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IV. Meine Schwester Sarah

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Am Nachmittag fuhr René auf dem Weg zum Universitätsspital mit der schwarzen Triumph-Maschine vor ein Blumengeschäft vor. Die Sonne zeigte dem Stadtbewohner ein freundliches, wärmendes Lachen am wolkenlosen Himmel über der Stadt.

Auf dem Motorrad sitzend, streifte sich René den Helm ab. Er schaute sich kurz um und atmete zwei-, dreimal tief durch. Die Luft war klar und rein, wie sonst selten in mitten der dichtgedrängten Stadt.

Mit dem Motorradhelm am Arm überquerte er den Gehsteig und trat in den schön dekorierten Blumenladen ein. Entschlossenen Schrittes ging er durch das Verkaufsgeschäft auf die junge, blonde Blumenverkäuferin zu. Abgesehen von ihr waren im Laden keine weiteren Kunden zu sehen. Sie stand mit ihrem kurzen, kecken Haarschnitt hinter der Theke und schnitt mit einer Schere buntes Krepppapier zu. Neben ihr stand die alte Registrierkasse.

„Kann ich ihnen behilflich sein?“ fragte sie.

Mit ihren schönen, blauen Augen und einem leicht schüchternem Lächeln auf den Lippen, die grosse, glänzende Bandschere immer noch in den Händen haltend, sah sie ihm direkt in die Augen.

„Ja“, gab René zur Antwort, „sie könnten mir gerne fünf von diesen Sonnenblumen einpacken, die sie da nebenan in der grossen Blumenvase stehen haben.“

Die blonde Floristin legte die schwere Schere zur Seite und nahm ein Messer aus der Schublade hinter dem Tisch hervor. Leichten Schrittes ging sie damit vor dem Kunden zu den Sonnenblumen.

Bei der ersten fragte sie ihn: „Auf welche Stiellänge hätten sie denn gerne den Blumenstrauss?“ Sie deutete mit dem Messer eine Stelle an.

„Gerne noch etwas länger“, so René.

Fortlaufend zog sie eine neue Blume aus der grossen Vase und schnitt sie zurecht. Mit ihren fünf Sonnenblumen begab sie sich wieder hinter die Verkaufstheke. Vorsichtig packte sie die Sonnenblumen kunstvoll in bereitliegendes Manschettenpapier ein. Sie fragte ihn ein wenig schüchtern, ob es sonst noch etwas sein darf. Er verneinte ihr und bezahlte.

Über den Blumenstrauss, deren gelbe Blumenköpfe oben leicht aus dem Papier herausragten, lächelte er ihr noch einmal zu und wendete sich von ihr ab. Das Gesicht der Verkäuferin errötete hinter dem Rücken von René.

Vor dem Blumenladen packte er den Strauss mit den fünf Sonnenblumen vorsichtig in die Seitentasche des Motorrades.

‚Fünf Sonnenblumen, je eine für meine Liebsten!‘ dachte er sich und streifte sich vor dem Aufsitzen den schwarzen, matt-glänzenden Helm über den Kopf.

Einige Minuten später fuhr er mit tief knatterndem Motorengeräusch seiner Maschine vor dem Spital vor. Er stellte das Motorrad ab und begab sich zum Eingang der Frauenklinik.

Die ältere, gut gepflegte Dame am Empfangsschalter namens Rosie kannte René bereits von seinen häufigen Besuchen. Mit einem entzückten Lächeln auf den Lippen sagte sie zu ihm: „Ohh, wenn ich doch auch nur so viele Blumen bekommen würde wie sie deine Schwester von dir bekommt, dann könnten wir hier nebenbei noch ein Blumengeschäft betreiben“.

René musste lachen. Er mochte die immer aufgestellte und fröhliche Rosie am Empfang. Sie strahlte für ihn so eine angenehme, mütterliche Art und Weise aus, die ihn jedes Mal erneut beeindruckte. Zudem war sie auch sehr schlagfertig. Mit viel Humor wechselten sie untereinander noch ein paar Worte am Empfangsschalter. Anschliessend fuhr er mit dem Lift in den dritten Stock hoch.

Draussen in den Gängen war es leer und mucksmäuschenstill. Das Krankenzimmer von Sarah befand sich am anderen Ende des langen Ganges. Ihm war es nicht besonders wohl, als er den kühlen Gang durchschreitet. Er mochte den Geruch der Krankenhäuser nicht. Er fühlte sich dann auch immer auf irgendeine Art und Weise krank. Er musste sich sogar eingestehen, dass er Krankenhäuser überhaupt nicht leiden konnte, er hasste sie förmlich.

Das Echo seine Schritte hallten in den Fluren zurück. Es kam ihm vor als wäre eine unheimliche Last auf ihm, die ihn mit jedem Schritt noch mehr zu Boden drückte.

