Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 15

KAPITEL 4

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Auf Burg Zollern schritt der alte Graf Friedrich der Erlauchte, die Hände auf dem Rücken verschränkt, erregt auf und ab. Er murmelte etwas vor sich hin, das sich verdächtig nach Flüchen anhörte, warf immer wieder einen Blick auf das Schriftstück, das mit gebrochenem Siegel auf dem schweren Eichentisch lag, und setzte dann seinen Rundgang durch das Gemach fort. Auf einer Bank hinter dem Tisch saß der Beichtvater des Hauses, Vater Laurenz. Da er in leidlich gutem Latein lesen und schreiben konnte, musste er dem Grafen auch in weltlichen Dingen zur Hand gehen, vor allem, seit der junge Schreiber, den der Graf einige Jahre beschäftigt hatte, bei einem Überfall nahe beim Dreifürstenstein versehentlich seinen Kopf eingebüßt hatte. Missmutig saß der Kirchenmann da, den Rücken gerade, die knochigen Hände auf der polierten Tischplatte gefaltet. Der Kaplan der Burgkapelle war ein großer, knochiger Mann mit gelblicher Gesichtsfarbe und einer langen, dünnen Nase. Die Tonsur ließ nur einen schütteren, grauen Haarkranz übrig, der aussah, als hätten Mäuse in ihm genistet. Vater Laurenz war ein strenger Verfechter der Fastengebote, lehnte Fleisch aus tiefster Seele ab und betrachtete den Spott, den er darum ertragen musste, als eine der Prüfungen Gottes, die ihm auferlegt war, die Seligkeit zu erringen.

Nun saß er also in des Grafen Gemach, oben im Palas der Zollernburg, und wartete, dass die edlen Herren, nach denen der Graf gerufen hatte – der Truchsess von Bisingen und der Schenk von Zell-Andeck –, endlich eintreffen würden.

Die Tür wurde ungestüm aufgestoßen, und der jüngere der Grafensöhne stürmte herein. Auch er hieß Friedrich, wurde zur Unterscheidung aber meist der Merkenberger genannt, seit er mit Lütgard von Aichelberg und Merkenberg verlobt war.

»Was ist das, Vater«, rief der junge Graf ungestüm, griff nach der Urkunde und betrachtete sie von allen Seiten. Dass dabei das Pergament einriss, kümmerte ihn nicht. Vater Laurenz kniff vor Missbilligung den Mund zu einem schmalen Strich zusammen. Der junge Graf erkannte das silbern-rote Wappen Hohenbergs auf dem Schreiben.

»Vom alten Hohenberger also. Los, Vater Laurenz, sagt, was da geschrieben steht.« Mit diesen Worten knallte er das Pergament vor den Kaplan auf den Tisch, denn wie die meisten Adeligen konnte auch der Grafensohn weder lesen noch schreiben. Die Ankunft der erwarteten Herren, die gerade von der Falkenjagd zurückkehrten, enthob den Kaplan, zu antworten.

Der Graf begrüßte seine Vasallen und gebot ihnen, sich zu setzen. Er selbst blieb jedoch an dem schmalen Fenster stehen und sah hinaus auf das weite Land und seine, dem Burgberg zu Füßen liegende Stadt Hechingen, die im Abendlicht golden schimmerte.

Die Ritter und der junge Graf sahen den Kaplan erwartungsvoll an. Gemächlich ließ dieser seinen tintenbefleckten Zeigefinger über das Pergament gleiten und übersetzte den Inhalt aus dem Lateinischen.

