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III. Von Bullen, Skatern und brennenden Autos
ОглавлениеSchweissgebadet lag René im Bett unter seiner Bettdecke begraben. Seine Musikanlage, dessen Weckfunktion er am Vorabend noch einprogrammierte hatte, wurde soeben eingeschaltet. Laut dröhnte Grunge-Musik von Pearl Jam aus den Boxen.
Durch die Fensterflügel der Balkontüren schienen ein paar Sonnenstrahlen schräg über den Teppich, den er mitten im Zimmer liegen hatte. Mühsam öffnete er die Augen und raffte sich auf. Mit völlig zerzausten, blonden Haarsträhnen, die ihm über das Gesicht bis fast an das Kinn reichten, richtete er sich auf.
Nur mit Shorts bekleidet, blieb er auf der Bettkante sitzen. Seine schlanke, geschmeidige Katze Siddhartha, kam auf leichten Pfoten elegant durch die spaltweit geöffnete Türe in das Schlafzimmer gelaufen. Direkt vor René, der mit aufgestütztem Kopf da sass, blieb sie miauend stehen.
Er streichelte ihr liebevoll mit der Hand über das kurze, pechschwarze Fell. Der Kater Strich ihm dabei schnurrend um die Beine und rieb seinen Kopf voller Zuneigung an Renés Waden.
René stand auf und ging durch das Schlafzimmer. „Komm ‚Sidi’, wir gehen etwas essen.“ Er wusste, dass es keine Aufforderung benötigte. Der Kater würde ihm auch so folgen.
‚Aber es ist doch schön‘, dachte sich René, ‚wenn man frühmorgens aus dem Bett steigt und jemand da ist, mit dem man reden kann. Und sei es auch nur die Katze.‘
Aus dem Küchenschrank holte er eine Packung Katzenfutter und füllte damit Siddharthas Futternapf. Heisshungrig stürzte er sich auf das hingestellte Katzenfutter.
Aus dem Kühlschrank holte René sich eine Milchtüte, Eier, Backpulver und Weizenmehl um sich ein paar Pfannkuchen zubereiten zu können. Auch einen Schweizer Käse, eine Packung Schinken und ein Glas voller Oliven stellte er sich für sein Frühstück auf den kleinen Küchentisch.
Auf der Herdplatte erhitzte er die Bratpfanne und bereitete mit etwas Öl seine Pfannkuchen zu. Aus dem Brotkasten holte er sich einen halben Laib Brot hervor und schnitt sich mit dem Brotmesser zusätzlich ein paar Scheiben davon ab.
Kaum hatte er sich sein Frühstück auf dem Teller fertig zugerichtet, klingelte es an der Wohnungstüre. Ob dies wohl Armin war, schoss es ihm gleich durch den Kopf. ‚Sein Nachbar wollte sich sicherlich wieder etwas borgen‘, dachte er, ‚das er dann für die nächsten Monate nicht mehr zu Gesicht bekommt.‘
Bevor er zur Wohnungstüre ging, streift er sich noch einen Pullover über seinen nackten Oberkörper. Darauf begab er sich zur Türe und öffnet diese.
Vor seiner Wohnung standen zwei Beamte der Stadtpolizei in blauer Uniform.
„Grüezi!“ sagt der grössere von den beiden auf Schweizerdeutsch. „Sind sie Herr Wilder, Herr René Wilder?“
René gab bereitwillig Auskunft. Er war überrascht und sich keiner Schuld bewusst.
„Ja, das bin ich“, antwortete er freundlich. „Kann ich ihnen irgendwie behilflich sein?“
Der grössere, hagere Polizist übernahm wieder das Reden. „Gestern Abend wurde der Stadtpolizei Zürich gemeldet, dass im Niederdorf an der Rosengasse ein Fahrzeug in Vollbrand steht. Bis die ausgerückte Feuerwehr eintraf, war es um den Wagen schon zu spät gewesen.“ Der Beamte sah René aufmerksam an, während er von dem Vorfall berichtete.
„Das Fahrzeug ist an Ort und Stelle vollständig ausgebrannt. Es ist ein hoher Sachschaden von mehreren zehntausend Franken entstanden. Beim ausgebrannten Wagen handelt es sich um ein schwarzes ‚BMW-Cabriolet 318 Modell‘. Glücklicherweise entstand an den anliegenden Häusern keine nennenswerte Schäden.“
Mit Argusaugen betrachteten die beiden Beamten Renés Gesichtsmiene während sie ihn über den Vorfall aufklärten.
