Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 26

KAPITEL 15

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Lasst mich ein! Öffnet das Tor! Bitte.« Es war noch früh am Morgen. Kaum drang das erste Licht durch die kühle Feuchtigkeit, als ein Mann mit einem lahmen, alten Gaul den Zollernberg erklomm. Er fiel mehr von des Pferdes Rücken, als dass er sich aus dem Sattel schwang, und auch das Pferd machte den Eindruck, als könne es sich nicht mehr lange auf den Beinen halten. Schwankend taumelte der Mann zum Tor und hämmerte mit letzter Kraft gegen die eisenbeschlagenen Bohlen.

»Macht auf, ich muss den Graf sprechen!«

Wetzel, ein Edelknecht von Boller, der die letzte Torwache in dieser Nacht hatte, beugte sich über die Brüstung des Wehrgangs und musterte schweigend den morgendlichen Störenfried. Er war über und über mit Schlamm bespritzt, sein Mantel zeigte Risse, durch die man einen einfachen Rock sah. Kein Kettenhemd, keine Waffen. Doch das war es nicht, was Wetzel zögern ließ, allein ein Blick auf den mickrigen Gaul genügte, um zu sehen, dass es sich hier nicht um einen offiziellen Boten handeln konnte. Doch warum kam einer der Unfreien morgens auf den Zoller geritten und verlangte in diesem Ton, den Graf zu sprechen? Der Wächter kaute auf seiner Unterlippe.

»Was willst du von unserem Herrn?«, rief er zu der armseligen Gestalt hinunter.

»Das kann ich nicht sagen.« Gehetzt sah er sich um, als erwarte er, dass jeden Moment ein Meuchelmörder aus dem Gebüsch auftauchen könnte.

»Ich komme geradewegs aus Haigerloch«, fügte der Mann hinzu, um die Dringlichkeit seines Anliegens zu unterstreichen.

»Ist gut. Ich werde sehen, ob der Graf oder einer der jungen Herren bereit ist, mit dir zu sprechen.« Der Wächter schlurfte davon.

Es schien ihm, als verginge eine Ewigkeit. Der Mann aus Haigerloch schritt unruhig vor dem geschlossenen Tor auf und ab. Ungeduldig zerrte er seine Gugel herunter, die ihm die Luft abzuschnüren drohte. Obwohl es noch so kühl war, dass der Atem dampfte, wischte er sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Ihm zitterten noch immer die Knie, wenn er daran dachte, wie knapp er seinen Häschern entgangen war. Endlich scharrte der Riegel und quietschten die Scharniere. Das große Tor öffnete sich langsam. Geradezu panisch drückte sich der Mann durch den Spalt, als habe er Angst, es könne sich sofort wieder schließen.

Wie gewöhnlich hatte sich Gret beim ersten Morgengrauen von ihrem Lager erhoben. Rasch zog sie Sofie ihren Kittel an und ging dann hinaus, um Wasser vom Brunnen zu holen. Solange sie keine festen Aufgaben auf der Burg hatte, versuchte sie, überall ein wenig zur Hand zu gehen. Sie hatte den zweiten Eimer gerade aus dem tiefen Brunnenschacht hochgekurbelt und wollte sich zur Küche aufmachen, als Graf Eitelfriedrich mit zwei Männern, vom Tor her kommend, ihren Weg kreuzte. Höflich grüßte Gret, stellte die Eimer für einen Moment ab und ließ die Männer passieren. Die Magd wollte ihre Last gerade wieder aufnehmen, als der Grafensohn sich noch einmal umsah.

»Gret, bring rasch gewürzten heißen Wein in mein Gemach und wirf meinen Bruder aus den Federn. Er soll sofort bei mir erscheinen.«

Gret nickte. So schnell es ging, brachte sie die Eimer zur Küche, schob einen Krug an die Flammen und füllte ihn mit dem Rest gewürzten Weines vom Abend. Dann eilte sie zum Palas hinüber und brachte Wein und Zinnbecher in Eitelfriedrichs Gemach, in dem sich auch schon der alte Graf eingefunden hatte.

