Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 28

KAPITEL 17

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Unruhig schritt Tilia vor dem Gemach des Grafen auf und ab. Sie hatte sich viel Mühe gemacht, sich in ihren grünseidenen Bliaud gekleidet und die Haare gebürstet, bis sie glänzten. Ganz genau hatte sie sich die Worte zurechtgelegt, doch nun schienen sie alle wie weggeblasen, und ihre Hände waren schweißnass. Doch es musste sein, Gret hatte Recht. Heute in der Kemenate hatten die Damen wieder getuschelt, über den Hohenberger hergezogen und hatten Tilia bewusst aus dem Gespräch ausgegrenzt. Die winzigen Seitenhiebe gegen ihren Vater und seine Loyalität schmerzten die Wehrsteinerin. Schließlich blieb Tilia vor der Tür stehen, holte tief Luft und klopfte. Der Graf rief sie herein, und so öffnete sie zaghaft. Er saß in seinem Lehnstuhl vor einem quadratischen Tischchen, das mit schwarzen und weißen Feldern bedeckt war. Weiß oder schwarz bemalte Figuren, kunstvoll aus Holz geschnitzt, schienen wahllos darauf verteilt. Erstaunt hob der Graf die Augenbrauen, als er sah, wer ihn zu sprechen begehrte.

»Ich bitte Euch um Verzeihung«, begann Tilia atemlos und sank in einen tiefen Knicks. »Ich weiß, dass es ungehörig ist, einen Ritter in seinem Gemach aufzusuchen, doch, Herr Graf, ich wusste mir keinen Rat mehr. Ich muss einfach mit Euch sprechen.«

Er nickte nur und senkte seinen Blick wieder auf die Figuren vor sich. »Dann schließt die Tür und nehmt Euch einen Schemel. Setzt Euch zu mir und erzählt, was Euch bedrückt.« Er nahm eine Figur in Form eines Reiters und stellte sie auf ein anderes Feld.

»Was ist das?«, fragte Tilia neugierig und vergaß ganz den Anlass für ihren Besuch.

»Es ist ein Spiel, in dem das Geheimnis des Lebens verborgen liegt. Es ist eine große Kunst, dieses den Figuren zu entreißen«, antwortete der Graf rätselhaft und verschob eine menschliche Figur im kurzen Kittel auf ein benachbartes Feld.

»Die Kreuzfahrer haben es von den Sarazenen mitgebracht. Seht her. Es sind zwei Länder und ihre Fürsten, die um die Macht ringen. Sie haben ihre Berater, Ritter und zwei Burgen und ein großes Heer von Bauern. Jeder Schlag schwächt den Gegner. Seine Figuren werden vom Feld genommen. Doch manches Mal kann es auch eine Falle sein. Seht her. Wenn der weiße Fürst seinen Bauern hierher stellt, kann der schwarze Fürst den Bauern mit seinem Ritter schlagen. Doch damit verlässt der Ritter die Sicherheit seines Turmes und begibt sich auf offenes Feld. Und schon kommt der weiße Läufer und metzelt den schwarzen Ritter nieder. Ist der Herrscher eines Landes besiegt oder von Gegnern umzingelt, hat er sein Leben und sein Land verwirkt – Schach!«

Tilia betrachtete das Brett. Sie berührte den weißen Fürst leicht mit den Fingerspitzen. »Das seid Ihr, Herr Graf, und dort drüben ist der Hohenberger. Eure Ritter und die des Hohenbergers, Burg Zollern, die Schalksburg und die Burgen von Haigerloch. Ein Heer von Bauern, Höfen und Dörfern, die zum Spiel als Lockvogel dienen. Bauern, die gemetzelt werden, Dörfer, die in Flammen aufgehen, alles für einen Punkt Vorsprung. Ja, Ihr habt Recht, es ist das Spiel des Lebens.«

Er sah sie aus seinen blaugrauen Augen aufmerksam an. »Ihr seid schön, mein Kind, und Ihr habt einen scharfen Verstand. Eine seltene Mischung, muss ich sagen.«

Sie griff nach einer weißen Figur, die eindeutig weibliche Formen besaß, und ließ sie von einer Hand in die andere gleiten. »Euer Sohn Friedrich meint, die Weiber seien nur für die Minne da. Das Spiel ist aber anderer Meinung.« Sie sah ihn herausfordernd an. Der alte Graf lächelte sanft.

