Читать книгу Gschwind - Урс Маннхарт - Страница 13

KAPITEL 5

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Zwei geräumige Sitzplätze kann Gschwind auf diesem Flug für sich allein beanspruchen; Tanyeri, der hätte mitfliegen sollen, musste kurzfristig nach Mosambik, Hillers reist mit seiner privaten Maschine via Gstaad nach Singapur, alle anderen verteilen sich über den gesamten Globus. Gewiss hätte er Tanyeri Erhellendes über die hierarchisch geordneten Verästelungen innerhalb der Geschäftsleitung entlocken können, und vielleicht hätte Gschwind gar den Mut aufgebracht, Tanyeri zu fragen, ob Hillers dafür bekannt sei, neue Mitarbeiter mit unmöglichen Aufträgen unter Druck zu setzen. Gut möglich aber, dass die kulturellen Unterschiede zwischen ihm und Tanyeri zu groß sind; helfen würde ihm sein Kommentar wahrscheinlich nicht.

Gschwind bestellt bei der Flugbegleiterin einen zweiten doppelten Espresso und fragt sich, wer ihm wohl in der Angelegenheit behilflich sein könnte. Gerne möchte er seiner schöngelockten Rina alles erzählen, aber seit geraumer Zeit will es ihm nicht mehr gelingen, bei ihr für seine beruflichen Themen Interesse zu wecken.

Ein Anruf unterbricht ihn; Bahnsen ist am Apparat, der Fondsmanager seiner Privatbank. Bahnsen gibt Gschwind die neuesten Entwicklungen durch, nennt Zahlen und Risiken, erwähnt kurz die Hintergründe. Heute steht die anhaltende Trockenheit in der Schweiz im Mittelpunkt der Kalkulationen; sie zeigt wirtschaftlich erste Folgen, der Wert der Wasserkraft sinkt. Gschwind nickt, denkt nach und begrüßt den ihm vorgeschlagenen Investitionskurs.

Kaum ist das Telefonat beendet, passiert, was in letzter Zeit immer häufiger passiert, nachdem Fondsmanager Bahnsen angerufen hat: Gschwind wird bewusst, dass er von Bahnsens Talent, klar, positiv und überaus schnell zu sprechen, mitgerissen worden ist in so etwas wie einen Strudel an Zuversicht. Weil Bahnsen extrem schnell spricht, sich kaum erlaubt, die Wortendungen auszusprechen, scheint es unmöglich, sich für eine wohlüberlegte Antwort Zeit zu lassen. Überhaupt hat er inzwischen den Eindruck, sämtliche Telefonate mit Bahnsen müssten, da dieser ansonsten extrem Wichtiges an der Börse verpassen könnte, so kurz wie nur irgend möglich gehalten werden, und erst jetzt, nach dem erfolgten Gespräch, stellt sich bei Gschwind das Gefühl ein, er hätte sich die soeben erhaltenen Informationen mit einer App auch selbst besorgen können. Mit einer App, die wesentlich günstiger arbeitet als der rasante Bahnsen. Dass der Kurswert von Wasserkraftwerken sinkt, wenn es nie regnet, würde doch auch einer App in den Sinn kommen. Was Gschwind besonders ärgert, ist der Umstand, dass der steigende Gewinn seines Portfolios auch das Honorar Bahnsens in die Höhe treibt – obwohl dieser ja kaum mehr Arbeit verrichtet. Er nimmt sich vor, diese Sachlage baldmöglichst zu ändern.

Zerstreut überfliegt Gschwind nun ein paar Nachrichten, bleibt kurz bei einigen Zeilen zu den Finanzmärkten in Asien hängen, wo der in die Höhe geschnellte Ölpreis angeblich eine gefährliche Inflationsspirale in Gang gesetzt hat, dann wischt er die Nachricht weg, die über die großen, von einer deutschen Firma ins Auge gefassten Lithiumvorkommen in Bolivien berichtet. In der Schweiz hingegen ist offenbar – abgesehen vom neuen Rapacitanium – nach wie vor nichts interessanter als das Wetter: Es wird berichtet, das Land erlebe den heißesten und trockensten September seit Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen, es heißt, die Schweiz erlebe eine Dürre. Gschwind will sich schon über diese Wortwahl ärgern, als ihn mit einem feinen Ton eine neu eintreffende Mail ablenkt; sie ist unwichtig, bringt ihn aber zu den übrigen Mails, die ihn daran erinnern, wie viel zu dem Thema Peru noch zu erledigen ist.

