Читать книгу Gschwind - Урс Маннхарт - Страница 10

KAPITEL 2

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Während er in seiner Fantasie den dünnen Flugbegleiterinnenhals noch so lange umschlossen hält, bis sich die unangenehme Spannung in seinen Händen zu lösen beginnt, ist seine nervliche Erregung längst in den Ohren angekommen, wo sich nun ein starker Druck ausbreitet und dafür sorgt, dass seine Umgebung nur noch aus einem Rauschen besteht. Gschwind fühlt, etwas ist nicht gesund in ihm, deutlich nimmt er den erhöhten Puls wahr, seine restlos angespannten Nerven. Gschwind sieht, die Flugbegleiterin sagt etwas, Entschuldigungen sind es gewiss, ihr Halsgrübchen bewegt sich, sie bewahrt perfekt Haltung, lässt höflich die Hände durch die Luft gleiten und spricht engagiert. Gschwind steht direkt vor ihr und hört sie nicht.

Um nicht noch länger gehörlos vor ihr zu stehen und um vor sich selber und seiner sonderbaren Anspannung wegzulaufen, bedankt sich Gschwind und geht zurück an seinen Platz. Dort schließt er die Augen, atmet tief ein, atmet tief aus, entspannt seinen Körper, indem er an das betörend schöne Rum Runner denkt, das er bestellt hat und das im kommenden Jahr fertig gebaut sein wird: Eine elegante Wucht von einem Motorboot mit 370 Pferdestärken, gebaut aus den schönsten Tropenhölzern, gefertigt in der Nähe von Luzern in 100 Prozent Schweizer Handarbeit, ein bulliger RollsRoyce auf dem Wasser, das schönste Motorboot auf dem ganzen See wird es sein und er sein stolzer Besitzer – der Gedanke an dieses luxuriöse Boot verringert zuverlässig den Druck auf seinen Ohren, die Herzfrequenz normalisiert sich, der Hörsinn kehrt zurück. Während Gschwind erfreut an den aufsehenerregenden Spezialtransport denkt, der nötig sein wird, um das massige Boot von der Werft am Vierwaldstättersee an den Thunersee zu holen, erreicht sein Nervenkleid allmählich den Normalzustand.

Wenn er sich diesen Rum Runner vorstellt, denkt Gschwind auch an seine Mutter, an seine selbstbewusst auftretende, schon ihr halbes Leben auf dem Thunersee als Kapitänin arbeitende Mutter Barbara. Wenn sie ihn mit diesem imposanten Boot sieht, wird sie verstehen: Er hat was erreicht.

Was die temporären Hörverluste angeht, so versucht seit Jahren ein bunter Trupp unterschiedlichster Spezialisten eine überzeugende Diagnose zu erstellen. Bisher ist nicht klar, was vorliegt. Frau Doktor Lepple vermutet Morbus Menière, aber wenn Lepple ihn untersucht, gerät Gschwind immer ein bisschen durcheinander, denn Lepple zeigt lächelnd ungewöhnlich viel Zahnfleisch, und einmal meinte Gschwind, Blut gesehen zu haben über ihren Schneidezähnen. Was ihn an Frau Doktor Lepple aber vor allem irritiert, ist ihre schwer durchschaubare Neigung, Humorvolles mit Hochernstem zu verquicken. Gleich bei ihrer allerersten Begegnung nannte sie sich Spezialistin für Spezielles, Abteilung Unheilbares, und schaute ihn dabei an, als verstünde sie sich mit bloßem Auge aufs Röntgen.

Bei Morbus Menière handelt es sich um eine situationsbedingte, stressbasierte, oft mit Schwindel einhergehende Verminderung der Hörfähigkeit. Morbus Menière gilt als nicht mit Medikamenten behandelbar und kann zu dauerhaftem Hörverlust und anhaltendem Schwindel führen. Gemäß Lepple hat auch Vincent Van Gogh darunter gelitten – und sich in einem Wahn von Schwindel und Schmerz einen Teil seines linken Ohrs abgeschnitten.