»Ja, das Spiel ist schlau. Das Weib ist die zweitwichtigste Figur im Spiel. Doch wer ist sie, die Dame, die die Geschicke der Länder lenkt? Und welche Farbe hat sie?« Graf Friedrich von Zollern hielt die schwarze Dame hoch. »Habt Ihr nach der Richtigen gegriffen, Tilia von Wehrstein?« Er sah sie durchdringend an. Die Wehrsteinerin hielt seinem Blick stand und reichte ihm die Figur zurück.

»Ja, die Richtige, die weiße Dame.«

»Und der Ritter aus Wehrstein?«

Der Graf wog einen schwarzen und einen weißen Läufer in seinen Händen. Tilia beugte sich vor und griff nach der weißen Figur. Sie sah sich das Brett aufmerksam an und stellte den Läufer dann schützend vor seinen Fürsten.

»Der Ritter von Wehrstein kennt seinen Platz!«

Der Graf lächelte, strich sich sein dichtes, graues Haar aus dem Gesicht und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Man kann sich nie sicher sein. So viele Worte und Gedanken schwirren durch die Burg.«

Tilia nickte. »Ja, deshalb bin ich hier.«

Er faltete seine feingliedrigen, schlanken Hände und wartete geduldig.

»Die Neugier eines Weibes, das vorher nie die elterliche Burg verlassen hat, ist an den wirren Gerüchten schuld. Ich wollte Haigerloch mit seinen stolzen Burgen und den Grafen, der für seine Minne berühmt ist, sehen.« Entschuldigend hob sie die Hände. »Ich möchte, dass Ihr mir glaubt und mir erlaubt, nicht nur auf Zollern zu leben, sondern auch ein neues Zuhause zu finden.«

Der Graf erhob sich. Ein wenig ängstlich fragend, sah sie zu ihm hoch. »Ich habe Eure Worte vernommen, mein Kind. Geht jetzt.« Er begleitete sie zur Tür. »Ihr seid hier immer willkommen. Ich würde mich freuen, wenn Ihr mir die Gelegenheit geben würdet, Euch in die Geheimnisse des großen Spiels einzuweihen.« Mit einem tiefen Knicks verabschiedete sich die Wehrsteintochter.

Graf Friedrich von Zollern saß noch immer über die Figuren gebeugt, als die Tür aufgerissen und wieder zugeschlagen wurde. Stürmisch näherten sich feste Schritte. Der Graf sah nicht einmal auf.

»Du hast das Temperament deiner Großmutter, Friedrich. Was erzürnt dich, mein Sohn?«

»Eitelfriedrich behauptet, Ihr hättet gesagt, Ihr würdet eine Trennung der Grafschaft nicht zulassen!« Empört schritt der jüngere Zollernsohn auf und ab. »Wollt Ihr mich zu den Bettlern in den Morast stoßen? Oder in eines der Klöster abschieben?«

Nun sah der Graf doch auf. Bedächtig lehnte er sich in seinem Sessel zurück und betrachtete den Sohn, dessen Wangen gerötet waren und dessen Augen vor Zorn blitzten.

»Mir steht der Südteil der Grafschaft zu. Mir allein«, schrie er. »Ich will die Schalksburg und Balingen, Mühlheim und Schömberg!«

Der alte Graf ließ ihn noch einige Augenblicke gewähren, ehe er seine Stimme erhob. »Setz dich und hör mir zu.«

Widerwillig gehorchte der Sohn.

»Ich habe euch beide frühzeitig an den Geschicken der Grafschaft beteiligt. Eitelfriedrich hier in Hechingen und auf der Burg und dich im Süden. Das wird sich auch nicht ändern. Dennoch, Eitelfriedrich ist der Erstgeborene und wird die Grafschaft erben. Du wirst dann auf der Schalksburg leben – sie und ein Stück der umliegenden Ländereien sind dein Anteil –, und du wirst für deinen Bruder die südliche Grafschaft verwalten.«

»Dann brauche ich die Merkenbergerin ja nicht zu heiraten, wenn unsere Kinder sowieso verhungern!«

Der Graf seufzte. »Sei nicht albern. Das Eheversprechen gilt schon seit Jahren, und wir haben uns viel Mühe gegeben, die Mitgift in die Höhe zu treiben. Außerdem, so klein ist dein Anteil nun auch wieder nicht, und deine Braut bringt auch noch Ländereien mit.«

»Ich will keinen Anteil, ich will, was mir zusteht, die Hälfte der Grafschaft! Ist es nicht in allen Ritterhäusern und Grafschaften hier in Schwaben so der Brauch?« Er brüllte, dass seine Stimme den Gang hinunterschallte.

