die Wehen haben aufgehört. Die Gräfin ist sehr schwach, doch die Hebamme ist noch bei ihr. Und auch Bruder Tragebott.«
Den letzten Namen spuckte er aus, als habe er eine Kröte im Mund. Nicht nur, dass er den abtrünnigen Bettelmönch verabscheute, die Vorstellung, dass ein Mann Gottes einer Hebamme helfend zur Seite stand und an den sündigen Schoß einer Frau Hand anlegte, verursachte ihm Brechreiz im Hals. Und wie sollte er von seinem Herrn eine hohe Meinung haben, wenn der solch sündiges Tun zuließ?
»Sie versuchen, den Leichnam zu entfernen, um das Leben der Gräfin zu retten«, sagte er laut, dachte jedoch bei sich, besser ist es, das Weib stirbt. Wenn Gott sie und das Kind zum Sterben bestimmt hat, was soll der Mensch dann aufbegehren? Mit Kräutern, scharfen Messern und Zauberei gegen Gottes Willen ankämpfen? Starben nicht jeden Tag tüchtige Männer im Felde?
»Kommt her, Vater Laurenz, betet mit mir um das Leben der Gräfin. Ich könnte es nicht ertragen, wenn der Herr sie zu sich riefe. Ich bitte Euch, kniet Euch nieder und betet!«
Der Kaplan wich dem Blick des Grafen aus. Der Schmerz in seinen Augen ekelte ihn an. Widerstrebend beugte Vater Laurenz die steifen Knie, hob die Hände und dachte noch einmal: Welch Geschrei um ein wertloses Weib!
Noch war es draußen dunkel, doch die Nacht näherte sich bereits ihrem Ende. Oben in der Kemenate saß die Hebamme erschöpft auf einem Schemel, die Hände schlaff im Schoß, die Beine weit von sich gestreckt.
»Das war gar keine schlechte Arbeit für einen Mann, einen Mönch noch dazu«, sagte sie anerkennend.
Bruder Tragebott, der das lose Mundwerk der Hebamme kannte, fasste diese Respektlosigkeit so auf, wie sie gemeint war, und beugte leicht den kahlen Schädel.
»Wir haben beide unsere Erfahrung vereint und mit Gottes Hilfe Großes getan.«
Sorgfältig wusch er sich die Hände im warmen Wasser und schrubbte peinlich genau das adelige Blut von seinen Fingern.
»Wir müssen nun Acht geben, dass die Wunde nicht zu faulen beginnt. Wasch sie täglich mit dem gebrannten Wein, den ich dir geben werde«, wies der Mönch die Hebamme an. »Und dann«, – er wurde zum ersten Mal verlegen, und Röte stieg ihm ins Gesicht –, »du musst es dem Grafen sagen, dass, nun, dass …«, er verstummte.
»Ja, ich werde ihm sagen, dass er lieber nicht mehr auf seine Eherechte pochen sollte, wenn er das Leben der Gräfin nicht in Gefahr bringen will. Ich werde ihm sagen, er soll sich lieber nach einem Kebsweib umsehen«, sagte die Hebamme ungeniert, erhob sich und trat an das Bett der Bewusstlosen.
»Geht nur, Bruder.« Güte schwang in ihrer Stimme. »Legt Euch schlafen. Ich werde bei ihr wachen und später das Kind – oder was davon übrig ist – vor den Toren verscharren.«
Mit schweren Schritten stieg er die steinernen Stufen hinunter, die außer dem Grafen und seinen Söhnen kein Mann betreten durfte, umrundete vorsichtig die Schläfer im großen Saal, tappte über den Hof und kehrte in sein Kellergemach unter dem Palas zurück, das er eilig im Morgengrauen des vergangenen Tages verlassen hatte.
Die Gräfin hatte den dicken Fellvorhang beiseitegeschoben und sah in die sternklare Winternacht hinaus. Sie hörte seine sich nähernden Schritte, doch sie drehte sich erst um, als der Graf sie ansprach.
»Kommt rasch vom Fenster weg, Udelhild, Ihr holt Euch sonst noch den Tod.«
»Es ist erst zwei Wochen her, dass ich dem Teufel ins Auge blickte. Wollte er meine Seele, hätte er sie an diesem Tag geholt.« Trotz ihres Widerspruchs ließ sie den Vorhang los und trat vom Fenster weg.
Friedrich von Zollern nahm den pelzgefütterten Umhang vom Bett und legte ihn seiner Angetrauten um die Schultern. Seine Arme umfingen sie, schlossen sich wie eiserne Ringe um ihren Körper und nahmen ihr den Atem.