Was auch immer es sein mag: Tritt es auf, geht es jeweils rasch vorüber. Aber weil sich die temporären Hörverluste seit zwei Jahren häufen, hat Gschwind auf das Drängen Lepples hin jüngst doch eingewilligt, sich einer MRI-Untersuchung unterziehen zu lassen, die aufzeigen soll, ob sich die Sache allenfalls operativ beheben ließe. Die bereits mehrfach von ihm verschobene Untersuchung flößt Gschwind Angst ein, die Vorstellung, den gesamten Schädel millimetergenau abgescannt zu bekommen, ist ihm höchst unbehaglich. Diese Angst verträgt er meist deutlich besser als den Ärger, den Lepple mit ihrem Privathinweis in ihm ausgelöst hat: Was ich Ihnen persönlich und ganz unabhängig vom Ausgang der Untersuchung empfehle, ist eine Reduktion Ihrer Arbeitsbelastung, eine Reduktion auch der Leistung, die Sie von sich selbst erwarten. Gehen Sie runter auf fünfzig Prozent, schlafen Sie viel und machen Sie lange Spaziergänge im Wald. Denkt Gschwind diesen Lepple’schen Satz, steigt augenblicklich nicht nur der Druck in seinen Ohren, sondern es verstärken sich auch die muskulären Spannungen an Armen und Beinen. Eigentlich, so überlegt Gschwind, würde ihm ein Arzt helfen, der ihm nahelegt, mehr und härter zu arbeiten.

Oder wäre es – um zur Situation im Flugzeug zurückzukehren, – endlich an der Zeit, sich von dieser Abhängigkeit von lokalen WLAN-Netze zu lösen? Gschwind aber hasst Gebühren, und auch wenn er jetzt bei Valnoya so viel verdient wie nie zuvor, auch wenn eine dreistellige Roaming-Gebühr nur wenige Promille seines Monatsgehaltes verschlucken würde – er hasst es, für Dinge zu bezahlen, die in der Regel kostenlos zu haben sind. Weil ihn Geld und Wirtschaft immer fasziniert haben, hat er sich angewöhnt, seine Sparsamkeit als Ausdruck einer gesellschaftlichen, intellektuellen Haltung zu sehen.

Als Gschwind wieder in seiner gewöhnlichen Unruhe angekommen ist, klickt er 42 Mal auf den Verbindungsbutton – und atmet erleichtert auf, als er seine Mails endlich empfangen kann. Hillers schickt ihm einen Link zu einem Artikel, in dem sich Heinz Glomme, Präsident des Wirtschaftsdachverbandes, ganz euphorisch gibt: Dank des spektakulären Fundes im Beatenberg zähle auch die Schweiz nun zu den rohstoffreichen Ländern. Das Land stehe vor einer historischen Chance, die es klug zu nutzen gelte. Der Bundesrat hingegen gibt sich vorsichtig: Es brauche vorerst ein umsichtiges Konzept für einen nachhaltigen, landschaftsverträglichen Abbau.

Hillers schreibt: »Was ich dir schon die ganze Zeit dazu schreiben wollte: Hol’ Schaufel und Pickel aus dem Schrank: Sieht aus, als würden wir demnächst unsere erste Mine in der Schweiz eröffnen. Und wer weiß: vielleicht wird es unsere wichtigste!«

Gschwind fühlt sich geehrt, dass Hillers sich die Zeit genommen hat für einen Spruch kollegialer Art. Aber noch weiß Gschwind nicht, ob er diesen Daniel Hillers für einen Schwätzer halten soll. Für einen, der hoch abhebt, um daraufhin unsanft zu landen. Hillers ist halb Engländer, halb Däne, ein großer und breiter Mann, der nicht so recht zu den Krawatten passen will, die er trägt, der eher so wirkt, als würde er auch mal eine Bierflasche mit den Zähnen öffnen. Immerhin aber leitet Hillers nun schon seit vier Jahren diesen Valnoya-Laden; ein paar Dinge wird er schon richtig machen.

Dass mit Rapacitanium viel Geld zu verdienen ist, weiß Gschwind auch ohne Hillers: Die besten und teuersten der herkömmlichen Autobatterien lassen sich in 20 Minuten auf 80 Prozent ihrer Kapazität laden. Mit den neuen Rapacitanium-Batterien sind in zwei Minuten fast hundert Prozent erreicht. Damit hat Rapacitanium die Elektromobilität global revolutioniert. Nicht nur die Mobilität: Sämtliche Batteriehersteller verlangen jetzt nach Rapacitanium, und die Menschen wollen jetzt ein Telefon, das in zwei Minuten vollständig geladen ist. Dass eine derartige Batterie nach etwa 600 Ladevorgängen mehr oder weniger unbrauchbar wird und sich nicht recyclen lässt, nehmen sowohl Hersteller als auch Konsumenten als vernachlässigbaren Nachteil hin.


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