Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 30

KAPITEL 19

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War ein schreckliches Unglück geschehen? Seit sie beim Nachtmahl den Saal verlassen hatte, war die Kinderfrau nicht mehr gesehen worden. Die ganze Nacht blieb sie fern, und auch zur Morgensuppe erschien sie nicht. Einer der Wächter berichtete, sie habe in der Dunkelheit die Burg verlassen, wäre aber im Laufe seiner Wache nicht zurückgekehrt. Wohin konnte sie gegangen sein? Die Damen der Grafentochter sprachen eifrig über die unzähligen Möglichkeiten, doch keine kam auf den Gedanken, die Burg zu verlassen, Rocksaum und Schuhe zu beschmutzen, um draußen nach Trude zu suchen.

»Ich werde nach ihr sehen«, sagte Tilia zu Swenger von Lichtenstein, der neben ihr seine Milchsuppe löffelte. »Vielleicht ist sie gestürzt und hat sich verletzt.«

»Ich komme mit Euch«, bot der Ritter mit vollem Mund an.

Tilia sah ihn misstrauisch von der Seite an. »Ich werde meine Magd mitnehmen!«

Der Ritter grinste anzüglich. »Wenn Ihr meint, dass Ihr sie zum Schutz Eurer Jungfräulichkeit braucht …«

So schritt Tilia, bei Gret eingehängt, kurz darauf zum Tor hinaus. Der Tag begann düster. Graue, dickbauchige Wolken verhüllten das Blau des Himmels. Die Luft war feucht, und es würde sicher noch Regen geben. Swenger ging zum Stall, um sein Pferd zu satteln. Überraschend schloss sich auch der junge Friedrich der Suche an. Die Männer ritten gemächlich den Pfad hinunter, während sich die beiden Frauen in der Nähe des Tores umsahen.

»Meinst du, sie ist bis nach Hechingen oder Stetten gegangen?«, fragte Tilia.

Gret ließ den Blick den Hang hinunterschweifen. »Im Dunkeln? Das glaube ich kaum. Vielleicht hat sie sich mit jemandem getroffen und ist mit ihm dann weggeritten.«

»Aber warum? Und weshalb hat sie niemandem in der Burg Bescheid gesagt? Ich werde das Gefühl nicht los, dass ihr etwas passiert ist.« Sie umrundete ein paar Ginsterbüsche und eine niedere Kiefer.

»Tilia, ich glaube, dein Gefühl hat dich nicht getäuscht!« Gret war ein Stück den Weg hinuntergegangen. Nun stand sie am Rand des Pfades, dort, wo der Hang jäh über ein Felsband abbricht, und deutete die Wand hinunter. »Ich glaube, da liegt jemand.«

Tilia raffte ihre Röcke und eilte zu Gret hinüber. »Heilige Jungfrau Maria, das könnte sie sein. Wie kommen wir da hinunter?«

Doch Gret lief schon den Pfad hinab, bis zu der Stelle, an der man unterhalb der Felsen den Hang queren konnte.

»Warte auf mich!« Tilia folgte ihr.

»Sei vorsichtig«, warnte die Magd, deren Holzpantinen im schlüpfrigen Erdreich kaum Halt fanden, doch die Ritterstochter ließ sich nicht abhalten. Sie tastete sich von einem Grasbüschel zum nächsten, bis sie den leblosen Körper erreichten, der verdreht und gekrümmt an einem Krüppelbäumchen hängen geblieben war. Gret kniete sich vorsichtig nieder und schob das wirre graue Haar, das sich beim Sturz gelöst haben musste, zur Seite.

»Ja, es ist Trude, und sie ist tot«, bestätigte Gret mit einem Seufzer. »Sie ist schon kalt, und das Blut ist getrocknet. Sieh nur die große Wunde in der Schläfe. Sie muss sich an einem der Felsen diese schreckliche Verletzung zugezogen haben. Wahrscheinlich war sie schon tot, als sie hier unten ankam.«

Tilia schluckte trocken. »Ja, aber warum ist sie gefallen? Was hatte sie im Dunkeln abseits des Weges zu suchen? Mir will das nicht in den Kopf.«

Die beiden Ritter waren noch ein Stück dem Weg gefolgt und kehrten nun unverrichteter Dinge wieder um. Swenger entdeckte die beiden Frauen im steilen Hang. Die Pferde zurücklassend, eilten die beiden Männer zu ihnen, um zu sehen, was sie gefunden hatten.

