Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 27
KAPITEL 16
ОглавлениеEs war, als weigere sich der Tag, seinen gewohnten Gang zu gehen. Länger als sonst blieb es finster. Der Mond war längst untergegangen, und die Sterne verkrochen sich hinter grauschwarzen Wolken, aus denen erst leicht und dann immer stärker die Regentropfen herabprasselten. Dicke Tropfen weichten den Boden auf, sammelten sich zu schmalen Wasserfäden, spülten schmale Rinnen aus und entleerten sich dann in den Graben zwischen Burg und Vorhof. Das schlammige Wasser mischte sich mit dem stinkenden Unrat zu einem zähen Sumpf.
Nur trübe erhellte das gedämpfte Morgenlicht das trostlose Grau. Da schlüpften die Mägde und Knechte nur widerwillig in ihre feuchten Kittel und Röcke, stülpten sich die mit klammem Stroh gepolsterten Holzschuhe über, hüllten sich in ihre zerschlissenen Umhänge und machten sich auf, ihr Tagewerk zu beginnen.
»Dich brauche ich für die Wurst«, war das Erste, was Gret an diesem Morgen zu hören bekam, als sie steifbeinig und schlaftrunken zur Latrinengrube torkelte und dort auf Hanna traf.
»Das Frühmahl fällt für das Gesinde heute aus. Erst wird geschlachtet.«
»Ich wünsche dir auch einen guten Morgen«, entgegnete Gret gähnend und hob ihr Hemd.
Hanna grinste. »Brauchst gar nicht schnippisch zu werden. Heute wird gearbeitet. Um dich mit den Herren Grafen zu belustigen, hast du des Nachts ja Gelegenheit genug.« Die Köchin wartete keine Antwort ab, sondern stapfte durch den Regen davon.
Gret streckte dem breiten Rücken die Zunge heraus. »Altes Keifweib«, brummte sie, um ihren Unmut loszuwerden.
Bevor sie den Anweisungen der Köchin folgte, warf die Magd noch einen Blick in den Gesindeschlafraum. Beruhigt sah sie Sofie mit zwei anderen Mädchen in den Binsen sitzen und mit grob geschnitzten Stöckchen spielen. Sie küsste ihrer Tochter die Wangen.
»Bleib schön hier bei den anderen Kindern. Ich hole dich später, wenn es etwas zu essen gibt.«
Das kleine Mädchen nickte nur, ohne sein Spiel zu unterbrechen. Eilig lief die Wehrsteiner Magd zur Küche, um ihre Befehle entgegenzunehmen. Mit Hanna zusammen trug sie einen großen Eisenkessel hinaus. Ella folgte ihnen, mit einem Eimer und langen Holzlöffeln beladen. So schlitterten und rutschten die drei über die triefende Zugbrücke zu einem windschiefen Strohdach, das an vier Pfosten befestigt war. Der gestampfte Lehmboden war von dunklem Rot. Ein junger Ochse, der an einem der Pfosten angebunden war, sah die Frauen aus großen, braunen Augen ängstlich an. Vielleicht roch er das Blut, das den Boden über unzählige Jahre hinweg getränkt hatte.
Stöhnend stellten die Frauen den schweren Kessel auf die Erde. Schlamm spritzte gegen ihre Füße. Für einige Augenblicke war nur das Rauschen des Regens zu hören, doch dann quiekte ein Schwein. Drüben an der Mauer wurde die Tür zum Stall aufgerissen, und zwei Knechte mühten sich, eine ausgewachsene Sau zum Schlachtplatz zu treiben. Ein kräftiger Kerl mit wildem Bart zog ungeduldig an dem Strick, den er dem Schwein um eines der Vorderbeine gebunden hatte. Ein langer Bursche, dessen ausladender Schlapphut seine Züge verbarg, drosch mit einem Stock auf das Tier ein, doch immer wieder gelang es der Sau, seitlich auszubrechen. Die Männer fluchten.
