Читать книгу Junger Wilder - Urb Sinclair - Страница 12

II. Wie alles begann

Оглавление

Laut dröhnte die harte Rockmusik aus dem obersten Stock mit den weit geöffneten Fenstern hinaus. Es war ein warmer Spätsommernachmittag, ein gutes halbes Jahr vor der Begegnung mit dem Pfarrer auf dem Lindenhof.

In der kleinen Zweizimmerwohnung mit offener Küche sassen zwei junge Männer in Rattansessel um den niedrigen Stubentisch.

Der runde, massive Holztisch mit einer dicken Glasplatte befand sich an zentraler Stelle in der Stube. In Mitten dieser Tischplatte stand eine breite Vase aus schlichtem Ton gefüllt mit Trockenblumen. Daneben hatte es eine schlichte Messingschale mit allerlei Kleinkram gefüllt.

René, der im Bastsessel mit seinem Rücken weit nach hinten liegend im Sessel sass, hielt nachdenklich und abwesend den selbstgedrehten Joint in der linken Hand.

Im Sessel gegenüber hatte es sich sein bester Freund Richard Rosenkranz, der von allen seinen Bekannten kurz ‚Ritschi’ genannt wird, bequem gemacht. Er sass, mit beiden Armen auf den Sessellehnen abgestützt und seinen rechten Fuss auf den linken Oberschenkel aufliegend, entspannt da.

„Ich kann es einfach nicht glauben“, so Ritschi, „dass sich ‚Faith no more’ als Band aufgelöst hatte... Das kommt mir fast so nahe, wie dazumal im Jahre neunzehn vierundneunzig, als Kurt Cobain sich in seinem Heroinrausch mit der Schrotflinte den Kopf weggepustet hatte.“ Missmutig fuhr Ritschi fort: „Wieso haben die das nur getan? Das war früher für uns ‚Die Band’ schlecht hin gewesen!“

„Ich weiss, die Zeiten werden nicht besser...“ René nimmt noch einen tiefen Zug vom Joint und übergibt ihn Ritschi.

Die Wohnstube wurde sehr bequem eingerichtet.

Die angrenzende, offen gestaltete Küche befindet sich gleich neben dem Eingangsbereich der Wohnung. Im rechten Winkel zur Wohnstube zieht sie sich schlauchartig in Richtung der Strasse und dem Fluss. Das Küchenfenster ist dabei auf die Quaiseite hin weit geöffnet.

Neben der Wohnungstüre stand ein alter, verschnörkelter und schwarzlackierter Mantelständer in der Ecke. Die vielen Jacken, Mäntel, Kleiderstücke und Taschen begruben den Kleiderständer förmlich unter sich, so, dass man nur noch die geschwungenen Holzbeine zu sehen bekam.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Wohnungstüre befand sich ein hohes Regal aus dunklem Holz an der Wand. Da bewahrte René den Motorradhelm, die Handschuhe, die schwarzen Bikerstiefel aus Leder und weiteres Zubehör für sein Motorrad auf.

Gleich daneben kommt die schmale Küche mit einem Spülbecken, den Herdplatten und einem kleinen Kühlschrank. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich an der Wand ein Küchentisch mit zwei Stühlen.

Aus dem Fenster am unteren Ende der Küche bot sich ein herrlicher Ausblick auf die Limmat. Auf dem gegenüber liegenden Flussufer liegt die Schipfe, wo die kleinen Boote, meist Ruderboote und aus Holz gefertigte Weidlinge ankern.

Das Schlafzimmer mit kleinem Balkon, ist über die Wohnstube zu erreichen. Das kleine Badezimmer mit der Toilette ist an das Schlafzimmer sowie die Wohnstube angegrenzt.

René lebte mit seinem Kater Siddhartha, den er liebevoll ‚Sidi’ nannte, nun schon seit fast zwei Jahren in dieser Wohnung. Er hatte die für ihn wunderbar gelegene Wohnung ganz nach seinem Geschmack eingerichtet und fühlte sich in ihr sehr wohl und geborgen.

Viele Freunde die gelegentlich bei ihm vorbei schauten, beneideten ihn sichtlich um diese schmucke Wohnung.

Einen zusätzlichen Scharm verleiht der Wohnung zudem die wundervolle Aussicht auf die Limmat von dem kleinen Balkon mit dem schön verschnörkelten, gusseisernen Geländer.