»Was, zum Teufel, hattest du hier zu suchen, Trude«, murmelte Friedrich. Tilia und Gret bekreuzigten sich. »Kommt mit zur Burg zurück, bevor Ihr selbst noch fallt«, riet der Merkenberger und bot Tilia den Arm. »Ich lasse Trude von den Wächtern holen, damit sie anständig begraben werden kann.« Dankbar ließ sich Tilia zum Weg zurückführen. Sie protestierte auch nicht, als Friedrich sie auf sein Pferd hob, sich hinter ihr in den Sattel schwang und sie zur Burg zurückbrachte.

Swenger folgte Gret. Am Weg angekommen, nahm er sein Pferd am Zügel. »Ich begleite dich.«

Gret warf ihm einen raschen Seitenblick zu. »Das ist nicht nötig, Ritter«, entgegnete sie schärfer, als beabsichtigt, doch der junge Mann lachte nur. »Anscheinend ist es heute mein Schicksal, dass mir alle schlechte Absichten unterstellen.«

Williburgis war betrübt und weinte ein paar Tränen, als sie von ihrer alten Kinderfrau Abschied nahm. Vater Laurenz murmelte ein paar lateinische Floskeln und befahl den Knechten, rasch das Grab zu schaufeln. Schon am Mittag hatte sich die feuchte Erde über Trude geschlossen.

»Nun kann man den Würmern also guten Appetit wünschen«, murmelte Benigna gefühllos und eilte sich, wieder in die warme Kemenate zu kommen. Doch Williburgis, die diese Bemerkung gehört hatte, brach in Tränen aus und schickte ihre Damen weg. Mit geröteten Augen verschwand sie in ihrem Gemach, und zum ersten Mal empfand Tilia Mitleid mit der Grafentochter. Eine Weile saß die Wehrsteinerin mit einer Stickarbeit auf ihrer Kleidertruhe und lauschte mit einem Ohr dem Geschwätz der Damen, dann fasste sie einen Entschluss. Sorgsam faltete sie ihre Arbeit zusammen, strich sich die Röcke glatt und ging hinüber zur Kemenate. Auf ihr Klopfen kam keine Antwort, trotzdem trat sie ein. Williburgis saß auf ihrem üppigen Bett, und zwischen den vielen bunten Seidenkissen wirkte sie verloren. Sie sah aus wie ein Kind, die Lippen schmollend vorgeschoben, eine zerlumpte Puppe an die Brust gepresst.

»Ich habe Euch nicht hereingerufen«, fuhr sie Tilia hochmütig an. Nur mühsam zähmte die Wehrsteinerin ihre aufflammende Wut und trat einige Schritte näher.

»Ja, ich weiß, doch ich bitte Euch, mich anzuhören.« Ohne eine Reaktion abzuwarten, fuhr Tilia fort. »Ihr seid die Tochter des Grafen und die Herrin dieser Burg. Ihr habt Eure Damen um Euch, auf dass sie Euch zu Diensten seien. Doch wer hat Euch umsorgt? Wer hat Euch zur Seite gestanden? Eure Kinderfrau. Nun ist sie durch einen tragischen Unfall zum Herrn gerufen worden und Ihr bleibt allein zurück.« Tilia holte Luft und sah Williburgis an, die mit unbeweglicher Miene geradeaus starrte. Ob sie überhaupt zuhörte? Dennoch fuhr Tilia fort. »Man braucht Euch nur anzusehen, und das Herz wird einem schwer. Ihr habt Sorgen und …«

Die Grafentochter richtete sich kerzengerade auf und fiel Tilia ins Wort. »Ich habe keine Sorgen, und außerdem geht Euch das überhaupt nichts an. Kümmert Euch um Eure eigenen Angelegenheiten …«

Die Wehrsteinerin senkte den Kopf und wartete, bis Williburgis sich wieder beruhigt hatte. Von dieser Seite war nicht an sie heranzukommen.