»Graf Albert II. von Hohenberg schreibt, seine Erbansprüche auf den Endinger Hof seien unbestritten. Das Schreiben des Herrn Grafen von Zollern habe ihn erzürnt. Da der Streit nun schon so lange währet, habe er selbst in die Hand genommen, seine ihm zustehenden Güter wiederzuerlangen. Seinen Rittern habe er den Befehl erteilt, das Vieh des Hofes nach Haigerloch zu führen. Da sich die Bauern gewehrt haben, blieb den Rittern nichts anders übrig, als sie an den nächsten Bäumen aufzuknüpfen.«

Der Kaplan stockte kurz bei einem Tintenfleck und fasste dann den Rest zusammen. »Die Kinder haben sie zur Strafe erschlagen, die Frauen und Mädchen den Mannen von Haigerloch zugeführt. Graf Hohenberg wird das Land nun einem seiner Leute zu Lehen geben und droht mit einem Angriff auf Balingen, sollten sich zollerische Ritter dem Gut nähern. Gezeichnet und besiegelt, Albert von Hohenberg, Burkhard von Hohenberg, Ritter Volkhard von Ow und Ritter Hildebolt von Wehrstein.«

Einen Moment herrschte Stille, dann redeten alle durcheinander. Welch bodenlose Unverschämtheit, die Grafschaft Zollern so zu berauben! Felder, Vieh und Leute zu stehlen. Und dann auch noch so frech zu drohen!

»Und der Wehrsteiner, dieser verräterische Schuft, hat die Frechheit, so etwas zu bezeugen«, ereiferte sich der junge Merkenberger und schlug mit der Faust auf das unglückselige Schreiben. »Ist er hier nicht ein und aus gegangen? Hat er nicht manchen Zug mit uns gemacht? Und nun das!«

»Er hat sein Lehen nun von Hohenberg«, wandte der Vater müde ein. »Aber du hast Recht. Gefallen lassen können wir uns das nicht. Wir müssen dem Hohenberger auf diese Frechheit eine ihm gebührende Antwort geben.«

Kaum waren die Bewohner der Burg Wehrstein von der Morgenmesse zurück, begannen Mägde und Knechte im Hof die Tafel für die Hochzeit der beiden Eigenleute des Ritters zu richten. Vier Männer trugen die massive Holzplatte aus dem Saal und legten sie draußen wieder auf ihre drei Böcke. Den kleinen Tisch, an dem der Herr und seine Familie sitzen würden, stellten sie an der Stirnseite quer. An der Schmalseite gegenüber würde das Brautpaar Platz nehmen. Der Ritter hatte, trotz Stirnrunzeln seiner Gattin, einen Ochsen und ein Schwein schlachten lassen, im Ofen wölbten sich die Brote aus feinem Weizen- und Roggenmehl, in dem eisernen Kessel auf dem Herd köchelte eine dicke Suppe mit viel Gemüse und Fleisch, und Apfelmus kühlte in großen Tonschüsseln. Die süßen Mehlspeisen musste die Köchin vor kleinen Dieben und deren schmutzigen Fingern mit einem langen Holzlöffel verteidigen. Apollia wusch gesalzene Heringe aus dem Fass in frischem Wasser, eine Magd vom Wehrsteinhof hackte Kräuter und Speck, und der kleine Cum drehte den Fleischspieß mit den mächtigen Bratenstücken über dem Feuer im Hof. Zischend perlte das Fett in die Flammen, und wohl schon zum hundertsten Mal sah der Knabe hinauf in den Himmel, ob die Sonne nun endlich den Hügel erreicht habe, auf dass das Festmahl beginnen könnte.

Aus der Küche drang Gelächter. Dort, hinten an die Wand gerückt, dass er der Köchin nicht zu sehr im Weg stand, hatten die Mägde den Badezuber aufgestellt, in dem die Braut bis zu den Brüsten im warmen, duftenden Wasser saß. Die anderen trieben Scherze mit ihr, wuschen und kämmten Gret und warfen magische Kräuter und Blüten ins Wasser.

»Dass kein Jahr vergehe, ehe du einem gesunden Knaben das Leben schenkst«, wünschte Maria mit dem Klumpfuß und ließ eine Prise getrockneter Kräuter von geheimer Mischung ins Wasser rieseln.

»Gegen alle Hexen und Dämonen sollst du gefeit sein«, murmelte Trützum und warf etwas Salz ins Badewasser. Trotz ihrer dreißig Jahre hatte die Magd bisher nur drei tote Kinder zur Welt gebracht.

»Dass seine Männlichkeit nur bei dir erstehe und bei jedem anderen Weib schlaff verdorre«, wünschte die dicke Melkerin vom Hof und erntete damit, zumindest von den Umstehenden, fröhliches Gekicher.