Bei gutem Wetter sass René manchmal stundenlang draussen auf dem Balkon im Gartenstuhl. Er las dann gerne ein Buch oder die Tageszeitung und genoss dazu die wärmenden Sonnenstrahlen.

Nach seiner offiziellen Schulzeit, die er mit Ritschi und dessen Freundin Jasmin Silver zusammen in einem Internat beendete, fing er als Schreinerlehrling eine praktische Ausbildung an.

Sein sturer Kopf und sein rebellisches Verhalten gegenüber seinem Arbeitgeber machten seinem Vorhaben schon bald einen Strich durch die Rechnung und er brach seine Lehre knapp ein Jahr später ab.

Nach einer längeren Reise mit seinen Freunden nahm er aus anfänglicher Freude alle erdenklichen Jobs an, die er in der Regel nach ein paar Monaten wieder hinschmiss, da er schon bald wieder etwas Neues ausprobieren wollte.

Bei der momentanen Arbeit im Gastgewerbe lernte er vor einem halben Jahr bei einem festlichen Anlass Jeanette Brunner kennen.

Er verliebte sich daraufhin unsterblich in sie.

Jeanette studiert an der Universität in Zürich. Sie lebt mit ihren Eltern und ihren beiden Schwestern zusammen in einer grossen, ansehnlichen Villa am Zürichberg.

Ihr Vater, ein wohlhabender Firmeninhaber, verhält sich zu Jeanette und ihren zwei jüngeren Geschwistern Manuela und Sonja sehr streng. Seine Lebenseinstellung ist dem entsprechend auch sehr autoritär und konservativ. Er schätzt dabei seinen Wohlstand und will immer nur das Beste für seine Kinder.

Seit Renés erstem Besuch im Hause Brunners, fühlte er sich von Jeanettes Vater unerwünscht und mied es, ihm zu begegnen.

Seither trafen sich René und Jeanette heimlich, meistens in der Stadt. Aber neben René gab es für Jeanette auch noch Alexander. Die Familie von Alexander Zumstein ist ebenfalls wohlhabend und schon seit sehr langer Zeit gut befreundet mit der Familie von Jeanette Brunner.

Alex, wie er von seinen Freunden kurz genannt wird, studiert mit Jeanette zusammen an der Universität und wohnt bei seinen Eltern in der umliegenden Nachbarschaft von der Familie Brunner.

Jeanette kennt ihren Nachbar und Jugendfreund Alex schon seit klein auf. Er ist gross gewachsen, athletisch und gutaussehend mit dunklen, lockigen Haaren. Seine Körperhaltung ist für gewöhnlich stets aufrecht und stolz, sein Blick wachsam und kontrollierend.

Schon während ihrer Kindheit verbrachten Jeanette und Alex mit ihren Geschwistern viel Zeit zusammen. Natürlich passte es Alex überhaupt nicht, dass sich Jeanette nun seit einem halben Jahr mit René im heimlichen trafen. Er hatte sich auch schon seit längerem den Kopf darüber zerbrochen, wie er René als direkten Konkurrenten ausschalten könnte.

Mit seiner gemeinen Clique Reto, Theodor und Steve hatten sich die vier Freunde bei ihm zu Hause schon einen Plan ausgeheckt.

So, nun aber wieder zurück zu den beiden Freunden, die noch immer in der Stube laut diskutierend, musikhörend und kiffend in ihren Korbsesseln sassen.

„Heute Morgen habe ich mit Jasmin zusammen deine Schwester Sarah besucht“ so Ritschi. „Sie sah nicht gut aus. Sie wirkte sehr müde und es war für uns schwierig sich mit ihr zu unterhalten.“

Nachdenklich antwortete René: „Ja, ich weiss. Diese intensive Chemotherapie macht sie vollkommen fertig. Ich mache mir wahnsinnig grosse Sorgen um sie. Die Ärzte geben ihr fast keine Chance mehr auf eine Heilung. Weisst du, sie ist das einzige was ich neben euch beiden von meiner Familie noch habe. Ich wüsste wirklich nicht was ich machen würde, wenn sie eines Tages nicht mehr bei mir wäre. Ihr Drei seid für mich mein Rückgrat, das mich aufrecht am Leben hält. Wenn ich Sarah, Jasmin und dich nicht mehr habe, würde ich mich vollkommen einsam und verloren in dieser Welt fühlen.“

„Hey, denke nicht so negativ!“ warf sich Ritschi in Renés Rede ein.