»Seht Euch den Saal an, schmeckt die Speisen, die auf den Tisch kommen, geht in die Kleiderkammer«, versuchte sie es noch einmal. »Wie solltet Ihr das alles allein schaffen? Das ist unmöglich. Lasst Euch helfen, und Zollern wird wieder so prächtig und gastfreundlich, wie es einmal war und wie man sich im ganzen Land noch immer erzählt.«

Williburgis nagte an ihrer Lippe. »Ja, Ihr habt schon Recht, wenn Ihr sagt, dass vieles im Argen liegt. Doch welche meiner Damen möchte schon die Mägde beaufsichtigen, welche Aufsicht über den Saal haben, welche sich mit Hanna anlegen, wenn der Braten verbrannt ist?«

»Ich, edle Herrin. Ich würde Euch gerne zur Seite stehen. Seht, ich habe auf Wehrstein nach dem Rechten gesehen. Ich habe dies an meiner Mutter Stelle in den letzten Jahren allein erledigt …«

»Aber Wehrstein ist keine solch große Burg wie Zollern!«, warf Williburgis ein.

»Nein, natürlich ist Wehrstein nicht so prächtig«, bestätigte Tilia, da die Grafentochter dies erwartete. »Ich kann sicher keine Wunder wirken, aber vielleicht manches dahin führen, wo es früher einmal war.«

Williburgis nickte langsam.

»Und Ihr braucht jemanden, der sich um Euch kümmert. Lasst mich das tun. Mich und meine Magd.«

Die Grafentochter nickte wieder.

»Dann werde ich Euch nun ein Kräuterbad richten lassen. Das wird Euch guttun. Und dann nehme ich mein erstes Gefecht mit Hanna auf.«

Williburgis schauderte. »Da beneide ich Euch nicht darum«, sagte sie mit großen Augen. Doch der Griff um ihre Puppe lockerte sich, die Lippen wurden weicher, und in den Augen keimte ein Stück neuer Lebenswille.

Tilia war noch nicht oft in der Küche gewesen. Dies war Hannas Revier. Hier lief die dicke Köchin auf ihren aufgedunsenen Beinen auf und ab, schwenkte den gefürchteten großen Kochlöffel, mit dem sie wohl zuzuschlagen wusste, und erhob ihre Stimme, wenn ihr etwas zuwiderlief. Sie runzelte ihre pockennarbige Stirn und brüllte, dass selbst Heinz, der Hüne, lieber das Weite suchte.

Die Wehrsteintochter ließ ihren Blick über die schmutzigen Töpfe gleiten. Der gestampfte Lehmboden war sicher schon eine Ewigkeit nicht mehr gefegt worden. Überall standen Schüsseln und Krüge mit Essensresten herum, auf denen sich nicht selten ein bläulich grüner Rasen ausgebreitet hatte. Das Herdfeuer loderte. Der unansehnliche Inhalt des Kessels darüber brodelte und spritzte, es zischte und dampfte. Daneben drehte ein Junge einen Fleischspieß. Hinten an der Rückwand an einem rohen Tisch entdeckte Tilia die Köchin mit einem Humpen in der Hand, der sicher kein Wasser enthielt. Ein paar Mägde und Knechte taten es ihr gleich.

»Hanna, ich möchte mit dir sprechen!«

Der Koloss von einem Weib erhob sich schwerfällig und kam mit großen Schritten auf Tilia zu. Furchtlos musterte sie die Ritterstochter. Da stand sie also, die gefürchtete Köchin, kerzengerade aufgerichtet, die Ärmel ihres Kittels hochgeschoben, dass die fetten Unterarme zu sehen waren. Die Hände in die ausladenden Hüften gestützt, den Kochlöffel wie immer in der Rechten, sah sie Tilia trotzig an, das Kinn herausfordernd nach vorn geschoben.

»Was wünscht Ihr?« Der Tonfall war nicht gerade ehrerbietig, doch Tilia ließ sich nichts anmerken.

»Es ist deinen aufmerksamen Augen sicher nicht entgangen, dass auf der Burg nicht alles so ist, wie es sein sollte – und wie es sich zeigte, als die Gräfin Udelhild noch Hausherrin war. So wird es jedenfalls erzählt.« Hanna presste grimmig die Lippen zusammen.

