Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 29
KAPITEL 18
ОглавлениеWalger von Bisingen spannte prüfend den neuen Bogen. »Er scheint mir gut gelungen. Man müsste ihn jedoch erst ausprobieren.« Suchend sah er sich nach einem Ziel um, nahm einen Pfeil und legte ihn an.
»Dort, der umgestülpte Eimer an der Mauer.«
Der Pfeil schnellte von der Sehne und prallte zwei Hand breit neben dem Eimer an die Mauer. Enttäuscht ließ der Ritter den Bogen sinken. Der Spott der anderen ließ nicht lange auf sich warten.
»Gebt ihn mir.« Fordernd streckte Otto von Ringelstein-Killer die Hand nach dem Bogen aus.
Es war ein kühler Tag. Die Sonne versteckte sich hinter dichten Wolken, doch immerhin blieb es trocken. So konnte Tilia das Grafenfräulein zu einem kleinen Spaziergang überreden. In einen pelzbesetzten Mantel gehüllt, ein besticktes Tuch fest um das Haupt geschlungen, ließ sie sich von Tilia aus dem Palas führen. Die Wehrsteinerin musste sich Mühe geben, nicht forsch auszuschreiten, sondern ihren Schritt der Herrin anzupassen. Die Ritter nickten den Damen zu.
Otto hob den Bogen und ließ suchend den Blick schweifen, bis er an drei spielenden Kindern hängen blieb. Friedlich saß Sofie mit zwei anderen Mädchen auf der Erde und spielte mit ihren farbigen Murmeln. Die Kinder hatten in ihrer Mitte eine kleine Grube in die Erde gegraben und schnippten nun die Kugeln hinein. Die Sehne spannte sich. Die Muskeln des entblößten Armes traten hervor. Einen Augenblick verharrte der Ritter, dann flog der Pfeil, schneller als das Auge es zu sehen vermag, und bohrte sich vor Sofies Füßen in den staubigen Boden. Das Kind zuckte zusammen und fing zu kreischen an. Die anderen Kinder fielen in das Geplärr ein.
Mit großen Schritten eilte Tilia zu Sofie, vergewisserte sich, dass sie nicht verletzt war, und strich ihr tröstend über das Haar. Als das Weinen verebbte, erhob sich die Wehrsteintochter und stürmte zu dem Ritter. Die Wangen gerötet, die blitzenden Augen zu einem schmalen Spalt verengt, herrschte sie Otto von Ringelstein-Killer an. Doch der spottete nur, dass sie sich so ereiferte.
»Ich weiß nicht, was Euch gestochen hat. Ist etwa jemand verletzt worden? Glaubt Ihr, ich bin nicht fähig, mit einem Bogen umzugehen? Außerdem sollte Euch nicht entgangen sein, dass es sich nur um die Bälger von Unfreien handelt«, fügte er gehässig hinzu.
Tilia ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie wusste nicht, was sie dem Ritter noch an den Kopf werfen sollte. Am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt. Da trat der Merkenberger heran, der bislang an der Mauer gesessen und sein Schwert gesäubert hatte.
»Ritter Otto, ich muss Euch wirklich tadeln, die Jungfrau in solche Aufregung versetzt zu haben.« Sein Ton war ernst. Er bot Tilia den einen Arm an, seiner Schwester den anderen. Tilia lächelte ihn dankbar an. Sie bemerkte nicht den spöttischen Blick, den der Merkenberger mit Otto von Ringelstein-Killer tauschte, daher blieb das warme Gefühl in ihrem Herzen, auch noch, als der Merkenberger die Frauen zum Palas zurückgebracht hatte.
Es kam nicht oft vor, dass Graf Albert von Hohenberg die obere Burg besuchte, wenn er in Haigerloch weilte. Er wusste den mächtigen Bergfried bei seinem Bruder in guter Obhut. Burkhard war das wachsame Auge des Adlers in seinem Horst hoch über der Stadt an der Eyach. Doch an diesem Tag ließ Graf Albert sein Pferd satteln und ritt den schmalen Pfad zur Stadt hinunter, überquerte die Eyach an der Furt bei der Mühle und folgte dann der steil ansteigenden Straße zur Burg hoch. Die Wachen am Tor verbeugten sich ehrerbietig, als sie ihren Landesherrn erkannten. Der Graf wehrte das Angebot ab, ihn bei seinem Bruder anzumelden, stieg vom Pferd, übergab einem der Wachleute die Zügel und eilte die hölzerne Freitreppe zum Eingang des Bergfrieds hinauf.