Nun erhob auch der Vater die Stimme. »Ja, es ist der Brauch. Mach die Augen auf und sieh, wie sie dahinsiechen, wie jede Teilung sie schneller in die Bedeutungslosigkeit sinken lässt, bis sie ihre Söhne an die Kriegsherren verkaufen. Wie viele hoffnungsvolle junge Männer lungern auf fremden Burgen herum und verdingen sich für ein paar Heller? Wie viele Ritter lauern den Kaufleuten auf, berauben sie, nur um Frau und Kinder ernähren zu können? Was meinst du wohl, wie freudig sich der Hohenberger die Hände reibt, wenn ich die Ländereien aufteile. Ich kann es deutlich vor mir sehen: Meine Söhne in ewigem Streit von den Hohenberger Hunden verschlungen. Satt und zufrieden werden sie ihre Bäuche lecken, wenn Zollern – eurer Dummheit wegen – in ihren Schoß gefallen ist!« Auf der noch glatten Stirn standen Schweißperlen. Seine Hände zitterten.

»Dann gebt die Grafschaft mir«, forderte der junge Mann. »Eitelfriedrich ist viel zu weich und zögerlich. Ich habe eine harte Hand und Verstand und kann schnell Entscheidungen treffen. Ich kann gegen den Hohenberger bestehen. Ich schwöre Euch, ich werde die Ländereien mehren und die Familie zu großem Ruhm führen.«

Der Vater schüttelte den Kopf. »Du bist jung und ungestüm. Eitelfriedrich ist besonnen und wird die Grafschaft vor unnötigen Fehden schützen.«

»Besonnen? Ein Feigling ist er!«, schimpfte der junge Ritter abfällig.

Der Graf wandte sich wieder seinem Spiel zu. »Ich betrachte dieses Gespräch nun als beendet. Eitelfriedrich ist der Erstgeborene, und er allein wird Graf von Zollern, wenn ich unter kalter Erde in Stetten ruhe.«

»Ich hoffe, es wird sich ein Hohenberger Schwert für meines Bruders Herz finden«, fauchte der jüngste Zollernspross und stürmte hinaus. Die Tür erzitterte, als er sie hinter sich ins Schloss warf.

Der Merkenberger schäumte vor Wut, als er den Gang entlangschritt und dann die Treppe hinunterstürmte. Mit aller Kraft trat er einem der Mischlingshunde, die um ihn herumschwänzelten, in den Bauch, dass dieser jaulend in die Ecke flog. Mit großen Schritten überquerte der Ritter den Hof, die schlimmsten Flüche auf den Lippen. Seine Hände schlossen sich zu Fäusten, dass die Knöchel weiß hervortraten. Wehe dem, der ihm in dieser Stimmung begegnete!

Hörte er da nicht die Kurbel der Brunnenwinde quietschen? War das nicht ein Weiberrock unten im Brunnenturm? Er lenkte seine Schritte zur Brunnenstube. Im schwachen Lichtschein sah er die Magd mühsam einen vollen Eimer hochkurbeln und mit einem Stöhnen auf den Brunnenrand wuchten. Ein weiterer stand schon gefüllt an ihrer Seite.

»Da hat aber jemand großen Durst«, knurrte der Merkenberger und stieß den gefüllten Eimer mit einem Fußtritt um. Gret fuhr herum. Der Eimer entglitt ihren Händen und verteilte seinen Inhalt gerecht auf die Kleider des Ritters und die der Magd. Der Ritter fauchte böse.

»Du bist ein Satansweib, doch ich werde dich schon zähmen.« Er riss sie an sich. »Nun, du Hexe, zeig mir deine Krallen.«

Gret leistete keinen Widerstand, denn sie wusste, das war genau das, was er wollte, und sie war nicht bereit, ihm diesen Gefallen zu erweisen. So funkelte sie ihn nur hasserfüllt an.