»Das Essen ist meist verbrannt oder verkocht und immer kalt.« Hanna knurrte wie ein wütender Bär.

»Der Saal ist schon lange nicht mehr gesäubert worden …«

»Was geht mich das an?«, unterbrach Hanna die Ritterstochter. »Ich bin Köchin und keine Magd!«

»Da hast du Recht, doch auch hier in der Küche könnte es reinlicher sein. Sieh nur die Töpfe, sieh nur die verdorbenen Speisen …«

Wieder unterbrach die Köchin unhöflich. »Was kann ich dafür, wenn die Weiber lieber schwatzen als arbeiten, wenn die Männer hier hereinkommen, wie es ihnen passt, und alles durcheinanderbringen.«

Tilia holte für den nächsten Angriff tief Luft. »Die Burgherrin Williburgis hat mich beauftragt, ihr bei ihren Pflichten behilflich zu sein. Hanna, du bist eine Unfreie wie alle Mägde und Knechte auf Zollern auch, und wenn etwas nicht in Ordnung ist, dann ist der Stock oder die Peitsche die angemessene Ermahnung.«

Die Köchin lief rot an und schnappte nach Luft. Dass ein dahergelaufenes Fräulein ihr mit der Peitsche drohte, das war ihr noch nicht passiert. Ehe ihr die passende Erwiderung einfiel, sprach Tilia schnell weiter.

»Ich könnte dich auch einfach auf die Felder schicken oder in den Stall und eine andere Magd in die Küche stellen, doch das möchte ich nicht. Du kannst gut kochen, und du bist klug, daher will ich mit dir zusammenarbeiten.«

Die aufgeflammte Wut machte einem lauernden Gesichtsausdruck Platz. »Wie meint Ihr das?«

»Nun, ich möchte den Mägden feste Aufgaben zuteilen. Jede hat eine Arbeit, für die sie verantwortlich ist. Ich werde die ordentliche Ausführung im Palas überprüfen und du hier in der Küche.«

Hanna grinste selbstgefällig. »O ja, da soll nur eine dieser Schlampen es wagen, ihre Arbeit nicht zu tun.« Sie ließ den Kochlöffel durch die Luft sausen.

»Das bedeutet, dass die Mägde die Töpfe scheuern und den Boden fegen – und dass du Zeit hast, wieder richtig zu kochen. Ich verlasse mich darauf, dass du dich deiner Aufgabe würdig erweist und dass in Zukunft der Braten nicht schwarz und der Eintopf nicht verkocht ist.« Tilia breitete die Arme aus und setzte zum letzten Dolchstoß an. »Ich habe mich für dich eingesetzt, weil ich dir vertraue. Du kannst mich jederzeit um Rat fragen, doch pass gut auf, dass nichts schiefgeht, denn sonst bin ich vor der jungen Gräfin blamiert – und sie schickt dich in Zukunft zum Schweineställeausmisten.«

Das saß! Hanna kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. »Gut, dann rufen wir am besten nach dem Abendmahl alle Mägde zusammen und verteilen deren Arbeit. Und wehe, es wird geschlampt!«

Sie lächelte verzückt. Tilia war sich sicher, dass die Köchin in Gedanken sich selbst für diesen guten Einfall lobte. Mühsam verbiss sich die Wehrsteinerin ein Grinsen, lobte stattdessen die Kochkunst der Unfreien noch einmal und verließ dann die Küche mit einem Gefühl der Erleichterung. Sie war sich sicher, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte.

Tilia traf Gret im Brunnenturm.

»Du strahlst ja plötzlich so«, bemerkte Gret, ohne die Hände von der Kurbel zu nehmen.

»Ich fühle unbändigen Tatendrang in mir, möchte am liebsten die Ärmel aufbinden und überall mit anfassen.«

Gret verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Willst du hier am Brunnenseil damit anfangen? Bis so ein Badezuber voll ist, kannst du viel Tatendrang beweisen.«

Tilias Miene verdüsterte sich. »Du hast Recht, und gerade deshalb war mir ja so unruhig zumute. Immer nur nutzlos in der Kemenate sitzen, dem dummen Geschwätz der Damen lauschen und sticken, während du hier draußen dir schwere Arme und wunde Hände holst.«

»Das ist der Lauf der Dinge«, antwortete Gret und wuchtete einen vollen Eimer über den Rand.