»Gegrüßt sei Jesus Christus, lieber Bruder«, sagte er warm, trat ein und schloss die Tür hinter sich.
»In Ewigkeit, amen«, antwortete Burkhard. »Ist etwas geschehen, dass du hierherkommst?«
»Geschehen? – Nein, eigentlich nicht. Doch ich möchte deine Meinung zu diesem Brief hören.« Er zog ein gefaltetes Pergament aus seinem Rock und reichte es dem Bruder.
Burkhard sah sich das gebrochene Siegel an und ließ den Blick über die geschwungenen Buchstaben gleiten. »Lies es mir vor, du weißt, ich bin ein Kriegsmann und kein Schreiber.« Graf Alberts wohltönende Stimme erfüllte den Raum.
Er versteht es, selbst aus einem einfachen Schreiben ein Gedicht zu machen, dachte Graf Burkhard und lächelte in sich hinein, doch seine heitere Miene währte nicht lange und machte bald zusammengekniffenen Lippen und einer gerunzelten Stirn Platz. Die dichten Augenbrauen zogen sich zusammen. Nachdenklich kratzte er sich den braunen Haarschopf.
»Wer soll das geschrieben haben?«, fragte er verwundert, als sein Bruder das Schreiben sinken ließ.
»Tilia von Wehrstein. Du erinnerst dich an sie?«
Graf Burkhard nickte. »Ja, sicher. Doch irgendetwas ist hier mächtig faul.«
»Ja«, bestätigte Graf Albert langsam. »Das riecht nach Verrat. Was hältst du davon?«
Der jüngere Bruder kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. Er wählte seine Worte sorgfältig, ehe er antwortete. »Es versteckt sich jemand hinter ihr. Einer, der mit uns Kontakt knüpfen will, sich jedoch vor dem grellen Tageslicht scheut. Es muss jemand sein, der etwas zu bieten hat. Einer der Zollernbrüder?«
Der Herr über Haigerloch nickte langsam. »Ich habe ähnliche Schlüsse gezogen. In den Augen des alten Grafen wäre es Hochverrat. Ich möchte wissen, welcher der beiden es ist und ob er das Angebot ernst meint, daher halte ich die Zeit für gekommen, unseren Mann auf Zollern daran zu erinnern, dass er unsere Goldstücke in seinem Beutel trägt. Er soll die Augen offen halten.«
Am Nachmittag verließ ein Kaufmann die Stadt, mit Ziel Hechingen. Er hatte nicht nur wertvollen Atlas und Brokat, herrlich gefärbten Barchent und Schamlott, feine Schleiertücher und buntes Garn dabei, er trug auch einen versiegelten Brief in seiner Geldtasche am Gürtel. Es stand kein Name auf dem Schreiben, doch der Kaufmann wusste, wem er es ungesehen zustecken musste.
Schon vor dem Frühmahl wechselte der junge Graf Friedrich ein paar freundliche Worte mit Tilia, und als alle sich über ihre Milchsuppe beugten, bemerkte sie wohl, dass er Blicke zu ihr herübersandte, die alles andere denn Gleichgültigkeit bewiesen. Tilia lächelte zu ihm hinüber. Feines Rot überzog ihre Wangen. Je öfter sie ihn betrachtete, desto anziehender fand sie seine kämpferische Gestalt.
»Wie findest du ihn?«, fragte Tilia, als sie Gret mit einer Näharbeit vor der Küche auf der Schwelle sitzend fand.
»Wen?« Die Magd hob den Blick.
»Na, den jungen Graf Friedrich. Hast du bemerkt, welche Blicke er mir zuwirft?« Aufreizend tänzelte sie um die Magd herum.
