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KAPITEL 1

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Eine dem weißen Bündchen einer schicken Uniform entspringende Flugbegleiterinnenhand reicht graziös die Zwischenverpflegung dar, die im Ticket inbegriffen ist. Pascal Gschwind neigt dazu, sie anzunehmen. Meist aber handelt es sich ja doch bloß um eine schlecht verdauliche Gaumenunterhaltung, um einen kulinarisch minderbemittelten Verlegenheitshappen, also verneint er das Angebot mit durch die Luft fahrender Hand und vertieft sich stattdessen in einen mit diversen Grafiken angereicherten Text, der das soziale Engagement Valnoyas im sambischen Mufulira möglichst großzügig darstellen soll.

Gschwind fliegt business, hockt aufrecht im breiten Sitz, dicht im Knoten seiner Krawatte. Umgeben ist er von anderen business men, die alle ähnlich vertunnelt und verknotet in ihren Laptop blicken, in diesem vor einer halben Stunde in Frankfurt gestarteten Airbus, der in 40 Minuten auf der Isle of Man landen wird, der mauskotkleinen Insel zwischen Irland und Großbritannien. Mauskotklein: So hätte es Katharina gesagt, seine Frau, die er fast ausschließlich Rina nennt.

Die Isle of Man bildet einen Magneten für Geld und Krawatten, und Pascal Gschwind, 39, drahtig, flink, seit ein paar Wochen gedanklich und nervlich verbandelt mit diesem hochdotierten Job, ist dort hinbestellt zu einem business board meeting.

Vornehmlich ernährt er sich von Kaffee; das zeigt bisweilen seine zitternde Hand, das zeigt jetzt sein zuckendes Lid. Aber Gschwind trägt jugendliche Züge, die Brille sitzt, Kinn und Kiefer sind tadellos rasiert. Unsportlich ist er, wirkt aber nicht so; bloß wer ihn auf einen Zug eilen sieht, kann verstehen, was seine Rina meint, wenn sie sagt, der liebe Gott habe ihm zwei linke Beine geschenkt.

Gerne würde Gschwind ein wenig schlafen, wenigstens die Augen schließen; aber bloß, weil er jetzt ein bisschen müde, weil er schon vor 17 Stunden in der sambischen Minenstadt Mufulira in eine Maschine der ägyptischen Fluggesellschaft eingestiegen ist und viereinhalb Stunden im hoffnungslos überfüllten Terminal von Addis Abeba herumgestanden hat, ohne dass er den Akku seines Laptops hätte aufladen können, ehe endlich der Flug nach Frankfurt abgehen wollte, wo er nochmals drei Stunden auf den Anschlussflug zu warten hatte – bloß weil seine Reise ein bisschen anstrengend ist, erlaubt er sich noch lange nicht, erschöpft zu sein, und die Aussicht, nach diesem Flug ein Meeting durchstehen zu müssen, ist zwar hart, aber Gschwind fühlt sich wohl, wenn er sich beweisen kann. Außerdem herrscht eine euphorisierende Stimmung: Dass ahnungslose Hobbyhöhlenforscher im schweizerischen Beatenberg tatsächlich Rapacitanium gefunden haben, ist nicht nur eine geologische Sensation, sondern für Valnoya von größter Bedeutung. Für Valnoya wie auch für seine eigene Karriere.

Was ihn überdies anspornt, wach zu bleiben, sind die absurden Träume, die ihn seit Wochen auch tagsüber verfolgen, und wenn er döst, rutscht er gedanklich oft ab zu der medizinischen Untersuchung, zu diesem MRI, das er wieder und wieder verschiebt. Also verändert Gschwind die Position der über seinem Sitz befindlichen Frischluftdüse, drückt sich die Brille ans Nasenbein, greift in seine handgefertigte englische Hirschledermappe und überblickt die Meldungen. Bis zum Jahr 2050 soll sich der globale Bestand an Personenwagen nach Prognosen des deutschen Verbands der Automobilindustrie auf 2,6 Milliarden erhöhen. Aufgrund der bisher entdeckten Lagerstätten von Rapacitanium werde es nicht möglich sein, alle diese Autos mit einer rasch aufladbaren Batterie auszustatten – ein Wettrennen zeichne sich ab. Das sich umso eher zuspitzen werde, je früher es bei den Flugzeugbauern Boeing und Airbus zum Standard werde, für das Starten der Triebwerke Batterien einzusetzen.