Wie aufgetragen klopfte sie an der Kammertür des Merkenbergers, doch es rührte sich nichts. Auch nach mehrmaligem Hämmern mit der Faust war hinter der Tür noch immer nichts zu hören. Gret zögerte einen Augenblick, doch dann drückte sie beherzt die Klinke runter.

»Herr, Herr, wacht auf, Euer Bruder schickt nach Euch.«

Ein blonder und ein brauner Haarschopf ragten eng aneinander gelehnt zwischen einer Ansammlung von Kissen hervor.

Gret rief noch einmal. Endlich begann sich der braune Schopf zu regen, und nach und nach schälte sich der jüngste Zollernspross aus seinen Daunen. Schlaftrunken blinzelte er, gähnte herzhaft und musterte Gret aus seinen wasserblauen Augen. Völlig nackt tappte er zu Gret hinüber, zog ihr die leinene Haube vom Kopf und betrachtete das lange Blondhaar mit Wohlgefallen. Prüfend griff er ihr an die Hüfte.

»Gar nicht schlecht.« Er rieb sich die rot geränderten Augen. »Merkwürdig, warum kenne ich dich denn nicht?« Der Merkenberger schüttelte verwirrt den Kopf. »Na, egal, du gefällst mir. Los, ab ins Bett, die Annie soll sich davonscheren. Vielleicht habe ich mit dir mehr Spaß als mit dem knochigen Ding da.«

Gret ignorierte die Rede und wiederholte ihren Auftrag. »Ich wurde geschickt, Euch dringend zu Eurem Bruder zu rufen. Euer Vater wartet auch schon«, fügte sie noch hinzu.

»Schade. Na gut«, gähnte der Grafensohn und wankte zu dem Haufen Kleidungsstücke, die wild durcheinander in den Binsen lagen. Er drehte Gret seinen gräflichen Hintern zu und angelte umständlich nach seiner Bruech.

»Komm her, du kannst mir die Beinlinge annesteln«, befahl er und grübelte dann: »Doch, ich habe dich schon mal gesehen.«

»Ich bin mit Tilia von Wehrstein gekommen«, half ihm Gret auf die Sprünge.

»Ach ja, und du bist von meinem lieben Bruder schon in Gebrauch«, stellte er fest. »Hätte ich mir ja fast denken können, dass solch eine Süßigkeit hier nicht ungegessen liegen bleibt.«

Leichte Röte zog über die Wangen der Magd. Sie schwieg und half dem Zoller in seine Gewänder.

»Aber das macht nichts«, fügte er hinzu, als er hinter Gret den Gang hinunter zu seines Bruders Gemach schlurfte. »Ein wenig Abwechslung zwischen den Beinen hat noch keinem geschadet, und wir werden schon noch unseren Spaß miteinander haben. Ich werde es nicht vergessen«, flüsterte er ihr mit einem verzerrten Grinsen zu, als sie ihm die Tür aufhielt. »Verlass dich darauf!«

Ihre Gedanken waren noch bei seinen letzten Worten, als sie geschwind die Becher wieder füllte und auch dem jüngsten Zollernspross einen in die Hand drückte. Äußerlich die unbewegliche Miene bewahrend, seufzte sie innerlich schwer. Erst jetzt begriff sie so richtig, welch Privileg sie den anderen Mägden gegenüber auf Wehrstein genossen hatte. Wie viele männliche Hände hatte es wohl von ihrer Haut abgehalten, dass sie der Bastard des Hausherrn war?, überlegte sie.

Der alte Graf, der als Erstes seinen Sohn ausführlich für sein spätes Erscheinen und dann allgemein für seinen liederlichen Lebenswandel gerügt hatte, wandte sich nun dem Grund dieses frühmorgendlichen Treffens zu. Er musterte die abgerissene Gestalt noch einmal durchdringend und forderte den Mann zu sprechen auf.

