Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 16
KAPITEL 5
ОглавлениеDreimal zog der Herbst ins Land, deckte Schnee die Feste über dem Neckartal zu, brachte der Frühling Wärme und Freude zurück und der Sommer goldene Ernte. Auf Burg Wehrstein wuchs eine neue Generation heran. Kaum ein Jahr nach ihrer Hochzeit brachte Gret ein gesundes Mädchen zur Welt, ein weiteres Jahr später einen Sohn, der jedoch nur einen Monat überlebte. Tilia kümmerte sich um ihre kleine Schwester Dorothea, die nun mit Grets Sofie spielte, wie früher Tilia mit Gret. Sibylla kümmerte sich nicht um ihre dritte Tochter. Seit der Sache mit Anna lebte die Wehrsteinerin zurückgezogen in der Kemenate. Sie saß nur da, nähte und stickte. Nicht einmal, um ihre Notdurft zu verrichten, verließ sie den Palas. Zweimal am Tag trug Tilia das Nachtgeschirr hinaus zur Grube. Sie sorgte dafür, dass die Mutter frische Wäsche bekam und genug Stoff und Garn zum Nähen, brachte ihr die morgendliche Milchsuppe und am Abend dicken Eintopf. Fleisch rührte die Mutter nicht mehr an. Sie fastete, sie betete, sie schwieg. Und da nach menschlichem Ermessen keine Möglichkeit mehr für eine weitere Schwangerschaft bestand, ließ sich der Wehrsteiner nicht mehr bei ihr blicken. Überhaupt war der Vater in diesen Jahren nicht häufig auf der Burg zu sehen. Irgendwo gab es immer Streitereien, bei denen gute Kämpfer willkommen waren.
Stillschweigend nahm Tilia auf Wehrstein das Zepter in die Hand. Sie versorgte den Haushalt, scheuchte jeden Morgen die Mägde, den Saal zu reinigen, prüfte genau, ob die Wäsche auch wirklich sauber war, und ließ die Faulen und Ungeschickten mit Schlägen bestrafen, so wie die Mutter es gemacht hatte.
»Wir bräuchten dringend neues Linnen«, sagte Tilia und breitete ein verschlissenes Leinentuch aus.
»Wir könnten nach Fischingen hinuntergehen«, schlug Gret vor. Tilia seufzte. »Und womit soll ich es bezahlen? Die wenigen Münzen, die der Vater mir vor Monaten ließ, sind längst verbraucht.«
»Dann müssen wir sehen, was noch in Scheune und Küche ist.« Die Ritterstochter nickte und folgte Gret, doch die wenigen Vorräte, die sie fanden, vertieften die Sorgenfalten nur noch.
»Ich kann das Leinen noch einmal flicken«, tröstete Gret und klemmte sich das vergilbte Tuch unter den Arm.
Tilia nickte. »Ja, doch das ist es nicht allein. Es ist bald Herbst. Müssten die Bauern uns nicht Korn bringen, Gemüse und Vieh? Der Vater und die Ritter sind weg, und der alte Wetzel sitzt den ganzen Tag in der Sonne und schnarcht, statt auf die Felder zu reiten und zu sehen, dass unsere Eigenleute die Ernte einbringen. Sieh zum Himmel hoch. Drei Tage brennt die Sonne schon herab, doch hast du gestern auch nur einen vom Hof oben auf dem Feld gesehen, als wir Nüsse sammeln gingen? Die Eigenleute wollen angewiesen werden. Wie sollen wir so durch den Winter kommen?« Tränen der Verzweiflung standen ihr in den Augen.
»Ein Obmann müsste nach dem Gesinde sehen. Doch wen könntest du schicken? Willst du nicht mit dem Wetzel reden? Schicke ihn hinaus, er soll sich um die Güter kümmern«, schlug die Magd vor. »Hat der Vater ihn nicht darum zurückgelassen?«
Tilia schwieg und zog die Nase kraus. »Ich werde selbst nach dem Rechten sehen. Wetzel muss mich begleiten. Der Pater müsste wissen, wer uns welche Abgaben zu leisten hat. Ich werde ihn losschicken, mir Pergament und Tinte zu besorgen – und wenn ich dafür meine goldene Fibel eintauschen müsste. Lesen kann ich schon, dann kann es doch nicht so schwierig sein, das Schreiben zu erlernen.«
Geschäftig eilte sie davon. Gret sah ihr mit großen Augen nach und machte sich dann daran, das Leinen zu flicken.
