Читать книгу Die Herrin der Burg / Das Siegel des Templers - Zwei Romane in einem Band - Ulrike Schweikert - Страница 24
KAPITEL 13
ОглавлениеAm frühen Morgen saß Trude in der warmen Küche nahe am Herd und rührte lustlos in ihrer Milchsuppe, ohne auch nur einen Löffel davon in den Mund zu schieben. Den Kopf in ihre linke Hand gestützt, starrte sie vor sich hin. Dunkle Schatten hatten sich unter ihren Augen gebildet, die Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Die Küchenmagd Ella, die neben dem großen Eisenkessel stand, beobachtete die alte Kinderfrau verstohlen. Unablässig rührte das knochige, hoch aufgeschossene Mädchen die klumpige Suppe, damit sie nicht anbrennen konnte, doch unter den langen Wimpern warf sie Trude neugierige Blicke zu. Als diese dann auch noch einen tiefen Seufzer ausstieß, zog das Mädchen den Holzlöffel aus dem Topf und trat zum Tisch heran. Trude schenkte ihr keine Beachtung.
»Jetzt ist es aber genug«, riss das Mädchen die Alte aus ihrer Träumerei. »Du siehst aus, als hättest du in der Nacht mit Dämonen und Geistern gekämpft, die dir auch jetzt noch keine Ruhe lassen. Was ist geschehen?«
»Ja, ein Dämon war es, dem ich heute Nacht begegnet bin, das kann man wohl sagen«, murmelte die Kinderfrau vor sich hin.
Ella riss die Augen auf und bekreuzigte sich. »Ein richtiger Dämon? Wie sah er denn aus? Hatte er Hörner auf dem Kopf und einen Pferdehuf? Stank er nach Rauch und faulen Eiern?«
»Pah«, endlich hob Trude den Kopf und sah in das einfältige Antlitz des Mädchens. »Pferdehuf und Hörner? Heutzutage laufen die Dämonen nicht so auffällig herum. Und das Einzige, was stinkt, ist deine angebrannte Milchsuppe!«
»Jesus und Maria«, rief das Mädchen und stürzte zu dem Kessel zurück, doch da war es schon zu spät. In einer großen Blase quoll die Milch über den geschwärzten Rand, verharrte einen Augenblick, platzte dann und tropfte zischend in die Glut. In diesem Moment wurde die Küchentür aufgerissen, und Hanna stapfte herein. Der Küchenmagd schossen die Tränen in die Augen, noch bevor Hanna zum Herd stürmte und ihr eine schallende Ohrfeige verpasste. Während das Mädchen eifrig rührte und ihre Tränen in die angebrannte Milch tropften, schrie die Köchin, keifte und fuchtelte mit ihren dicken Armen in der Luft herum. Es schien nicht so, als würde sie sich bald beruhigen. Stöhnend streckte die alte Kinderfrau ihre schmerzenden Glieder und trat in die kühle Morgenluft hinaus. Bald würde die Sonne aufgehen, doch würde sie auch die Finsternis aus ihrer Seele vertreiben können?
»Jetzt weißt du, was du unbedingt wissen wolltest«, sagte sie zu sich, als sie in ihren groben Holzschuhen durch den aufgeweichten Morast platschte. »Jetzt stehst du da mit deinem Wissen, das du lieber ganz schnell vergessen würdest und das dir nun Nacht für Nacht den Schlaf rauben wird. An wen kannst du dich wenden? An den Mann der Kirche, den übellaunigen Vater Laurenz?« Die Vorstellung war so absurd, dass Trude bitter auflachte. »Der Mann der Kirche – ha –, der wäre der Letzte, zu dem ich mit dieser Felsenlast auf meiner Seele kommen würde.« Da fiel ihr ein, dass bei der nächsten Beichte aber genau das auf sie zukommen würde. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Nein! Sie konnte dem Kaplan alles sagen, alles, doch das nicht. Aber dann würde sie noch mehr Schuld auf sich laden. Sie musste einen Mann Gottes belügen oder zumindest bei ihrer Beichte etwas auslassen, was wahrscheinlich genauso schlimm war.
»Heilige Jungfrau, warum war ich nur so neugierig? Warum konnte ich nachts nicht auf meinem Lager bleiben? Warum musste ich herumschleichen und mich auf die Lauer legen, bis ich das gesehen habe, was nicht für meine Augen bestimmt war.«
Sie sackte ein wenig in sich zusammen und wusste plötzlich, was der alte Mönch in seinem Verlies gemeint hatte, als er sagte: Wissen ist Macht und Verderben gleichermaßen.
