Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 23

KAPITEL 12

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Regen tropfte aus den grauen, dichten Wolken und verwandelte Wege und Straßen in glitschigen Morast. Das Wasser lief von den Dächern, sammelte sich in den steilen Gassen und spülte manch stinkenden Abfall zur Eyach hinunter. Der Fluss verwandelte sich in eine braune, aufgewühlte Brühe, die ihre unliebsame Fracht dem Neckar entgegentrug.

Es war schon weit nach Mittag, als Graf Albert den kleinen Tross aus Wehrstein endlich ziehen ließ. Noch in der Nacht hatte der Wächter Walger eine unangenehme Befragung über sich ergehen lassen müssen, und danach sah der Graf keinen Grund mehr, die kleine Reisegesellschaft festzuhalten.

Die Bürger von Haigerloch, aber auch manche der Burgmannen, versammelten sich trotz Regen im Kirchhof vor St. Nikolaus, um den Gefallenen die letzte Ehre zu erweisen. In weiße Leilachen gewickelt, lagen die Toten aufgereiht vor den frischen Gräbern im saftig grünen Gras des Frühlings. Die trauernden Frauen hatten sich mit Schleiertüchern verhüllt, knieten bei ihren toten Vätern, Brüdern, Gatten und Söhnen und stimmten ihre Wehklagen an. Die Chorknaben, ordentlich in saubere Gewänder gehüllt, sandten ihre hellen Stimmen zu dem Erlöser, auf dass er die Seelen der in aller Ehre Gefallenen bei sich aufnehme. Längst rann ihnen das Wasser über Haare und Hals in die Kragen, längst waren die Gewänder durchweicht. Immer wieder tauchte der Pfarrer den Wedel in das Weihwassergefäß und bespritzte die Linnen. Der lateinische Singsang seiner tiefen Stimme mischte sich tröstlich unter das Weinen und Klagen.

Schweigend führte Heinrich von Husen die Wehrsteiner Frauen zum unteren Tor hinaus, in dessen Turmverlies er eine schauderhafte Nacht hatte verbringen müssen. Sie folgten ein Stück der Schweizer Straße, die über Balingen und Winterlingen, dann bei Laiz über die Donau führte.

Langsam ritt die kleine Gruppe nach Süden das Eyachtal hinauf. Heinrich von Husen litt sichtlich unter Schmerzen, obwohl sie die Pferde nur im Schritt gehen ließen. Er hielt sich kerzengerade im Sattel. Sein Kettenhemd, das unerträglich an den Wunden rieb, hatte er in sein Bündel geschnallt. Den warmen Mantel eng um sich gewickelt, ritt er nun dem Trupp voran, die Zähne fest zusammengebissen, denn jedes Mal, wenn einer der Hufe des Pferdes den Boden berührte, lief eine Welle der Pein durch seinen Körper.

Auch die anderen waren nicht zum Plaudern aufgelegt. Unaufhörlich rauschte der Regen herab und hatte schnell die Umhänge durchnässt. Kalt und klamm klebten Hemd und Rock am Körper. Wimmernd drückten sich die Mädchen in ihre Umhänge. Doch nicht nur das Wetter sorgte für gedrückte Stimmung. Gret schwieg seit dem Streit eisern, und Tilia haderte mit sich, ob sie im Recht sei oder sich entschuldigen müsste. Die Mutter würde sicher sagen, dass eine Ritterstochter einer Unfreien gegenüber nicht fehlen könne, und dennoch fühlte Tilia sich im Unrecht und litt unter der schweigenden Kälte, die Gret umgab. Deshalb war ihre Reaktion auch ungewohnt heftig, als Dorothea vor ihr im Sattel zu quengeln begann und unwillig hin und her rutschte.