»Meine liebe Gemahlin. Wie sehr verlange ich nach Euch.« Stürmisch begann er ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken, warf den eben erst umgelegten Mantel auf den Boden und drängte die Gräfin zum Bett hin. Die Widerstrebende mit sich ziehend, ließ er sich in die kostbaren Daunenkissen fallen, küsste ihren Hals und den Ansatz ihrer Brüste. Sie wehrte sich, versuchte, ihn abzuschütteln und den gierigen Lippen auszuweichen.
»Nein! Friedrich, nein!«
Ungewohnt laut und energisch erklang ihre Stimme. Überrascht hielt der Graf inne. Udelhild nutzte die Gelegenheit, sich aus der Umarmung zu winden und vom Bett zu rutschen. Ruhelos ging sie mit ausladenden Schritten auf und ab, während sie um die richtigen Worte rang.
»Ich habe Euch als Ehegattin lange gedient. Habe meine Pflichten gern für Euch erfüllt. Zwölfmal trug ich Eure Leibesfrucht, acht Kinder gebar ich mit Schmerzen. Ihr habt immer noch drei Söhne und zwei Töchter, alle nun erwachsen, auf die Ihr stolz sein könnt. Zwei hoffnungsvolle Söhne und Eure jüngste Tochter leben hier mit Euch auf Burg Zollern. Euer Zweitgeborener ist Dompropst in Augsburg, Eure erste Tochter wohl verheiratet mit dem von Geroldseck zu Lahn. Ich kann Euch keine weiteren Kinder mehr schenken, und es war Gottes Wille, dass ich auch nicht mehr Euer Lager mit Euch teilen kann.« Er wollte widersprechen, doch sie schnitt ihm das Wort ab.
»Nein, ich kann nicht! Darum bitte ich Euch, in Gottes Namen, gebt mich frei.«
»Ich will aber trotzdem bei Euch sein. Ihr seid meine Gemahlin, bis dass der Tod uns scheidet. Ich werde mein Temperament zurücknehmen. Ich verspreche es Euch. Nur hier in Eurem Atem bei Euch liegen. Mehr begehre ich nicht.«
Sie lachte freudlos auf. »Erzählt mir nicht, der Hengst begehre nicht die Stute zu bespringen, der Eber nicht die Sau.«
Er schien ernsthaft gekränkt. »Vergleicht die Männer nicht mit den Tieren. Wir sind von Gott zu seinem Ebenbild gemacht. Wir sind die Krönung seiner Schöpfung.«
Ihr Blick wurde traurig. »Friedrich, ich bitte Euch noch einmal, sucht Euch ein Kebsweib. Nehmt Euch so viele Ihr wollt, doch bitte lasst mich nach Stetten ziehen und den Schleier nehmen. Für Euch beten ist das Einzige, was ich noch kann.«
»Aber Ihr seid die Dame des Hauses«, brauste er auf.
»Williburgis hat schon fünfzehn Lenze gesehen. Sie ist alt genug, an meine Stelle zu treten und meine Pflichten zu übernehmen. Die Kinder sind alle erwachsen. Auch sie bedürfen meiner nicht mehr.«
Er sprang vom Bett, stürmte auf sie zu und schlang seine Arme um ihren Leib. »Ich will keine Kebsweiber und Mägde in meinem Bett. Ich will Euch, Udelhild von Dillingen. Ihr seid mein Weib, und ich werde Euch niemals gehen lassen. Niemals!«
Er ließ sie los, drehte sich um und stürmte hinaus.
»Doch, lieber Friedrich, ich werde den Schleier nehmen, und Ihr werdet die Urkunde aufsetzen lassen«, sagte sie zu dem leeren Türrahmen.
Drei Tage dauerte der wortlose Kampf. Sie sprachen nicht mehr darüber, doch wenn sich ihre Blicke trafen, dann konnte man die Klingen sich kreuzen hören. Am vierten Morgen rief Graf Friedrich von Zollern Vater Laurenz zu sich und wies auf das leere Pergament, Feder und Tinte auf dem Tisch.
»Da, nehmt Platz, Vater«, gebot er dem Kaplan mürrisch. »Setzt mir ein Schreiben an die Mutter Oberin in Stetten auf.«
Als die Woche um war, beugte die Gräfin auf kaltem Stein die Knie und legte ihre Hände in die schrumpeligen, knochigen der Mutter Oberin. »Mutter, ich bitte Euch um den Schleier.«
Das alte Weiblein nickte und legte ihre Hände auf das feine Gebende aus Seide, umkränzt von einem goldenen Reif, mit funkelnden Edelsteinen besetzt.