Tock, Tock, Tock... Seine Schritte hallten durch die Gänge, so als würde er an Krücken gehen.

Ja, seine Schwester leidet an Brustkrebs und das mit gut einundzwanzig Jahren. In seinen Ohren hört er noch die Worte des Arztes, der ihnen in der Arztpraxis die harte Diagnose vorlas. Er kam sich damals so vor wie beim Gericht, wo der Richter dem Schwerverbrecher die Urteilsverkündung mitteilt.

Endlich stand er vor der schweren Türe zu Sarahs Zimmer. Leise klopfte er an die weisse Türe, die eine Spaltbreite geöffnet war. Niemand antwortete ihm. Sachte drückte er sie ganz auf und trat in das Patientenzimmer ein.

Im Krankenbett lag Sarah mit geschlossenen Augen. Sie war die einzige Patientin in diesem Zimmer. Die weiteren drei Betten waren fein säuberlich mit weisser Bettwäsche bezogen worden. Alles stand in der gleichen Ordnung für weitere Patienten im Zimmer bereit.

Das obere Kopfende von Sarahs Bett wurde von den Pflegern in Schräglage gebracht. Mit dem steilen Winkel des Bettes sass sie eher, als dass sie darin liegen konnte. Der Brustkorb ihres schlanken Körper bewegte sich nur ganz leicht unter dem weissen Kittel.

Das Zimmer war sehr hell, was durch die weiss lackierte Möblierung noch verstärkt wurde. Ihre Haut wirkte deswegen noch eine Spur bleicher als sie sonst schon war. Ihre schönen, fein geschnittenen Gesichtszüge gaben den Anschein, als hätte man sie in Stein gehauen. Ihr Haupt war kahl. Sie hatte von der intensiven Chemotherapie alle Haare verloren.

René stand mit dem Strauss Blumen in den Händen am unteren Ende des Bettes und schaut verunsichert und hilflos auf seine jüngere Schwester.

Aus dem offenen Fach des Nachttisches nahm er eine hohe Blumenvase aus farbigem Glas und ging damit zum Lavabo. Auf dem Wandtisch daneben stand vor dem Spiegel eine Büste aus Kunststoff, die eine Perücke trug. Er füllte die Vase mit Wasser auf und stellte die mitgebrachten Sonnenblumen sachte in die bunte Vase.

Den Blumenstrauss stellte er leise auf den kleinen Nachttisch. Das Licht im Raum brach sich in der farbigen Vase und reflektierte es über das Bett seiner geliebten Schwester.

Im Spiel des Lichtes betrachtete er seine Schwester, die langsam und unendlich müde die Augen öffnete. Sie sahen sich Stumm in die Augen. René nahm Sarahs linke Hand in die seine und hielt sie fest. Dabei versuchte sie ein wenig zu lächeln.

„Hey, mein Goldschatz, schau mal, was ich dir mitgebracht habe“, flüsterte René leise zu ihr und sprach fast tonlos weiter: „Ein paar Sonnenblumen… Deine Lieblingsblumen.“

Ihre Augen strahlten. „Danke vielmals! Es ist schön, dass du gekommen bist“, gab sie ihm mit ihren schönen, sanftmütigen Augen zur Antwort.

Seinen leichten Händedruck auf dem Bett erwidernd sprach sie weiter: „Es ist sehr einsam hier in diesem Zimmer. Gestern habe ich mich unglaublich gefreut, dass Jasmin und auch das erste Mal mit ihr Ritschi hier gewesen waren. Das war wunderbar für mich. Ich denke aber, dass Jasmin sehr lange brauchte bis sie Ritschi überzeugen konnte mit ihr in das Krankenhaus zukommen. Es war ihm sichtlich unwohl hier drinnen…“

René schmunzelte bei dem Gedanken daran, mit welchen Gefühlen Ritschi das Krankenhaus betreten haben musste.

Sarahs älterer Bruder erzählte ihr von den Geschehnissen des letzten Abends und von Robert, der ihm eine neue Auspuffanlage an das Motorrad montiert hatte. Da er seine Schwester nicht beunruhigen wollte, verschwieg er ihr erstmals den heutigen Besuch der Polizei. Anschliessend unterhielten sie sich noch gemeinsam weit über eine Stunde miteinander.

Zuletzt versprach ihr René: „Am Montagmorgen komme ich wieder bei dir vorbei. Ich glaube in ein bis zwei Monaten ist das Ganze durchgestanden und wir werden es zusammen wie früher haben“.

Sarah blickte ihn darauf hin traurig an, so, als ob sie ihm sagen würde: ‚René, du weisst was der Arzt gesagt hatte. Da besteht keine Hoffnung mehr für mich, in ein bis zwei Monaten werde ich mit grösster Wahrscheinlichkeit Tot sein. Nichts ist mehr wie früher. Mein lieber Bruder, bleib bitte realistisch...’ Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verabschiedete sich.

Junger Wilder

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