Gret brummte unwillig. »Ja, ich habe die Blicke schon seit einigen Tagen bemerkt, und mir ist auch nicht entgangen, dass du ihn ermutigst, es weiterhin zu tun.«
Tilia drehte sich einmal um ihre Achse, dass ihr Rock sich im Wind bauschte. »Ja, warum denn nicht. Er ist ein edler Ritter und ist zu mir sehr liebenswürdig.«
»Pah!« Gret hieb mit der Nadel in den Stoff. »Er ist bereits versprochen, wenn du das vergessen haben solltest.«
Tilia zuckte die Schultern. »Ja, und wenn schon. Ich bin ja auch nicht in heißer Liebe zu ihm entbrannt. Ritter Swenger ist mir lieber, doch es wäre falsch, wenn ich meine Gunst auf ihn beschränkte. Es ist nur ein Spiel. Alle Damen machen das! Sieh dir Benigna von Hölnstein an oder Salome von Ringelstein-Killer.«
»Ach, und so wie die möchtest du auch sein? Meinst du, das ist es, was der Vater wollte, als er dir auftrug, keine Schande über das Haus Wehrstein zu bringen?«
Tilia schob schmollend die Lippen vor. »Es ist Frühling, und ich fange an, mich auf Zollern ein wenig wohler zu fühlen. Gönnst du mir das nicht?«
Gret murmelte etwas Unverständliches, das sich jedoch verdächtig nach einem bösen Fluch anhörte.
»Nun sag schon, wie du ihn findest«, drängte Tilia noch einmal. »Er sieht stark aus, energisch und wie ein guter Kämpfer, dennoch schwanke ich, finde ihn in einem Augenblick reizend, im anderen wieder abstoßend.«
Gret ließ die Arbeit sinken und sah Tilia in die Augen. »Ich finde, du solltest dich nicht auf Spiele einlassen, von denen du nichts verstehst! Das könnte sehr unangenehm für dich und deine Familie ausgehen.«
Tilia runzelte die Stirn. »Du bist ja nur neidisch, dass er mich umwirbt.«
Mit plötzlicher Heftigkeit warf die Magd ihre Arbeit auf den Boden. »Hör auf, solch kindisches Zeug zu reden, und benutze einmal dein Hirn!«, schimpfte sie und senkte dann ihre Stimme. »Willst du wirklich so werden wie die Dame von Ringelstein-Killer, die sich jeder Lust des Ritters von Bisingen hingibt, oder gar wie die von Hölnstein, die durch alle gräflichen Betten gerutscht ist?«
Tilia schnaubte unfein. »Du bist ja verrückt. Woher willst du das denn wissen? Sie wechseln doch nur neckende Blicke.«
»Ich habe Augen und Ohren und einen Verstand. Bei allen Heiligen, Tilia, wie kannst du nur so verblendet sein«, fauchte die Magd und hob ihre Näharbeit wieder auf.
»Ich verstehe ja, dass du die Männer nicht magst«, schlug die Ritterstochter einen versöhnlichen Ton an. »Vater hat dich mit Rüdger verheiratet, und Graf Eitelfriedrich nimmt dich immer wieder mit in seine Kammer. Aber sein Bruder ist ganz anders!«
»Ja, das kann man wohl sagen!« Die Magd spuckte die Worte geradezu aus. »Graf Eitelfriedrich ist schon recht, und ich hege keinen Groll gegen ihn. Doch ich kann dich nur warnen, seinen Bruder zu unterschätzen. Halte dich von ihm fern, so gut es geht. Das ist der einzige Rat, den ich dir dazu geben kann.«
»Du hast mir gar nichts zu raten«, schnappte Tilia beleidigt, drehte sich auf dem Absatz um und ließ Gret mit ihren aufgewühlten Gedanken allein zurück.
Mit großen Schritten ging Tilia bis zum vorderen Tor. Sie dachte an Anna und an den Vater. Was er ihr raten würde? Das Lächeln auf ihren Lippen schmeckte bitter. Seine Vorstellungen von einer keuschen Jungfrau verboten solch Verhalten ganz sicherlich. Was wollte der Zollernsohn von ihr, wenn er doch bereits verlobt war? Tilia reckte sich. Sie war eine edle Jungfrau aus angesehenem Haus. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Grafensohn unlautere Absichten hegte. Vielleicht hatte Gret Recht, und er fühlte sich durch ihre Blicke zu Unerlaubtem ermuntert? Das durfte natürlich nicht sein. Sie seufzte tief. Auf Wehrstein war alles so einfach gewesen. Die Freude, die Tilia noch am Morgen empfunden hatte, wich einer kalten Leere.