Rüdger trottete in einigem Abstand hinterher. Er wusste nicht so genau, was eigentlich geschehen war, und er hatte auch keine Lust, darüber nachzugrübeln. Sein Kopf war von zwei durchzechten Nächten schwer. Das Gebräu, das sie Bier nannten, war gut und süffig, der Geschmack am anderen Tag im Mund aber schal. Missmutig blinzelte er. Trotz der tief hängenden Wolken kam ihm der Tag unerhört grell vor.

Bei Stetten weitete sich das enge Tal. Die steilen, grauen Felswände wurden von anmutigen Hügeln abgelöst, die das breite Tal begrenzten. Ein Schäfer zog mit seiner Herde vorbei, beugte höflich den Kopf mit dem breitkrempigen Hut. Die Hunde kläfften den Reitern nach. In Owingen machten sie Rast, bevor sie die Südroute im Tal verließen.

Tilia wäre gern weitergeritten. Sie konnte es kaum erwarten, zollerischen Boden unter den Füßen zu haben. Auch war der Tag schon weit fortgeschritten, und sie hatte keine Lust, im Wald oder auf den kahlen Feldern eine Nacht zu verbringen. Ungeduldig wartete sie, bis die Kinder ihre Notdurft verrichtet und einen Becher Molke getrunken hatten. Sie strahlten über ihre Pausbäckchen, als der Meier jedem von ihnen einen schrumpeligen Apfel in die Hand drückte. Nur unwillig ließen sie sich wieder in den Regen hinaustragen. Besorgt runzelte Tilia die Stirn, als Heinrich Wein verlangte. Drei Becher stürzte er hinunter, stand dann schwer atmend bei seinem Ross und hatte sichtlich Mühe, wieder in den Sattel zu kommen.

Heinrich von Husen führte seine Schützlinge durch dichten Laubwald, über einen kaum erkennbaren Pfad aus dem Tal. Der Weg war schlüpfrig, und nicht nur einmal glitt eines der Tiere aus. Es ging mal rauf, mal runter, zwischen dunklen Tannen und zartgrünen Eichen und Buchen hindurch. Als der Wald sich endlich lichtete, lag ihr Ziel klar vor ihnen. Auch der Regen ließ nun nach. Mit einem Seufzer betrachtete Tilia den vor ihnen aufragenden Berg, der wie ein Wächter der düster bewaldeten Kante der Alb vorstand. Die dunklen Wolken rissen auf, und ein Sonnenstrahl huschte über das triefende Land. Die Feste strahlte wie von purem Gold. Am liebsten hätte Tilia ihrem Pferd die Fersen in die Flanken getreten und es den Weg hinaufgejagt, doch die Mädchen jammerten vor Hunger und Kälte, so dass Tilia ihr Pferd zu einem Gehöft in Wessingen, am Fuße des Zollernberges, lenkte.

Heinrich von Husen war beängstigend blass geworden. Kaum stand sein Pferd, rutschte er aus dem Sattel. An Ort und Stelle setzte er sich in den Schlamm und schloss die Augen. Tilia sah zu der sich rötlich färbenden Sonne hinauf, die sich anschickte, wieder hinter den düsteren Wolken zu verschwinden. Sie fühlte sich plötzlich allein und hilflos. Wie sollten sie den Weg auf den Berg hinauf heute noch bewältigen? Gret berührte sie leicht am Arm.

»Ich glaube nicht, dass er es heute noch schafft.« Sie nickte in die Richtung des jungen Edlen.

»Aber wir können doch nicht hierbleiben.« Verzweifelt drehte Tilia sich um ihre Achse und ließ den Blick über das ärmliche Anwesen wandern.

Gret zuckte die Schultern. »Uns wird gar nichts anderes übrig bleiben. Oder willst du in der Dunkelheit zur Burg hochreiten?«

»Nein, natürlich nicht«, entgegnete Tilia ungeduldig. Nach den Erlebnissen der letzten drei Tage fühlte sie sich völlig verunsichert. Sie kniete sich zu Heinrich auf den Boden und berührte seinen Arm.