»Ich bin Ludwig, der Konstanzer genannt, Herr Graf.« Linkisch verbeugte er sich nach allen Richtungen. »Ich habe als Schneiderlehrling beim Meister Langnas in Haigerloch gearbeitet – bis zu seinem Tod im letzten Jahr – und mach die Arbeit nun mit seiner Witwe zusammen, doch die Geschäfte gehn nicht so gut, dass man davon leben könnte.«

In des Merkenbergers Gesicht zeichnete sich Ungeduld ab. Hastig fuhr der Schneidergeselle fort.

»Mein Schwager ist Schneider am Hof des verehrten Grafen Eberhard von Württemberg, und vor ein paar Wochen hat er mir einen Beutel Geld und einen Auftrag gebracht.«

Nun spitzte Gret die Ohren. Das schien ja interessant zu werden. Äußerlich teilnahmslos füllte sie die Becher wieder auf und versuchte, nicht aufzufallen. Die Herren hatten sie anscheinend völlig vergessen.

»Ich solle in einer bestimmten Nacht dafür sorgen, dass der Walger nicht am Tor steht, sondern einer, der ein paar Leute nachts aus dem Türlein lässt.« Unsicher leckte sich der Schneider die Lippen.

»Ich habe das Geld genommen. Die Witwe des Meisters ist ein geiles Weib, die für ein paar Münzen gern dem Walger die Zeit vertrieben hat. Ich selbst habe derweil die Wache übernommen und die Leute aus dem Türchen gelassen. Ich habe mir da nicht viel dabei gedacht, nur gewundert hat es mich, warum jemand nachts aus einer Stadt hinauswill und dafür auch noch Geld bezahlt, doch als dann die Württemberger und Ihr, die Herren Grafen, vor dem Tor wart, da habe ich verstanden, was gespielt wurde, und bekam es mit der Angst zu tun.« Er riss die grauen Augen weit auf.

»Graf Albert sagt, das war Hochverrat, und er will mich aufhängen lassen! Walger hat ihm gesagt, dass ich am Tor war. Die Häscher waren schon unterwegs, mich zu holen. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mit dem Schlüssel durchs Tor schlüpfen. – Dabei hätte ich nie mitgemacht, wenn ich gewusst hätte, dass der Württemberger und ihr …« Verwirrt schwieg der Schneider.

»Was willst du hier?«, fragte der alte Graf leise.

»Wohin hätte ich mich denn wenden sollen? Der Württemberger gibt nun mir die Schuld, dass das Türchen zu früh geöffnet wurde, und fordert meinen Kopf. Graf Albert hat es auf meinen Hals abgesehen. Ich wusste nicht, an wen ich mich wenden soll, also bin ich die ganze Nacht durchgeritten, um bei Euch Zuflucht zu finden.«

»Und warum ist die Tür zu früh geöffnet worden?«, mischte sich nun Eitelfriedrich ein.

Die Frage war dem Schneider sichtlich unangenehm. »Nun ja, ich konnte ja nicht wissen, dass die Zeit eine Rolle spielt, und da ich noch zu einem wunderbaren Liebchen wollte, ließ ich den Spielleuten sagen, sie sollten noch vor der Mette an das Tor kommen.«

Der Merkenberger sprang von seinem Stuhl auf. »Also du trägst die Schuld an dieser demütigenden Niederlage! Nicht wir waren zu spät, du warst zu früh!« Er packte den Schneider am Hals und schüttelte ihn. »In der halben Zeit zwischen Mette und Laudes hieß es«, schrie er immer wieder, während sich seine Hände um den dünnen Hals schlossen.

Der Schneider lief erst rot an, dann verfärbte sich sein Gesicht bläulich. Die Augen traten vor, die Hände griffen ins Leere. Gret stand wie erstarrt da und konnte ihren Blick nicht von dieser schrecklichen Szene abwenden.

»Ich dulde es nicht, dass in meinem Palas Menschen getötet werden«, sagte der alte Graf schleppend, ohne sich von seinem Sessel zu erheben.