»Verdammt, Jakob, nun zieh halt«, rief der mit dem Schlapphut.
»Mach ich ja, du Besserwisser. Lern du lieber die Rute zu führen. Hau ihm eins auf den Schinken, aber richtig!«
Hanna gab ihre nicht sehr hohe Meinung über die Fertigkeiten der Männer zum Besten, doch dann lief sie zu den beiden und packte das Schwein bei den Ohren. Empört quiekte das Tier auf, als die drei Eigenleute des Grafen es unter das Dach zerrten. Ella holte einen zweiten Strick und half, dem sich wehrenden Schwein die Hinterbeine zu fesseln. Jakob hakte flink eine grobe Kette ein, dann zog er sie mit des Erkingers Hilfe über das hohe eiserne Dreibein. Das Schwein schrie ohrenbetäubend, während es langsam den Boden unter den Beinen verlor. Bald baumelte es hilflos quiekend in der Luft. Jakob zog seinen langen Dolch aus dem Gürtel. Der Ochse zerrte an seinem Riemen und brüllte mit dem Schwein um die Wette, als der scharfe Stahl flink in Speck und Fleisch fuhr. Blut spritzte über Arme und Kittel und troff in den Schlamm. Noch einmal schwoll das Kreischen an, dass es durch Mark und Bein fuhr. Dann brach das Quieken ab.
Hanna und Gret wuchteten den Kessel heran. Geschickt schlitzte der Knecht den noch zuckenden Körper der Länge nach auf, dass das frische Blut in warm dampfenden Strömen in den Kessel floss. Der Ochse schnaubte ängstlich. Längst war ihm klar, dass er das nächste Opfer sein würde.
»Mama, Mama«, rief Sofie und kam, triefend vor Nässe, in ihrem kurzen Kittel durch den Regen gehüpft. Die nackten Beine waren bis zu den Knien mit Schlamm bedeckt. Ein Strahlen huschte über Sofies Wangen, als sie Gret unter dem Dach entdeckte.
Die Ärmel hochgekrempelt, den langstieligen Löffel mit beiden Händen umfasst, stand Gret nun schon seit Stunden hier und rührte den Topf mit Blut durch, damit es nicht gerinnen konnte. Hinter ihr hingen die Kadaver oder das, was von ihnen übrig war. Immer wieder kam Hanna oder einer der Knechte, ein Stück Fleisch oder Speck zu lösen, um es in der Küche zu kochen oder braten, salzen oder unter dem Dach zum Trocknen aufzuhängen.
Sofies Händchen krallten sich in Grets Rock. »Die haben alle was zu essen gekriegt, aber du hast mich nicht geholt.«
»Tut mir Leid, mein Schatz. Ich muss hier noch eine Weile rühren. Hast du von Rüdger was bekommen?«
Sofie schüttelte den Kopf. »Aber die Ella hat mich in die Küche mitgenommen und mir Brot gegeben.« Sie öffnete eines ihrer schmutzigen Fäustchen und ließ ein zerdrücktes Etwas sehen, das mal ein Stück Brot gewesen sein konnte.
»Willst du das?«, fragte das Kind.
Dankend lehnte Gret ab. »Iss du nur.«
Das Kind schob sich den Kanten zwischen die Zähne und kaute schmatzend. »Da kommt Tilia«, sagte Sofie plötzlich und deutete mit ihren spuckenassen Fingern zum Tor hinüber. Gret wandte den Kopf.
In ihren dicken Mantel gehüllt, schritt die Wehrsteintochter durch den Morast auf sie zu, trat unter das Dach und schüttelte sich, dass die Tropfen flogen. Schweigend sah sie die Magd an, die stumm das Blut umrührte.
»Sie sitzen seit dem Morgenmahl in der Kemenate zusammen und sticken – und reden sinnloses Zeug. All die großen Damen.« Tilia knetete ihre Hände. Sie wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. Es war, als sei ihr Gret in diesen wenigen Tagen fremd geworden. Mit unbeweglicher Miene stand die Magd nur da und rührte.
»Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Die Burg ist viel größer als Wehrstein, und doch komme ich mir vor wie der kleine Vogel in seinem Käfig, den die Edelfrau von Baden in ihrer Kammer hält. Mir war, als bekomme ich keine Luft mehr.« Sie räusperte sich. »Die haben gesagt, ich sei verrückt und werde mir den Tod holen, wenn ich in den Regen hinausgehe, aber ich wollte einfach wissen, wie es dir und Sofie geht«, sagte Tilia leise. »Ich vermisse Dorothea und denke immer, wie einsam sie sich fühlen muss, dort in der fremden Umgebung zwischen den kalten Klostermauern.«
Grets Züge wurden weich. »Danke, wir kommen schon zurecht. Und Dorothea wird sich an das Leben bei den Nonnen gewöhnen. Es ist nicht das Schlechteste für eine Frau.«
»Sie geben dir viel Arbeit«, stellte Tilia fest und nickte in Richtung Kessel.
»Eine Magd ist zum Arbeiten da«, erwiderte Gret gleichgültig. Unruhig trat Tilia von einem Fuß auf den anderen. »Die anderen Damen reden über den jungen Grafen – und über dich.«
Gret versteifte sich.
»Sie sagen, Graf Eitelfriedrich hat nun was Neues für sein Lager.« Tränen traten in ihre blauen Augen. »Es tut mir so leid, Gret. Du hättest auf Wehrstein bleiben sollen.«
Die Magd sah erstaunt auf. »Des Grafensohn Lager ist nicht unangenehmer als Rüdgers, das glaube mir.«
»Aber Rüdger ist dein Gemahl.«
Die Magd schnaubte durch die Nase. »Auch auf Wehrstein hat der Vater mich zu Graf Eitelfriedrich geschickt, wusstest du das nicht? Was glaubst du wohl, warum ich mitkommen sollte?«
»Ich wusste es nicht. Wahrscheinlich wollte ich es gar nicht wissen.« Die Ritterstochter seufzte tief.
»Jetzt schau nicht so leidend. Ich lass mich nicht unterkriegen.« Gret schlug einen heiteren Ton an, versuchte sich an einem Lächeln und wechselte das Thema.
»Wie geht es denn dir dort drin mit den ganzen Rittern und der jungen Gräfin?«
Tilia zuckte die Schultern. »Williburgis benimmt sich sehr merkwürdig. Heute hat sie noch kein Wort gesprochen. Sie starrt nur mit ablehnender Miene vor sich hin. Den anderen Damen scheint ausschließlich an ihrem Vergnügen gelegen zu sein. Die Ritter, nun ja«, sie überlegte. »Die meisten sehe ich lieber nur von fern. Außer Swenger von Lichtenstein, der ist sehr zuvorkommend. Bei ihm fühle ich nicht diese Beklemmung. Und dann ist da noch der Merkenberger. Ich werde nicht so ganz schlau aus ihm. Er stößt mich ab und ist dennoch seltsam faszinierend.«
Gret hustete, als habe sie sich verschluckt, und wechselte schon wieder unvermittelt das Thema.
»Wenn ich an den Saal in Wehrstein denke, dann kommt mir der auf Zollern trotz seiner beachtlichen Größe eher wie ein Saustall vor.«
»Ja, ist es nicht ein Jammer?«, pflichtete ihr Tilia bei. »Ich habe schon vorsichtig nachgefragt, wer denn welche Arbeiten übernehmen würde, doch sie haben mich nur auf meinen Platz verwiesen. Die von Baden will nichts von Arbeit wissen und schiebt alles auf Williburgis, und die anderen sagen, es käme ihrem Rang nicht zu, ohne Anweisungen der Zollerndame etwas zu ändern. Und darüber sind die verdammt froh, wenn du mich fragst.«
Der untypische Fluch der Ritterstochter entlockte der Magd ein Lächeln. »Früher oder später wirst du die Fäden schon in die Hand nehmen«, prophezeite sie.