»Sollen wir Rüdger herholen, dass er sich das Spektakel mit ansehen kann?«, höhnte er und lachte.

»Wenn Ihr das braucht!«, presste die Magd hervor. Der Ritter schlug ihr ins Gesicht, drehte sie um und drückte ihren Oberkörper, als er ihr den Rock hob, grob auf den Brunnenrand.

Tief unter ihr glänzte düster das Wasser. Gret dachte an Heinrich von Husen, seine Wunden heilten gut. Der Mönch hatte ein Bad empfohlen.

Noch mindestens sechs Eimer werde ich für die Wanne brauchen, ging es ihr durch den Kopf, als sie in den tiefen Brunnenschacht hinuntersah. Schon jetzt schmerzten ihre Arme und Schultern, an ihren Händen hatten sich Blasen gebildet.

Wenn der Kerl hinter mir nicht bald zum Ende kommt, dann wird es Mitternacht, bis das Wasser heiß ist.

Der Rhythmus wurde schneller, die Stöße heftiger, bis der Merkenberger einen Schrei ausstieß. Der Griff um Grets Taille lockerte sich. Nachdem der Grafensohn pfeifend den Brunnenturm verlassen hatte, nahm Gret ihre Arbeit wieder auf, die Lippen fest zusammengekniffen. Während der Merkenberger über den Hof ging und sich sein Gewand zurechtrückte, kam ihm Heinrich von Husen entgegen, der dem Brunnenhäuschen zustrebte.

»Gret? Da bist du ja. Ich habe auf dich gewartet, eine halbe Ewigkeit, doch du bist nicht gekommen und da dachte ich, ich sehe mal nach. Ist alles in Ordnung?« Er betrachtete die Magd in ihren nassen, unordentlichen Kleidern. Die Haube lag im Schmutz, das Haar stand zerzaust in alle Richtungen.

»Wie sieht es denn Eurer Meinung nach aus?«, fuhr ihn die Magd an und kurbelte verbissen weiter.

Der Jüngling zuckte ratlos die Schultern.

»Ihr könnt Euch ja mal nützlich machen und die Eimer in die Küche tragen«, keifte sie.

»Nein, Gret, das geht nicht. Einige der Ritter sind im Hof. Was würden die dazu sagen, wenn ich einer Magd die Wassereimer trage?«

»Dann schert Euch weg!«, fauchte sie. Tränen schossen ihr in die Augen. Mit einer unwilligen Handbewegung wischte sie sie ab.

»Ach, Gret«, seine Stimme klang brüchig. »Ich würde dich so gern beschützen, dich und das Fräulein Tilia, aber wie kann ich das? Ich gehöre doch nicht mal zu den Rittern.« Unbeholfen strich er ihr über die Wange. Sie unterdrückte den Impuls, ihn wegzustoßen.

»Geht in Eure Kammer und wartet auf mich. Es wird mit Eurem Bad noch ein wenig dauern.«

Traurig sah er ihr nach, wie sie die beiden schweren Eimer zur Küche schleppte.

»Williburgis, meine Liebe, fühlt Ihr Euch vollständig wohl?«, fragte Trude vorsichtig, als sie die Grafentochter endlich allein in der Kemenate antraf.

»Was soll diese Frage? Ich kann nicht klagen!« Der Tonfall zeugte deutlich davon, dass sie das Thema für beendet hielt. Die Kinderfrau gab sich einen Ruck und bohrte weiter.

»Nun ja, es ist nur so, ich habe das Gefühl, Eure Zeit des Unwohlseins hätte sich schon längst wieder einstellen müssen, doch Ihr habt die Leinenstreifen nicht gebraucht.«

Der hochmütige Ausdruck, den Trude so fürchtete, zeigte sich auf dem Gesicht der Grafentochter. »Ich wüsste nicht, was dich das angeht.«

Trude seufzte. »Darum geht es nicht. Denkt nach, mein Kind, was das bedeuten könnte.«

Williburgis riss die Augen auf. Tränen verschleierten ihren Blick und zogen zwei feine nasse Bahnen über ihre Wangen. »Aber nein, das kann nicht sein, das ist ganz unmöglich«, schluchzte sie und ließ sich von ihrer Kinderfrau in die Arme ziehen.

»Ist es das? Dann gibt es ja keinen Grund, zu weinen. Sicher leidet Ihr nur unter verstockter Menses.« Trude wiegte sie wie ein kleines Kind.