»Er ist ein Verräter und ein Versager«, brüllte der Merkenberger, ohne von seinem Opfer abzulassen.

»Nicht in meinem Palas«, wiederholte der Graf störrisch. Der Zollernsohn lockerte seinen Griff.

»Vielleicht können wir ihn zu etwas gebrauchen?«, warf Eitelfriedrich ein.

»Einen unfähigen Schneider, der für Geld alles und jeden verrät und den Verrat auch noch falsch ausführt?« Der junge Friedrich sah seinen Bruder verächtlich an. »Das Einzige, wozu der taugt, ist Krähenfutter!«

Der Schneider ächzte und stöhnte. Er wimmerte um Gnade, strampelte und versuchte, sich loszureißen, doch der Merkenberger schleppte ihn mit festem Griff in den Hof hinaus, über die Brücke bis zum Tor.

Als am Mittag die Lumpensammler aus Hechingen kamen, um in den Abfällen der Burg nach etwas Brauchbarem zu suchen, fanden sie unter Mist und Küchenabfällen eine frische, kopflose Leiche. Der Mantel war zerrissen und blutbefleckt, doch um den Leinenrock entspann sich ein heftiger Streit. Der Sieger trug ein blaues Auge, aber, sehr zufrieden, auch den Rock als Lohn davon.

Nach dem Morgenmahl traf sich eine kleine Gruppe vor den Ställen, um zum Kloster nach Stetten hinunterzureiten. Die Stunde des Abschieds nahte. Einer der Bollerbrüder ritt mit dem Merkenberger voran, der sich überraschenderweise anschloss. Auch der Graf und sein ältester Sohn ritten ein Stück des Weges mit. Sie wollten nach Hechingen und dann bis zum Abend des anderen Tages auf einigen Gütern der Grafschaft nach dem Rechten sehen. Ihnen folgten Tilia mit Dorothea und die Kinderfrau Trude. Bis zuletzt hatte die Alte gehofft, Williburgis zum Mitkommen bewegen zu können, doch die Grafentochter weigerte sich bockig.

»Ach, sie ist sonst so eine reizende Jungfrau«, seufzte Trude tief. »Die Gräfin Williburgis?«, griff Tilia das Gespräch auf, neugierig, mehr über die Burg und ihre Bewohner zu erfahren.

Die Kinderfrau erschrak. Eigentlich hatte sie mehr zu sich und ihren Gedanken gesprochen. Sie sah die fremde junge Frau neben sich an und presste schnell die Lippen aufeinander, als habe sie schon zu viel gesagt. Und dennoch drängte es sie, endlich mit einem Menschen über die drückende Last auf ihrer Seele zu sprechen.

Tilia tat so, als bemerke sie die Ablehnung nicht. »Sie ist eine Schönheit, deine Herrin«, versuchte sie ein Gespräch in Gang zu bekommen. »Die edle Haltung und die zierlichen Glieder.«

»O ja, ganz die Mutter«, sprang die Kinderfrau darauf an. »Vielleicht werdet Ihr sie in Stetten sehen. Sie ist eine so große Dame, die edle Udelhild von Dillingen, auch wenn ihr Haupt nur noch ein einfacher Nonnenschleier ziert.«

»Das war für Williburgis sicher nicht einfach, als ihre Mutter beschloss, sich zu den Nonnen zurückzuziehen …«, hakte Tilia weiter nach.