„Wir sind und bleiben Freunde fürs Leben, das weisst du ja. Und das wird auch immer so bleiben. Bei unserem Schwur, den wir vor langer Zeit in unserer kleinen Räuberhöhle geleistet haben. Denn, wie meine Mutter schon immer gesagt hat: ‚Das Leben:’ du weisst ja ‚Es ist schön’.“

„Genau! Auf unseren gemeinsamen Pakt mein treuer Bruder“, bestätigte ihm René.

Renés Gesichtszüge hatten sich nun wesentlich aufgehellt und er fragte ihn: „Willst du auch noch einen letzten Zug?“ Er hielt ihm den fast fertig gerauchten Joint hin.

Ritschi beugte sich vor.

Bamboulé! Jetzt haben wir schon fast wieder für einen grünen Schein Gras geraucht und es ist erst gut die Hälfte der Woche vorbei... Hast du eigentlich vor, heute Abend noch Mike zu besuchen?“ fragt ihn Ritschi und meinte: „Er arbeitet heute Abend an der Bar.“

„Ja, aber ich denke erst später…“, so René, „Zuerst muss ich noch bei Robert vorbei schauen. Er befestigt mir einen neuen Auspuff an mein Motorrad. Dieses heisse, verchromte Teil da, das neben der Wohnungstüre am Regal steht.“ René wies kurz mit dem Finger auf das glänzende Rohr und sprach: „Sagen wir so auf elf Uhr in der Canterbury-Bar?“

„Okay, das geht für mich klar.“ Ritschi drückte den fertig gerauchten Joint im Aschenbecher aus und stand ruckartig auf und sprach: „So, ich muss nun los. Ich habe ein paar Sachen einzukaufen und ich habe zudem Jasmin versprochen beim transportieren eines Kleiderschrankes zu helfen, den sie von einer Bekannten übernehmen kann.“

Ritschi ging zur Küche und schaute dort in den Kühlschrank. „Ich nehme mir noch schnell ein Glas Milch, ja?“

„Bediene dich, mein Bruder!“ tönte Renés knappe Antwort aus der Stube.

Ritschi goss sich ein Glas voll Milch ein, kippte es gierig in sich hinunter und verabschiedete sich von René mit einem kurzen: „Peace, Mann.“

Es blies ein angenehm warmer Wind in dieser Spätsommernacht vom See her durch die Limmatstadt. René Wilder spazierte mit Bluejeans und schwarzem Kapuzenshirt bekleidet den Limmatquai entlang.

Unter den orange- gelblich leuchtenden Strassenlaternen wirkt für ihn die Umgebung ganz anders als Tags über. Da wo sonst tausende von Menschen dem Quai entlang gehen, waren es um diese Zeit nur noch wenige denen er auf dem Gehsteig begegnete.

Die Lichter der gegenüberliegenden Uferseite spiegelten sich in der Limmat. Sie tanzten fröhlich ihren stummen, unaufhörlichen Tanz auf dem tief schwarzen Wasser das im trägen Tempo Richtung Westen davon fliesst.

René war verspätet unterwegs.

Er begegnete im Treppenhaus noch seinem Nachbarn, der in der Wohnung unter ihm wohnte. Die gute, einsame Seele Armin Sigg, ein zunehmend verwahrloster Alkoholiker, den man meistens unfrisiert und unrasiert in löchrigen Trainerhosen sowie schmutzigen, ausgetragenen Trägerleibchen im Treppenhaus antrifft.

Leicht angetrunken war er an diesem späten Abend wieder mal besonders redselig. Das Gespräch drehte sich um Siddhartha, die Katze von René.

Armin, der selbst auch eine Katze hat, hütete ‚Sidi’ des Öfteren, wenn René nicht zu Hause war. Siddhartha benützte dann das Katzentürchen von Sansibar, Armins unglaublich dicken, getigerten Kater.