Inzwischen kehrten die Knechte aus dem Tal zurück. Auch der Bräutigam war seinem Hochzeitsbad nicht entkommen. Mit viel Gejohle hatten die Burschen dem kräftigen Schmied die Kleider vom Leib gerissen, ihn in die träge fließenden Fluten des Neckars geworfen und kräftig untergetunkt. Dann rückten sie ihm mit biegsamen Ruten zu Leibe, jagten ihn durch das lichte Wäldchen und zogen ihm die jungen Zweige über den Leib, bis die Haut glühte. In ein annähernd frisches Hemd und einen kaum zwei Jahre alten Rock gehüllt, wartete er nun auf seine Braut.

Es dämmerte bereits. Rund um die Tafel wurden die in den Boden gesteckten Fackeln entzündet. Da endlich führten die Mägde die junge Braut heran. Sie sangen und klatschten in die Hände, schritten langsam vor ihr her und traten erst im letzten Moment auseinander, um den Blick auf die Braut freizugeben. Anmutig schritt Gret in ihrem feinen Gewand heran, das lange, offene Haar hüllte sie wie ein Mantel ein. Stolz trug sie den Blütenkranz auf ihrem Haupt. Die Blicke der Vasallen und Eigenleute wanderten zwischen der Braut und Tilia hin und her. Es war, als hätte Gott in einer Laune dasselbe Mädchen zweimal erschaffen.

Rüdgers Atem beschleunigte sich, als er seine Braut auf sich zukommen sah. Unwillkürlich griff er sich in den Schritt, was den anderen nicht verborgen blieb und eine Lachsalve auslöste. Der Pfarrer aus Fischingen schwankte heran. Das kleine Männchen hatte schon Stunden im großen Saal zugebracht und dem Wein des Hausherrn kräftig zugesprochen, daher war seine Aussprache ein wenig undeutlich. Einige Sätze der Zeremonie fielen ihm im Moment nicht ein, so übersprang er diese Teile einfach. Auch sonst war sein Latein grauenhaft, was außer der Edelfrau aber keinem auffiel. Hastig legte der Gottesdiener seine schweißnassen Hände auf die Köpfe der vor ihm Knienden, segnete sie und torkelte dann zu seinem Platz zurück. Zufrieden griff der Pfarrer nach dem Lederbeutel an seinem Gürtel, in dem die Münzen des Stolgeldes klingelten, dann stürzte er den nächsten Becher süßen Weins hinunter. Rüdger sah sich fragend in der Runde um, dann griff er nach dem Brautkranz und warf ihn in die Höhe, der Lautenspieler aus Fischingen schlug die Saiten an, und endlich, endlich durfte nach Herzenslust geschmaust und getrunken werden.

Der Mond stand schon hoch am Himmel, als sich Hildebolt von Wehrstein erhob. Die linke Hand am Schwertknauf, in der Rechten den gefüllten Becher, wartete er, dass Ruhe einkehrte. Die, die noch nüchtern genug waren, das zu bemerken, stießen ihre Tischnachbarn in die Seite. Die Blicke aller Anwesenden richteten sich auf den Herrn. Normalerweise würde er jetzt von seinem Recht Gebrauch machen und die Braut zu seinem Lager führen. Sibylla von Wehrstein saß mit zusammengepressten Lippen da. Anna und Tilia blickten erwartungsvoll zu ihrem Vater hoch, doch dieser sah nur über die Tafel hinweg in Grets blaue Augen. Sie hielt seinem Blick stand. Lange, viel zu lange. Die Ritter und Knechte scharrten nervös mit den Füßen.

»Er kann es nicht tun«, flüsterte die Köchin ihrem Gatten zu. »Das wäre wider die Natur und eine Sünde.«

Ihr Gatte, einer der Wächter, zuckte die Schultern. »Er wird das Recht einem seiner Ritter abtreten – leider.«

Für das leider erntete er einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein, denn die dicke Köchin mit ihrem Triefauge hatte wohl verstanden, was er damit sagen wollte.