»Ich weiß nicht so genau. So grausam kann der Herr im Himmel doch nicht sein, mir so etwas anzutun.«

Trude schnalzte unwillig mit der Zunge. »Der Herr im Himmel hat damit nichts zu tun. Es sind die Männer auf Erden, die die Frauen in Schwierigkeiten bringen. Und dass dies große Schwierigkeiten bedeuten würde, brauche ich Euch nicht zu sagen!«

»Heilige Jungfrau, was würde der Vater sagen – und die Brüder – und gar Vater Laurenz.« Sie keuchte entsetzt und schlug die Hände vors Gesicht. »Ich will zu den Nonnen nach Stetten. Trude, bring mich dorthin, ich flehe dich an. Ich will den Schleier nehmen.«

»Die Betschwestern können Euch dabei auch nicht helfen«, knurrte die Kinderfrau verächtlich. Doch dann wurde ihre Stimme zärtlich. Sanft strich sie über Williburgis’ Wangen.

»Ich habe gut Acht gegeben. Weit seid Ihr noch nicht über der Zeit. Wir werden das schon hinbekommen Keiner braucht etwas davon zu erfahren. Lasst mich nur machen.«

Williburgis kuschelte sich in die vertrauten Arme. Sie griff nach dem Versprechen der Kinderfrau, es werde alles gut, und klammerte sich fest daran. Wie früher, als sie noch ein Kind gewesen war. Für alles hatte Trude eine Lösung gehabt, warum nicht auch jetzt? Williburgis sog den vertrauten Geruch in sich auf, und zum ersten Mal seit Wochen löste sich der Stein in ihrer Brust. Nun würde alles gut werden. Zusammengerollt wie ein kleines Tier schlief sie im Schoß der alten Kinderfrau ein.

Unentschlossen blieb Tilia vor dem Eingang zu den Kellergewölben stehen. Der Mönch hatte gesagt, sie solle ihn besuchen, und sie war neugierig, was es dort unten zu sehen gab.

Er ist trotz allem ein Mann, mahnte eine zaudernde Stimme in ihr. Sollte sie so dreist sein und dort eindringen? Was, wenn er nun wirklich mit dem Teufel im Bunde stand und nur auf ein Opfer wartete, das so dumm war, ihm seine Seele preiszugeben. Andererseits, hatte er sich nicht fürsorglich um den jungen von Husen gekümmert? Ging es dem nicht schon wesentlich besser?

»Also los«, flüsterte die Wehrsteintochter, um sich Mut zu machen, und betrat die ausgetretenen Stufen, die in die Finsternis hinabführten. Vorsichtig tastete sie sich Stück für Stück voran. Nach der ersten Biegung nahmen die Stufen Konturen an. In großen Abständen steckten brennende Kienspäne in eisernen Haltern an der Wand. Zweimal wand sich die Treppe um ihre Mitte, dann endete sie in einem kleinen Raum, von mächtigen, roh behauenen Quadern begrenzt. Durch eine angelehnte Tür drangen ein warmer Lichtschein und zwei Stimmen. Zaghaft trat Tilia näher und hob die Hand, um anzuklopfen, als ein paar Wortfetzen ihr Ohr streiften. Wie erstarrt blieb die Ritterstochter stehen.

»Ich lege doch nicht freiwillig meinen Kopf in eine Schlinge«, hörte sie den Mönch sagen. »Was glaubst du wohl, was der Graf mit mir macht, wenn er davon erfährt. Für eine Schlinge müsste ich dem Herrn im Himmel dann noch danken. Der Graf würde mich mit seinem Schwert in appetitliche Stücke schneiden. Nein danke, ich habe nicht vor, mich für ein Weib zum Märtyrer zu machen. Ich möchte dem heiligen Blasius nicht seine Anhänger rauben.«

»Der heilige Blasius wurde nicht von einem Schwert in Stücke geschnitten, sondern von eisernen Kämmen zerfetzt und dann enthauptet«, berichtigte ihn eine Frauenstimme trocken.

Der Mönch lachte bitter. »Das ist natürlich etwas völlig anderes.« »Außerdem besteht sicher keine Gefahr, dass man Euch je heiligsprechen wird«, fügte die Besucherin noch schnippisch hinzu. »Weiber!«, brummte er verächtlich. Seine Schritte entfernten sich.