In derselben Stunde schritt der Graf unruhig in der Kapelle auf und ab.
»Ja, ich habe gesagt, dass ich alles gebe, selbst das, was mir am liebsten ist, wenn Du ihr Leben schonst, aber so habe ich das nicht gemeint. Gott! Warum lässt Du sie erst am Leben und nimmst sie mir dann trotzdem weg? Ist das Deine Art, Spott mit mir zu treiben? Für was strafst Du mich? Welche Sünde habe ich begangen? Habe ich nicht alles Deinem Pfaffen gebeichtet? Hat er mir nicht die Absolution erteilt? Was willst Du noch von mir?«, schrie er und warf die Hände in die Höhe. Weiß stieg sein Atem auf. Als das Kruzifix nicht antwortete, setzte Friedrich der Erlauchte seine Wanderung fort. »Ein Kloster haben wir für Dich gegründet, haben den Schwestern ein Heim gegeben, ihnen Ländereien geschenkt, und nun verschwindet meine Udelhild hinter diesen Mauern! Zürnst Du mir wegen der Kirche? Ja, es hat eine Zeit lang gedauert, doch jetzt steht sie. Auch ohne himmelwärts strebenden Turm ist sie Deiner würdig! Die Frauen haben sich unter den Schutz Deines neuen Predigerordens gestellt. Wer wüsste es nicht besser als Du, dass Deine Bettelmönche keinen Prunk lieben. Ich hätte Dir, trotz kriegerischer Zeiten, Gold und Seide gegeben. Und das weißt Du auch! Du bist ein grausamer Gott! Wo bleibt denn Deine Barmherzigkeit, die immer gepredigt wird?«
Immer mehr redete der Graf sich in Hitze. Vater Laurenz, der zufällig die Kapelle betreten hatte, bekreuzigte sich hastig. Welch sündige Reden! Er nahm sich vor, bei der nächsten Beichte dem Grafen dafür schmerzhafte Bußübungen aufzuerlegen.
Es war noch früh am Morgen, doch die ersten Eigenleute aus der Umgebung trafen bereits auf Wehrstein ein. Erleichtert betrachtete Tilia den Strom aus Frauen und Kindern und vor allem kräftigen Männern.
»Ich sage dir, wenn ich in den letzten Tagen nicht umhergeritten wäre und ihnen zweimal am Tag warme Suppe, frisches Brot und einen Humpen Wein versprochen hätte, sie hätten wieder nur die Alten und Schwachen, die Weiber und Kinder zur Fron geschickt.«
Gret nickte. »Ja, vor allem, da sie wissen, dass der Wehrsteiner unterwegs ist.«
Tilia ließ den Blick über Bauern und Gesinde schweifen, die in kleinen Gruppen schwatzend im Hof standen, und klatschte dann in die Hände, um deren Aufmerksamkeit zu gewinnen.
»Wir wollen neben der Küche einen Vorratsraum bauen. Auch müssen die Mauern am runden Turm ausgebessert und das Dach des Palas abgedichtet werden«, fasste sie die Arbeit für die nächsten drei Tage zusammen.
»Doch bevor ich euch in Gruppen aufteile, könnt ihr euch jeder eine Schale Haferbrei bei Adelheid in der Küche holen.«
Während die Bauern aßen, rief Tilia den Ritter Wetzel, Rüdger und den Wächter Hugo zu sich.