Endlich begann Hildebolt von Wehrstein zu sprechen. Er erhob den Becher auf das Brautpaar, wünschte Gret und Rüdger gesunde Kinder und schenkte dem Bräutigam das Recht der Brautnacht.

Die Ritter und Edelknechte sahen sich ungläubig an. So manch einer fühlte sich betrogen, hatte gehofft, die zarte Jungfrau, die gerade einmal vierzehn Lenze gesehen hatte, selbst nehmen zu dürfen. Welch Verschwendung für einen Unfreien!

Rüdger bedankte sich linkisch bei seinem Herrn, stand verlegen da und wusste nicht so recht, was er jetzt tun sollte, doch das andere Gesinde half ihm rasch auf die Sprünge. Singend und zotige Scherze treibend, drängten sie die frisch Vermählten zur Scheune hinüber, richteten ihnen im Heu ein Lager und gaben kluge Ratschläge. Die Melkerin brachte ein Linnen, das Küchenmädchen Apollia streute Blüten auf das Brautbett. Feixend standen sie alle herum, Mägde, Knechte und Ritter, und sahen neugierig zu, wie die Frauen das Hochzeitskleid aufschnürten. Auch der Rock des Schmieds fiel ins Heu, und die Vermählten rutschten, nur im Hemd gekleidet, unter das Linnen. Noch ein paar Scherze und aufmunternde Worte, dann machte die Versammlung kehrt, um sich wieder Braten, Fisch und Wein und dem Tanz zu widmen. Knarrend schloss sich die Scheunentür und ließ die Eheleute im Dunkeln zurück.

Draußen wurden die Weisen des Spielmannes schneller. Wer die Hände frei hatte, klatschte mit. Schon bildeten sich die ersten Paare, die sich erst langsam und dann immer wilder über den Platz drehten. Die Burschen sprangen in die Höhe und wirbelten ihre Partnerin herum. Hoch flogen die Mädchen, höher noch die Röcke und enthüllten weiße, fleischige Waden. Dass so manche Tänzerin beim wilden Reigen von ihrem Partner zu Boden gerissen wurde, gehörte mit zum Spiel. Je höher die Röcke rutschten, desto lauter der Applaus. Da konnte sich schon mal eine Hand auf weiche Hinterbacken verirren.

Sibylla sah dem Treiben eine Weile zu, dann scheuchte sie ihre Töchter und das Fräulein von Neueck zu Bett. Sie wusste wohl, dass die Feier nun derbe Züge annehmen würde. Mühsam schleppte sie ihren hochschwangeren Leib die schmale Stiege hinauf. Müde ließ sie sich auf ihr Lager sinken. Ihre beiden Töchter schliefen, seit der Ritter das Dach des Palas hatte reparieren lassen, in einem kleinen Nebenraum. Das Fräulein von Neueck machte es sich auf einer schmalen Pritsche am Fußende des Bettes ihrer Herrin bequem. Der Herr schlief wieder im Saal. Seit der Bauch der Gattin sich wölbte, hatte er sie nicht mehr angerührt.

Tilia kuschelte sich an Annas Rücken und zog sich die Wolldecke enger um den Leib. Gedämpft drangen der Klang der Laute und das Lachen des Gesindes zu ihr herauf. Gern wäre sie aus dem Bett geschlüpft und hätte sich unter die Tanzenden gemischt, doch sicher war der Vater noch unten im Hof. Sie träumte davon, wie Wolfram sie zum Tanz führen, seine Hände um ihre Taille legen und sie hoch in die Luft wirbeln würde. Dann dachte sie an Gret. Wie es ihr jetzt wohl gerade erging? Der Gedanke an das Brautbett mit einem grobschlächtigen Schmied unter demselben Linnen trieb Tilia die Schamesröte ins Gesicht. Als Nonne würde ihr zumindest das erspart bleiben, dachte sie schlaftrunken. Schon fast entschlummert, fühlte sie, wie Anna aus dem Bett glitt.

»Was ist denn los?«, murmelte Tilia, schon halb im Land der Träume.