»So etwas ziemt sich nicht für eine Jungfrau«, schnarrte Pater Seifried missmutig. »Pergament, um Kornsäcke und Hühner zu notieren? Welch Verschwendung! Euer Vater weiß sicher, wer welche Schuld bereits beglichen hat.«
Tilia stemmte die Hände in die Hüften und blitzte den Pater zornig an. »So? Weiß er das? Er ist seit Monaten weg. Was ist, wenn der Winter kommt und die Scheunen leer sind? Ich werde den Eindruck nicht los, dass wir um vieles betrogen werden. Die Lehensmänner sind froh, den Zins selbst zu schmausen. Warum sollen sie bezahlen, wenn keiner kommt und etwas von ihnen verlangt? Warum sollen die auf dem Gut oben arbeiten, wenn keiner nach ihnen sieht? Deshalb reite ich mit Wetzel selbst hin und sorge dafür, dass die Kammern gefüllt werden.«
»Das könnt Ihr nicht machen!«, zeterte der Gottesmann, der nur die niederen Weihen empfangen hatte, sich aber gerne Pater nennen ließ. Tilia trat nahe zu ihm und sah ihm in die Augen.
»Wollt Ihr in diesem Winter ein warmes, trockenes Plätzchen und jeden Abend eine gefüllte Schale? Oder zieht Ihr weiter, ein Obdach in einem Kloster zu finden. Meint Ihr, die Brüder nehmen Euch gerne auf? Wo Ihr doch gar nichts mitzubringen habt.« Sie sah, wie Pater Seifried zusammensackte.
»Ich an Eurer Stelle würde es bei den Bettelmönchen versuchen. Sie legen keinen Wert auf Besitz, ziehen jeden Tag, ob brennende Sonne oder stürmender Schnee, durch die Lande und leben von der Mildtätigkeit der Menschen«, fügte Tilia noch hinzu, obwohl sie merkte, dass sie den Sieg schon errungen hatte.
»Ich denke, Ihr würdet das Schreiben schnell erlernen, und ein wenig mit Zahlen umzugehen, könnte ich Euch auch zeigen«, bot der Gottesmann an.
»Gut, besorgt Ihr das Pergament. Ich gehe zu Wetzel, um ihn in seinem nicht verdienten Schlummer zu stören.«
Beschwingt von ihrem ersten Triumph, schreckte sie den alten Ritter aus seiner Mittagsruhe.
»Ihr seid verrückt«, brummte der Kämpfer und schloss ungerührt wieder die Augen.
»Nein, bin ich nicht. Ist es verrückt, dafür zu sorgen, dass wir nach Dreikönig auch noch etwas auf den Tisch bekommen – nicht nur wässriges Gerstenmus wie im letzten Jahr?«
»Das schon, doch Ihr seid ein Weib«, brummte er, ohne die Augen zu öffnen.
»Ein Weib, ja, doch solange mein Vater nicht hier ist, auch Eure Herrin, der Ihr zu gehorchen habt.«
Wetzel blinzelte, entblößte grinsend seine Zahnstumpen und ließ seinen Blick ungeniert an ihr herunterwandern. »Dann nehmt doch den Jungen von Husen mit, wenn es Euch danach gelüstet, bei dieser Hitze über die Felder zu reiten.«
Erbost stampfte Tilia mit dem Fuß auf. »Genau das werde ich machen. Denkt solange gut darüber nach, ob Ihr mir weiterhin Eure Hilfe versagen wollt, denn dann könnte es passieren, dass hier auf Wehrstein bald kein Platz mehr für Euch ist.«
»Sie tut es wahrhaftig«, wunderte sich der Alte und schüttelte fassungslos den Kopf.