Die Ritterstochter aus Wehrstein stand eine ganze Weile in der halb geöffneten Tür, ehe sie den Mut fand, den Franziskanermönch anzusprechen. Sie musste es zweimal tun, so sehr war er in seine Arbeit vertieft. Mit ärgerlicher Miene sah er auf und betrachtete seine Besucherin verständnislos, bis endlich ein Lächeln des Erkennens über sein entstelltes Gesicht huschte.
»Ach, Ihr seid es.«
Tilia knickste höflich. »Ich will Euch nicht stören, Bruder Tragebott, doch Ihr sagtet, ich dürfe Euch besuchen und Ihr würdet mir Eure Magie zeigen.«
Sie sah den Mönch aus großen Augen an. Der Franziskaner in seiner schwarzen durchlöcherten Kutte kicherte. »Soso, meine Magie möchtet Ihr sehen. Na, dann kommt mal mit.«
Er entzündete zwei Kienspäne und steckte sie in die eisernen Halter an der Wand. Als die winzigen Flammen sich in das Holz fraßen und dann hell aufloderten, sah Tilia erstaunt, wie groß und verwinkelt der Kellerraum war, in dem sie bisher nur die schmale Lagerstatt des Mönches und einige Kisten wahrgenommen hatte. Doch nun traten aus den Schatten Bretter an den Wänden hervor, auf denen seltsame Behältnisse standen. Manche waren aus Glas, so dass man ihren Inhalt von außen studieren konnte, andere aus Holz oder gebranntem Ton. Auf einem roh gezimmerten Tisch standen merkwürdige Gerätschaften. Mit offenem Mund betrachtete Tilia Tiegel und Töpfe, Glaskolben und Röhrchen, Zangen und lange Nadeln, eiserne Dreibeine und kleine Feuerpfannen. Bruder Tragebott ließ die junge Frau einige Zeit staunen, beantwortete ihre Fragen zu diesem oder jenem Gerät und führte sie dann stolz zu einem geheimnisvollen Apparat.
»Ist das Eure Magie, den gebrannten Wein herzustellen?«, fragte die Ritterstochter und ließ ihren Blick von der Feuerschale über einen darüber befestigten Kolben wandern. In dem Glaskolben brodelte ein rotes Gebräu. Am oberen Ende des Gefäßes war ein Schilfrohr befestigt, in dem ein weiteres Rohr steckte. Durch das äußere Rohr floss Wasser aus einem großen Behälter und sammelte sich am anderen Ende in einem Eimer. Aus dem inneren Rohr tropfte hinten eine klare Flüssigkeit in einen zweiten Glaskolben. Es zischte und blubberte. Beißender Dampf stieg aus den Ritzen auf und reizte die Augen. Das konnte nur ein Werk des Teufels sein! Hastig bekreuzigte sich Tilia. Und doch konnte sie ihre Augen nicht von dem unheimlichen Schauspiel abwenden. Der Mönch, dem ihr Unbehagen nicht entging, lachte, als sie das Kreuzzeichen schlug.
»Das ist nicht von Satans Hand. Es ist von mir. Na ja«, musste er zugeben, »so richtig erfunden habe ich es nicht, aber selbst nachgebaut.« Er zeigte auf das wasserklare Ergebnis, das am Ende heraustropfte. »Ihr habt ganz recht, das ist der gebrannte Wein, mit dem ich die Wunden Eures Vasallen geheilt habe.«
Tilia sah den Mönch bewundernd an. »Ihr seid ein großer Medicus!«
»Nein«, wehrte er ab, auch wenn er sich sichtlich geschmeichelt fühlte. »Das wäre zu viel gesagt. Ich habe bereits als Novize dem Bruder Hortularius in den Kräutergärten geholfen und später dem Bruder Infirmarius beim Anrühren der Heilmittel und beim Versorgen der kranken Brüder. Aus den Dörfern und der Stadt kamen die Menschen, um sich heilen zu lassen. Bruder Berthold hatte gesegnete Hände.«
Der Franziskanermönch führte seine Besucherin an den Regalen entlang, öffnete hier eine kleine Schachtel, dort eine Dose oder holte ganz vorsichtig eines der Gläser herunter ins Licht, damit Tilia den Inhalt betrachten konnte. Dabei erzählte er von den Kostbarkeiten, bis es in Tilias Kopf nur noch schwirrte.