Tilia knetete nachdenklich ihre Hände. »Das ist es nicht allein. Ich gehöre nicht hierher. Sie sind mir alle so fremd. Nur mit dem Ritter Swenger kann ich reden. Er bringt mich zum Lachen. Auch mit Trude habe ich manches Wort gewechselt.« Sie schwieg einige Augenblicke, um nach den richtigen Worten zu suchen. »Mir scheint, als sei es in dieser Burg viel kälter als bei uns zu Hause. Mich friert es. In meinem Herzen ist es eisig, dass keine Daunendecke, kein Kaminfeuer den Frost vertreiben kann.«

Gret ließ die Kurbel durch die Finger gleiten, bis der leere Eimer dumpf auf die schwarze Wasseroberfläche klatschte. »Ich weiß, was du sagen willst. Vielleicht wäre mir auch kalt, wenn ich zwischen Brunnenwasser und Blutwürsten, Schweinemist und Feuerholz Zeit hätte, es zu spüren.«

»Du hast wenigstens noch Sofie.« Eifersucht schwang in den Worten.

Langsam und gleichmäßig drehte Gret die Kurbel. »Ach, ich sehe sie doch kaum. Sie spielt mit den anderen Kindern, und das ist gut so. Doch du scheinst immer noch um Dorothea zu trauern?«

Tilia trat von hinten an Gret heran, legte die Arme um ihre Taille und drückte die Wange an ihren Rücken. Sie spürte den rauen Stoff des verschlissenen Rockes und die Wärme, die durch das Gewand drang.

»Ich vermisse sie, denn sie war wie mein eigenes Kind, und ich vermisse dich.«

Kraftvoll kurbelte Gret weiter. »Ja, hier ist es nicht wie auf Wehrstein. Doch seit wann werden Weiber gefragt, wie sie leben wollen? Hör den Pfaffen zu, dann weißt du es. Gott, der Herr, stellt uns an den Platz, an dem er uns haben will. Eines Apfels wegen sind wir auf ewig verdammt, dem Manne Untertan zu sein.«

»Aber das passt dir nicht!«, stellte Tilia fest.

»Es ist egal, ob es mir passt oder nicht. Das interessiert keinen, und danach fragt auch keiner.«

Tilia hob den Kopf. »Doch«, sagte sie energisch, »mich interessiert es, und ich frage danach. Ich bin nicht bereit, hier nur herumzusitzen und eine der kleinen weißen oder schwarzen Figuren auf dem großen Spielbrett des Lebens zu sein, die von anderen herumgeschoben werden. Darum werde ich dafür sorgen, dass ich wieder mit dir zusammen sein kann, und ich werde – mit Fräulein Williburgis’ Erlaubnis – diesen schmutzigen, verkommenen Steinhaufen zu einer respektablen Burg machen.«

»Da habt Ihr Euch aber viel vorgenommen, Jungfrau Tilia«, erklang eine amüsierte Stimme von der Tür her. Die Frauen schreckten hoch. »Oh, welch trautes Bild habe ich gestört«, fuhr Ritter Swenger ohne echtes Bedauern fort und trat zu den Frauen. Er nahm Tilias schmale Hand in die seine und küsste sie leicht. »Ich wünsche Euch Glück und Erfolg bei Eurem Vorhaben. Ich wäre jedenfalls Euer untertänigster Sklave, wenn Ihr es schaffen solltet, dass der Drache, der in der Küche sein Unwesen treibt, wieder ein genießbares Essen zur Tafel bringt.«

Tilia lächelte. »Die ersten Schritte sind getan. Auch ich bin neugierig, wie schnell sie Wirkung zeigen.«

Swenger von Lichtenstein trat einen Schritt zurück und bot Tilia den Arm. »Ich brenne darauf, von Eurer Schlacht zu hören. Ihr könnt mir auf dem Weg berichten.«

»Auf dem Weg? Wohin wollt Ihr mit mir gehen?«

Swenger verdrehte in gespielter Verzweiflung die Augen. »Dass Ihr aber auch immer solch Misstrauen hegen müsst. Nun gut, dann verrate ich es Euch eben. Im Stall hat gerade ein Fohlen der wunderbarsten Stute hier auf der Burg das Licht der Welt erblickt, und ich dachte mir, Ihr wolltet es vielleicht ansehen.«

»O ja!«, strahlte die Wehrsteinerin und folgte dem Ritter in den Hof hinaus.