»Ich muss noch mal. War doch zu viel Wein«, flüsterte die Schwester. Gähnend rollte sich die Jüngere auf die andere Seite und schlief ein. Hätte Tilia dem Wein weniger zugesprochen und wäre sie noch etwas wacher gewesen, dann hätte sie sich sicher gefragt, warum Anna nicht die Schüssel vor dem Bett benutzen wollte. Doch so merkte sie nicht, dass die Zeit verstrich und die Schwester nicht zurückkehrte.

Unter dem Linnen im duftenden Heu lag Gret, die Hände zu Fäusten geballt, die Augen fest zugekniffen, obwohl es in der Scheune stockfinster war. Sie roch den Atem des Gatten. Der gierig küssende Mund verströmte den Dunst von Wein und den Geruch fauliger Zähne. Große Hände zerrten ihr Hemd nach oben. Sein schwerer Körper schob sich auf den ihren. Sie spürte sein hartes Geschlecht in ihren Bauch drücken.

»Nun kneif doch die Beine nicht so zusammen«, keuchte er wild. »Du musst sie breit machen, Gret«, wies er seine Braut an, bohrte seine Knie zwischen die ihren und schob sie weit auseinander. Mit einem Stöhnen aus Lust und Gier stieß er tief in sie. Gret biss sich auf die Lippen. Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht zu schreien. Den Spaß wollte sie den Lauschern vor dem Tor nicht gönnen. Gret konzentrierte sich auf die Lautenklänge und das Gelächter draußen und war so ein wenig von den wilden Stößen abgelenkt, die sie in das Heu drückten und ihr fast den Atem nahmen. Dann zuckte er und stöhnte tief auf. Erleichtert seufzend rollte er sich von ihr herunter.

»Bist schon ein Prachtweib«, munterte er seine Braut auf und tätschelte ihre Brüste. Vom Wein, der Feier und dem Brautgemach erschöpft, drehte sich Gret auf die Seite und versuchte, das Brennen und das klebrige Gefühl in ihrem Schoß zu vergessen. Langsam senkte sich der Schlaf herab, doch plötzlich riss Rüdger sie aus dem Schlummer.

»Ich kann jetzt wieder. Ich bin immer noch heiß wie ein feuriger Hengst, und so will ich dich jetzt auch nehmen. Los knie dich hin. Stell dich doch nicht so an!«

Er stieß zu, keuchte wie ein wildes Tier. In ihrem Geist stieg das Bild eines wilden Dämons auf, gehörnt mit einer Teufelsfratze. Es konnte kein menschliches Wesen sein, das sich so über seine Braut hermachte und diese tierischen Laute ausstieß.

Endlich ließ er sie los und fiel heftig atmend ins Heu. Gret rückte ein wenig von ihm ab, doch er zog sie an sich, presste sich an ihren Rücken und verschränkte seine Arme vor ihrer Brust. Sie hatte das Gefühl, in Ketten gelegt zu werden. Hinter ihr schnarchte Rüdger, berauscht vom Wein und der Vereinigung, doch Gret war nun hellwach, und so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte nicht verhindern, dass sich ein paar Tränen in ihre Augen stahlen.

Unterdessen streifte Hildebolt von Wehrstein ziellos durch die Nacht. Als sich sein Weib und seine Töchter in den Palas zurückzogen, holte der Herr seinen braven Wallach aus dem Stall, führte ihn hoch auf die Ebene und sprengte dann im Mondlicht davon. Der Wein war ihm bereits zu Kopf gestiegen, doch es lockte ihn nicht, ihn weiter durch die Kehle rinnen zu lassen, wie so manches andere Mal, bis er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, einfach in sich zusammensackte und dann wie ein Toter schlief, nur um am Morgen mit einem grässlichen Brummschädel und dem Geschmack nach Erbrochenem im Mund wieder aufzuwachen. Sollten seine Vasallen und Eigenleute heute Nacht allein den guten Traubensaft verschwenden. Er spürte lieber den warmen Leib des Pferdes zwischen seinen Schenkeln und ließ den kühlen Nachtwind den Weindunst aus seinem Kopf blasen.