»O ja, sie ist einfach zu zart, sich durchzusetzen. Früher, da war es eine Lust, auf Zollern zu leben. Die Gräfin war eine reizende Gastgeberin. Der Saal hätte jedem Herzog Ehre gemacht und erst die Speisen, die gereicht wurden! Spielleute waren oft zu Gast, es wurde getanzt und dem Minnesang gehuldigt. Heute muss man sich der Zustände schämen.« Ihre Miene verdüsterte sich. »Das Essen ist eine Schande, überall Dreck, Ratten, kein sauberes Linnen, die Kleiderkammer leer. Die Ritter merken es nicht einmal, sind die meisten von der heimischen Burg ja nichts Besseres gewöhnt.«

Tilia tastete sich vorsichtig weiter. »Es muss die Arme sehr getroffen haben, die Mutter zu verlieren. Es ist doch schon Monate her, und doch wirkt sie so tief bedrückt.«

»Ach ja«, seufzte die Kinderfrau. »Das ist es ja gar nicht. Sie ist zu weich und unerfahren. Dennoch, mit der Führung der Burg wäre sie sicher irgendwann zurechtgekommen, wenn nicht …« Erschrocken stieß sie einen ärgerlichen Laut aus.

Schnell wechselte Tilia das Thema, denn es war klar, dass sie hier auf direktem Wege nichts weiter erfahren würde.

»Aber sie hat doch sicher große Hilfe an ihren Damen. Die Gattin des Ritters Eitelfriedrich – Kunigunde von Baden glaube ich – ist dem Rang nach ihr am nächsten …«

»Ha, große Hilfe?«, fiel die Kinderfrau ihr ins Wort und spuckte voller Verachtung aus. »Wenn eine der Damen doch nur einmal irgendwo mit Hand anlegen würde, aber sie verbringen ihre Zeit nur mit leerem Geschwätz. Da kann die Burg in einem Haufen Unrat versinken, sie würden trotzdem in der Kemenate sitzen und ihre spitzen Zungen über die Ritter laufen lassen.«

»Ja, die Herren Ritter«, murmelte Tilia, »für manch schwaches Weib ein Brunnen ständigen Glücks, für manches Weib aber der Quell tiefen Trübsinns.«

Es war ein Pfeil ins Blaue, doch er traf. Die Kinderfrau straffte sich und sah Tilia scharf an.

»Woher wisst Ihr das? Ich meine, was meint Ihr damit – ich wollte sagen …« Sie biss sich auf die Lippen und funkelte Tilia böse an. Kein Wort mehr war ihr zu entlocken, bis sie das Kloster am Fuß des Zollernberges erreichten.

Der Abschied verlief ohne Tränen, und dennoch wurde Tilia das Herz schwer, als sie ihre Schwester zwischen den verhüllten Gestalten der Bräute Christi sah. Das Kind nahm bereitwillig die dargebotene Hand der Mutter Oberin. Neugierig ließ das Mädchen den Blick durch das Gewölbe wandern.

»Lebe wohl, liebste Dorothea, ich werde für dich beten.« Tilia hatte einen Kloß im Hals. Das Kind unterbrach seine Betrachtungen und wandte sich abrupt seiner Schwester zu.

»Ich werde ganz brav sein. Wann holst du mich denn wieder ab?«

Tilia eilte zu ihr und kniete bei ihr nieder. Ihre Arme umschlangen den zarten Leib. »Ich kann dich nicht wieder abholen. Du wirst nun hier wohnen und ich dort oben auf der Burg.«

Dorothea kaute nachdenklich auf ihrer Lippe. »Du musst nicht traurig sein«, sagte sie und streichelte Tilias Haar. »Wenn ich größer bin und ein Pferd habe, dann komme ich hinaufgeritten und besuche dich.«

Auf dem Rückweg gesellte sich Friedrich der Merkenberger zu Tilia. Er schien guter Laune zu sein. Seine blauen Augen strahlten. Mit seiner muskulösen Gestalt machte er eine gute Figur auf dem kräftigen braunen Streitross. Verstohlen betrachtete Tilia ihn unter ihren Wimpern hervor. Er trieb sein Pferd näher an das ihre, dass sich ihre Beine fast berührten.