»Rüdger nimmt die kräftigsten Männer mit zum Steinbruch, um die Mauer vorn auszubessern. Hugo wird mit ein paar Männern in den Wald gehen, um die Stämme für das Vorratshaus zu fällen. Ein Teil der Frauen und die alten Männer können am Neckar unten Ruten schneiden für das Flechtwerk, die anderen sollen Lehm stampfen und Stroh bündeln. Wetzel, Ihr bleibt bei mir und seht, dass die Arbeit hier auf Wehrstein vorangeht.«
Der erste Tag war windig und kühl, doch trocken. Die Männer schlugen die grauen Steinbruchstücke zurecht, die alle gemeinsam in Schütten und Tragen am Abend zur Burg schleppten. Am nächsten Tag begann es erst zu nieseln und dann immer heftiger zu regnen. Die Pfosten der Vorratshütte, die das Dach tragen sollten, waren bereits eingegraben, dazwischen die geschlitzten Schwellen für die Wände eingefügt. Im strömenden Regen entrindeten die Männer Stämme für die First- und Wandpfetten, auf denen dann die Rofen zu liegen kamen. Missmutig stampften ein paar Frauen in zwei Gruben Lehm mit Mist und Wasser. Ihre Kittel klebten ihnen an den Leibern, Regentropfen rannen ihnen über die Gesichter. Zwei junge Mädchen kauerten am Rand der Lehmgrube, schnitten Kraut und Stroh und warfen es in die Grube. Zum Glück ließ der Regen am Abend nach. Im Schein der Kienspäne fügten die Eigenleute die Flechtwände ein, die sie am nächsten Morgen mit dem Gemisch aus den Gruben bestrichen. Besorgt sah Tilia zum Himmel. Die Zeit war nicht günstig, Häuser und Hütten zu bauen, doch konnte sie die Bauern auch nicht von den Feldern holen, bevor die Ernte eingebracht war.
Der dritte Tag blieb trocken. Ein stürmischer Wind sog das Wasser aus dem feuchten Lehm, so dass die Wände bald gekalkt werden konnten. Erschöpft, aber mit vollen Bäuchen, zogen die Eigenleute der Wehrsteiner nach drei Tagen wieder zu ihren Höfen zurück.
Es war kurz nach dem Dreikönigsfest 1286, als ein Ritter gen Westen ritt. Angetan mit einem Ringelpanzer, samt Panzerstrümpfen und -ärmeln. Ein Topfhelm mit schmalen Sehschlitzen verbarg sein Antlitz. Sein Waffenrock, der manches Mal unter dem pelzgefütterten Umhang hervorlugte, war einfach schwarz. Auch sein Pferd trug weder Farben noch Wappen. Offensichtlich wollte der Ritter nicht erkannt werden.
Es war schon spät am Abend, als er am Tor der Wehrsteiner Burg Einlass begehrte. Die Edelknechte am Tor waren verunsichert, da der Reiter sich nicht zu erkennen geben wollte. So setzte ihm der eine seine Speerspitze auf die Brust, während der andere rasch davoneilte, um den Herrn zu holen.
Der Unbekannte folgte Hildebolt von Wehrstein in den Palas, doch statt sich am großen Kamin aufzuwärmen, folgte er dem Hausherrn sogleich die Treppe in dessen Kammer hoch. Hildebolt jagte sein Kebsweib von ihrem Lager in den Saal hinunter und schickte Gret nach mehr Feuerholz, heißem Wein und dicker Suppe. Erst als die Magd alles gebracht und die Tür hinter sich geschlossen hatte, nahm der Besucher seinen Helm ab, warf die Panzerärmel zu Boden und streckte seine Hände seufzend den glühenden Scheiten entgegen. Lange unterhielten sich die beiden Männer. Der Gast sprach eindringlich auf den Hausherrn ein, doch der war zurückhaltend, wich aus, so gut es ging. Je mehr der Ritter sich ereiferte, desto enger wurde das Gefühl in Hildebolts Brust. Er fühlte sich wie ein Kaninchen in der Schlinge. Je mehr er zappelte, desto enger schloss sich der Riemen um ihn, der ihn fesselte.
Nachdenklich schritt Tilia zur Küche hinüber, um nach dem Rechten zu sehen. Gret ging der Köchin zur Hand, die in Windeseile zwei Hühner rupfte, um sie für den unerwarteten Gast zu braten, und Apollia knetete den Teig für dünnes Fladenbrot. Als die nackten Vögel aufgespießt über den Flammen brutzelten, ging Tilia hinüber zum Pferdestall. Sie entzündete eine Öllampe und trat zu dem Ross des Unbekannten. Die Knechte hatten es abgesattelt, trocken gerieben und mit Hafer und Heu gefüttert. Zufrieden stand es neben den beiden Streitrössern des Hausherrn und kaute an den trockenen Halmen.
Zart strich Tilia über das glänzend schwarze Fell. Es war ein großes, kräftiges Tier mit klaren Augen. Obwohl sie noch nicht über Fischingen hinausgekommen war, wusste Tilia, dass solch ein Streitross ein Vermögen kostete. Selbst des Wehrsteiners Pferde wirkten gegen dieses Tier fad. Sie bot dem Pferd eine schrumpelige Karotte an und strich ihm über die samtenen Nüstern.