»Lieber gestern als heute«, knurrte Tilia. »Doch ich wollte eigentlich mit dir über den Merkenberger sprechen. Er verwirrt mich. Er hat mir so merkwürdige Fragen gestellt.«
Zum ersten Mal ließ Gret den Löffel ruhen und schaute Tilia scharf an.
»Er wollte wissen, wie ich Haigerloch finde und ob ein Weib sich mit Politik befassen soll und manches mehr.«
Gret begann wieder zu rühren. »Sie wissen, dass wir während des Überfalls in Haigerloch waren, und sie wissen von Heinrichs Wunden. Die Gerüchte und Verdächtigungen werden mit jedem Tag wilder, wenn du ihnen nicht Einhalt gebietest.«
Tilia hob hilflos die Hände. »Wie soll ich das?«
»Sprich mit dem alten Grafen, wenn er zurückkommt. Sag ihm die volle Wahrheit und vertraue dann darauf, dass er die Schwätzer zum Schweigen bringt.«
Die Küchenmagd Ella beendete das vertrauliche Gespräch. Sie schöpfte einen Eimer Blut und brachte ihn in die Küche. Nachdenklich kehrte Tilia zum Palas zurück, während in der Küche für die Blutwurst Bauchspeck und Schwarte gekocht, Därme gesäubert und Brühe abgeschöpft, Milch mit Blut verrührt, Speck und Zwiebeln gewürfelt und dann alles mit wertvollen Nelken und weit gereistem Pfeffer gewürzt wurde.
»Vater Laurenz?«
Zaghaft trat Tilia in die düstere Kapelle. Noch immer rauschte der Regen herab, ein kalter Wind heulte um die Ecken. Fröstelnd zog Tilia ihren klammen Mantel enger um die Schultern, ging langsam über die unebenen Steinplatten zum Altar hinunter, knickste und bekreuzigte sich vor dem leidenden Christus. Ihre Schritte hallten durch die leere Kapelle.
»Vater Laurenz, seid Ihr da?«, fragte sie noch einmal.
Da öffnete sich die schmale Tür in der Wand zwischen dem Bildnis der drei Frauen am Grab und dem des heiligen Michael. Gähnend schlurfte der Gottesmann heran. Sein schütteres, graues Haar stand wild in alle Richtungen.
»Was kann ich für Euch tun, mein Kind? Ihr kommt wohl zur Beichte. Das ist gut. Setzt Euch zu mir und erzählt mir alles genau, denn nur dann kann ich Eure Seele wieder rein waschen.«
Tilia schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht gekommen, um zu beichten, Vater Laurenz. Ich wollte Euch um ein Stück Pergament, Feder und Tinte bitten.«
Der Kaplan verzog säuerlich den Mund und sah das junge Mädchen von oben bis unten an. »Ich bin ein Mann Gottes, kein Schreiber für jedermanns unkeusche Liebesschwüre«, keifte er.
Tilia versuchte, freundlich zu lächeln. »Ich habe nicht vor, eine Liebesbotschaft zu verfassen. Ich möchte meinem Vater, dem Edelfreien Hildebolt von Wehrstein, eine Nachricht zukommen lassen. Ich habe gehört, ein Bote bricht morgen nach Westen auf.«
»Aha«, brummte Vater Laurenz und kratzte sich seine von der Kälte gerötete Nase. »Hat der Herr Graf das erlaubt?«
Tilia musste sich Mühe geben, ihre aufkeimende Wut zu zügeln. »Ich glaube nicht, dass ich eine Genehmigung des Grafen benötige, um mit meinem Vater zu korrespondieren.«
Vater Laurenz murmelte etwas Undeutliches und winkte ihr dann, ihm zu folgen. Er führte Tilia in einen kleinen Anbau. In dem vorderen, winzigen Raum stand ein Schreibpult mit einem Hocker davor und eine massive Eichentruhe. Durch die offene Tür konnte das Mädchen im Nebenraum eine schmale Bettstatt sehen und auf einem Brett an der Wand – Bücher. Mindestens ein Dutzend. Tilia riss erstaunt die Augen auf. Solche Schätze hätte sie hier nicht erwartet.