Ob sie vielleicht zu ihm gehen sollte? Mit einem kurzen Lachen verwarf sie den Gedanken. Nie, nie in ihrem Leben würde sie in diese Dämonenhölle hinabsteigen. Ihr war, als klebten schlimmste Sünden schon an jeder Stufe, die dort hinunterführte.
Vielleicht würde sie im Kloster in Stetten unten einen Rat bekommen? Entschlossen stapfte sie zum Palas, um Williburgis beim Ankleiden zu helfen. Dabei würde sie ganz unauffällig vorschlagen, man könnte den Nonnen mal wieder einen Besuch abstatten.
Bis zum Fuß des Zollernberges ritten die Reisenden aus Wehrstein durch dichten Wald. Eichen und Buchen, Tannen und Lärchen reckten sich dem Licht entgegen. Der immer steiler werdende Hügel selbst war fast kahl. Kaum eines der geduckten Gehölze hätte den Namen Baum verdient. Nicht, dass die Hänge zu steil gewesen wären, den Wurzeln Halt zu gewähren. Solch eine große Burg brauchte Holz, viel Holz, zum Brennen und Bauen. Was lag da näher, als die Stämme vor den Toren zu nehmen? Außerdem konnte eine freie Sicht um die Burg nicht schaden. Wer sollte sich nun anmaßen, ohne Deckung die Hänge in finsterer Absicht unerkannt zu erklimmen?
Der aufgeweichte, schlüpfrige Pfad führte die Besucher aus Wehrstein in einer lang gezogenen Spirale den Burgberg hinauf, so dass sie ausgiebig Gelegenheit hatten, die wehrhafte Anlage von allen Seiten zu betrachten. Hoch ragte der Bergfried über der zinnenbewehrten Mauer auf, die in sechs Halbtürmen Verstärkung fand. Vom Palas sah man nur einen Teil des Daches. Die niederen Wirtschaftsgebäude blieben den sich nähernden Besuchern hinter der Mauer verborgen.
Der Weg wandte sich nun der Südseite zu. Zwischen Steinen und Gras führte er, einige Felsstufen unterhalb der Mauern, an den beiden Vorhöfen entlang, die im Osten in einem Dreieck endeten, einen Rundturm an jeder Spitze. Immer steiler werdend, näherte sich der Pfad der hoch aufragenden Mauer, bis er zwischen Süd- und Ostturm durch das Tor in den ersten Hof führte. Hier draußen lehnten zwei alte Scheunen an der Mauer, lief Gesinde geschäftig hin und her, tummelten sich Hühner und Gänse in einem Pferch, wurde Gemüse am Fuß der grauen Steine angebaut. Unter einem mächtigen Wehrgang hindurch, von dem aus Bogenschützen jedem Feind das Leben zur Hölle machen konnten, führte ein zweites finsteres Tor durch die breite Hauptmauer hindurch zur Vorburg. Die Gäste aus Wehrstein passierten zwei Wächter, ein hochgezogenes Fallgitter und eisenbeschlagene Torflügel.
In der Vorburg reihten sich Ställe für Pferde, für Rinder und Schweine aneinander. Auch die Schmiede hatten die Zollerngrafen hierher ausgelagert. Eine hölzerne Zugbrücke über einem von Schlamm und Unrat fast völlig gefüllten Graben führte zum dritten Tor, das endlich Einlass in die Burg gewährte. Direkt neben dem Tor erhob sich ein gedrungener runder Turm, in dessen Grund sich der Brunnen befand, die Lebensader jeder Burg.
Tilia zügelte ihr Pferd und ließ den Blick über den Burghof schweifen. Vor ihr erhob sich der Bergfried, mit dem Palas rechts daneben angebaut, links an der Mauer stand eine Kapelle aus großen Steinblöcken mit kleinen, rundbogigen Fenstern. Die drei Gebäude bildeten die Form eines U, das in seiner Mitte einen teils steinigen, teils morastigen Hof freiließ. Das Küchengebäude lag, wie bei fast allen Burgen, wegen der Brandgefahr ein wenig abseits. Hier an der nördlichen Mauer duckten sich auch die beiden einfachen Gesindehütten unter den Schatten der Zinnen.