»Da kann er sich hinter Helm und Rüstung verstecken, wie er will, dein Herr«, flüsterte sie dem Pferd ins Ohr. »Wer solch ein Tier sein Eigen nennt, der muss schon ein Graf oder Herzog sein.« Sie wandte sich zum Gehen. »Oder einen solchen getötet haben, um ihm das Tier zu entwenden.«
In der Kemenate auf Burg Zollern saß die Grafentochter Williburgis auf einem Schemel im flackernden Licht zweier Fackeln. Ihre Kinderfrau Trude kämmte das lang auf den Rücken fallende, schwarzbraune Haar, dessen Strähnen, kaum den straffenden Zinken entkommen, sich mutwillig in Locken und Wellen legten. Zierlich, schlank, mit reinem Teint und dunklen Augen, war sie ein Abbild ihrer Mutter, während die anderen Kinder eher die große, kräftige Statur des Grafen geerbt hatten. Die kleine Stupsnase ließ das fünfzehnjährige Fräulein noch jünger erscheinen.
Schweigend, die Lippen fest geschlossen, die Hände brav im Schoß gefaltet, ließ sie das Zupfen und Zerren an ihrem Haar über sich ergehen. Nur die umschatteten Augen irrten unruhig im Raum umher, so als suchten sie die Mutter, die immer ein fester Bestandteil der Kemenate gewesen war. Sie gehörte einfach zu diesen Wandteppichen mit den eingewebten Jagdszenen, den bestickten Kissen, dem breiten Bett und den geschnitzten großen Truhen dazu, war immer ein Ruhepunkt zwischen all dem hektischen Treiben auf der Burg gewesen.
Williburgis betrachtete sich in dem kleinen runden Spiegel an der Wand. Er war eine Kostbarkeit, die vor vielen Jahren ein Kreuzfahrer aus dem Land der Sarazenen mitgebracht hatte. Tränen wollten ihr in die Augen steigen, doch sie schluckte sie tapfer hinunter. Sie war nun die Herrin der Burg, die des Nachts in diesen weichen Kissen ruhte. Sie musste stark sein, kühl, ruhig und überlegen den Haushalt führen, wie es die Mutter einst getan hatte. Und genau hier lag das Problem. Nichts klappte mehr, seit die Gräfin den Schleier genommen hatte. Das Essen, früher wenigstens lau, kam heute kalt auf den Tisch, das Fleisch mal verbrannt, mal innen noch blutig, das Gemüse hart oder zu bräunlichem Brei verkocht. Der Saal starrte vor Schmutz, Ratten hatten sich überall eingenistet, die Flohplage nahm überhand. In der Kleiderkammer schmolz der Vorrat an sauberen Gewändern, und wenn ein Gast kam, fühlte sich Williburgis völlig überfordert. Verzweifelt versuchte sie, sich daran zu erinnern, was die Mutter ihr immer gepredigt hatte.
Als habe die alte Kinderfrau ihre Gedanken gelesen, sagte sie plötzlich barsch: »Ihr müsst Euch besser durchsetzen. Das Gesinde tanzt Euch auf der Nase herum.«
Williburgis schniefte. »Ich kann das einfach nicht. Wenn ich in die Küche komme und sich Hanna vor mir aufbaut, die Hände in die Hüften stemmt und diesen grimmigen Blick aufsetzt, dann versagt mir die Stimme. Ich kann sie nicht rügen. Und wenn ich sage, dass das Essen nicht zur Zufriedenheit war, dann sagt sie nur, sie könne das Kochen auch lassen.«
Grob zog Trude die widerspenstigen Flechten straff. »Solch eine Unverschämtheit hätte sich bei der Gräfin keiner getraut.«
»Ich weiß«, jammerte das Fräulein. »Auch die Ritter benehmen sich mit jedem Tag wilder. Die Gelage werden immer wüster. Ich traue mich kaum mehr, mit den Damen im Saal zu essen. Vielleicht sollten wir noch einen Tisch im Frauengemach aufstellen und dann hier oben …?«
»Nein! Ihr seid die Hausfrau auf dieser Burg. Ihr müsst Euch durchsetzen.« Leise fügte sie noch hinzu: »Wenn wenigstens die Damen eine Hilfe wären, doch diese eitlen, geschwätzigen Geschöpfe sind nur ein Unglücksfall in Gottes Schöpfung.«
»Trude! So darfst du nicht reden!«
Die Kinderfrau grunzte ungnädig und flocht dann schweigend das perlenbesetzte Schappel in der Herrin offenes Haar.