Читать книгу Junger Wilder - Urb Sinclair - Страница 17
V. Ein wunderbar junger Morgen
ОглавлениеDie Stadt war noch in ihrem Tiefschlaf, als René seine Wohnung im dritten Stock verliess. Draussen, vor seiner Wohnungstüre, streifte er sich in der Dunkelheit seine ledernen Bikerstiefel über die Füsse. Das Licht schaltete er im Treppenhaus absichtlich nicht ein.
In der morgendlichen Frühe konnte er grelles Licht nicht ausstehen. Es erinnerte ihn oft an die Zeit zurück, als er in der Rekrutenschule bei der Schweizer Armee war. Da kam jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe der Feldweibel in das Zimmer getreten, stellte gleich in allen Räumen das grelle Licht an und schrie sich in den leeren Gängen der Kaserne die Seele aus dem Leibe.
Ein eiskalter Schauer trieb es ihm über den Rücken bei den Gedanken zurück an die Infanterie, wo er ausgebildet werden sollte. Froh darüber, dass sein kurzes Gastspiel beim Militär schon vorüber war, stieg er über die alte, knarrende Holztreppe ein Stockwerk tiefer.
Auf dem Fussabtreter von Armin, der einst die Wohnung direkt unter René bezogen hatte, kauerte Armins dicker Kater Sansibar. Der Kater wurde nach der tansanischen Hafenstadt Sansibar benannt.
Armin war früher ein grosser Fan von Freddie Mercury, dem einstigen Leadsänger der Rockgruppe ‚Queen’ gewesen. Da Sansibar die Geburtsstadt von Freddie Mercury ist, hat er sich dafür entschieden, dem dicken, getigerten Kater diesen Namen zu geben.
René kniete sich kurz hin und kraulte das verwohnte Tier unter dem Hals. ‚Siba’, wie er von Armin kurz genannt wird, fing an zu schnurren. Er strich ihm noch ein-, zweimal über das glänzende Fell und ging weiter.
In den dunklen Gassen war es noch ruhig. René lief ein paar Minuten das Niederdorf hoch, bis zum Haus von Robert. Da besass er einen Schlüssel zu seiner Garage. An diesem Ort durfte er für wenig Geld seine schwarze Chopper-Maschine unterstellen.
Mit dem Motorradhelm an seinem Arm stiess er die schwere Triumph-Maschine, aus der Garage in die Einfahrt. Dort knöpfte er sich, auf dem Motorrad sitzend, die dunkelbraune Lederjacke zu und startete den Motor.
Die Strassen in der Stadt waren noch beleuchtet. Unterwegs kamen ihm auf seinem Motorrad vereinzelt Fahrzeuge entgegen.
Mit seiner schweren Maschine fuhr er den Berg hoch, wo er einen wundervollen Aussichtsplatz kannte. Der Motor unter ihm liess ein sehr angenehmes, tiefes und regelmässiges Brummen in seinen Ohren ertönen.
Im Schein vom Lichtkegel des Motorrads und der spärlichen Strassenbeleuchtung fuhr er um einige Kurven den Käferberg hoch. In der Morgendämmerung fuhr er, bis zur Aussichtsplattform des Pflegezentrums.
Er liebte die Aussicht von diesem Platz aus. Vor allem um diese Uhrzeit, wenn die meisten Menschen unten in der Stadt noch in den Federn lagen.
Weit hinten, hinter den weissen Gipfel der Alpen, da sah man die ersten Sonnenstrahlen in den rosafarbenen Himmel scheinen. Für ihn war dies immer wieder ein überwältigender Moment, von diesem Platz aus den Sonnenaufgang über der Stadt mit zu verfolgen.
Hier oben stand er schon oft mit Jeanette und früher natürlich auch mit seiner Schwester Sarah. Jetzt kamen die ersten Sonnenstrahlen über die Alpen.
Er hatte sich mit den Armen leicht vorgebäugt auf das metallene Geländer gestützt, das auf der Brüstung der Aussichtsplattform angebracht wurde. Aus seiner Jackentasche klaubte er sich eine Packung Zigaretten hervor und steckte sich eine davon an.
Zürich lag unten immer noch im Schatten der hohen Bergkette von den Glarner Alpen. Das Wasser glitzerte ganz leicht auf dem dunklen, lang gezogenen See, der sich in einem leichten Linksbogen um die Hügel zu den Voralpen streckt.
Tief in Gedanken versunken sinnierte er über die Bedeutung seines Traumes von letzter Nacht und rauchte seine Zigarette fertig. Anschliessend genoss er die ersten wärmenden Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht.
‚Ein Leben ohne die Liebe, vergeben.
Ein Leben, für die Liebe, vergeben.
Ein Leben, an die Liebe vergeben.’