Der Kaplan setzte sich auf den Schemel, zog ein Blatt Pergament hervor, rührte die abgestandene Tinte auf und spitzte die Feder. »Nun, was wollt Ihr Eurem Herrn Vater mitteilen?«
Tilia wehrte ab. »Nein, nein, Vater Laurenz, Ihr missversteht mich.
Ich möchte Euch nicht belästigen und Eure Dienste in Anspruch nehmen. Ich kann selbst lesen und schreiben.«
Der Gottesdiener kniff den Mund zusammen, dass seine Lippen fast verschwanden. Nur widerwillig räumte er seinen Platz, um ihn dem Mädchen zu überlassen. Mit auf dem Rücken verschränkten Händen schritt er, leise vor sich hin brummelnd, auf und ab. Immer wieder hob er den Blick und versuchte, etwas vom Inhalt des Schreibens zu erhaschen. Tilia atmete tief durch. Sie hätte schreien mögen. Der durchdringende Blick aus seinen hellgrauen Augen machte sie nervös, und es ärgerte sie, dass er sie so misstrauisch beäugte. Schon streckte er die Hand nach dem Schreiben aus, kaum hatte sie schwungvoll ihren Namen darunter gesetzt.
»Hättet Ihr noch ein wenig Siegelwachs?«, fragte sie betont freundlich und faltete den Brief zusammen Zähneknirschend reichte er ihr das Gewünschte. Da Tilia keinen Siegelring besaß, ritzte sie ihre Initialen in das weiche Wachs. Die ausgestreckte Hand ignorierend, steckte sie den Brief in ihren Mantel.
»Bemüht Euch nicht, Vater«, sagte sie betont freundlich, »ich werde dem Boten das Schreiben selbst geben. Ich habe schon genug Eurer kostbaren Zeit geraubt und will Euch nun nicht länger belästigen.«
Vater Laurenz folgte ihr in die Kapelle zurück. »Ich habe Zeit, mein Kind, wenn Ihr jetzt beichten wollt? Vielleicht gibt es ja etwas, das auf Eurer Seele lastet und Euer Gewissen betrüben könnte?«, fügte er schlau hinzu.
Tilia musste sich ein Grinsen verkneifen. »Guter Vater, es steht nichts in meinem Schreiben, das ich Euch nun beichten müsste, um meine Seele nicht zu gefährden.« Ohne sich noch einmal umzudrehen, schwebte sie hinaus in dem Bewusstsein, sich auf Zollern wieder einmal keinen Freund gemacht zu haben.
Der Kaplan blieb nicht lange allein. Ein Ritter trat in die Kapelle und ging dann leichten Schrittes bis zum Altar.
»Kommt Ihr, zu beichten, Ritter Swenger von Lichtenstein?«, fragte Pater Laurenz scharf. Die Abscheu in seiner Stimme war nicht zu überhören. Der junge Ritter senkte das Haupt, obwohl er am liebsten aus der Kapelle gestürmt wäre, doch die Angst vor den Qualen des Feuers, das ihn dereinst nach seinem Tod verzehren würde, ließ ihn den Zorn schlucken. Beherrscht antwortete er.
»Ja, Vater, ich habe gesündigt und bitte um eine schwere Buße, damit meine Seele gereinigt werde.«
Vater Laurenz schlurfte heran, legte seine knochige Hand auf das entblößte Haupt und murmelte die passenden lateinischen Floskeln.