Bald darauf ritt Tilia auf ihrer schwarzen Stute durch das Tor, Heinrich von Husen folgte ihr auf seinem Braunen in respektvollem Abstand. Die Leute vom Wehrsteiner Gut murrten. Anders als das Gesinde auf der Burg waren sie nicht daran gewöhnt, Anweisungen der Ritterstochter entgegenzunehmen, doch das änderte sich schnell. Bald wunderte sich keiner mehr über den Anblick des schlanken, blonden Fräuleins auf seiner Stute, den jungen Vasall immer auf den Fersen. Der Anfang war schwer. Sie redete mit Engelszungen, sie drohte, sie fluchte und schimpfte. Manch Bauer war einsichtig und tat, was sie befahl, doch manch Eigenmann führte sich störrisch wie ein Maulesel auf. Da tauchte eines Morgens Wetzel mit seinem Streitross am Tor auf.
»Ich habe gehört, Ihr habt Schwierigkeiten mit denen jenseits des Neckars.« Er ließ seine Reitpeitsche durch die Luft sausen. »Sie werden sich Euren Wünschen fügen, noch ehe die Sonne heute untergeht!«
Dankbar reichte Tilia ihm die Hand und lächelte ihn an. So war sie vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang emsig auf den Beinen, setzte sich dann im Schein der Kienspäne zu Pater Seifried und führte langsam und sorgfältig die Feder über das Pergament. Als die Blätter an den Bäumen sich zu färben begannen und der Wehrsteiner mit seinen Mannen zurückkehrte, war die Ernte eingebracht, Scheune und Kammer auf Burg Wehrstein gefüllt. Der Ritter wunderte sich, doch er sagte nichts.
Eine Woche später kam ein königlicher Bote nach Wehrstein. Tilia raffte die Röcke und eilte zur Kemenate hoch.
»Habt Ihr es gehört, Mutter? Ein königlicher Bote ist angekommen.«
Sibylla sah nicht von ihrer Stickarbeit auf. Seufzend schlüpfte Tilia in ein frisches Hemd und einen einfachen, aber sauberen Rock.
»Könnt Ihr mir wenigstens helfen, die Ärmel anzunesteln?«
Sie kniete sich nieder. Langsam hob die Wehrsteinerin den Blick, ließ die Nadel sinken und schnürte dann die Bänder fest.
»Wollt Ihr nicht doch zum Essen herunterkommen? Dies eine Mal? Ich weiß nicht so recht, wie ich den Gast behandeln soll. Was soll ich mit ihm reden?«
Doch Sibylla schüttelte nur stumm den Kopf und beugte sich wieder über ihre Arbeit.
Tilia schlang sich einen breiten, silberbestickten Gürtel zweimal um die Taille und schloss den Hemdschlitz mit einer eisernen Nadel, an der ein Rosenquarz befestigt war. Sie holte zweimal tief Luft, dann schritt sie in den Saal, um den Gast zu begrüßen.
Das Angebot eines Bades lehnte er ab, nicht jedoch ein reichliches Essen. »Ich komme von Haigerloch her«, sagte er, als er sich vor der Tochter des Hauses verbeugte. »Der König weilt bei seinem Schwager und schickt nun Boten, die Ritter zu ihm zu rufen. Ich werde noch heute weiterziehen.«
Tilia eilte davon. Sie zerbrach sich den Kopf, wie sie schnell ein Essen bereiten lassen sollte.