Die Canterbury-Bar liegt in einer Seitengasse zum Limmatquai. René bog in die schmale Gasse ab. Vor der kleinen Bar, an dessen Vorderseite beidseits der Glastüren eine Fensterfront eingebaut wurde, verweilte er einen kurzen Moment.

Durch die Scheiben sah er Ritschi stehend an der Theke der Bar mit ihrem langjährigen Freund Mike reden. Das kleine Lokal war nur spärlich mit Gästen besetzt.

Erst als René durch die Glastüren herein kam, merkte er, dass Ritschi lautstark mit zwei jungen Männern und Mike, dem Barkeeper, in eine Diskussion verwickelt war.

René ging unbeirrt zu ihm hin und legte freundschaftlich den Arm um seine Schultern. Von Mike, den sie schon aus der Internatszeit her kannten, liess er sich ein Bier einschenken.

Einer der jungen Männer, sagte von seinem Platz am kleinen Tisch aus und so laut, dass es alle Anwesenden hören konnten auf Hochdeutsch: „Ich hab’ ja nix gegen die Juden. Was mich an der Situation stört ist nur, dass sie mit ihrem vielen Geld nachts die Transitstrasse durch die Stadt einfach sperren lassen können, nur damit sie ihre Ruhe haben. Meiner Meinung nach, hätten die Bewohner von Alt-Wiedikon einfach ein ruhigeres Stadtviertel aussuchen sollen, als an dieser Durchgangsstrasse. Ob jetzt Jude oder nicht tut dabei nichts zur Sache.“

„Ahh, das hatte aber anfänglich ganz anders geklungen, als jetzt gleich. Zuvor, als ich noch nicht gesagt habe, dass ich halb jüdisch bin!“ gab Ritschi zur Antwort und war dabei kaum mehr zu bremsen.

„Weisst du, mit solchen Typen wie dir lohnt es sich für mich gar nicht erst zu diskutieren!“ und zu René im flüsterndem Tonfall: „Hey, machen wir einen Abgang von hier. Um diese beiden deutschen Yuppies bekomme ich fast keine Luft mehr.“

„Ja“, so René, „aber lass mich noch schnell mein Bier kippen und kurz auf das Klo muss ich danach auch noch gehen.“

„Gut“, flüsterte Ritschi ihm leise ins Ohr, „ich warte draussen in der Rosengasse auf dich.“

Als sich René auf die Toilette begab, sah er aus dem Augenwinkel, bevor er die Türe zu den Toiletten öffnete, wie der eine sich von seinem Stuhl erhob. René dachte sich nichts dabei und erledigte sein Geschäft am Pissoir.

Er bemerkte, wie die weissen Flügeltüren der Toiletten geöffnet wurden und einer von den beiden jungen Männern zur Türe herein kam. Im vorübergehen gab er René, der immer noch am Pissoir stand, einen kräftigen Stoss in den Rücken. René ahnte es bereits auf eine Weise und handelte intuitiv.

Er fing sich an der Wand geschickt auf. Dann drehte er sich blitzschnell um die eigene Achse, packte den Mann hinten am Kragen und stiess den verblüfften Täter an dem Pissoir vorbei, in die hinten angebrachte, freie Toilette. Mit einem lauten Knall flog die angelehnte Toilettentüre auf. Der junge Mann stürzte neben der Kloschüssel unsanft zu Boden und blieb da regungslos liegen.

Im vorbeigehen an der Bar entschuldigte sich René bei Mike für das schlechte Benehmen von Ritschi.

„Hey“, meinte René, „ich hoffe, du bist uns nicht böse wegen den Unannehmlichkeiten.“ Und mit einem Augenzwinkern sagte er zu ihm noch leise: „Ach ja übrigens, auf dem Boden der Toilette hat es gehörig viel Dreck liegen. Vielleicht wäre es gut, wenn du da mal nachschauen könntest.“

René bezahlte seelenruhig das Bier und verabschiedete sich von seinem langjährigen Freund: „Okay, Ich wünsche dir trotz allem noch einen schönen Abend.“

Draussen, auf der menschenleeren Gasse, sah sich René auf beide Seiten um und zog sich dabei den noch offenen Reissverschluss an der Hose zu.

In einer den nächsten Seitengassen vom Limmatquai entdeckte er in der Rosengasse Ritschi, wie er frech auf dem Dach eines eleganten, schwarzen BMW-Cabriolets sass. Die beiden Beine hatte er dabei locker vorne über die Windschutzscheibe gehängt. Er war damit beschäftigt auf dem Wagen einen Joint zu drehen.