»Ja, seht Euch nur um, Fräulein Tilia, all das herrliche Land, das Ihr sehen könnt, gehört zur Grafschaft Zollern. Kommt noch ein Stück weiter, dann habt Ihr einen wunderbaren Blick auf die Stadt Hechingen. Mein Großvater hat sie dort oben auf dem Bergsporn über der Starzel gegründet. Die Gehöfte, die Ihr dort unten seht, gehören zum alten Dorf Hechingen. Weiter drüben liegt St. Luzen. Solange es oben in der Stadt keine Kirche gibt, ist sie auch Pfarramt für die Bürger. Wir haben auch zwei Mühlen an der Starzel. Wisst Ihr, was das bedeutet?« In seinem Blick glomm Gier. »Es bedeutet so viel wie pures Gold. Die Grafschaft Zollern wird wachsen und blühen. Bald wird Hohenberg in unserem Schatten verkümmern. Wie gefällt Euch denn Haigerloch?« Die Frage kam so überraschend, dass Tilia ihn nur aus großen Augen anstarren konnte.

Doch er schien nicht ernsthaft eine Antwort zu erwarten. Er lobte weiterhin die Schönheit der sanften Hügel, die Erhabenheit der schroffen Alb und den Zollernberg mit der aufragenden Burg.

»So schön und erhaben, wie auch Ihr es seid«, sagte er und sah die Ritterstochter an seiner Seite herausfordernd an. »Stolz und Schönheit machen eine Frau gut für die Minne«, schnurrte er und trieb ihr damit die Röte ins Gesicht. »Ihr habt von beidem genug, um mehr als nur neugierig zu machen.« Er schwieg einige Augenblicke und weidete sich an ihrem Unbehagen.

»Frauen sind für die Liebe geschaffen. Männer für den Kampf und die Politik. Worüber sollen wir uns unterhalten, Jungfrau Tilia von Wehrstein. Über die Liebe oder über die Politik?«

Sie wand sich und sah zur Burg hoch, die noch so entsetzlich weit weg schien. Tilia sandte ein stummes Stoßgebet zur Muttergottes, flehte um ihren Beistand und stürzte sich dann in die gefährliche Tändelei mit dem jüngsten Sohn des Grafen von Zollern.

Es war schon dunkel, als Gret ein Bündel Kienspäne zu den Wächtern am Tor hinuntertrug. In einer kleinen Gruppe standen die Wächter und drei der Ritter beisammen, unter ihnen auch der Merkenberger. Gret grüßte zurückhaltend, legte die Kienspäne in eine Kiste in der Turmstube und beeilte sich dann, den Vorhof zu durchqueren. Wie weit es doch zur Küche war. Zwei Tore und zwei Höfe trennten sie von ihrer Tochter, die dort auf sie wartete.

Noch bevor sie seine Schritte hörte, wusste sie, dass er ihr nachkam. Sie raffte den Rock, um schneller ausschreiten zu können, begann zu laufen, doch unter dem Tor holte er sie ein. Er griff nach ihrem Arm. Gret wand sich und versuchte, sich zu befreien.

»Ja, lauf weg, wehr dich, schrei und schlag um dich«, raunte er ihr ins Ohr, als er beide Arme um ihre Taille legte. »Ich mag kratzbürstige Weiber am liebsten. Ich liebe es, sie in die Knie zu zwingen, bis sie um Gnade winseln. Ich mag das Geräusch meiner Peitsche auf ihrer nackten Haut. O ja, wir werden viel Spaß miteinander haben!«

Seine Züge waren im sanften Mondlicht nur undeutlich zu erkennen, doch ihr war, als grinse ihr der Teufel persönlich ins Gesicht. Gret unterdrückte einen Seufzer, biss die Zähne aufeinander und ließ sich zu dem Pferdepferch bei der Schmiede ziehen. Drinnen wurde noch gearbeitet. Sie konnte das vertraute Hämmern und das Klingen des Eisens hören. Fröhliche Männerstimmen drangen zu ihr.

