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KAPITEL 7

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Als die Flugbegleiterin die Passagiere auffordert, sich für den Landeanflug vorzubereiten und alle elektronischen Geräte auszuschalten, starrt Pascal Gschwind auf den Cursor: Jedes Blinken ein mögliches Wort, eine verpasste Chance für einen weiteren Gedanken. Misslaunig klappt er den Laptop zu; nie wird er verstehen, weshalb die Minuten zwischen Anflug und Landung nicht auch Arbeitsminuten sein dürfen.

An Back to the fruits denkend fragt er sich, wie sich sein Sohn von Dummheiten dieser Art fernhalten ließe. Kaum befasst er sich mit Levin, füllen sich seine Ohren mit dem ihm bekannten Rauschen; in seinen Armen kribbelt und zieht es; gerne würde er minutenlang etwas zerknüllen, beschädigen und zerstampfen. Und gerne würde er seinem Sohn seine aktuelle Lohnbescheinigung unter die Nase halten, damit dieser sähe, wie sehr sich Bildung auszahlt.

Der schmale, einen dunklen Dreitagebart tragende Australier kommt ihm in den Sinn, mit dem er auf einem staubigen Parkplatz in Mufulira gesprochen und der ihn gefragt hatte, ob er das auch kenne: Nur zufrieden zu sein, wenn er mehr geleistet habe, als er von sich erwarte. Was natürlich ein bisschen mehr sei, als das, wovon er glaubt, es werde von ihm erwartet, wobei diese eingeschätzte Fremderwartung wiederum ein bisschen höher liege als die tatsächliche – nur, um im Nachhinein zu begreifen, dass der Preis für diese dergestalt um vier Stufen erhöhte Leistung vielleicht doch ein bisschen hoch sei, ein bisschen gesundheitsschädigend?

Vier Stufen: Gschwind fragt sich, ob diese auch jetzt am Werk sind, da er an seinem üblichen Pflichtenheft vorbei als Strohmann für Valnoya landwirtschaftlich genutzte Flächen auf dem Beatenberg kaufen soll.

Durch sein Fenster kann Gschwind die unwirklich scheinenden, schneebepuderten Bergspitzen sehen, über denen das Flugzeug erst eine leichte Schrägstellung einnimmt, bevor es dann deutlich in den Sinkflug geht, während der dunkle Zürichsee und die von schwachen Lichtern übersäte Limmatstadt in sein Blickfeld gelangen. Gut möglich, dass die Landschaft unter ihm tatsächlich ein bisschen weniger grün, ein bisschen weniger saftig aussieht als gewöhnlich. Vielleicht ist an dieser Dürre doch etwas dran.

Gschwind schaut auf seine Patek Philippe und schätzt, es sollte gerade noch reichen für den 32er-Zug zum Zürcher Hauptbahnhof. Falls der Pilot nicht trödelt.

Der schmale Australier: Gschwind hatte ihn gefragt, ob er Psychologie studiert habe; der Australier hatte behauptet, er sei mittendrin. Weil Gschwind nicht bei Laune war, mit einem Typen zu reden, der womöglich das Kunststück fertigbrachte, nebenberuflich einem Studium nachzugehen, hatte er ganz einfach zu fragen verzichtet, ob er das ironisch meinte. Deswegen weiß Gschwind bis heute nicht, ob der Australier wirklich Vorlesungen besucht. Er weiß bloß, dass es nicht möglich ist, einmal gefasste Erwartungen zu senken.

Es dauert, bis sie am Flughafen das vorgesehene Gate erreichen; immerhin darf Gschwind, während der Airbus auf dem Gelände herumrollt, seine Geräte wieder einschalten. BMW hat mit Amperex, dem chinesischen Hersteller von Hochleistungsbatterien, der seit einigen Jahren auch in Erfurt produziert, einen Liefervertrag im Umfang von vier Milliarden Euro abgeschlossen. Woher Amperex Rohstoffe bezieht, wird nicht erwähnt. Die neuen Nachhaltigkeitsstandards könnten BMW aber dazu bringen, kein chinesisches Rapacitanium mehr zu akzeptieren. Diesen Satz lesend klatscht Gschwind begeistert in die Hände und fügt die Nachricht zu seinen Favoriten. Alles, was darauf hindeutet, dass einem zwar kostspieligen, sozial und ökologisch aber positiv konnotierten Rapacitanium die Zukunft gehört, findet den Weg in seine Sammlung.

In den Innenräumen des Flughafens fühlt sich Gschwind spröde und erschöpft. Erstaunlich warm ist es, seine Augen brennen, er hasst die künstlich anmutende Luft von Flughäfen. Außerdem will es ihm nicht gelingen, Geräusche richtig zu filtern. Er erwägt, gleich ins Büro zu gehen, noch zwei, drei Stunden zu arbeiten, die Nacht im Büro zu verbringen und sich bei Rina so zu melden, als befände er sich noch auf der Isle of Man.

Da, wo sich Flughafen- und Bahnbetrieb die Hand reichen, stellt Pascal Gschwind verärgert fest, dass der 32er-Intercity schon abgefahren ist. Er muss 19 Minuten auf die nächste Verbindung warten.