»Wie ist Euch? Was können wir für Euch tun?«

Langsam öffnete er die Augen. »Ach, Jungfrau Tilia, was würde Euer Vater sagen. Er hat mir seine Töchter anvertraut, und ich habe versagt.« Tränen glänzten in seinen Augen.

Beruhigend drückte sie seine Hand. »Er wird es ja nicht erfahren. Wir bleiben die Nacht über hier und reiten morgen zur Burg hinauf.«

»Hier auf diesem armseligen Misthaufen?« Er wollte aufspringen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht. Erst als Tilia Rüdger heranrief, konnte er sich mit dessen Hilfe erheben.

Die Bauersleute, Unfreie des Zollerngrafen, standen schweigend ein Stück abseits und beobachteten die Fremden misstrauisch. Bisher hatten sie Glück gehabt und ihr Hof war nicht zwischen die Mühlsteine der sich streitenden Grafen geraten, doch man hörte sonntags nach der Messe immer wieder schreckliche Dinge von nahen und fernen Nachbarn, deren Häuser und Scheunen in Flammen aufgegangen waren, deren Vieh geschlachtet oder weggetrieben, deren Frauen geschändet und Kinder von den Schwertern der Ritter wie Halme gefällt worden waren.

Dieser Ritter hier sah nicht gefährlich aus, konnte er doch kaum im Sattel sitzen, außerdem waren zwei Kinder und Frauen dabei. Aber man musste vorsichtig sein. Der Dreschflegel und ein alter Spieß lehnten griffbereit an der Hauswand. Nervös knetete der Bauer den rauen Stoff seines schmutzigen Kittels und ließ die Fremden nicht aus den Augen. Die Bäuerin, die er als sein Weib betrachtete, mit der er aber nicht so richtig verheiratet war, stand etwas hinter ihm, das jüngste Kind in den Armen. Unter ihrem kaum knöchellangen Rock aus ungebleichter Wolle wölbte sich der Leib mit einem neuen Spross des Bauern. Zwei halb nackte, magere Bürschchen krallten sich in ihr Gewand und suchten hinter der Mutter Deckung, konnten es sich jedoch nicht verkneifen, mit weit aufgerissenen Augen hervorzulugen, um die Fremden zu beobachten.

Tilia zögerte noch, doch da mit Heinrichs Hilfe nicht so schnell zu rechnen war, raffte sie Rock und Mantel und schritt auf die Bauersleute zu, eifrig darauf bedacht, nicht in große Pfützen oder frischen Kuhdung zu treten.

»Gute Leute, der Ritter von Husen, der uns zu Graf Friedrich bringen soll, ist verletzt und bedarf eines Lagers. Wir möchten daher die Nacht hier verbringen.«

Der Bauer musterte das Fräulein von oben bis unten. Es gefiel ihm nicht, dass ein Weib das Wort ergriff, doch der Kleidung nach schien die Jungfrau vor ihm edelfrei zu sein. Dennoch brummte er:

»Und wer seid Ihr?«

»Tilia von Wehrstein«, stellte sie sich vor, obwohl das Misstrauen im Gesicht des Unfreien sie ärgerte.

»Aha, von Wehrstein«, murmelte er. Der Name war ihm nicht bekannt, doch er wusste, dass er es sich als Unfreier nicht leisten konnte, eine Rittersfamilie zu verärgern.

»Ihr könnt im Haus schlafen. Das Weib und die Kinder bleiben heute Nacht in der Scheune.«

Er nickte zu einem windschiefen Verschlag hinüber, in dem nicht nur die beiden Kühe den Winter verbrachten. Stroh, Heu und allerlei Gerätschaften stapelten sich unter dem fauligen Strohdach. Auch das Haus zeigte deutlich, dass sein Ende nahte. Die angefaulten Pfosten waren notdürftig abgestützt, die bröckeligen Lehmwände mehrmals geflickt, das Dach hing schon bedenklich durch. Noch in diesem oder im nächsten Sommer würde der Bauer mit seinen Nachbarn auf der anderen Seite des Hofes drei Fuß tiefe Löcher in den schweren Lehmboden graben müssen, um den Pfosten für das neue Haus, die Dach und Wände tragen mussten, Halt zu geben. Die Frauen würden Ruten flechten, Lehm, Mist und Stroh in einer flachen Grube stampfen und die Flechtwände damit abdichten. Doch erst musste der Graf den Holzhau in seinen Wäldern genehmigen.