Einige Augenblicke war nur geschäftiges Klappern zu hören, doch dann hub die Frau noch einmal an:

»Ihr seid der Einzige, der ihr helfen kann. Ich flehe Euch an. Es wird keiner erfahren.«

»Ha, ein Weib, das ein Geheimnis für sich bewahren kann. Das ist der wildeste Scherz, den ich bisher auf Gottes Erde gehört habe!« Er beachtete ihren Protest nicht, sondern fuhr mit harter Stimme fort: »Sie hat sich selbst in Schwierigkeiten gebracht, also soll sie selbst sehen, wie sie da wieder herauskommt.«

»Selbst schuld, ach ja?«, keifte das Weib. »Ich will Euch mal was sagen, Ihr selbstgefälliger, weltfremder Kuttenträger. Das blöde Geschwätz der Pfaffen schlägt mir schon lange auf den Magen. Kotzen könnte ich jedes Mal, wenn sie über die sündigen Weiber sprechen, die Schuld an der fleischlichen Lust der Männer haben sollen. Pah! Die Männer sind es, die geilen Schweine, gegen die sich keine noch so keusche Jungfrau wehren kann.«

Tilia war, als höre sie den Mönch kichern. »Wer ist denn der geile Hengst, der die unschuldige gräfliche Stute besprungen hat?«

Die Wehrsteintochter schlug sich beide Hände vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien.

»Das kann ich Euch nicht sagen«, wehrte die Besucherin erschrocken ab.

»Soso.«

»Und, kann ich auf Eure Hilfe zählen?«, bohrte sie weiter.

Tilia hörte es durch den Türspalt höchst geheimnisvoll brodeln und zischen. Dann brummte der Mönch ungnädig: »Ja, ja. Ich weiß zwar nicht, warum ich das tu, aber wenn es denn sein muss.«

»Ihr seid ein guter Mensch …«

»Und Gott wird mich für diese Tat mit dem Fegefeuer strafen«, unterbrach er sie barsch. Seine Schritte näherten sich wieder. Ein Schemel wurde gerückt.

»Hier nimm das. Lass sie an zwei Tagen jeweils vor dem Schlafengehen die Hälfte in Wein auflösen. An zwei Tagen, je die Hälfte, hörst du!«

»Ja, ja, ich bin noch nicht taub.«

»Jede Medizin ist auch ein Gift – und das schrecklichste Gift auf Erden sind die Zungen der Weiber. Der Herr im Himmel bewahre mich vor ihnen. Und nun geh, Weib, und lass mich arbeiten.«

So schnell es der schwache Fackelschein zuließ, eilte Tilia die unebenen Stufen hinauf, bis sie schwer atmend den Hof erreichte. Noch ein paar große Schritte bis zum Eingang zum Palas, unter dessen Tür sie mit Gret zusammenstieß. Tilia hakte sich bei ihr unter. Die Magd sah sie fragend an, doch Tilia plauderte unbekümmert drauflos. Während sie die Magd in Richtung Küche dirigierte, beobachtete sie den Eingang zu den Kellergewölben. Endlich trat eine Frauengestalt in den Hof. Es war Trude, die Kinderfrau.

Tief in Gedanken schritt Tilia zum Palas zurück und trat in den rauchgeschwängerten Saal. Vor der kalten Feuerstelle saß Swenger von Lichtenstein an einem Tisch, in jeder Hand einen Würfelbecher mit zwei Würfeln. Das Ritterfräulein trat heran und sah ihm eine Weile zu.

»Was tut Ihr da?«

»Meine rechte Hand würfelt gegen die linke, und ich sage Euch, sie ist unschlagbar.«

Tilia schüttelte verständnislos den Kopf. »Wie könnt Ihr gegen Euch selbst spielen? Warum sucht Ihr Euch nicht einen Gegner?«

Er grinste sie an. »Ist doch praktisch so. Dann wechselt meine Börse nur von der Linken in die Rechte. Doch Ihr habt schon Recht. In angenehmer Gesellschaft macht das Würfeln mehr Spaß. Setzt Euch.«

Sie waren allein im Saal. Zaghaft ließ sich Tilia ihm gegenüber auf die Bank sinken. »Ich würfle nicht um Geld«, fügte sie rasch hinzu. Sie sagte ihm nicht, dass sie gar keines besaß. Swenger wischte mit dem Ärmel ein paar Weinflecken ab und schob zwei Knochen über die Tischkante in die Binsen, damit sie Platz zum Würfeln hatten.