»O Gret, was bieten wir ihm nur an?«
Die Magd legte beruhigend die Hand auf ihren Arm. »Es ist frisches Brot da, und Wein haben wir genug. Bring es dem Gast und unterhalte ihn. Die Buben haben heute Tauben gejagt, und auch ein Kaninchen ist in die Falle gegangen.«
»Das reicht nicht. Er ist ein königlicher Bote!«, jammerte Tilia. Gret zuckte die Schultern. »Dann muss eben unser Hahn daran glauben.«
Tilia nickte. »Ja, nimm den Hahn. Er ist schon alt, und der Meier schuldet uns noch drei. Schneide auch ordentlich Blut- und Griebenwurst ins Gemüse, hörst du?«
»Ja, ja, ich werde es Adelheid sagen.«
Während Gret in die Küche eilte, trug Tilia Brot und Wein in den Saal, brach dem Gast ein Stück ab und schenkte ihm den Becher aus Ton voll. Schweigend ließ sie sich ein Stück abseits auf einer Bank nieder, um dem Gast rechtzeitig nachschenken zu können.
»König Rudolf hat sich fest vorgenommen, die Raubschlösser der schwäbischen Friedensbrecher zu schleifen. Er hat seinen Sohn Herzog Albrecht und die Bischöfe von Passau und Basel bei sich«, berichtete der Bote.
»Und nun sind sie bei dem Hohenberger in Haigerloch«, stellte der Wehrsteiner fest.
Der Bote nickte. »Ja, sein erstes Ziel heißt Waldeck.«
Hildebolt von Wehrstein runzelte die Stirn. »War der alte Waldecker, der letzthin kinderlos starb, nicht nah verwandt mit dem Hohenberger?«
»Da habt Ihr Recht«, bestätigte der Königliche. »Aber der Reuenburger hat die Witwe auf seine Feste geholt und Graf Albert den Anspruch auf das Erbe vorenthalten. Der Hohenberger hat die Feste zwar belagert und das Weib damit ins Kloster getrieben, doch den Reuenburger, der sich jetzt frech von Waldeck nennt, konnte er nicht in die Finger bekommen.«
»Und nun sollen wir für ihn die Zeche bezahlen«, seufzte der Ritter missmutig.
»Wollt Ihr Euch dem Ruf des Königs entziehen? Sogar der Zoller sendet seinen ältesten Sohn!«
Tilia entschlüpfte ein Ruf der Überraschung. »Der Zoller zieht mit dem Hohenberger zusammen nach Waldeck?«, fragte sie ungläubig.
Die beiden Männer, die ganz vergessen hatten, dass das Mädchen noch bei ihnen saß, sahen es entgeistert an.
»Du solltest in der Küche nach dem Essen sehen!«, befahl der Vater barsch.
Tilia schoss die Röte ins Gesicht. Sie sprang auf, knickste linkisch und stotterte eine Entschuldigung, dann eilte sie hinaus. Sie schalt sich des unbedachten Ausrufes. Jetzt hatten sie sie weggeschickt, und sie würde vom Rest des Gespräches sicher nichts mehr erfahren. Wie ärgerlich! Dabei brannte sie so sehr darauf, von der weiten Welt zu hören.
Der Vater blieb lange fort. Nach und nach lösten sich die Blätter von den Bäumen, bis diese sich nackt und frierend den Herbststürmen preisgeben mussten. Sie kamen mit dichten Regenwolken und heulenden Böen, fielen in das Neckartal hinab und jagten dann den Berg hinauf und über Burg Wehrstein hinweg. Tilia trieb das Gesinde an, das Heu in die Schober und die letzten Früchte in die Kammer einzubringen. In ihrem alten, grauen Mantel, hoch aufgerichtet auf ihrer schwarzen Stute, schien sie überall gleichzeitig zu sein. Fast eine Woche zwangen Sturzbäche an Regen und Sturmwind die Wehrsteiner in Saal und Küche. Da saßen sie eng beieinander in der rauchgeschwängerten Feuchtigkeit und besserten Gerätschaften aus, kämmten Wolle oder flickten Wäsche.
Es war der Tag der heiligen Katharina, als der Hausherr und seine Mannen zurückkehrten. Der Vater brachte Tilia eine goldene Kette mit einem edelsteinbesetzten Kreuz von Waldeck mit.
»Ich habe es einem Pfaffen abgenommen, der eh schon bei seinem Schöpfer war«, sagte er, als er Tilia das Geschmeide um den Hals legte.