»Berichtet mir von Eurem sündhaften Tun und lasst nichts aus. Bereut von Herzen und versprecht Besserung, denn nur so kann Eure Seele gerettet werden.«
Er spürte, wie sich der Ritter wand, sich wehrte. Widerstand vereinigte sich mit Zorn, doch der Beichtvater ließ sich nicht beirren. Er musste all die abscheulichen Einzelheiten wissen, um eine angemessene Strafe zu verhängen. Erst dann konnte er die sündige Seele freisprechen. Außerdem war der Gottesdiener stets begierig darauf zu wissen, was auf der Burg wirklich vor sich ging.
Am Abend setzte sich Tilia wieder auf die speckige Bank neben den Ritter Swenger von Lichtenstein. Noch waren der Graf und sein Ältester nicht zur Burg zurückgekehrt. Der Merkenberger ließ ein Fass schweren Moselweins anstechen, die Wangen der Ritter und Damen röteten sich, und schon bald drohte die Stimmung überzukochen. Benigna von Hölnstein und Salome von Ringelstein-Killer ließen ihre Reize sehen und warfen den Rittern gar schamlose Blicke zu. Sie plapperten und lachten, tranken und wischten sich immer öfter den Schweiß von der Stirn.
Hans von Zell-Andeck sah Salome aus großen, trunkenen Augen bewundernd an. Sie rutschte ein Stück näher, gurrte und kicherte verführerisch, presste ihre üppigen Brüste an seinen Arm, dass der Ritter abwechselnd rot und blass wurde. Er schluckte nervös und merkte nicht, wie die anderen vergnügt die Szene beobachteten und ihre Späße machten. Als er jedoch wagte, seine Hand an ihre Taille zu legen, rückte sie plötzlich von ihm ab. Ganz die große Tugend, schalt sie ihn mit scharfer Zunge, schlug ihm gar ins Gesicht und wandte ihm dann den Rücken zu, um mit Walger von Bisingen zu schäkern.
Tilia sah, wie die Miene des Ritters erstarrte, seine Augen verengten sich, mit einem Ruck stand er auf und stürmte hinaus.
Er ist in Liebe zu ihr entbrannt, und nun hat sie ihn gekränkt, ging es Tilia durch den Sinn. Salome von Ringelstein-Killer sah dem Ritter nach und lächelte triumphierend. Sie weiß es, und sie macht es mit Absicht, dachte Tilia voller Abscheu.
Nun hielt Salome nach einem neuen Opfer Ausschau, und da kam ihr der Knappe Diemo gerade recht. Mit wiegenden Hüften schritt sie zu ihm und ließ sich neben dem Jüngling auf die Bank sinken.
»Welch Freude ist es für des Weibes Auge, solch unversehrte Wangen zu sehen.« Sie warf Walger einen boshaften Blick zu. »So weich und frisch. Sind es die Wangen eines Mannes oder die eines Kindes, frage ich mich immer wieder.« Ihre Fingerspitzen fuhren die Linien seines Mundes nach. »Und diese Lippen, so zart und weich. Haben sie der Liebe Süße bereits gekostet? Ist der Schoß noch jungfräulich?«
Röte schoss Diemo ins Gesicht, doch er wagte nicht, die Edelfrau zurückzuweisen.
»Salome, kommt her zu mir, wenn Ihr eines kräftigen Mannes Glieder bedürft«, rief ihr Walger zu und klopfte einladend auf den Platz an seiner Seite. »Was wollt Ihr mit einem Kind?«
»Ich bin kein Kind mehr«, rief Diemo von Melchingen empört und sprang auf. Seine Stimme kiekste. Die Ritter lachten dröhnend.