»Es gibt weitaus reizvollere Einsätze denn kalte Münzen. Sagt an, was würdet Ihr bieten?«

Tilia zuckte verlegen die Schultern. »Ich weiß nicht so recht. Vater Laurenz würde es sicher als eine große Sünde verdammen, wenn ich mich auf solch ein Spiel einlasse.«

Der Ritter lachte. »Ich werde keinen Einsatz verlangen, der Euer Seelenheil gefährdet, einverstanden?« Tilia errötete. »Wenn ich verliere, dann spiele ich Euch eine Ballade auf der Laute, wenn Ihr verliert, dann singt Ihr mir ein trauriges Liebeslied.«

Tilia überlegte kurz und nickte dann. »Aber ich muss Euch sagen, dass ich noch nie gewürfelt habe. Mein Vater wäre entsetzt, wenn er mich jetzt sehen könnte.«

Der Ritter beugte sich zu ihr vor. »Ich muss Euch beichten, ich habe auch noch nie mit einem Fräulein gespielt. Es ist ganz einfach. Wir haben zwei Würfel mit zwei bis sechs Punkten. Auf dem roten Würfel ist der König, auf dem grünen ist der Narr. Der König gewinnt, der Narr verliert, gleiche Punkte zählen doppelt, alle anderen einfach. Wer von zehn Spielen die meisten verliert, muss seinen Einsatz einlösen.«

Tilia nickte und nahm dann vorsichtig die Würfel entgegen, als seien sie zerbrechlich. Die erste Runde gewann sie mit acht gegen fünf Punkten, beim zweiten Mal hatte Swenger den Narren, doch dann zeigte sich bei ihm zweimal der König.

»Jetzt habe ich Euch!«, rief er beim fünften Mal und wollte die Würfel schon wieder in den Becher werfen, doch Tilia hielt ihn zurück.

»Ihr schummelt! Seht her, Ihr habt eine Fünf und eine Sechs, doch ich habe zwei Dreien, die doppelt zählen.«

»Ihr wagt es, einen Ritter des Falschspiels zu bezichtigen?«, knurrte er und begann die Punkte mühsam an den Fingern abzuzählen. »Ich habe einfach zu wenige Finger«, seufzte er nach einer Weile, »doch es scheint mir, Ihr habt Recht, daher fordere ich Euch nicht zu einem Schwertduell heraus.«

Tilia wusste nicht recht, ob er ihr nicht doch zürnte, daher war sie ganz froh, die nächsten beiden Würfe zu verlieren. Doch dann hatte sie eine doppelte Sechs und darauf den König. Swenger schnitt eine Grimasse.

»Na wartet! Jetzt wird sich das Glück auf meinen Schoß setzen.«

Tilia legte eine Fünf und eine Sechs vor. Der letzte Wurf des Ritters. Swengers grüner Würfel blieb mit einer Zwei liegen, der Rote jedoch rollte über die Tischkante und fiel in die Binsen.

»Ich wette, es ist der König«, rief der Ritter und sank auf die Knie, um den Würfel zu suchen. Er wühlte, dass die Binsen und Essensreste hinter ihm aufstoben. Wie ein Hund, der einem vergrabenen Knochen auf der Spur ist. Tilia lachte auf.

»Ich habe ihn!«, rief es unter dem Tisch hervor, »und wie ich sagte, es ist der König.«

»Ich glaube Euch kein Wort!«, protestierte die Ritterstochter und kroch zu ihm unter den Tisch, um sich selbst davon zu überzeugen. »Habt Ihr ihn angefasst?«

»Aber nein, ich schwöre es. Wollt Ihr mich beleidigen?«

Tilia blieb ihm die Antwort schuldig, denn sie hörte die Tür klappen. Schritte raschelten über die Binsen. Sich plötzlich der unmöglichen Situation bewusst, zog sie den Kopf zurück und sprang auf. Hastig zupfte sie sich die Binsen von den weit geöffneten Ärmeln. Salome von Ringelstein-Killer und Benigna von Hölnstein sahen das Mädchen entgeistert an. Als Swenger unter dem Tisch hervorgekrabbelt kam, schlugen sie sich die Hände vor den Mund und kicherten. Die Kammerfrau, die hinter den Damen eingetreten war, warf Tilia einen verächtlichen Blick zu. Flammende Röte schoss der Wehrsteinerin in die Wangen. Betreten sah sie zu Boden. Swenger dagegen blieb völlig unbefangen, er grüßte flüchtig, ließ den entwischten Würfel auf den Tisch fallen und setzte sich dann breitbeinig auf die Bank.