Vor dem Eingang zum Bergfried standen einige rohe Tische und Bänke. Ritter und Knappen lümmelten herum, tranken und vertrieben sich die Zeit mit Spielen. In einem Korb saßen junge Kaninchen. Ein Hüne im rostigen Kettenhemd griff mit seinen Pranken hinein, holte eines der zappelnden Geschöpfe heraus, kniff das verängstigte Tier kräftig und ließ es dann auf den Boden fallen. Haken schlagend suchte das Kaninchen das Weite. Die Ritter und Edelknechte hatten faustgroße Steine in den Händen. Sie warteten einen Augenblick, und noch einen, dann sausten die Geschosse durch die Luft und prasselten rechts und links, vor und hinter dem Geschöpf auf die Erde. Eines zerschmetterte ihm den Hinterlauf. Vor Schmerz und Angst fiepend, schleppte sich das junge Kaninchen weiter.
Der Hüne hatte noch nicht geworfen. Nun holte er aus. Der Stein flog hoch in die Luft, fiel herab und zerschmetterte dem kleinen Fellbündel das Rückgrat. Zuckend blieb es liegen, die Augen weit aufgerissen. Sein Blut tropfte in den Morast.
»Der Punkt gehört mir«, rief der Ritter mit kräftiger Stimme und hob die linke Hand, an der der kleine Finger fehlte.
»Nein, nein, Otto«, widersprach ein kleinerer, untersetzter Streiter mit mausgrauem Haar. »Wenn ich es nicht am Lauf getroffen hätte, dann hättet Ihr ihm nie und nimmer den Garaus gemacht.«
Otto von Ringelstein-Killer räusperte sich geräuschvoll, zog einen dicken Ballen Schleim hoch und spuckte ihn Eberhard von Ringingen vor die Füße.
»Wir können das gleich hier klären«, sagte er ruhig und fuhr sich mit der verstümmelten Hand durch das verfilzte, dunkle Haar.
Der Dicke stöhnte, die anderen rieben sich vergnügt die Hände. Es ging doch nichts über eine schöne Rauferei – auch wenn das Ergebnis von vornherein feststand.
Tilia von Wehrstein brachte ihr Pferd vor dem erschlagenen Kaninchen zum Stehen. Fragend sah sie zu Heinrich von Husen an ihrer Seite, doch der war schon wieder leichenblass.
»Ich regele das schon«, flüsterte er heiser und schwang sich von seinem Pferd, doch seine Beine versagten ihm den Dienst und knickten ein. Mit dem Gesicht voraus, kippte er ohnmächtig in den Schlamm.
»Rüdger, nun hilf mir schon aus dem Sattel!«, keifte Tilia und streckte ihm die heulende Dorothea entgegen, sobald er an ihr Pferd herangetreten war. Die Ritter des Zollerngrafen sahen vorerst von ihrer Rauferei ab und betrachteten interessiert das ihnen dargebotene Spektakel. Die Hände am Schwertknauf oder hinter dem Rücken verschränkt, schlenderten sie heran und umringten die Fremden.
»Sieh da, ein kleiner Ritter mit seinem Knecht und seinen Huren«, grinste Ritter Walger von Bisingen, ein muskulöser Kämpfer mit dunklen Augen und braunem Haar. Die Spuren der Fehde trug er als Narben auf seiner Wange. Außerdem hatte ihn ein Schwertstreich das linke Ohr gekostet.
»Wenn er tot ist, dann gehören die hübschen Vögelchen uns«, lachte der dicke Eberhard von Ringingen und leckte sich die Lippen. »Leckere Hühnchen sind das!«
Tilia sah ungläubig von einem zum anderen, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen.
Otto von Ringelstein-Killer trat dem Bewusstlosen in die Seite. Gierig ließ er seinen Blick über Tilias schäbigen, schlammverkrusteten Mantel wandern, unter dem ihr einfacher Rock hervorlugte.
»Es ist mir egal, ob er tot ist oder nicht. Außerdem scheint er mir noch kein Ritter zu sein.« Ein breites Grinsen entblößte seine gelben Zähne. »Ist er Freund, dann sollte er mit seinen Freunden teilen. Ist er Feind, dann betrachte ich das Häschen als Beute!«
Ehe es sich Tilia versah, war sie von eisenstarken Armen umfangen und an einen nach altem Schweiß stinkenden Männerkörper gepresst. Der Geruch nach Zwiebeln schlug ihr ins Gesicht, als die raue Zunge über ihre Wange fuhr und sich die Zähne, nicht gerade sanft, um ihr Ohr schlossen. Voll Empörung stieß sie einen Schrei aus. Die Ritter lachten.