»Da habt Ihr es«, überschrie Salome den Tumult. »Er hat bereits Erfahrung mit weichen Schenkeln!«
»Pah, das kann jeder behaupten. Er muss uns erst mal beweisen, dass er schon ein Mann ist«, mischte sich Otto von Ringelstein-Killer ein, sprang auf und, ehe es sich der Knappe versah, hatte er ihm die Beinlinge heruntergerissen und zerrte an dessen Rock. Diemo wehrte sich mit aller Kraft.
Der Ritter Walger von Bisingen packte Ella, die gerade mit einem Krug in der Hand in den Saal trat. Mit einem Schrei ließ sie den Krug fallen. Klirrend zersprang er auf dem Boden, und der Wein färbte die schmutzigen Binsen rot.
»Ich habe hier etwas zum Üben«, rief Walger und schleppte die kreischende und sich wehrende Magd zum Tisch. Berchtold und Benz sprangen herbei und griffen zu. Mit Schwung hoben sie die Magd hoch und warfen sie auf den Tisch, dass sie mit einem dumpfen Schlag auf der Holzplatte landete und zwischen Fleisch- und Knochenresten auf dem Rücken liegen blieb. Ein paar Tonbecher gingen zu Bruch.
Die Grafentochter sprang von ihrem Platz auf und stürmte, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Saal. Die Dame Eleonore von Zell-Andeck und die Kinderfrau Trude folgten ihr. Tilia saß wie erstarrt auf ihrem Platz und verfolgte das Geschehen mit weit aufgerissenen Augen. Ungläubig wanderte ihr Blick zwischen den Rittern und Damen hin und her.
Swenger beugte sich zu ihr herüber. »Als keusche Jungfrau solltet Ihr Euch nun ebenfalls zurückziehen«, riet er ihr. Auch er machte keine Anstalten, dem Treiben Einhalt zu gebieten.
Einer der Edelknechte kniete auf den Armen der Magd, ein anderer zerrte an ihrem Rock, zwei der Ritter überwältigten den Jüngling und schleppten ihn trotz heftiger Gegenwehr heran.
Heilige Jungfrau, lass irgendetwas geschehen, betete Tilia inbrünstig, als die Tür aufgestoßen wurde und der alte Graf erschien, sein ältester Sohn in seinem Schatten. Er sagte kein Wort. Er stand einfach da und ließ den Blick durch den Saal schweifen, und dennoch verstummte das Geschrei, die Edelknechte ließen die Magd los, die Ritter den Knappen zu Boden.
Eilig krabbelte Ella vom Tisch, ordnete notdürftig ihr Gewand und schlüpfte zur Tür hinaus. Diemo zog sich die Beinlinge hoch und strich sich das Haar glatt, die anderen nahmen wieder auf den Bänken Platz. Es war, als habe der Blick und der leichte Luftzug den Weindunst und mit ihm die Tollheit aus ihren Köpfen geblasen. Nur zögerlich flammte hier und da ein leises Gespräch auf. Die Männer wandten sich wieder den fetttriefenden Fleischstücken und dem angebrannten Brot zu.
Verwirrt verabschiedete sich Tilia, um in ihrer Bettstatt Zuflucht zu suchen. Übelkeit brannte ihr im Hals und raubte ihr noch lange den Schlaf.
Es war schon spät, als Vater Laurenz zum Palas hinüberschlurfte. Im Saal schnarchten die betrunkenen Ritter mit den Hunden um die Wette. Die Miene des Kaplans spiegelte Abscheu wider, als er seinen Rock hob und über einen der Schläfer stieg. Die Kienspäne in den Haltern brannten noch, so dass er keine Mühe hatte, sein Ziel zu finden. Zweimal klopfte er an die Tür und trat dann ein. Den versiegelten Brief in Händen, ging er mit großen Schritten auf Eitelfriedrich von Zollern zu, der mit einem Zinnbecher in den Händen in seinem bequemen Lehnstuhl saß.
»Das hat das Fräulein von Wehrstein …«
Erst jetzt sah er, dass der Grafensohn nicht allein war. Sein Bruder lümmelte auf dem Bett und erhob sich nun neugierig.