»Nun steht es unentschieden. Ich werde also die Laute zu Eurem traurigen Liebeslied spielen.«

Tilia wagte noch immer nicht, den Blick zu erheben. Sie murmelte eine Entschuldigung und wollte sich davonmachen, doch er hielt sie am Handgelenk fest.

»He, hübsches Fräulein. Wisst Ihr nicht, dass man Spielschulden sogleich einlösen muss? Ich hole mir die Laute vom Wandbord, und dann gehen wir hinaus. Noch ist es nicht völlig dunkel, und der Amsel Lied wird uns begleiten.«

Der Ritter stand an einen Stapel Feuerholz gelehnt und strich über die Saiten, als Tilia, erst zaghaft und dann immer mutiger, eine alte Weise zu singen begann, die sie als Kind von einem fahrenden Spielmann gelernt, der einen Winter auf Wehrstein verbracht hatte. Ihre Stimme war dunkel und klar. Einige Mägde und Knechte unterbrachen ihr Tagewerk und blieben stehen, um der unerfüllten Liebe zwischen einem armen Ritter und einer edlen Herzogin zu lauschen, deren beider Herzen daran zerbrachen.

Williburgis saß in ihrem Bett zwischen farbenprächtigen Seidenkissen, eingehüllt in eine warme Daunendecke. Im Schein einer kleinen Öllampe betrachtete sie das leinene Säckchen in ihrer Hand. Es roch würzig nach Kräutern und ein wenig stechend, wenn man seine Nase an den Stoff presste. Neben ihrem Bett stand ein Becher mit Wein. Unschlüssig nahm sie das Säckchen von der einen in die andere Hand.

Sollte sie es wagen und die teuflische Mischung in ihrem Wein auflösen? Der Mönch hatte die Kräuter gesammelt und getrocknet. Doch wer wusste schon, welch magische Teufeleien er sonst noch damit getrieben hatte. Sie misstraute dem geheimnisvollen Mann, der aus seinem Kloster weggelaufen war. Es war nicht nur sein unheimliches Aussehen, das sie ängstigte. Was er dort unten in den Gewölben trieb, konnte nur mit Hilfe der höllischen Dämonen geschehen. Und nun sollte sie so etwas Sündhaftes aus seiner Hand nehmen?

Vater Laurenz warnte sie stets, der Teufel nehme die verschiedensten Gestalten an, darum solle sie sich hüten, in seine Fänge zu geraten. Ratlos drehte Williburgis das Kräutersäckchen in ihren Händen. Würde sie ihre Seele damit gefährden? Würden die Engel an der Pforte dereinst bedauernd den Kopf schütteln und ihr den Weg in die Hölle weisen? Williburgis hatte schreckliche Angst vor dem Fegefeuer. Vater Laurenz wurde nicht müde, ihr die Qualen zu beschreiben, die auf jene warteten, die nicht reiner Seele waren. War es da nicht klüger, einen Teil der Strafe bereits hier auf Erden zu erleiden? Vater Laurenz sagte immer, wenn sie alles mache, was er ihr sage, und den Mund nicht zum Klagen öffne, dann würde ihre Schuldenlast mit jedem Mal etwas kleiner. War es das nicht wert? Entschlossen stopfte die Grafentochter das todbringende Kräutersäckchen unter ihre Matratze, schlug die Decke zurück, schlüpfte in Mantel und Schuhe und schlich zur Kapelle hinüber. Ihre Lippen formten lautlos die Worte. Sie ließ Mantel und Hemd zu Boden gleiten und legte sich dann nackt mit ausgestreckten Armen auf den eiskalten Steinboden.

»Ave Maria«, murmelte sie und schloss die Augen. Es dauerte nicht lange, bis sie die Schritte des Beichtvaters vernahm.

Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band

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