Sie bedankte sich artig und fragte nicht, wessen Schwert die Seele des Geistlichen gen Himmel gesandt hatte.
»Über die Schweizer Straße sind wir nach Norden gezogen, haben den Neckar bei Horb überquert und uns in Herrenberg mit dem Herzog Konrad von Teck und dem jungen Zollerngraf getroffen«, erzählte der Hausherr den Zurückgebliebenen mit vollem Mund.
»Die Belagerung war schwieriger, als wir es erwartet hatten. Die hohen Mauern konnten wir unmöglich im Sturm nehmen, doch auch einen dichten Ring zu schließen, um die auf der Feste auszuhungern, war in dem bergigen Waldgelände keine leichte Sache. Immer wieder gelang es den Waldeckern, Lebensmittel in die Burg zu schmuggeln und uns eine lange Nase zu drehen. So machte sich der Hohenberger daran, für das königliche Heer eine hölzerne Gegenburg zu errichten. Wochen harrten wir aus. Endlich zeigte der Hunger seine Wirkung. Zu Martini fiel die Burg. Wir machten Beute, der Waldecker jedoch ist entkommen.«
Doch nicht nur ein Säckchen mit Münzen und Schmuck brachte der Vater von dieser Belagerung mit. An seiner Seite kam ein Weib mit grobem Gesicht und üppigen Brüsten. Misstrauisch betrachtete Tilia sie von oben bis unten, als der Vater sie ihr vorstellte. Sie begrüßte die neue Bewohnerin zurückhaltend, doch das Weib grinste breit, enthüllte eine Zahnlücke und schloss das widerstrebende Mädchen fest in ihre Arme.
»Wir werden uns gut verstehen!«, prophezeite sie. Tilia sagte nichts. Erst als sie am nächsten Abend mit Gret über den Hof schritt, machte sie ihrem Ärger Luft.
»Sie ist unansehnlich, bar jeder guten Erziehung, lacht zu laut und liebt derbe Sprüche«, zählte sie erbost all die Dinge auf, die ihr gegen den Strich gingen. »Aus einem baufälligen, hölzernen Wohnturm bei Weil der Stadt kommt sie. Kaum ein Jahr verheiratet, hat sie der Waldecker zur Witwe gemacht, und nun streckt sie ihre schmutzigen Finger nach Wehrstein aus.«
»Hast du auch nur ein gutes Haar an ihr entdecken können?«, fragte Gret, ihre Belustigung kaum verbergend.
»Nein! Selbst ihr Haar, das unordentlich unter ihrer Haube hervorquillt, ist borstig und von unscheinbarer Farbe. Was findet der Vater nur an ihr, dass er sein Lager mit ihr teilt? Er tut so, als sei Mutter bereits tot.«
»Nun, Männer wollen keine Heilige, die den ganzen Tag stumm betet«, sagte Gret behutsam. »Vielleicht ist das Weib eine angenehme Bettgenossin und erfüllt ihm seine Wünsche.«
»Gret!«, schimpfte die Ritterstochter. »Es steht dir nicht zu, so von meinem Vater zu sprechen.«
»Ach was«, begehrte die Halbschwester auf. »So sind die Männer, ob du es sehen willst oder die Augen davor verschließt. Unser Vater ist auch nicht anders. Besser er hat ein Kebsweib, denn er zeugt Bastarde mit allen Mägden.«
Tilia stampfte mit dem Fuß auf den Boden, drehte sich um und ließ Gret einfach stehen. In den nächsten Wochen bekam Gret noch viele Klagen über das Weib zu hören, wie Tilia sie immer nannte. Ihr Name kam der Ritterstochter nie über die Lippen.
»Vater lässt oben neben der Kemenate ein drittes Gemach herrichten!«, ereiferte sich Tilia. »Er schickt gar nach den Bauleuten aus Fischingen, um eine Feuerstelle zu mauern! Ich habe mit meiner Hände Arbeit die Schulden eingetrieben und die Scheunen gefüllt. Und da erdreistet sich das Weib, Münzen aus der Truhe zu nehmen. Sie hat teure Daunendecken und Kissen bei dem Juden gekauft, der seit ein paar Tagen unten in Fischingen weilt, und der Vater sagt nichts dagegen!«
Schweigend hörte sich Gret die Klagen an. Nicht dass sie das Weib mochte. Sie hatte eine unangenehme Art, mit dem Gesinde umzuspringen, doch was konnte man dagegen tun, wenn der Herr sich ein Kebsweib wählte?