Da der eine ihrer Begleiter seiner Sinne beraubt war und der andere nur mit offenem Mund glotzte, nahm Gret die Sache selbst in die Hand. Sie mühte sich von ihrem Esel herunter, duckte sich unter den nach ihr greifenden Männerhänden hindurch und verteilte giftige Blicke nach allen Seiten. Mühsam kämpfte sie sich zu Tilia durch und trat dem Ritter heftig gegen das Schienbein.
»Ihr vergreift Euch an einer edlen Jungfrau!«, schrie sie in höchstem Zorn. »Der Ritter von Wehrstein wird Euren Kopf fordern, wenn er davon erfährt!«
Irritiert ließ der Ritter das Mädchen los und wandte sich seiner Angreiferin zu.
»Ach, und du bist die Tochter von König Rudolf?« Er griff nach ihren Handgelenken.
»Nein«, vergeblich versuchte Gret sich aus dem eisenharten Griff zu befreien. »Ich bin ihre Magd und soll auf sie Acht geben.«
»Eine Magd greift einen Ritter an und tritt ihm gegen das Bein?« Er riss ihr die Haube vom Kopf und griff in ihr blondes Haar. Mit einem Ruck zog er sie zu sich. »So kurz kann dein Besuch hier gar nicht sein, dass ich dir das nicht angemessen vergelte!«
Seine andere Hand zerfetzte ihr das Hemd, so dass zur Freude der Umstehenden die hübschen, festen Brüste zum Vorschein kamen. Gret biss die Zähne aufeinander. Rüdger, der mit den beiden Mädchen im Hintergrund stand, ballte die Fäuste, doch er machte keine Anstalten, seinem Eheweib zu helfen. Es gab nichts, das er tun konnte, wenn er nicht sein eigenes Leben in Gefahr bringen wollte. Die Mädchen weinten leise. Schützend legte Rüdger seine Arme um sie.
Nur langsam erholte sich Tilia von ihrem Schock. Heiße Wut wallte in ihr auf. Mit einer ungeduldigen Bewegung strich sie sich ein paar zerzauste Strähnen aus dem Gesicht, trat zu dem Hünen und herrschte ihn an:
»Ich bin Tilia von Wehrstein, von Graf Eitelfriedrich persönlich als Gast auf Zollern geladen. Ritter, ich befehle Euch, lasst meine Magd sofort los!«
Sie baute sich vor dem Mann auf, der sie um mehr als einen Kopf überragte, und funkelte ihn böse an. Der Ritter von Ringelstein-Killer wollte etwas erwidern, doch eine Stimme vom Palas her ließ ihn verstummen. Er gab Gret frei.
»Wie ich sehe, sind meines Bruders werte Gäste eingetroffen!«
Der junge Graf Friedrich, der die Szene von der Tür des Palas aus heimlich und mit großer Belustigung verfolgt hatte, trat in den Hof. Mit offenen Armen ging er auf die Wehrsteintochter zu, keinen Blick für Gret, die sich notdürftig den zerrissenen Stoff über dem Busen zusammenhielt, oder für den am Boden liegenden Heinrich.
Ihm folgte der Ritter Swenger von Lichtenstein, den Tilia bereits im Gefolge des Grafen Eitelfriedrich auf Wehrstein kennen gelernt hatte. Erleichtert trat Tilia dem Zollernsohn entgegen, begrüßte ihn höflich und drängte ihn dann, dem armen Heinrich zu Hilfe zu kommen. Der Sohn des Hausherrn trat zu dem Ohnmächtigen, den Rüdger inzwischen umgedreht hatte. Mit seinem schlammverschmierten Gesicht sah er eher einem gehörnten Dämon gleich denn einem hoffnungsvollen jungen Edelmann.
Der junge Graf runzelte unwillig die Stirn. »Schleppt Ihr mir da ein böses Fieber in die Burg?«
»Nein, nein«, beeilte sich Tilia zu versichern. »Er wurde verletzt. Die Wunden nässen und schwächen ihn. Er ist der jüngste Sohn des Ritters von Husen.«
Der Merkenberger sah Tilia aufmerksam an. »Verletzt? Was ist Euch auf Eurer Reise geschehen? Seid Ihr überfallen worden?«
Tilia sah in die wasserblauen Augen des jungen Grafen. Er war kräftiger gebaut als sein Bruder, hatte einen dunklen Teint und braunes, schulterlanges Haar. In seinem Blick lauerten Tatendrang und Abenteuerdurst. Sie konnte ihm die Wahrheit nicht sagen, daher nickte sie nur.