Lange Zeit ritt er so dahin. Ein nicht ungefährliches Unterfangen, waren doch zu dieser Zeit Strauchdiebe und allerlei Gesindel unterwegs, die in einer rauen Horde auch einem erfahrenen Ritter gefährlich werden konnten. Daher achtete er wohl auf seinen Weg, lauschte ab und zu in die Dunkelheit und vermied dichtes Unterholz, in dem man allzu leicht in einen Hinterhalt geraten konnte.

Was der edle Ritter nicht hören konnte, war das Geschrei, das sich einige Zeit nach seinem Aufbruch auf der Burg erhob. Bei der Herrin hatten die Wehen eingesetzt. Kaum einer auf Wehrstein war noch nüchtern genug, eine Hilfe zu sein, und so musste Tilia, nur im Hemd bekleidet, in der Küche selbst nach heißem Wasser sehen, während das Fräulein von Neueck nervös in der Kemenate auf und ab ging. Mit viel kaltem Wasser schaffte Tilia es, die Köchin wach zu bekommen und auch so weit zu ernüchtern, dass sie sinnvolle Ratschläge erteilen konnte. Noch ein wenig schwankend, eilte das dralle Weib zur Jauchegrube, übergab sich, entledigte sich ihrer Notdurft und war dann so weit klar im Kopf und sicher auf den Beinen, dass sie mit Tilia das Wasser hochtragen und nach der Gebärenden sehen konnte. Geschäftig krempelte sie die Ärmel hoch. Nach der Hebamme zu schicken, dazu war es längst zu spät, das sah sie auf den ersten Blick. Annas Abwesenheit fiel in diesem Trubel niemandem auf.

Hildebolt von Wehrstein bekam von all der Aufregung nichts mit. Der Mond stand schon tief, als er zur Burg zurückritt. Er ließ den Wallach im Schritt gehen, lauschte dem Hufschlag, dem Säuseln des Windes und dem heiseren Schrei eines Käuzchens. Er hatte den mit einem Erdwall und Dornenreisig umgebenen Wehrsteiner Hof hinter sich gelassen und passierte gerade das schmale Buchenwäldchen, als er meinte, im Rauschen der Nacht ein unterdrücktes Frauenlachen zu hören. Der Ritter zügelte sein Pferd und lauschte in die Dunkelheit. Ein Flüstern und Tuscheln, ein Raunen zwischen Liebenden, ein Seufzen, halb erstickt. Seine Augen durchdrangen suchend das Unterholz, irrten hin und her und blieben dann an hellem, zartem Stoff unter den tiefen Zweigen hängen. Es war sonst nicht des Ritters Art, seine Männer beim Liebesspiel zu stören, doch etwas trieb ihn näher zu dem verborgenen Platz. Der Mond, der sich hinter dünnen Wolken versteckt hatte, trat nun stolz und rein an den samtenen Himmel, erhellte das weiche Nest und die Umschlungenen. Der Ritter erkannte Wolfram von Husen und wollte sich gerade wieder zurückziehen, als es ihn wie ein Blitz durchfuhr.

»Anna!«, brüllte er und zog sein Schwert.

Die Liebenden sprangen auf. Das Mädchen stieß einen spitzen Schrei aus und versuchte hastig, ihre Blöße zu bedecken. Da traf sie des Vaters Schuh im Genick. Mit einem Stöhnen fiel sie auf die Knie und senkte das Haupt. Der Wehrsteiner schwang sich vom Pferd und legte dem Mädchen die kalte Klinge auf den Nacken. Anna zitterte vor Angst, der Vater vor Wut.

»So beschmutzt du die Ehre des Hauses Wehrstein. Bist du eine Edelfreie oder eine leibeigene Hure, dass du dich hier in nackter Gier herumwälzt wie eine geile Sau, die sich vom Eber bespringen lässt?«

»Vater, ich bitte Euch«, schluchzte sie in Todesangst. »Ich liebe ihn von Herzen und will ihn auch gern zum Gemahl nehmen. Nur deshalb habe ich seinem Drängen nachgegeben.«

»Lenke nicht von deiner Schuld ab! Das Weib ist die Schlange, die mit ihrer verderblichen Fleischeslust aufrichtigen Männern die Sinne raubt. Sagt das der Pfaffe nicht immer wieder?«

Wolfram von Husen, nach außen ruhig und gefasst, schlüpfte in sein Hemd, zog rasch den Rock über den Kopf und gürtete sein Schwert. Dann beugte er das Knie vor seinem Lehensherrn.