Am Kiosk überprüft Gschwind den Preis eines Torino-Schokoladenstängels und fühlt sich besser, als er denselben Stängel in einem nahegelegenen Supermarkt zu einem um fast 30 Prozent günstigeren Preis findet. Einsparungen, egal wie gering, erfüllen ihn mit einer kindischen Zufriedenheit.

Gschwind macht sich jedoch, die Torinos betreffend, auch Vorwürfe. Nie hat er abgeklärt, ob sich große Mengen zu einem vernünftig herabgesetzten Preis beziehen ließen. Davon abgehalten hat ihn hauptsächlich eine Stimme seines Gewissens, die ihm immer wieder mitteilt, seine Lust auf diese außergewöhnlich feine Schokolade sei im Grunde verwerflich. An seinem Körper hat sich in den vergangenen zwei, drei Jahren etwas gebildet, was seine Rina liebevoll Schokoladenkränzlein nennt. Der im Hintergrund stets vorhandene Wunsch, mit dieser Gewohnheit zu brechen und für Rina wieder ein knackigerer Liebhaber zu sein, hindert Gschwind daran, nach Wegen zu suchen, die Schokolade zu einem möglichst niedrigen Stückpreis zu beziehen. Gleichzeitig erlaubt er sich nicht, ohne Rücksicht auf den Preis ein Einzelstück zu kaufen. Sein Wunsch, weniger Schokolade zu essen, zwingt ihn also paradoxerweise dazu, mehr Geld und Zeit für Schokolade auszugeben. Er fragt sich, ob sich bei Valnoya ähnliche Mechanismen finden ließen.

In den USA will eine Firma flächendeckend Ladestationen für Automobile errichten, die mit leistungsstarken Rapacitanium-Batterien ausgerüstet sind. Ein marktausweitender Vorgang, der sich, so sieht es Gschwind voller Glück, bald schon überall auf der Welt abspielen wird.

Was aber nichts daran ändert, dass er am Beatenberg ein großes Stück Land kaufen muss, von dem er noch nicht einmal weiß, wem es gehört.

Während der Zucker des Torinos seinen müden Kopf etwas weckt, findet Gschwind auf der Website des Bundes die den Kauf und Verkauf von landwirtschaftlichem Land in der Schweiz regelnden Gesetze. Solches Land, so liest er, könne grundsätzlich nur von einem sogenannten Selbstbewirtschafter, einem diplomierten Landwirt gekauft werden.

Gschwind hält inne: Falls ein diplomierter Landwirt ein Mensch ist, der ein landwirtschaftliches Diplom herzeigen kann, und falls dieses Diplom tatsächlich so ergreifend schlicht gestaltet ist, wie alle jene, die er im Netz findet, wäre es, überlegt Gschwind, nicht besonders schwierig, aus einem Senior Chief Business Network Communications mittels Computer und Farbdrucker einen Landwirt zu machen.

Mit dem Fieber eines künftigen Betrügers schaut sich Gschwind im Internet Berufsdiplome an, fühlt still den kollegialen Beifall Hillers, setzt den Timer auf 21 Minuten, startet die Gestaltungssoftware und beginnt mit einem Entwurf. Er recherchiert nach Berufsschulen, die er besucht haben könnte. Immerhin: Mit 18, zwischen Gymnasium und Studienbeginn, kurz bevor er sich in seine Rina verliebte, war er für ein halbes Jahr in Australien und arbeitete dort auch zwei Wochen lang bei einem Rinderzüchter. Auf einer staubigen Ebene, halb so groß wie die Schweiz, wurden 3000 Rinder gehalten. Gschwind erinnert sich an die Fahrten durchs Gelände, an die Kadaver und Skelette: verendete Kühe, ein Teil der Herde. Das kümmerte den australischen Bauern wenig. Es herrschte da draußen das Gesetz der Natur; Zeit, sich um schwache Tiere zu kümmern, gab es keine.

Der Zug fährt ein und Gschwind hat kurz das Gefühl, der Boden unter ihm würde schwanken. Er kennt das und mag jetzt nicht an seinen MRI-Termin denken. Ein kleiner Schwindel ist nicht leistungsrelevant.

Als Gschwind den Waggon betritt, umfasst ihn eine schwüle Hitze; die Klimaanlage ist ausgefallen. Der Timer zeigt noch 17 Minuten. Als Gschwind bei der Schaffnerin aufgrund der schweißtreibenden Unannehmlichkeit um eine Fahrpreisreduktion bittet, blinzelt diese seine Frage charmant weg und bedankt sich für sein Ticket. Ein Ärger kocht in ihm hoch, aber der Timer meldet das Verstreichen der 15-Minuten-Marke; Gschwind sammelt sich.

Australien: An seine damaligen Eindrücke erinnert sich Gschwind zum ersten Mal seit langer Zeit, und es ist ihm ein Rätsel, wie er damals mit fast endlos viel freier Zeit hat umgehen können. Was seinen Arbeitseinsatz betrifft, so ist er der Meinung, damals in zwei Wochen so viele Kühe gesehen zu haben wie ein Schweizer Bergbauer in zwei Jahrzehnten nicht zu sehen bekommt. Das spornt ihn an, die Gestaltung seines Diploms weiter zu verfeinern. Ehe der Timer auf null läuft, will er damit fertig sein. Schließlich verlangt der Sustainability Report noch viel Arbeit.


Gschwind

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