Der junge Graf winkte herrisch nach zwei seiner Ritter. »Walger, Renhard, los, tragt den von Husen hoch in die kleine Kammer am Ende des Ganges, neben meinem Gemach, und ruft Tragebott, den alten Gauner, dass er sich die Wunden ansieht.«
Tilia bedankte sich herzlich, doch der junge Graf schnitt ihr das Wort ab. »Ihr seid unsere Gäste!«
Er wollte noch etwas über den Mönch sagen, der mit der Heilkunde vertraut war und der unter dem Palas in den Kellergewölben hauste, doch ein dumpfer Knall, der den Boden erbeben ließ, verschlang seine Worte. Eine dichte, dunkle Wolke quoll aus einer Tür an der Seite des Palas und breitete sich dann über den Hof aus. Der Rauch reizte die Augen und drang beißend in die Lungen. Durch einen Tränenschleier sah Tilia eine dunkle Gestalt heranstürmen. Flammen umkränzten das dunkle, wehende Gewand, das Gesicht war geschwärzt, die eine Hälfte des Schädels kahl, von der anderen stand ein Kranz verkohlter Flusen ab. Kurz vor den Rittern und Gästen warf sich die unheimliche Gestalt auf den Boden und wälzte sich im Morast.
»Der Satan!«, schrie Tilia und schlug ihre Hände vors Gesicht, um diesen schrecklichen Anblick nicht länger ertragen zu müssen.
»Nein, nicht der Teufel persönlich«, hörte sie den Grafensohn völlig ruhig sagen, »eigentlich ein Mann Gottes, wenn auch ein ziemlich schwarzer. Ihr könnt die Augen ruhig wieder aufmachen. Es ist nur der Mönch Tragebott – oder das, was von ihm übrig geblieben ist.«
Die beißende Wolke verzog sich langsam, und auch die Mägde und Knechte, von dem Spektakel angelockt, trollten sich und nahmen ihr Tagewerk wieder auf. Vorsichtig linste Tilia zwischen ihren Fingern hindurch und ließ dann die Hände sinken. Noch immer zitternd vor Entsetzen, starrte sie den dicken Mönch in seiner angekohlten, rauchenden und nun auch noch schlammbeschmierten Kutte an. Mit seinen großen Pranken klopfte Bruder Tragebott noch ein paar glimmende Stellen aus und erhob sich dann schwerfällig.
»Mit Euren satanischen Spielereien werdet Ihr noch mal die ganze Burg abbrennen«, zischte der Merkenberger wütend.
Der Mönch trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und schüttelte sein aschebedecktes Haupt. »Verzeiht, verzeiht, das war eine kleine Unachtsamkeit in der Rezeptur, doch glaubt mir, es ist kein Teufelswerk. Wenn ich die richtige Mischung beisammen habe, dann mache ich Euch damit zum Herrn des Heiligen Römischen Reiches! Ich bin kurz davor, wirklich! Nie wieder müsst Ihr Burgen lang belagern – Ihr verteilt einfach das Pülverchen, dann ein wenig Feuer, und – puff – die Mauern lösen sich in Luft auf.«
»Dann macht Euch wieder an die Arbeit und sorgt dafür, dass es nicht unsere Mauern sind, die sich – puff – in Luft auflösen.«
Mit einer ungeduldigen Handbewegung scheuchte er den Mönch davon. Humpelnd kehrte Tragebott in sein Kellerverlies zurück.
Die zornig roten Flecken auf den Wangen des Grafensohnes verschwanden, als er sich Tilia zuwandte und ihr den Arm anbot. Sie hatten den Palas noch nicht erreicht, da trat, vom Lärm und Rauch angelockt, Williburgis von Zollern in den Hof, gefolgt von ihren Damen. In edlem dunkelblauem Rock mit leuchtend roten Seidenbändern an den Ärmeln und aufwendiger Silberstickerei auf dem eng geschnürten Leib, kam die zierliche Schönheit auf Tilia zu. Ihr langes, dunkles Haar wallte bis zur Hüfte herab und wurde von einem Schappel aus gehämmerten Silberplättchen zusammengehalten. Höflich lächelnd, doch ohne Wärme, begrüßte sie den Gast. Die Grafentochter verzog nur die Lippen, die Augen blieben unerreicht. Kaum waren die Grußworte verklungen, irrte ihr Blick auch schon wieder unstet davon.