Schweigend führte die Bauersfrau Tilia ins Haus. Die Wehrsteintochter fühlte den gestampften Lehmboden unter ihren Füßen. Nach ein paar Schritten stieß sie mit dem Schienbein schmerzhaft an einen Schemel. Ein Stöhnen unterdrückend, blieb sie stehen, damit sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Das Feuer glomm nur matt, und auch durch den verhängten Fensterschlitz drang kaum Licht ins Innere. Die abgestandene, rauchige Luft reizte ihre Augen. Sie blinzelte heftig. Langsam nahm der Raum um sie Konturen an. Hinten an der Wand war die offene Feuerstelle auf einem niedrig gemauerten Sockel. Ein schwarz verkrusteter Kessel hing an einem Dreibein darüber. Auf einem schmalen Wandbord standen einige Tonschüsseln und -becher. Der Rauch quoll ungehindert auf, verteilte sich im Raum, stieg in das offene Dach, an dessen Rofen die beiden letzten geräucherten Speckseiten des Winters und ein paar Fische hingen, und suchte sich dann seinen Weg durch die Ritzen des Strohs ins Freie.

Auf der linken Seite war ein Teil des Hauses durch eine kniehohe Flechtwand abgetrennt. Auf einer dünnen Lage Stroh, mit reichlich Mist vermengt, tummelten sich zwei magere Hühner und eine Ziege. Der stechende Geruch von Schweinemist hing in der Luft.

»Wir haben letzten Sommer zwei Schweine gemästet«, brach die Frau ihr Schweigen. »Zu Dreikönig hatten wir einen fetten Schweinenacken«, berichtete sie stolz. »Vielleicht können wir in diesem Jahr sogar drei Ferkel bekommen.« Sie klopfte auf ihren Bauch. »Es werden halt auch mehr Esser im Winter sein.«

Dann fiel sie wieder in ihr Schweigen zurück, als habe sie bereits zu viel gesagt.

Tilia löste ihren Blick von dem stinkenden Pferch. Die Flechtwand auf der anderen Seite des Raumes reichte Tilia bis zur Nasenspitze. Dahinter war das nächtliche Lager der Familie: grobe Wolldecken über aufgeschüttetem Stroh. Die einzigen Möbelstücke im Haus waren der Tisch, dessen rohe Platte auf zwei Böcken ruhte, drei Schemel und eine Bank, die an die Flechtwand gerückt war. Die Tischplatte war sauber gescheuert, der Boden gefegt. Dennoch wanderte allerlei Ungeziefer über Boden und Wände. Mit einem unterdrückten Seufzer betrachtete Tilia die Lagerstatt. Nun ja, Flöhe und manch andere kleine Plagegeister waren nicht zu vermeiden, und auch Mäuse konnte man nie ganz aus den Häusern vertreiben, doch der Anblick einer fetten Wanze trieb der Jungfrau einen leichten Schauder über den Rücken.

»Hier, nehmt das«, brach die Frau die Stille und zog aus einer im Schatten verborgenen Nische ein angegrautes Leinentuch. Verschämt wischte sie den Mäusekot ab und reichte dann Tilia das Tuch. »Ich habe es noch von meiner Mutter. Es war die Aussteuer – vom Grafen selbst gegeben! Ich benutze es deshalb nicht, damit es noch lange hält.« Gerührt bedankte sich die Ritterstochter.