Er fragt sein Team an der Schutzengelstraße, ob taugliches Bildmaterial vorhanden sei über die Mine im peruanischen Cerro de Pasco. Für die Website benötige er unbedingt Bilder zufriedener Arbeiter, zufriedener Stadtbewohner, Bilder auch von der extra von Valnoya für die vertriebenen Familien gebauten Siedlung, mit Krankenhaus und Schule. Gschwind ist überzeugt, dass niemand, der das sieht, noch behaupten könne, Valnoya nutze die indigene Bevölkerung aus: Klar ist doch, diese Menschen wären ohne Valnoya arbeitslos, hätten kein Geld, kaum eine medizinische Versorgung und müssten in völliger Armut in lausigen, von Abfall umgebenen Bretterhütten wohnen.

Unsicher, ob die Leute an der Schutzengelstraße überhaupt verstehen, wie wichtig die Angelegenheit ist, sucht Gschwind selber nach Bildern. Eine neue Mail trifft ein; nochmals darf er Lorbeeren ernten für seinen Sambia-Besuch mit Bundesrat Gadellier. Er löscht die lobende Nachricht nicht.

Pascal Gschwind ist froh, dass dieser Flug nur zwei Stunden dauert, froh, dass die Internetverbindung stabil ist. Zufrieden stellt er fest, dass er dank der Zeitzonen eine Stunde Arbeitszeit gewinnt. So sollte es möglich sein, heute noch fünf Stunden im Büro zu verbringen. Die Sache mit dem schweizerischen Rapacitanium erlaubt keinen Aufschub. Abermals überblickt er kurz die neuesten Nachrichten: Die helvetische Politik, der Bundesrat und die Öffentlichkeit, die Wirtschaftslobby und die Umweltschützer – hitzköpfig debattiert die ganze Schweiz darüber, was nach dem spektakulären Fund des Rapacitaniums getan oder unterlassen werden sollte.

Online studiert Gschwind die Karten, die das Gelände des Beatenbergs zeigen: Ein hübscher Berg, gelegen am Nordufer des Thunersees; gleich hinter der Beatenbucht steigt der Berg steil und dicht bewaldet an, geht 400 oder 500 Höhenmeter später über in etwas flacheres Gelände und eine Streusiedlung, die erschlossen wird von einer Standseilbahn, und oben, auf über 2000 Metern Höhe, wird der Berg von einem felsigen, sich weit hinziehenden Grat gekrönt.

Anschließend schaut sich Gschwind Karten der Beatushöhlen an und versucht zu verstehen, welche Parzellen des Dorfes direkt über den Höhlen liegen. So schwierig abzuschätzen ist das nicht; die Parzellen sind relativ groß. Wem das direkt über den Beatushöhlen gelegene Land gehört, kann Gschwind jedoch nicht in Erfahrung bringen. Klar ist allein, es handelt sich um landwirtschaftlich genutztes Land: die Satellitenbilder zeigen weidende Kühe.

Gschwind verzichtet darauf, die Gemeindeverwaltung anzurufen. Niemand soll Verdacht schöpfen. Er will persönlich hingehen, möglichst rasch. Und wer weiß, vielleicht wird der Bergbauer sein Land ja verkaufen wollen, wenn er hört, dass genau dort, wo jetzt seine Kühe grasen, bald schon Fördertürme stehen und Lastwagen lärmen werden. Valnoya wird die Sache aus der Portokasse finanzieren, und er, Gschwind, wäre vorerst einmal der rechtmäßige Besitzer – und sichert sich damit bei Valnoya seinen Job.

Diese Überlegungen gefallen Gschwind. Gefallen ihm immer besser. Er fühlt sich bereit, auch herkulische Aufgaben anzunehmen. Egal wie, es wird machbar sein. Er wird Hillers und die anderen vom Business Board nicht enttäuschen. Erst recht nicht sich selbst.

Abermals bestellt er einen doppelten Espresso und blickt zuversichtlich hinab auf die Wolken, diese zarten Hindernisse, die das Flugzeug genial locker hinter sich lässt.


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