»Seht her, das hier ist Silberschaum, der wirkt gegen Krätze und Hämorrhoiden. Eisensinter ist zum Einweichen von Geschwüren gut. In diesem Fläschchen ist Bibergeil gegen Lähmungen.« Er öffnete eine bunt bemalte Dose. »Riecht einmal daran – vorsichtig, nicht zu stark.«
Die Wehrsteinerin schnupperte zaghaft an dem runden Tongefäß, dessen Deckel der Mönch ein wenig anhob. Angewidert zog sie die Nase kraus. »Da haben Euch wohl Ratten und Mäuse was drin hinterlassen.«
Bruder Tragebott grinste. »Nein, das riecht immer so. Es sind die Früchte des Schierlings. Wenn Ihr davon esst, dann werdet Ihr eines grausamen Todes sterben. Erst gehorchen Euch Eure Beine nicht mehr, dann die Arme und das Gesicht, die Zunge versagt ihre Dienste, doch Ihr seid wach und merkt, wie Euer Körper Euch Stück für Stück verlässt. Wenn Ihr dann nicht mehr atmen könnt, dann kommt der Tod und streckt seine Hand nach Euch aus.«
Tilia schüttelte sich. »Wozu braucht Ihr dies schreckliche Gift?«
Der Mönch machte ein finsteres Gesicht. »Ich habe unzählige Gifte hier, und ich meuchele jeden dahin, der mir unfreundlich kommt.« Er lachte herzlich, als er das entsetzte Gesicht der Jungfrau sah. »Das war nur ein Scherz. Die meisten Gifte sind auch Heilmittel, wenn sie in geringen Mengen und mit Bedacht verabreicht werden. Dann verhilft der Schierling zu einem ruhigen Schlaf und vertreibt Schmerzen.«
Tilia dachte an das Gespräch zwischen Trude und dem Mönch, das sie belauscht hatte. Bruder Tragebott sah sie stirnrunzelnd an, so dass sie plötzlich das Gefühl überkam, der Mönch könne ihre Gedanken lesen.
»Was ist denn das?«, rief sie, um ihn abzulenken, und zeigte auf eine gläserne Flasche. Bruder Tragebott holte das Gefäß vom Brett und ließ Tilia die merkwürdig geformte Wurzel betrachten.
»Sie sieht aus, als habe sie Arme und Beine. Ist das Alraune?«, fragte Tilia ehrfürchtig.
»Ja, man sagt, sie wächst unter dem Galgen und ernährt sich vom Blut und Saft der Gehängten. Man muss seine Ohren mit Wachs verschließen, wenn man sie herausziehen will, denn sie stößt einen solch fürchterlichen Schrei aus, dass man sofort tot umfällt. Nur wenn man sie an den Schwanz eines schwarzen Hundes bindet, kann man sie gefahrlos dem Boden entreißen.«
»Stirbt der Hund dann an dem Schrei?«
»Aber sicher!« Bruder Tragebott grinste verschmitzt, so dass Tilia sich nicht sicher war, ob der Mönch selbst an die Geschichte glaubte.
»Aber es lohnt sich, denn die Alraune ist viel wert. Hilft sie doch gegen Schmerz, tiefe Traurigkeit und gegen Geschwüre, und sie richtet selbst die schlaffste Männlichkeit wieder auf.«
Tilia errötete bis zu den Haarwurzeln. Schnell stellte der Mönch die Flasche an ihren Platz zurück.
»Verzeiht, Jungfrau, doch meine Arbeit ruft. Ihr könnt gerne ein anderes Mal wiederkommen, dann zeige ich Euch, woran ich gerade arbeite, doch nun verlasst mich, damit ich ungestört meinen Gedanken folgen kann.«
Mit einem Knicks verabschiedete sich Tilia, schloss die Tür hinter sich und eilte die ausgetretenen Stufen hinauf.
Williburgis hatte sich schon wieder geweigert, zum Nachtmahl zu kommen. Ohne auch nur einen Bissen zu sich genommen zu haben, kniete sie in der Kapelle auf dem kalten Stein. Zusehends magerte das Mädchen ab. Fast schien es der Kinderfrau, als müsse sie Hemd und Rock mit jedem Tag enger schnüren. So konnte das nicht weitergehen, sonst würde das arme Kind diesen Sommer nicht mehr erleben, das spürte sie. Doch wer konnte helfen? Wer konnte den Satan, der sich gehässig grinsend auf Zollern breit gemacht hatte, aus der Burg vertreiben? Ob sie mit Pater Laurenz reden sollte? Nein! Schon allein der Gedanke an den hinterhältigen, verlogenen Gottesdiener ließ heiße Wut in ihr aufsteigen.