Der Bauer führte derweil die beiden Kühe – sein ganzer Stolz – in den Hof. Sie waren schon ziemlich alt, und der Versuch, sie decken zu lassen, war im letzten Jahr fehlgeschlagen, doch der Bauer war zuversichtlich. Dieses Mal würde es schon klappen. Ein oder zwei Kälbchen und genug Milch für die ganze Familie. Wenn nicht, dann müsste er sie schlachten und mit dem Meier Klumpfuß um ein Kalb schachern. Diese Nacht würden die Kühe hier draußen im Hof bleiben müssen, damit in der Scheune genug Platz für die edlen Pferde war. Mit scharfem Blick musterte der Bauer den Zaun aus Dornenhecken, den er um den Hof gezogen hatte. Er wollte nicht riskieren, dass in der Nacht ein wildes Tier seinen Kühen schadete. Oder dass sie gar durch eine Lücke davonliefen. Er beschloss, die Nacht mit den Tieren im Hof zu verbringen.

Inzwischen quoll Rauch durch das Dach der Kate. Die Bauersfrau hatte das Feuer entfacht. Sorgsam kratzte sie den Rest des Morgenbreis aus dem Kessel und füllte ihn in eine Holzschüssel. Dann trug sie den Kessel zum Bach hinunter, wusch ihn aus, füllte ihn mit Wasser und schleppte ihn zum Hof zurück. Mit einem scharfen Messer begann sie Kohl, Rüben und Zwiebeln zu schneiden. Gret sah ihr eine Weile zu, nahm dann ihr Messer vom Gürtel, setzte sich auf den feuchten Holzbalken dazu und griff nach einer Rübe.

Die Bauersfrau sah von ihrer Arbeit auf. »Du bist die Magd des Fräuleins«, stellte sie nach einem musternden Blick fest.

»Ja, ich heiße Gret und du?«

»Mechtild.«

Die Bäuerin musterte die Fremde noch einmal misstrauisch, doch dann ließ sie ihre Zurückhaltung fallen und begann, neugierig zu fragen. Gret lächelte, schnitt Zwiebeln und Rüben und erzählte von Wehrstein. Nur als Mechtild in Richtung Heinrich deutete, der mit geschlossenen Augen auf einem umgekippten Eimer unter dem knorrigen Apfelbaum saß, wurde Gret zurückhaltend.

»Er hat sich bei einem Kampf verletzt. Der Ritt hat ihn daher zu sehr angestrengt. Vielleicht schwären seine Wunden, und er hat Fieber.«

Mechtild wiegte den Kopf hin und her. »Das ist nicht gut. Mein Ältester hat sich letztes Jahr mit der Sense bös das Bein verletzt. Nach ein paar Tagen wurde die Wunde schlecht – gelb und schwarz und stank ganz fürchterlich. Die Woche drauf mussten wir ihn dann begraben.«

Sie erhob sich, trug den Kessel ins Haus und hängte ihn über die Flammen. Bedauernd angelte sie eine der Speckseiten herunter, schnitt sie in feine Streifen und gab sie zum Gemüse.

»Ich habe von der Melkerin vom Meier drüben das Rezept zu einer Heilsalbe bekommen.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und holte einen Holzbecher vom Wandbrett.

Gret rümpfte die Nase. »Was ist das?«

»Eisenkraut und Schafgarbe, Hanf und Ebermist – von unserem Nachbarn – und Hirn einer Ratte, gemischt mit Schmalz. Ich habe die Schafgarbe bei Vollmond gepflückt und die ganze Zeit kein Wort gesprochen.«

»Und das hilft gegen Wundbrand?«

Die Bäuerin reckte sich ein wenig. »Aber sicher! Ich habe genau aufgepasst, dass ich nichts falsch mache.«

Gret nahm den übel riechenden Becher und ging hinaus, Tilia zu suchen. Die beiden Mädchen an der Hand, kam sie gerade von der Scheune zurück, wo sie noch einmal nach den Pferden gesehen hatte.