Als die Frühnebel sich am anderen Tag lichteten, versprach das blasse Blau des Himmels noch einmal einen sonnigen Tag. Gleich nach dem Morgenmahl schleppten die Mägde die hölzernen Zuber in den Hof. Gret schob sich seufzend die Ärmel hoch. Waschtage waren harte Knochenarbeit. Eimerweise kurbelte sie das Wasser von der Zisterne herauf. Die Köchin hatte derweil schon ein großes Feuer im Hof entfacht, über dem sie an einem Dreibein einen weiteren Kessel mit Wasser erhitzte. Apollia, das Küchenmädchen, klaubte die abgekühlte Buchenasche aus dem Kamin, um frische Lauge zu machen. Sie spannte ein Tuch über den Holzbottich, schüttete die Asche darauf und goss, als der Kessel über dem Herd dampfte, das heiße Wasser darüber. Unten im Bottich sammelte sich die frische Lauge. Adelheid, die Köchin, hatte inzwischen die schmutzigen Leilachen, Kittel, Hemden und Röcke auf einen Haufen geworfen, die Magd Trützum weichte ein paar schwere Wolldecken ein. Während das Blau des Himmels sich vertiefte und die Sonne höher stieg, rubbelten und spülten, klopften und wrangen die vier Frauen Stund um Stund Weißzeug und Decken. Die Hände wurden rissig und schmerzten in der heißen Laugenbrühe, doch die Mägde waren guter Laune, sangen und scherzten und rubbelten im Takt. Zwischen den Wäschebergen und Zubern spielten Dorothea und Sofie mit des Wächters Hugo Buben Fangen. Bei jeder Gelegenheit spritzten sie sich gegenseitig nass und liefen dann kreischend auseinander. Bald trieften die Kinder wie die Wäsche. Quietschend vor Freude zog sich Dorothea ihren tropfenden Kittel über den Kopf und klatschte ihn Cum, der sie einen Kopf überragte, ins Gesicht. Die Freudenschreie wurden alsbald von Protestgeheul abgelöst, als Cum das Mädchen packte und in einen Zuber mit eiskaltem Wasser warf. Sofie lachte schadenfroh, musste dann jedoch schnell die Beine in die Hand nehmen. Als der achtjährige Fred mit eingriff, der Köchin und des Wächters Hänslin Sohn, hatten die Mädchen keine Chancen mehr. Bald standen die kleinen Nackedeis schmutzig und heulend vor Gret, doch diese lachte nur.
»Heute ist großer Waschtag. Für Leinen, Wollzeug und für freche Kinder.«
Sie schnappte ihre Tochter und stellte sie in einen Zuber voller warmer Laugenbrühe. Gnadenlos schrubbte sie das kreischende Kind vom Kopf bis zu den schlammigen Füßen. Dorothea wollte sich schon unauffällig aus dem Staube machen, doch Apollia erwischte sie, und so erging es ihr nicht besser. Die Buben lachten spöttisch, bis der vorbeikommende Hänslin sie mit Schwung ins kalte Wasser warf. Mit groben Bürsten setzten ihnen die Mägde zu, bis sie endlich, mit glühender Haut und sauberen Haaren, den Waschweibern entkamen. Bis zum Dunkelwerden ließen sich die Buben nicht mehr blicken.
Während die Mägde die Kleider spülten und auswrangen, zum Bleichen in der Sonne ausbreiteten und später mit dem Rundholz glätteten, saßen die beiden Mädchen in warme Decken gehüllt auf den Stufen zum Palas in der Sonne, kauten Rosinen und Nüsse und schmiedeten Rachepläne gegen die Jungen.