»Herr im Himmel, mach, dass es schnell geht und dass Rüdger nicht rauskommt«, betete sie, als der junge Graf ihren Oberkörper unsanft auf einen dicken Balken drückte. Grobe Finger hoben hastig Rock und Hemd. Mit einem lauten Stöhnen fuhr er in sie. Gret umklammerte den Balken. Das gibt blaue Flecken, dachte sie, als er ihr Leib und Schenkel in immer schnellerem Rhythmus gegen die Holzbarriere schlug. Zwei falbe Ackergäule glotzten sie neugierig an.

Ja, sie sind wie ihr, sprach sie in Gedanken mit den Rössern. Wenn sie heiß sind, muss eine Stute her. Männer, Krönung der Schöpfung, pah! Ihrem Trieb sind sie Untertan wie jedes Tier. Ob Graf oder Knecht, es gibt keinen Unterschied. Der Graf stöhnte auf, die Gäule wieherten und wichen zur Rückwand des Pferches zurück. Stimmen näherten sich.

Verdammt, fluchte sie, wann ist er endlich fertig. Ein Holzspan bohrte sich schmerzhaft in ihren Schenkel.

»Was ist denn das?« Hörte sie die Stimme des Ritters, der ihren besten Rock auf dem Gewissen hatte.

»Das ist der Merkenberger, der seine abendliche Lust loswerden muss«, antwortete einer. Die anderen lachten.

»Ah, ich glaube, es ist das knusprige Hühnchen der Wehrsteinerin, das er da am Genick hat.«

»Halte es fest, ich will auch mal!«, dröhnte der von Ringelstein-Killer und erntete wieder Gelächter. In diesem Moment wurde die Tür zur Schmiede aufgerissen. Heinz, der Hüne, kam nachsehen, was es für einen Aufruhr gab. Hinter ihm tauchte Rüdger im Schein des Feuers auf.

Da ging ein Zittern durch den jungen Grafen, und er erschlaffte. Mit einer raschen Bewegung gelang es Gret, sich unter seinem Körper hervorzuwinden. Ohne sich umzudrehen, rannte sie los. Sie hörte die Ritter hinter sich lachen, hörte Rüdgers Stimme, die nach ihr rief, dann seinen schnellen Schritt, der ihr folgte. Im Laufen versuchte sie, ihre Röcke zu ordnen, doch noch vor der Küche holte er sie ein.

»Verflucht noch mal, Gret, was soll das?«, schrie er sie an.

Hass funkelte in ihren Augen, als sie ihn ansah. Ihre aufgeschürften Hände zu Klauen gekrümmt, stand sie da und fauchte: »Verschwinde! Lass mich in Ruhe und rühr mich nicht an!«

»Du verdorbene Schlange«, zischte er und schlug ihr ins Gesicht. Dann drehte er sich auf dem Absatz herum und verschwand in der Dunkelheit.

Sie spürte, wie es klebrig zwischen ihren Beinen herabrann, fühlte den Holzsplitter in ihrem Fleisch, die blutigen Handflächen, den geprellten Oberkörper, die glühende Wange. Zitternd vor Wut und Abscheu blieb sie eine ganze Weile vor der geschlossenen Küchentür stehen. Dann glättete sie entschlossen ihren Rock, band sich die verrutschte Haube frisch und trat in die heimelige Wärme, um nach ihrer Tochter zu sehen.

Tilia schlief schlecht in dieser Nacht. Ihre Bettnachbarin hatte einen unruhigen Schlaf und wälzte sich ständig hin und her. Auch wanderten Tilias Gedanken immer wieder zum Kloster nach Stetten hinunter. Wie es Dorothea wohl erging? Ob sie sich einsam fühlte? Ob sie sich in den Schlaf geweint hatte? Ob die Nonnen sanftmütig zu dem Kind waren?

Vom Flur her war das Klappen einer Tür zu hören. Tilia hob lauschend den Kopf. Sie war nicht die Einzige. Im vordersten Bett an der Tür raschelte das Stroh der Matratze. Eine dunkle Gestalt zeichnete sich schemenhaft ab, tappte zur Tür, öffnete sie einen Spalt und verschwand. Tilia glaubte sich zu erinnern, dass die Kammerfrau Agnes mit Trude das vordere Bett teilte. Den Umrissen nach zu urteilen, musste es eher Trude sein, die das gemeinschaftliche Gemach verlassen hatte.