René ging über die spärlich beleuchtete Gasse und schwang sich mühelos neben Ritschi auf das Dach des schwarz-glänzenden Cabriolets hoch.

Er berichtete seinem Freund was zuvor auf der Toilette in der Canterbury-Bar vorgefallen war. Zusammen den Joint rauchend, unterhielten sie sich auf dem Wagendach über das geschehene.

Währendem sie darüber redeten, nahm Ritschi ein Mobiltelefon aus seiner Jackentasche und überreichte es seinem Freund und Bruder.

„Seit wann hast du denn ein Mobiltelefon?!“ fragte René verwundert. Stumm zeigte ihm sein Bruder mit seiner freien Hand auf den Wagen, auf dem sie sassen. „Nee, du hast aber nicht etwa diese Karre aufgebrochen, oder?!“

Ritschi schüttelte kurz den Kopf, blies den Rauch aus den Lungen und sagte: „Nö, aus Versehen hat der Gummihals vergessen seinen BMW abzuschliessen. Es ist übrigens das Auto von diesen Typen aus der Bar. Ich bekam anfänglich mit, wo sie geparkt hatten.“

„Ach ja?“ erwiderte ihm René vergnügt und nahm es ihm kurz aus der Hand. „Interessant! Und wie hast du denn die Identifikationsnummer für das Mobiltelefon geknackt?“

„Der Besitzer hat es in seinem Wagen auf Stand-by-Modus gelassen...“ René und Ritschi mussten beide lachen.

Ihr Gelächter hallte von den Häusern der engen Gasse zurück und liess es erst in der Ferne verklingen. Nachdem sie fasziniert ihren eigenen Geräuschen nachgehorcht hatten, machten sie noch ein paar lustige Bemerkungen über die Besitzer des Wagens in der Bar.

Gemeinsam kamen sie auf die Idee eine ehemalige Erzieherin zu veralbern, die sie aus ihrer gemeinsamen Zeit im Internat her kannten und nicht leiden mochten. Ritschi fragte bei der Auskunft nach und liess sich verbinden. Ein kurzes Warten trat ein.

Niemand meldete sich am anderen Ende der Leitung. Er wurde sauer und haute das Mobiltelefon ein paar Mal frustriert über die Dachverstrebung.

„Hey, komm wir versuchen es doch auf ein Neues beim kleinen Patrick.“ René nahm ihm das Telefon ein zweites Mal aus der Hand und sprach weiter: „Weisst du noch, dem wir früher während der Pause gelegentlich die Unterhosen hoch zogen und er darauf eine braune Bremsspur in der Unterhose hatte. Was wohl aus dem geworden ist?“

„Ja, gute Frage“, antwortete ihm Ritschi. „Das arme Schwein hatte damals keine Freunde gehabt, dafür war er sehr stark in der Mathematik. Der macht jetzt bestimmt eine Karriere bei einer der zahlreichen Banken im Lande.“

Den glühenden Joint-Stummel, den Ritschi immer noch in der andern Hand hielt, drückte er auf der Dachüberzugsplane des Cabriolets aus. Der Stummel schmorte sich in die Dachplane hinein. „Na, dann wollen wir mal!“ so René, „Ich versuche diesmal mein Glück.“

Bei der Telefonauskunft gab René den Namen ihres ehemaligen Schulgefährten durch. Er musste ihn zweimal wiederholen, bis die Dame von der Auskunft den Namen richtig eingegeben hatte. Danach liess er sich von ihr verbinden.

Es verging eine geraume Zeit, bis sich eine junge Frauenstimme am anderen Telefonende meldete.

René fragte nach seinem ehemaligen Schulkameraden, ohne zuvor seinen eigenen Namen genannt zu haben. Sie sagte ihm, dass er sich gerade Geschäftlich im Ausland befände. Ob sie ihm etwas Ausrichten könne. „Nein schon gut, ich werde es zu einem späteren Zeitpunkt wieder versuchen.“ Er hängte auf.