Tief in Gedanken schlenderte Trude zum Tor hinunter. Es kam nur einer in Frage. Er war noch mit dem Pferd draußen, würde aber sicher bald kommen. Sie könnte ihn vor dem Tor abpassen und so, ohne neugierige Ohren, mit ihm darüber sprechen. Von ihrer Idee überzeugt, straffte sie die Schultern und lief mit langen Schritten zum Tor. Bereitwillig, wenn auch ein wenig verwundert, öffnete der Wächter die kleine Pforte, um die Kinderfrau hinauszulassen.
Schon von weitem hörte sie den Hufschlag. Endlich. Sie fror und war schon ganz steif vom langen Warten, Zweifel hatten ihren Mut beträchtlich angenagt, doch nun gab es kein Zurück mehr. Schon tauchte das schwere Streitross im Mondlicht auf. Entschlossen trat Trude auf den Pfad. Das Pferd wieherte erschrocken, ein Schwert klirrte, als es mit einem Ruck aus der Scheide gezogen wurde.
»Nein, Herr Ritter, ich bin es, Trude, haltet ein!«
Der Ritter zügelte sein Pferd und kam dann langsam heran, bis er im schwachen Licht die Züge der Alten erkennen konnte. »Bei allen Heiligen, was tust du in der Nacht hier draußen?«
»Ich habe auf Euch gewartet, weil ich mit Euch sprechen möchte.«
»Was kann es denn so Wichtiges geben, das du mir nicht im warmen Saal sagen willst?«
»Ich bitte Euch, steigt ab und geht ein paar Schritte mit mir. Ihr werdet dann gleich verstehen, warum ich dies nicht neben all den anderen tun kann.«
Der Ritter hob erstaunt die Brauen, schob jedoch das Schwert wieder in die Scheide und schwang sich von seinem Ross. Die Zügel wickelte er um eine verkrüppelte Kiefer. Dann trat er zu der Alten heran. »Nun sprich, Weib, was gibt es so Geheimnisvolles?«
Sie wand sich, sie zierte sich, doch nun musste es heraus. »Es geht um Williburgis, Herr«, begann sie, und plötzlich sprudelten die Worte wie ein munterer Quell. »Ich weiß nicht, ob es recht ist, Euch das alles zu erzählen«, schloss sie und hob beschwörend die Hände, »doch der Herr im Himmel ist mein Zeuge, ich möchte nur, dass der Satan die Seelen wieder freigibt, die er sich gegriffen hat.«
Der Ritter schwieg und dachte nach. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Ob er böse war oder sogar dankbar, oder vielleicht erschüttert?
»Da gibt es wohl nur einen Weg, diese Verwirrung zu lösen«, seufzte er leise und legte die Hand an den Schwertknauf. Bedächtig zog er die Klinge aus der Scheide.
»Aber Ihr werdet doch nicht – mit dem Schwert – das arme Kind – ich meine …« Verwirrt starrte sie ihn an.
»Keine Angst. Williburgis soll keinen Blutstropfen vergießen.«
Die Kinderfrau atmete erleichtert auf. »Aber was wollt Ihr …« Die Schwertspitze kam bedrohlich näher. Ihr wurde plötzlich glühend heiß, und eine Welle der Todesangst erfasste sie mit Macht.
»Ihr werdet doch nicht Eure Klinge gegen mich erheben«, ächzte sie heiser.
»Aber nein, wie könnte ich«, antwortete er und drehte das Schwert in seiner Hand. Doch noch ehe sich ihr wild klopfendes Herz beruhigen konnte, schnellte plötzlich seine gepanzerte Faust nach vorn und traf die ahnungslose Alte an der Schläfe. Sie taumelte nach hinten.
»Meine Schwertklinge wird sich nicht mit deinem Blut färben«, sagte er, ehe er mit dem Schwertknauf ihre Schläfe durchschlug. »Du wirst den Namen Zollern nicht in den Schmutz ziehen.«
Mit den Füßen stieß er sie die wenigen Schritte bis zum nächsten felsigen Abhang und ließ den schlaffen Körper dann über die Kante rollen. Dumpf hörte er die Leiche aufschlagen. Ohne eine Miene zu verziehen, schwang sich der Ritter wieder in den Sattel und ritt gemächlich auf das Tor zu.