»Euer Vasall, Herr, wie ich es geschworen habe. Ich habe gefehlt, und Ihr dürft mich strafen. Hebt nicht das Schwert gegen das Weib.«

Der Wehrsteiner knurrte grimmig, ließ jedoch die Klinge sinken. Zögernd erhob sich das Mädchen.

»Ich hatte nicht vor, Euch ungestraft zu lassen«, fauchte der Edelfreie. »Ihr seid ein Ritter, daher kann ich Euch nicht wie einem Hund den Kopf abschlagen. Doch ich kann Fehde gegen das Haus von Husen ausrufen, Eure Frauen und Mädchen zu Tode schänden und Eure Söhne in Stücke hacken. Euer Haus soll auf ewig geschleift werden. Die Erde soll Euer Blut trinken.«

Der Ritter von Husen hob beschwichtigend die Hand. »Ich verstehe Euren Grimm, doch entzweit nicht unsere Häuser und lasst meines Bruders Kinder nicht das büßen, was ich Euch angetan.«

»Vater, ich bitte Euch, gebt uns Euren Segen«, wagte Anna einzuwerfen.

»Ich soll zulassen, dass du so einen heiratest? Einen Mann von niederem Adel, der nichts hat, um für eine Familie zu sorgen? Eher kommst du ins Kloster, oder ich richte dich mit meinem eigenen Schwert!«

Das Mädchen heulte auf.

»Spar dir die Tränen«, drohte der Vater, »du wirst später noch Grund genug bekommen, ein ganzes Meer davon zu vergießen.«

Mit diesen Worten schlug er ihr die behandschuhte Faust ins Gesicht. Stöhnend sank sie in die Knie und presste ihre Hände auf die geplatzte Lippe. Blut sickerte zwischen ihren Fingern hindurch. Der Vater zog sie an den Haaren hoch, zerrte sie zu seinem Pferd, warf das Mädchen bäuchlings über den Rücken des Tieres und schwang sich dann selbst in den Sattel.

»Wir werden die Sache morgen mit dem Schwert aus der Welt schaffen«, rief er dem Ritter von Husen noch zu, ehe er der Burg zusprengte.

Noch Jahre später dachte Tilia mit Schaudern an diese Nacht zurück. Die Mutter stöhnte und litt, denn das Kind lag verkehrt und wollte nicht kommen. Der Vater schlug Anna, als wolle er sie totprügeln. Er tobte wie ein Rasender. Anna heulte, rief um Hilfe und bettelte um Gnade, doch niemand wagte einzugreifen.

Als die aufgehende Sonne diese furchtbare Nacht beendete, schien sie auf eine erschöpfte Mutter und ihre dritte Tochter, auf eine junge Frau, deren Körper Blutergüsse und wunde Striemen bedeckten, auf ein Mädchen, das sanft die Wunden der Schwester mit Kräuterwein betupfte, und auf zwei Männer, die sich mit grimmiger Miene auf dem Hof entgegentraten.

Mit dröhnendem Schädel und rumorendem Magen saßen die Weiber und Mannen des Ritters am Rand und sahen dem Kampf schweigend zu. Beide Männer waren erfahrene Kämpfer. Der Burgherr brachte gut eine Dekade mehr an Erfahrung mit, sein Vasall dafür die Manneskraft der besten Jahre und ein überschäumendes Temperament.

»Wenn Ihr mich niederstreckt, dann könnt Ihr sie haben«, knurrte der Wehrsteiner und zog das Schwert. »Wenn ich Euch töte, kommt sie ins Kloster.«

Wolfram von Husen nickte, zog ebenfalls sein Schwert und hob den Schild.