»Ein Schreiben der lieblichen Jungfrau? An wen? Was steht darin?«
»Es ist an ihren Vater gerichtet, und ich weiß nicht, was darin steht. Sie hat den Brief selbst geschrieben«, antwortete der Kaplan würdevoll.
»Na dann wollen wir mal sehen, was die Jungfrau so zu berichten hat«, sagte der junge Friedrich, schlenderte zu seinem Beichtvater, riss ihm den Brief aus der Hand und brach das Siegel. Sein Bruder protestierte.
»Willst du ihn nicht erst Vater zeigen?«
Sein jüngerer Bruder zuckte die Schultern. »Wozu? Vater Laurenz soll ihn uns vorlesen, und dann können wir uns immer noch überlegen, ob wir dem Grafen davon erzählen.«
Eitelfriedrich nickte widerstrebend. »Also, lest uns den Brief vor, Vater Laurenz.«
Der junge Friedrich gab das Pergament zurück. Mit großer Geste faltete es der Kaplan auseinander, räusperte sich ausgiebig und begann dann zu lesen. So manchen Satz ließ er weg, manchen schmückte er ein wenig aus, gerade so, dass die Grafensöhne ärgerlich die Stirnen runzelten.
»Woher habt Ihr das?«, fragte der Ältere der Grafensöhne, als der Kaplan geendet hatte.
»Ich habe mir erlaubt, es dem Boten wieder abzunehmen, da das Fräulein offensichtlich sehr darauf bedacht war, mir den Inhalt des Schreibens zu verheimlichen.«
»Lasst den Brief hier«, sagte Eitelfriedrich und streckte fordernd die Hand danach aus, bevor sich sein Bruder dessen bemächtigen konnte. Doch Friedrich schien das Interesse daran verloren zu haben. Gähnend räkelte er sich, murmelte einen Gute-Nacht-Gruß und trollte sich, leicht schwankend, in sein Gemach.
Eitelfriedrich kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. Vater Laurenz machte Anstalten, sich zurückzuziehen, doch der Grafensohn hielt ihn zurück.
»Ihr könntet doch sicher beschwören, dass sie einen Brief geschrieben hat? An Graf Albert! Die Wehrsteinerin müsste es gewesen sein, zumal ein Siegel mit ihren Initialen auf dem Brief wäre?«
Der Kaplan starrte den Grafensohn einige Augenblicke fragend an, doch dann huschte ein verstehendes Lächeln über seine schmalen Lippen.
»Wollt Ihr das Schreiben gleich aufsetzen? Habt Ihr Schreibzeug hier?«
Der Grafensohn schüttelte den Kopf. »Ich komme mit in Eure Schreibstube.« Er erhob sich rasch, warf sich den Mantel um und eilte dem Kaplan so schnell voraus, dass dieser ihm kaum folgen konnte.
Sorgfältig führte Vater Laurenz die Feder über das Pergament. Er versuchte, sich nur auf die Schwünge, Bögen und Linien zu konzentrieren, doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht verhindern, den Inhalt zu verstehen. Eine eisige Faust griff nach seinem Herzen. Es schauderte ihn, nicht nur vor Kälte. Er begriff klarer, als es ihm lieb sein konnte, dass er in diesen Augenblicken sein Schicksal mit dem des ältesten Zollernsohnes verband. Mit unbeweglicher Miene sah er zu, wie Eitelfriedrich das Siegel anbrachte und die verschlungenen Initialen T und W hineinritzte. Auch wenn Vater Laurenz äußerlich gefasst wirkte, so tobte doch ein Sturm durch sein Gemüt, so gewaltig und vernichtend, dass er dem Kaplan die ganze Nacht über den Schlaf raubte.
Am Morgen verließ der Bote bereits in aller Früh die Burg. In seinem Gepäck hatte er einen Brief von Tilia von Wehrstein an den Grafen Albert von Hohenberg.