Gret hängte die Eimer in die eisernen Haken und legte sich den hölzernen Tragebalken über die Schulter. Ihr Blick folgte Tilia und dem Ritter, als sie über den Hof schritten.

»Die Kälte in deinem Herzen wird sicher bald vergehen«, murmelte sie vor sich hin.

An Swengers Seite schritt Tilia munter plaudernd dahin. Sie liebte es, neben einem Mann herzugehen, sich mit großen Schritten zu bewegen. Nicht dieses mühsame Getrippel, das die Damen an den Tag legten, erschöpft innehaltend, nachdem sie kaum die Hälfte des Hofes durchquert hatten. Vor allem die Dame von Baden, die ihre ausladende Körperfülle nur mit beträchtlicher Mühe auf den hohen Schuhen balancieren konnte. Tilia lächelte in sich hinein.

Vom Palas aus sah der Merkenberger dem Paar nach. Er runzelte die Stirn, überlegte einige Augenblicke und folgte den beiden schließlich nach. Er lugte durch einen Spalt in der Brettertür und beobachtete, wie Swenger Tilia zur Pferdebox führte, sah sie das Muttertier streicheln und sich dann zu dem Fohlen hinabbeugen. Er hörte ihr Lachen, als Swenger in neckendem Tonfall etwas zu ihr sagte. Die blauen Augen weit offen, das ebenmäßige Antlitz ihm zugewandt, kniete sie im Stroh und sah zu dem Ritter hinauf, der sich lässig über die Brüstung lehnte. Es schien nicht so, als würde noch etwas Ungebührliches geschehen. Der Teufel hatte sicher gerade woanders zu tun.

»Ah, die lieblichste aller Jungfrauen gibt dem jungen Hengst die Ehre«, sagte der Zollernsohn laut und trat in den Stall.

»Es ist ein wunderschönes Tier, Graf. Es wird Euch später sicher durch alle Gefahren tragen.«

Der Merkenberger lachte. »Das will ich hoffen, doch noch ist es nicht sicher, ob es mich oder meinen Bruder später in seinem Sattel haben wird.«

Rasch wechselte Tilia das Thema, denn selbst in diesen Worten spürte sie die rasende Eifersucht des Ritters auf den Erstgeborenen.

Swenger hatte sich, seit der Merkenberger aufgetaucht war, nicht von der Stelle gerührt. Er beobachtete die beiden aufmerksam, ohne das amüsierte Lächeln zu verlieren. Er bemerkte die Blicke wohl, die der Grafensohn ihm zuwarf, doch es machte ihm Spaß, ihn ein wenig zu reizen. Wann würde er ihn unter einem Vorwand hinausschicken? Lange konnte es nicht mehr dauern.

»Die anderen sammeln sich, um einen kleinen Ritt zu machen. Wolltet Ihr nicht mit?«, sagte der Grafensohn, kaum hatte Swenger den Gedanken in seinem Kopf bewegt.

»Nein, nein, ich reite heute nicht mit«, wehrte er mit einem strahlenden Lächeln ab. »Doch danke für die große Fürsorge.« Auch Tilia entging der leichte Spott in seiner Stimme nicht.