Der kleinere Polizeibeamte sprach daraufhin weiter: „Ganz in der Nähe des Unfallortes, haben wir in der Canterbury-Bar erfahren, dass sie dort zusammen mit einem Freund vor der uns gegebenen Tatzeit noch verkehrten. Wussten sie etwas, von diesem schwarzen BMW-Cabriolet oder haben sie gestern Abend irgendetwas beobachten können, dass ihnen merkwürdig vorkam?“
René wurde es schubweise heiss und kalt. Glücklicherweise war er ein Meister darin, Schuldlosigkeit nach aussen zu präsentieren und antwortete den Beamten gelassen: „Ja, wir waren gestern in der Canterbury-Bar gewesen, aber einen schwarzen BMW-Wagen...? Moment, ich glaube wir sind an einem schwarzen Wagen vorbei gegangen, aber ob es sich dabei um einen BMW gehandelt hatte, das weiss ich wirklich nicht mehr so genau.“
„Na gut, dann werden sie später wieder von uns hören, wenn die Ermittlungen weiter fortgeschritten sind“, gab der lange, schlaksige Beamte entspannter zur Antwort und sprach weiter: „Im Moment ist auch noch nicht abgeklärt ob der Brand im eigenen Verschulden ausgebrochen ist oder ob er aus reiner Böswilligkeit gelegt wurde. Es kann sein, dass wir auf sie zurückgreifen werden. Ich bitte sie deswegen auch noch uns ihre Personalien anzugeben. Bitte notieren sie hier ihren Namen, die Adresse und die Telefonnummer korrekt auf das Datenblatt.“
Der lange hagere Polizist in dunkelblauer Uniform hielt ihm, ohne nur eine Miene zu verziehen, den Schreibblock und den Kugelschreiber hin.
René nahm wortlos den Papierblock und den Schreiber entgegen. Am Türrahmen stehend kritzelte er seine Personalien auf das vorgedruckte Datenblatt und gab es dem Polizisten zurück.
„Vielen Dank. wir wünschen ihnen noch einen schönen Tag“, verabschiedeten sich die beiden Polizeibeamten und gingen wieder die knarrenden Holzstufen des Treppenhauses hinunter. Hinter ihnen liess René die Türe ins Schloss fallen.
‚Nein! Das darf nicht wahr sein. So eine verdammte Scheisse! Ritschi… Das gibt noch gewaltigen Ärger für uns...’ Er lehnte sich mit dem Rücken an die Türe und blieb so eine geraume Zeit lang regungslos stehen.
Als er wieder zu seinem zubereiteten Frühstücksteller an den Küchentisch zurück wollte, läutete es abermals an der Türe. Zeitgleich mit dem Glockenschlag stürmte Ritschi in die Wohnung.
„Ich weiss, die Bullen sind hier gewesen. Scheisse Mann! Ich hab sie vor dem Haus von unten her beobachtet und gewartet, bis sie gegangen sind...“ Er war völlig aufgedreht und die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus.
„Die waren zwanzig Minuten zuvor bei mir vor der Wohnungstüre gestanden“, so Ritschi und griff sich dabei an den Kopf, „Fuck! Ich habe dir noch versucht zu telefonieren. Du bist aber nicht an den Hörer ran gegangen. Danach versuchte ich, vor ihnen hier zu sein. Sie waren aber mit ihrem Bullenauto schneller als ich... Verdammt! Das ist eine ganz üble Geschichte, sag ich dir. Das gibt noch mächtig viel Ärger für uns!“
„Wie hatte das nur passieren können, Ritschi?! Wir sind ja nur auf dem Dach gesessen, nicht?“ fragte ihn René, „Du hast doch nicht etwa im Nachhinein noch diese verdammte Karre angezündet, oder?“
„Hey, jetzt hör aber auf. So gut kennst du mich aber schon noch, dass ich das nicht machen würde. Ich schwöre es, bei meiner Mutter, und die ist mir so was von heilig, sag‘ ich dir!“
Ritschi holte das Luftgewehr das René neben dem Regal aufbewahrte. Er knickte den Lauf nach unten, griff in die Schuhschachtel, die sich unter dem Gestell befand und holte ein paar Federbolzen hervor.
„Aber mir ist wieder in den Sinn gekommen, dass mir die glühende Zigarette, die ich geraucht habe aus der Hand gefallen war, als ich das Mobiltelefon aus der Karre hervorholte. Sie ist mir dabei unter den Sitz gerollt. Da lagen auch noch ein paar Papiere auf dem Boden, wenn ich mich nicht irre… Ich hab‘ mich danach nicht mehr um sie gekümmert. Hab‘ eben gedacht, sie lösche sich schon von selber aus.“ Er ging mit dem geladenen Luftgewehr durch die Küche zum Fenster und öffnete dies.
„WAAS!!“ gab René von sich. Er stand immer noch vor dem Küchentisch. Neben sich der Stuhl und auf dem Tisch der zubereitete Frühstücksteller.
Nach Essen war ihm überhaupt nicht mehr zumute. Im Gegenteil, ihm war spei übel geworden, nachdem die Polizei vor der Türe aufgetaucht war.
„Das wird es in diesem Fall gewesen sein!“ rief René aus, „Und wir zwei Deppen sitzen noch auf dieser scheiss Karre herum und merken überhaupt nichts davon!“
Ritschi schaute aus dem Küchenfenster, hinunter auf den Quai. „Scheisse, Die Bullen sind schon weg“, fluchte er, „ich hätte ihnen noch gerne eins in den Hintern gepfeffert.“
Vor Jahren war das Schiessen mit dem Luftgewehr aus dem offenen Fenster einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen an langweiligen Sonntagen. Sie schossen dann auf so ziemlich alles, was sich in ihrer Reichweite herum bewegte. René fand es schnell einmal zu kindisch auf wehrlose Tiere oder gar Passanten zu schiessen. Im Gegensatz zu Ritschi, auf den jegliche Art von Waffen schon seit seiner Kindheit eine grosse Faszination ausübten.