Verwirrt folgte Tilia, Dorothea an der Hand, Williburgis von Zollern, die sie schweigend ins Haus führte. Dafür schnatterten die anderen Damen ohne Unterlass und plapperten Belangloses. Hilfe suchend drehte sich Tilia noch einmal zu Gret um, die gerade eine vorbeieilende Magd anhielt, um nach den Schlafräumen des Gesindes zu fragen.
Tilia folgte den Damen in den Palas. Neugierig sah sie sich um. Das ganze untere Stockwerk wurde vom großen Saal eingenommen: Mächtige Balkensäulen stützten die rußige Holzdecke, die Wände waren verputzt und mit Jagdszenen bemalt, doch hier endete die Pracht des Raumes auch schon. Das sicher edle Holz der langen Tafel verschwand nahezu unter Wein- und Essensresten, Mäuse suchten sich ungeniert die besten Brocken heraus, um die beiden Feuerstellen häufte sich die Asche, und die Binsen auf dem Boden waren klebrig und braun. Tilia raffte Rock und Mantel und stieg vorsichtig über Knochen und Hundekot hinweg. Da war die Hütte des Unfreien ja noch sauberer, dachte sie und rümpfte ein wenig die Nase. Fragend warf sie ihren Begleiterinnen einen Blick zu, doch die schien der Dreck nicht zu stören. Zumindest ließen sie sich nichts anmerken.
Kopfschüttelnd stieg Tilia hinter der Grafentochter die Steintreppe hinauf. Im ersten Stockwerk hatten der Graf und seine Söhne ihre Gemächer. Dort war auch die kleine Kammer, in die man Heinrich von Husen gebracht hatte. Eine weitere Treppe führte zum Frauenbereich. Hier lag die Kemenate, Kunigunde von Badens kleines Gemach, der Schlafraum der Damen, eine Kammer für die älteren Kinder und die Kleiderkammer.
»Kann ich meine Magd bei mir haben?«, fragte Tilia schüchtern, als Salome von Ringelstein-Killer ihr ihre Bettstatt zeigte.
»Nein, das ist nicht üblich. Außerdem hat sie ein Kind, oder? Noch ein Balg mehr hier oben muss wirklich nicht sein. Sie kann heraufkommen, um Euch anzukleiden oder zu frisieren, aber nachts hat sie hier nichts zu suchen.«
Tilia nickte nur stumm. Sie fühlte die musternden Blicke der Damen, und plötzlich wurde ihr kalt. Sehr willkommen schien sie nicht zu sein.
»Ihr werdet schon nicht frieren müssen«, fuhr Salome fort. »Ihr teilt das Bett mit unserer keuschen Eleonora.« Sie deutete auf das zierliche, sommersprossige Fräulein, das bisher noch kein Wort gesagt hatte.
»Zumindest für eine warme, heilige Seele wird sie sorgen, wenn sie schon nicht mit üppig weichen Formen aufwarten kann«, kicherte Kunigunde von Baden boshaft.
»Dafür habt Ihr mehr als genug davon abgekriegt«, stichelte Salome und piekte die Grafengattin in ihre Seite. Laut quiekend trippelte Kunigunde auf ihren hohen Sohlen davon. Auch die anderen ließen Tilia allein.
Verloren stand die Jungfrau aus Wehrstein in ihrem schmutzigen und feuchten Gewand neben dem Bett, die wimmernde Dorothea an ihren Rock geklammert. Tilia ließ ihren Blick unschlüssig über die Bettkästen schweifen, die an der einen Wand dicht hintereinander aufgereiht waren. Auf der anderen Seite standen mit prächtigem Schnitzwerk versehene Truhen, in denen die Damen ihre Habseligkeiten aufbewahrten. Plötzlich merkte die Wehrsteinerin, dass ihre kleine, rothaarige Bettnachbarin noch immer in der Tür stand. Schüchtern knetete sie ihre schmalen, weißen Hände, doch dann fasste sie sich ein Herz und trat auf Tilia zu.