Es war schon sehr spät, als Eitelfriedrich von Zollern nach Gret schickte. Seine Gattin in ihrem Gemach aufzusuchen, kam ihm nicht in den Sinn. Ab und zu streifte ihn der Gedanke, dass es mal wieder an der Zeit wäre, ein Kind mit ihr zu zeugen, doch diesen verdrängte er rasch. Er hatte keine Lust auf ihr Gejammer, wenn sie sich mit ihrem dicken Leib durch die zugigen Gänge schleppte. Auch war er bereits Vater eines gesunden Knaben von acht Lenzen und einer Tochter, die die gefahrvollen ersten Jahre überstanden hatte.
Eitelfriedrich lächelte voller Vorfreude, als er an die hübsche, blonde Magd dachte, an ihre wohligen Rundungen und ihre angenehme Stimme. Sie plapperte nicht ständig wie einige der anderen Mägde, doch wenn sie sprach, dann wohl überlegt. Das Klopfen an der Tür unterbrach seine Überlegungen.
»Ah, Gret, komm zu mir und tu mir Gutes.« Mit einem Ruck zog er sein Hemd über den Kopf und ließ sich dann bäuchlings auf sein Lager fallen. »Komm her und lege deine Hände auf meinen knotigen Rücken. Knete mir sanft die schmerzenden Schultern und streiche mir Fett auf die wunde Haut. Das Kettenhemd hat wieder übel gescheuert.«
Gret zog ihre Schuhe aus und kletterte zu dem Grafensohn auf das Bett. Langsam wanderten ihre Hände über den Rücken, so dass Eitelfriedrich wohlig grunzte. Eine Weile schwiegen sie beide. Gret konzentrierte sich auf die verspannten Muskeln. Die Schulterblätter warfen harte Schatten. Der Grafensohn stöhnte, als sich ihre Finger unter die Knochenkämme gruben. Zart bestrich sie die geröteten Stellen mit Kräuterfett. Eitelfriedrich drehte sich auf die Seite, stützte den Kopf in seine Hände und betrachtete das Mädchen aufmerksam.
»Du hast Magie in deinen Händen, Gret«, sagte er und streichelte ihren nackten Fuß, der unter dem Rock hervorlugte. Langsam wanderte seine Hand höher, er beugte sich vor und küsste ihre Wade, dann zog er Gret zu sich herab. Seine Lippen arbeiteten sich von ihrer Schulter zum Nacken vor. Der warme Lufthauch seines Atems strich über ihre Haut. Ein bisher ungekannter wohliger Schauder breitete sich über ihren ganzen Körper aus. Entspannt schloss sie die Augen, während ihre Finger in dem dichten gräflichen Haarschopf wühlten.
Es klopfte. Eitelfriedrich fluchte, doch er ließ von Gret ab, zog sich sein Hemd wieder über und öffnete die Tür.
»Vater Laurenz, was wollt Ihr denn?«, fragte er missmutig.
Der Gottesdiener drängte sich ins Zimmer. »Nun, es ist so, ich muss mit Euch sprechen, weil …« Als er Gret entdeckte, brach er ab. Giftige Blicke, scharf wie Pfeile, verschoss der magere Geistliche in Richtung Bettstatt. »Schickt das Weib hinaus, Herr, das ist nichts für ihre Ohren«, forderte er säuerlich.
Gret strich Hemd und Rock glatt und suchte nach ihren Schuhen. Der Kaplan murmelte etwas von Schlangen und Sünden, doch die Magd würdigte ihn keines Blickes. Mit hoch erhobenem Haupt ging sie hinaus und schloss die Tür hinter sich. Sofort erhob sich die Stimme des Kaplans, so dass die Worte durch die Ritzen drangen. Mit angehaltenem Atem blieb Gret stehen, ihre Augen weiteten sich. Sie hätte gehen müssen. Sie wusste, dass jedes weitere erlauschte Wort sie in größere Gefahr brachte, doch sie blieb wie angewurzelt stehen und lauschte der klagenden Stimme des Kaplans.