Wozu nur, grübelte Tilia. Schließlich gab es für die nächtlichen Bedürfnisse einen Eimer, den eine Magd jeden Morgen entleerte. Die Wehrsteinerin war nun hellwach. Vorsichtig, um ihre Bettgenossin nicht zu wecken, rutschte sie unter der Daunendecke hervor und tappte zum Fenster. Ein kühler Lufthauch ließ sie frösteln. Die schmale Öffnung erlaubte einen Blick über den Hof, der vom Palas, dem Bergfried und der Kapelle von drei Seiten eingeschlossen wurde. Der Mond trat gerade hinter den Wolken hervor und beleuchtete eine Gestalt im hellen Mantel, die mit eiligen Schritten zur Kapelle lief.

Es ist eine Frau – eine junge Frau, dachte Tilia. Dem Mantel nach bestimmt keine der Mägde. An der Kapelle angekommen, sah sich die Unbekannte verstohlen um und huschte dann ins Innere. Kurz darauf schimmerte ein Lichtschein durch die Finsternis und erhellte die bunten Scheiben der Bogenfenster.

Wer da wohl zu dieser Zeit zur Kapelle schleicht? Wozu nur? Eine zweite Gestalt, langsamer, schwerfälliger, in einem dunklen Umhang, überquerte den Hof in Richtung Kapelle.

Hier ist nachts ganz schön was los, wunderte sich der Gast aus Wehrstein. Die zweite Gestalt könnte Trude sein, überlegte Tilia und drückte sich noch näher an das schmale Fenster.

Das verhüllte Weib umrundete einmal die Kapelle und blieb dann zögernd vor dem Eingang stehen. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt und lugte hinein. Dann verschwand sie. Tilia blieb noch eine Weile am Fenster stehen und starrte in die Nacht. Ihr wurde langsam kalt. In der Kapelle brannte noch immer Licht, doch sonst blieb alles ruhig. Tilia beschloss gerade, wieder unter ihre warme Decke zu kriechen, als sich die Tür öffnete und jemand hereinschlüpfte.

Tilia blieb wie erstarrt stehen. Die Frau warf ihren Mantel über eine Truhe und trat dann zum dritten Bett. Das Mondlicht glitt sanft über ihren nackten Körper.

Wer schlief in der dritten Nische? Tilia versuchte, Gesichter und Namen in ihr Gedächtnis zurückzurufen.

Die Nackte war im Begriff, ins Bett zu steigen, als sie plötzlich innehielt und dann mit ein paar schnellen Schritten zum Fenster eilte. Ihre Hand schloss sich um Tilias Handgelenk. Der Mond beleuchtete matt ein rundes Gesicht mit einer kleinen Nase, dunkelblondes Haar und einen üppigen Körper.

»Was macht Ihr hier?«, zischte die Stimme leise.

»Verzeiht, ich bin von einem Geräusch geweckt worden und habe hinausgesehen, ob etwas passiert ist«, entschuldigte sich Tilia ebenso leise.

»Dann geht in Euer Bett zurück und sucht den Schlaf, den eine Jungfrau braucht, um ihre Schönheit zu erhalten«, erwiderte die andere, presste noch einmal warnend Tilias Handgelenk und huschte dann zu Bett.

Es hat fast wie eine Drohung geklungen, dachte Tilia, als sie sich in ihre Decke kuschelte. Wenn ihr doch nur der Name des Fräuleins wieder einfallen würde. Das brutale Gesicht des riesenhaften Ritters mit dem fehlenden Finger geisterte durch ihren Sinn, dann wieder die nächtliche Frauengestalt am Fenster. Schon fest in der Träume Hand, hatte sie den Namen plötzlich vor Augen: Salome von Ringelstein-Killer.

Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band

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