„Weisst du, was ich mich gefragt habe?“ so René, „Wie war es nur möglich, dass die Bullen auf uns gekommen sind. Denkst du Mike hätte uns bei ihnen verpfiffen?“
„Hmm…, gute Frage…“, gab sein Bruder zur Antwort. „Er war der einzige, der uns gestern gekannt hatte. Also läuft es fast darauf hinaus.“
Ritschi schwenkte den Lauf der Druckluftwaffe vor seinem zugekniffenen Auge aus dem offenen Küchenfenster und sagte: „Scheisse. Wieso hätte er das machen sollen? Ich glaube kaum, wenn er das mit dem Wagen gewusst hätte, uns an die Bullen verpfeifen würde. Der ist gewieft und würde uns sicher nicht anschwärzen. Dafür kenne wir Mike schon zu lange.“
Ein Schuss fiel aus dem Luftgewehr. Von der Limmat aus stieg ein Entenpaar in den klaren Himmel auf, nach denen Ritschi aus dem offenen Küchenfenster geschossen hatte. „Hast du eigentlich noch das Mobiltelefon von gestern Abend?“ fragte Ritschi.
„Nein!“ gab ihm René zur Antwort. „Ich habe es glücklicherweise auf dem Heimweg im Fluss versenkt.“
„Gut, dass du das gemacht hast.“ Ritschi knickte den Lauf des Luftgewehrs wieder nach unten und schob einen Federbolzen nach. Beim Laden der Waffe sprach er weiter: „So haben wir ein Problem weniger. Dort unten werden sie es wohl kaum finden.“
Er drehte sich erneut von René ab und schaute prüfend nach unten auf die Strasse. Ein Slalom-Skateboardfahrer näherte sich auf dem Gehsteig fahrend in einem beachtlichen Tempo. Ritschi nahm ihn sofort ins Visier. Er zielte kurz und drückte ab.
Der Slalom-Skater wurde vom abgeschossenen Projektil am Fuss getroffen und verlor vor lauter Schreck das Gleichgewicht. Ungebremst donnerte er gegen einen Laternenpfahl.
Das Skateboard wiederum sauste in die Gegenrichtung über den Randstein auf die Strasse, direkt vor ein heranfahrendes Fahrzeug. Vom rechten Vorderrad des Wagens wurde das Rollbrett erfasst und wie bei einem Katapult im hohen Bogen zurück über den Gehsteig und das angrenzende Metallgeländer in den Fluss geschleudert.
„HAA!! Das hättest du sehen sollen... So geil war das!“ Ritschi musste sich fast kugeln vor Lachen. Mit dem Gewehr als Stützhilfe auf dem Küchenboden den Lauf in den Händen haltend, fuhr er fort: „Eine echt hammermässige Szene, die sich da unten abgespielt hatte. Besser als im Film... René, das musst du gesehen haben.“
René ging an das offene Fenster. Zusammen schauten sie aus der Ferne auf die Strasse, wo sich der verdutze Unglücksrabe auf dem Gehsteig des Limmatquais wieder aufrappelte.
Mit einer fast kindlichen Begeisterung, erklärte Ritschi, was da unten vorgefallen war. Mittlerweile stand der junge Rollbrettfahrer wieder auf den Beinen und hielt sich laut fluchend den linken Oberarm.
„Irgendwie krieg‘ ich das Gefühl nicht los, als ob alles was du in letzter Zeit in die Hände nimmst, immer in einem riesengrossen Chaos endet“, rief René aus. „Wieso ausgerechnet dieser Skater? Der arme Typ hat jetzt kein Skateboard mehr. Du hättest besser auf jemanden geschossen, der wenigstens so aussieht, als hätte er Geld.“
„Ja, verdammt noch mal, es hatte mich einfach gereizt!“ gab sein Bruder leicht betroffen zurück, „Es tut mir ja auch Leid um sein Skateboard. Ausserdem, passiert ist passiert. Hab‘ ja nicht ahnen können, dass dem sein geliebtes Skateboard beim Unfall drauf geht.“
Nachdem René das Küchenfenster wieder geschlossen hatte, wandten sie sich von der Szenerie auf der Strasse ab und setzten sich gemeinsam an den Küchentisch.
Sie unterhielten sich weiter über das, was ihnen im schlimmsten Falle passieren könnte, wenn es bei den polizeilichen Ermittlungen doch auffliegen sollte, dass sie die Schuldigen am Brand des Fahrzeuges waren. Während dem Gespräch zwischen ihnen nahm René sein Frühstück zu sich.
‚Wir sind es alle. Und doch sind es viele nicht. REICH’