»Es ist nicht an mir, Euch zu empfangen, doch ich sehe, Ihr habt eine lange Reise gehabt. Eure Gewänder sind schmutzig und nass. Sicher wäre es gut, wenn Agnes ein Bad bereiten würde. Wenn Eure Kleider in den Kisten nass geworden sind, finden wir in der Kleiderkammer sicher etwas für Euch beide.« Lächelnd streckte sie die Hand aus und winkte den Wehrsteintöchtern, ihr zu folgen. Tilia lächelte zurück. Die kalte Umklammerung ihres Herzens ließ ein wenig nach. Vielleicht würde es doch nicht so schlimm werden.
»So, ihr seid also die Neuen«, stellte die Köchin fest, reckte sich zu ihrer ganzen, bedrohlichen Größe auf und stemmte die fleischigen Arme in die Hüften. Prüfend wanderte ihr Blick über Rüdger, Gret und Sofie, die dem Mädchen Ella in die Küche gefolgt waren.
»Da ihr länger bleiben wollt, könnt ihr euch gleich ein paar Regeln einprägen«, fuhr Hanna mit lauter Stimme fort.
»Ich habe in dieser Küche das Sagen, und keiner geht mir an die Töpfe. Und wenn ich euer Balg beim Naschen erwische, dann gibt’s mit meinem Kochlöffel Hiebe, die sie nicht vergessen wird!«
Zur Bekräftigung ihrer Worte ließ sie den langen Holzlöffel durch die Luft sausen. Ängstlich klammerte sich Sofie mit einer Hand an Grets Rock fest und steckte den Daumen der anderen in den Mund.
»Nach Sonnenaufgang gibt es im Gesinderaum Grütze, bei Sonnenuntergang dicke Suppe und Brot. Wer zu spät kommt, der hungert halt!«, fuhr sie mit schriller Stimme fort und schwenkte den Löffel.
Rüdger lief rot an und wollte das Weib schon unterbrechen, doch Gret drückte ihm warnend die Hand. Auch ihr stieß das arrogante Gebaren dieses Mannweibes sauer auf, doch sie kannte diese Sorte. Wenn sie jetzt aufbegehrten, dann würden sie sich auf Zollern schon in der ersten Stunde einen Todfeind schaffen.
»Ich bin weder blind noch blöd und weiß genau, wie viel Vorräte da sind. Also versucht ja nicht, mich übers Ohr zu hauen«, warnte sie und stieß mit ihrem Löffelschwert in die Luft. So ging es noch eine ganze Weile. Ella hatte sich schon lange aus dem Staub gemacht, doch für die Neuankömmlinge gab es kein Erbarmen. Endlich ging der massigen Köchin die Luft aus.
»Warum bist du denn so böse?«, piepste Sofie in die plötzliche Stille.
Der dicke Busen der Köchin hob und senkte sich vor Empörung. »Was heißt hier böse, du freches Balg? Warte ab, bis du mich mal böse erlebst!«
Mutig trat Sofie einen Schritt nach vorn und streckte Hanna ihre kleine Faust entgegen.
»Du darfst eine haben, damit du nicht so rumschimpfen musst«, bot die Kleine an. Langsam öffneten sich die kleinen Finger und gaben zwei bunt bemalte Tonmurmeln frei.
Die Köchin sackte in sich zusammen wie ein entleerter Weinsack. »Nein, so was«, sagte sie nur fassungslos und ließ ihre Waffe sinken. »Du willst mir eine deiner Murmeln schenken?« Sie machte einen Schritt auf das Mädchen zu. Sofie zitterte ein wenig, doch sie hielt dem Drachen weiter die geöffnete Hand entgegen.
»Ich würd sie schon lieber behalten«, gab Sofie offen zu, »aber wenn du dann ganz lieb bist, dann kannst du eine haben.« Die großen blauen Kinderaugen sahen fragend zu Hanna hoch.
»Da weiß ich ja gar nicht, was ich sagen soll – und das kommt bei mir nicht oft vor!« Die Köchin ging schwerfällig in die Hocke. Ein Lächeln huschte über ihre fleischigen Wangen. »Du bist ja mal ein süßer Fratz. Aber behalt deine Murmeln. Mal sehen, vielleicht habe ich ja dafür was für dich!«
Geschäftig eilte das Weib davon und kam kurz darauf mit einem Stück süßer Latwerge zurück, das Sofie mit großen Augen entgegennahm.
Gret zwinkerte ihren Mann an. Die erste Schlacht auf Zollern hatte die kleine Sofie für sie gewonnen.