Die klirrenden Schläge der Schwerter und das dumpfe Schallen der Schilde übertönten den morgendlichen Gesang der Vögel. Bald kam noch rascher Atem und manch spitzer Schrei hinzu. Blut tropfte auf die festgestampfte Erde. Es war das Blut des Edelfreien, verletzt durch zwei Schwertstreiche. Der erste hatte ihm den linken Oberarm aufgeschnitten, der zweite das rechte Ohr vom Kopf getrennt, doch er kämpfte weiter, hart und verbissen.

Tilia stand in der Tür zum Palas. Sie wollte nicht hinsehen, doch sie konnte den Blick auch nicht abwenden. Für wen sollte sie beten? Für ihren Vater, der in seiner Wut Anna in der Nacht fast erschlagen hatte, oder für den Ritter, den heiß verehrten, der, welch unglaublicher Verrat, der Schwester die Unschuld geraubt hatte. Tilia zürnte ihm, fühlte den Schmerz der Enttäuschung und nagende Eifersucht in ihrem Herzen, und konnte sich dennoch seinen Tod nicht wünschen.

Am Ende siegte Erfahrung über jungen Heldenmut. Tief fuhr das Schwert dem Vasallen in die Eingeweide. Kein Schrei entwich seinen Lippen. Er riss nur erstaunt die Augen auf. Mit einem Ruck zog der Wehrsteiner das Schwert wieder aus der Wunde, wischte es im Gras ab und steckte es dann zurück in die Scheide. Kalt betrachtete er den aufgeschlitzten Bauch des am Boden Liegenden.

»Ihr werdet noch eine Weile leben. Lange genug, um Euren Frieden mit Gott zu machen, und lange genug, um die höllischen Schmerzen zu verfluchen.«

Damit wandte er sich ab, ging zum Palas und betrank sich, bis er ohnmächtig in die Binsen sank. Er merkte nicht, dass Tilia seine Wunden auswusch und mit sauberem Linnen verband.

Die Männer trugen Wolfram in den Saal und betteten ihn vor den Kamin. Der Priester war inzwischen aus seinem Rausch erwacht und nahm nun missmutig dem schwer Verwundeten die Beichte ab. Er erteilte ihm auch gleich die Letzte Ölung, denn es war nicht abzusehen, wann der Ritter den letzten Atemzug tun würde, und der Priester hatte keine Lust, kaum zu Hause, den Weg zur Burg gleich wieder zurücklegen zu müssen. Immerhin hatte er an nur zwei Tagen das Geld für eine Hochzeit und eine Letzte Ölung einstreichen können. Außerdem würde die Beerdigung des Ritters noch eine Stol einbringen, rechnete sich der Pfarrer aus, als er den steilen Pfad nach Fischingen hinunterschlurfte. Das Klingen der Münzen in seinem Beutel ließ ihn seinen schweren Brummschädel für einen Augenblick vergessen.

Der Tod ließ sich Zeit. Tilia und Gret kümmerten sich um den Sterbenden, doch sie konnten nicht viel für ihn tun, außer seine Wunden ab und zu frisch verbinden und ihn in einem Zustand ständiger Trunkenheit zu halten. Am zweiten Tag stellte sich Wundbrand ein. Die Frauen hörten auf, die stinkenden Leinen zu wechseln, zu schnell waren sie wieder bräunlich gelb verklebt. Anna kam nicht herunter, um nach ihm zu sehen. Sie fieberte. Ihre Wunden nässten.

Am dritten Tag starb der Ritter. Seines Bruders Sohn war gerade auf der Jagd, die Mägde und Knechte auf den Feldern, die Köchin an ihrem Kessel in der Küche. So war es Tilia, die ihm die Augen zudrückte, Tränen um den Freund vergoss und die Heilige Jungfrau anflehte, ihn in den Himmel zu geleiten.

Annas Wunden heilten mit der Zeit. Der einst makellose Rücken wurde nun von hässlichen Narben gekreuzt, doch es gab niemanden mehr, der es sehen würde. Noch in derselben Woche schloss sich die Klosterpforte der Augustinerinnen für immer hinter ihr.

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