»Diemo sucht Euch«, versuchte es der Zoller noch einmal. »Ihr wolltet mit ihm den Schwertkampf üben.«

»Er ist ein schlaues Bürschchen und wird mich hier schon finden, wenn ihm so viel an den blauen Flecken gelegen ist, die ich ihm verpassen werde.« Nun grinste er offen über das ganze Gesicht und labte sich an den wütenden Blitzen in des Grafensohns Augen. »Doch wenn Ihr mit der holden Jungfrau allein sein wollt, dann sagt es einfach. Ich kann es gut verstehen und räume den Kampfplatz nur mit Widerwillen – doch mit dem Respekt vor meinem Herrn, wie es der Brauch ist.«

Swenger von Lichtenstein verbeugte sich spöttisch und weidete sich an der verkniffenen Miene des Merkenbergers, der nur mühsam eine Verwünschung zurückhielt. Aufreizend langsam tänzelte Swenger davon. Ihm entging nicht der reservierte Klang, der sich nun in Tilias Stimme schlich, sah noch, wie sie sich erhob, die Röcke glatt strich und ein wenig mehr Abstand zwischen sich und den Grafensohn brachte. Fröhlich pfeifend entfernte sich der Ritter.

Friedrich von Zollern mühte sich, die entspannte Stimmung zurückzuholen, doch Tilia blieb, bei aller Freundlichkeit, zurückhaltend. Nach einer Weile gab er es auf und bot ihr den Arm, um sie zum Palas zurückzubringen.

»Ich habe gehört, Ihr habt eine umfangreichere Erziehung genossen als so manche Herzogin«, sagte er leichthin, beobachtete das Mädchen jedoch aufmerksam.

»Wie kommt Ihr darauf? Ich sticke nur mittelmäßig und beherrsche auch nicht alle Tanzschritte«, erwiderte die Wehrsteinerin mit Bedauern.

»Doch Ihr könnt lesen und schreiben, und das ist, wie Ihr zugeben müsst, ungewöhnlich.«

»Ja, da habt Ihr Recht. Meine Mutter besitzt ein herrliches Gebetsbüchlein, in dem sie stets zu lesen pflegte, und da ich eigentlich fürs Kloster bestimmt war, habe ich den Umgang mit Feder und Tinte gelernt. Mit dem Lateinischen allerdings konnte ich mich nie anfreunden. Unser Pater hat es vergeblich versucht, doch unter uns, mir kam nicht selten der Verdacht, dass auch er mit der Sprache Roms nicht so vertraut ist, wie es der Heilige Vater bei seinen Hirten sicher gern sehen würde.«

Der Merkenberger lachte und tastete sich dann vorsichtig weiter. »Auf Zollern sind die Schreiberlinge rar gesät. Vater Laurenz fällt es stets zu, nach Feder und Pergament zu greifen, wenn eine Nachricht oder Urkunde verfasst werden soll. Nur noch der Graf ist des Lesens mächtig, doch es ist nichts für einen Ritter, sich mit derlei zu befassen.«

Tilia nickte nur und sah ihn fragend an.

»Vielleicht könntet Ihr ja, liebe Jungfrau Tilia, mir das eine oder andere Mal eine Botschaft zu Pergament bringen, wenn ich Vater Laurenz nicht damit belästigen möchte?«

»Oh«, Tilia strahlte ihn offen an, »ich stelle Euch und dem Herrn Grafen natürlich gern meine bescheidenen Fähigkeiten zur Verfügung, wenn es Euer Wunsch ist.«

Er wand sich und suchte nach Worten. »Nein, nicht für den Vater oder Bruder, nur für mich allein. Ihr solltet das alles für Euch behalten – am besten es weder in Eurem Herzen noch in Eurem hübschen Kopf weiterbewegen.«

Tilia stutzte, doch dann breitete sich ein schelmisches Lächeln über ihre Wangen aus und vertiefte sich zu reizenden Grübchen. »Pfui, Herr Ritter, schämt Euch, die Dienste einer Dame anzunehmen, um mit einer anderen – auch wenn sie Euch versprochen ist – zarte Worte auszutauschen.«

Friedrich von Zollern lachte kurz auf. »Ich schwöre Euch, meine schöne und reizende Tilia von Wehrstein, solch Frevel würde ich nie begehen. Doch sagt, kann ich auf Euch zählen? Würde es unser Geheimnis bleiben? Wir wollen den Kaplan nicht eifersüchtig machen.«

Sie warf ihm einen mutwilligen Blick zu. »Ja, Ritter, Ihr könnt auf mich zählen.«

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