Die Nacht senkte sich herab und trieb die Menschen ins Haus. Die Frauen nötigten den jungen Edelmann, Rock und Hemd auszuziehen. Er schnitt einige Grimassen, ehe sich der Stoff aus den verklebten Wunden löste, doch dann hockte er verlegen, nur noch mit Bruech und Beinlingen bekleidet, auf einem Hocker vor dem Feuer. Drei Paar Frauenaugen glitten über die gelblich nässenden Wunden, untersuchten das blau zugeschwollene Auge und die blutig verkrustete Lippe. Der Bauer saß mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt im Schatten und schnitzte an einem Löffel. Nur kurz hob er den Blick und ließ ihn über den übel zugerichteten Rücken streichen.

»Kampfwunden, pah«, murmelte er leise vor sich hin. »Ich erkenne die Schrift einer Peitsche, wenn ich sie sehe!«

Auch Mechtild betrachtete die Wunden verwirrt, wagte jedoch nicht, etwas zu sagen. Ohne auf das Stöhnen zu achten, strich Gret die unansehnliche Paste dick über den misshandelten Rücken. Tilia riss eines von Heinrichs Hemden in breite Streifen und wickelte sie dann fest um den Körper des jungen Mannes. Beiden schoss die Röte ins Gesicht und sie wagten nicht, einander anzusehen. Während Gret die blutige Wäsche in einem Eimer auswusch, rührte Mechtild in dem Kessel, aus dem es nun verführerisch duftete.

Als die Gäste aßen, saß Mechtild auf dem Boden vor dem Feuer und stillte das Kind. Ihre beiden älteren Söhne kauerten neben ihr und verfolgten mit großen Augen jeden Löffel voll, der in den Mund der Fremden wanderte. Der Hausherr schnitzte schweigend. Tilia, Rüdger, Gret und die Mädchen aßen mit großem Appetit. Ungefragt füllte sich Rüdger seine Schale ein zweites Mal. Nur Heinrich rührte lustlos in seiner dicken Suppe herum und schob schließlich die halb volle Schale von sich. Erst als die Gäste nichts mehr wollten, kratzte Mechtild den Rest aus dem Topf, um sie dem Bauern zu geben. Ihre Söhne machten sich gierig über die Reste her, die Heinrich übrig gelassen hatte.

»Hast du Wein?«, fragte Heinrich stattdessen.

Der Bauer schüttelte nur den Kopf. Seht Euch doch um, dachte er grimmig, scheint es Euch, als ob wir Wein trinken?

Mechtild schenkte mit Wasser verdünnte Ziegenmilch aus. Schweigend starrte Tilia in ihren Becher und sah sich dann noch einmal in der Hütte um. Sie stieß Rüdger in die Seite.

»Geh raus in die Scheune und hol das Bündel mit dem Käse. Ein Stück dunkles Brot müsste auch noch drin sein.«

Mit leuchtenden Augen kauten die Buben kurz darauf an würzigem Käse, ihr Stück Brot fest umklammert. Auch Mechtild und ihr Mann nahmen dankend Brot und Käse entgegen. Als das Herdfeuer heruntergebrannt war, begaben sich alle zur Ruhe. Kienspäne oder Talglampen nutzten die Bauersleute nur im Notfall.

Die Gäste aus Wehrstein verbrachten eine unruhige Nacht. Tilia, Gret und die Mädchen – von Ungeziefer geplagt – in der Bettstatt der Gastgeber, und der unter Schmerzen leidende Heinrich von Husen, in seine Decke gewickelt, auf der schmalen Bank. Nur Rüdger, der auf dem Boden vor dem Herd schlief, schnarchte, dass die Flechtwände erzitterten. So waren alle am anderen Morgen eher schweigsam, löffelten ihre wässrige Gerstengrütze und brachen dann, kaum lugte die Sonne über die Baumwipfel, zum Zollernberg auf.

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