„So eine verdammte Kacke!“ rief René aus, „Dieser Arsch ist auf irgendeiner Geschäftsreise, wohnt wenn möglich noch in einem edlen Hotel und zockt dafür einen hufen Kohle ab, damit er seiner edlen Puppe zuhause ein paar schöne und teure Geschenke mitbringen kann.“

Er fühlte sich auf einmal missmutig und sprach: „Du Ritschi, am liebsten würde ich jetzt auch gerne verreisen. Weisst du, einfach weg von hier und alles hinter mir lassen. Verdammt. Weisst du, so wie wir es früher schon einmal zusammen getan haben. Dazumal auf unserem sommerlichen Roadtrip, als wir gemeinsam mit unserem Freund Jacques ‚le président’ und seinem alten weissen Toyota-Bus quer durch Europa gereist sind... Ja, verdammt noch mal. Ich bin erst dreimal in meinem Leben im Ausland gewesen. Andere Leute machen dies in einem Jahr oder sogar in einem Monat.“

„Ach komm schon!“ antwortete ihm Ritschi, „Mach dir nichts daraus. Es werden schon noch bessere Zeiten auf uns zu kommen. Zeiten, in denen wir richtig viel Kohle scheffeln werden und wir verreisen können, wohin wir wollen.“

Sie schauten sich gegenseitig an und fingen an zu Grinsen, was wieder in einem schallenden Gelächter durch die schmalen Gassen der Altstadt hallend in der Dunkelheit der Nacht endete.

„Komm wir verschwinden von hier“, so René, „bevor noch diese Yuppies auftauchen.“

Geschickt schwang er sich dabei vom Dache des Wagens herunter.

Kurz beredeten sie unterwegs, was sie an diesem angebrochenen Abend noch unternehmen könnten. Da ihnen aber nichts Passendes einfiel, verabschiedeten sie sich von einander.

Zu Fuss machte sich René auf den Heimweg. In der Nacht fand er es hier in der Stadt immer am schönsten. Dann, wenn die ganze Hektik mit all‘ den gestressten Leuten vorüber ist.

Die Stadt gab ihm zu dieser späten Stunde das Gefühl, von Ruhe und einsamen Frieden. Ja sie ruht sich aus, die Metropole. Sie erholt sich, damit sie sich am folgenden Tag den Menschen wieder in ihrer alten, wundervollen Pracht, auf ein Neues zeigen darf.

Was sie für einen anmutigen Stolz zur nächtlichen Stunde auf ihn ausübte. Ja, er bewunderte diese Stadt in ihrer Vielfalt zutiefst. Gedankenversunken und völlig in sich eingekehrt, schlenderte er den Limmatquai entlang.

Plötzlich klingelte das Mobiltelefon, dass er sich zuvor gedankenlos in die Tasche seiner schwarzen Kapuzenjacke eingesteckt hatte. Durch den lauten Rufton des Telefons, wurde er abrupt aus seinen abschweifenden Gedanken gerissen.

Er ärgerte sich darüber, dass er es überhaupt eingesteckt hatte. Kurz drehte er es ein paar Mal zwischen seinen Fingern und überlegte sich dabei, was er tun sollte.

Grimmig sagte er leise zu sich: „Mmh nee..., was soll ich denn damit…“ In einem riesigen Bogen warf er das läutende Mobiltelefon seitlich über das metallene Geländer hinter sich in den dunklen Fluss. Zu Hause angekommen, fühlte er sich vom frischen Wind, der angenehm die Limmat hinunter blies, sehr angeregt und kein bisschen Müde.

Zuhause in der kleinen Küche goss er sich aus dem Kühlschrank ein Glas Mineralwasser ein. Von weitem hörte er dabei das Signalhorn von einem Rettungswagen.

Ohne sich weiter Gedanken zu machen, holte er sich aus dem Regal über seinem Bett ein Buch, das er vor einigen Tagen zu lesen begonnen hatte. Darin vertiefte er sich bis spät in die Nacht.

Seine Katze Siddhartha hatte es sich schon längst auf seinem Schoss bequem gemacht, als er sich für ein paar Stunden Schlaf entschied. Vorsichtig hob er den Kater von seinen Beinen und legte ihn zurück auf das warme Kissen im Sessel, auf dem er gesessen hatte. Nach dem er zu Bett ging, fiel er kurze Zeit später in einen tiefen Schlaf.

Junger Wilder

Подняться наверх