Zufrieden, erneut bestätigt zu bekommen, wie wichtig Rapacitanium weltwirtschaftlich in den kommenden Jahren werden wird, rückt Gschwind den Laptop in eine angenehmere Position und überarbeitet eine Pressemitteilung zu Mufulira, die spätestens morgen raus muss. Die medialen Anklagen gegen angeblich zu hohe Schwefeldioxid-Belastungen durch die von Valnoya betriebene Kupfermine wollen kein Ende nehmen; gestern hat sich CEO Daniel Hillers dazu durchgerungen, ihn zu beauftragen, mit einer Presseerklärung Gegensteuer zu geben.

Vor zwei Monaten erst hat Gschwind eine hohe Position bei der Suissecom eingetauscht gegen diesen Job in der vielleicht zweitobersten Etage von Valnoya, einer der weltweit führenden Firmen im Rohstoffsektor. Offiziell hat ihn Valnoya – 273.000 Mitarbeiter in 53 Ländern, Hauptsitz in der Schweiz, mehr als 190 Tochtergesellschaften weltweit, umsatzmäßig die größte Firma im Land – eingestellt als Vizeleiter der Kommunikationsabteilung. Senior Chief Business Network Communications nennt sich seine Position. Während er in den vergangenen Wochen in seinem Büro stundenlang telefonierte und Hunderte von Mails schrieb, um von den auf fünf Kontinenten verteilten Niederlassungen sämtliche Informationen aufzutreiben, die nötig sind zur Erstellung eines umfassenden, von einer kritischen Öffentlichkeit stets streng beäugten Sustainability Reports, für Valnoya eine der wichtigsten Visitenkarten, war er nun in Sambia mit der delikaten Aufgabe betraut, Bundesrat Gadellier zwei erst seit ein paar Jahren in Firmenbesitz befindliche und noch nicht vorzeigbare Standards aufweisende Minen zu präsentieren. Sambia gilt überhaupt als schwieriges Pflaster; in einer Kupfermine, die nicht oder noch nicht in den Händen Valnoyas ist, steckten revoltierende Arbeiter unlängst Gebäude in Brand und nahmen den chinesischen Firmenchef in Geiselhaft, um gegen die schlechten Arbeitsbedingungen zu protestieren – obwohl die nicht schlechter sind als anderswo und obwohl es sonst in der Region kaum Arbeit gibt.

Valnoya schürft in Sambia auch nach Kupfer, aber in den beiden jüngst von Valnoya aufgekauften Minen ist es nach einem ärgerlichen juristischen Zwischenspiel wieder einigermaßen ruhig. Logisch eigentlich; rund 60 Prozent der lokalen Bevölkerung sind arbeitslos, die Mine ist der mit Abstand größte Arbeitgeber.

Zudem ist es Gschwind gelungen, Bundesrat Gadellier und seine kleine Gefolgschaft so über das Gelände zu lotsen, dass dieser die hässlichsten beiden Abraumhalden nicht zu sehen bekam und ihm keine Zeit blieb, wirklich mit den Arbeitern der Fabrik zu sprechen. Mit den NGOS, die Valnoyas Aktivitäten immer wieder behindern, angeblich im Namen der Umwelt und der Arbeitnehmerschaft, wollte sich Gadellier zum Glück ohnehin nicht treffen. So bekam der Bundesrat nur den aufgeräumten Teil der Mine zu sehen, und die für gewöhnlich das toxische Schwefeldioxid ausstoßenden Abgasschlote blieben wegen geschickt terminierten und Gadellier gegenüber verschwiegenen Unterhaltsarbeiten vollkommen rauchfrei. So schickte Gadellier schließlich ganz freiwillig einen begeisterten Tweet los. Einen Dreizeiler nur, aber eben einen bundesrätlichen, voller Anerkennung, und Gschwind war klug genug, diese Worte gleich prominent auf der Valnoya-Website erscheinen zu lassen. Daniel Hillers, sonst ungemein geizend mit Komplimenten, reagierte euphorisch, und also freut sich Gschwind, auch wenn er Schlaf gebrauchen könnte, auf das kurz nach seiner Ankunft auf der Isle of Man stattfindende Treffen mit der Geschäftsleitung.

Pascal Gschwind blickt auf seine in Platin gehaltene Patek Philippe Grandes Complications mit ewigem Kalender, auf die er leider nicht blicken kann, ohne zu denken, er hätte, als er für den Kauf dieser Uhr viel Geld in die Hand nahm, noch ein bisschen tiefer in die Tasche greifen sollen, damit er ihr Zifferblatt betrachtend nicht jedes Mal denken muss, er hätte das etwas teurere, von einem Schleppzeiger geadelte Modell wählen sollen, und schätzt, dass sie in 20 Minuten landen werden. Also bleiben ihm noch 17 Arbeitsminuten.

Leider wimmelt es im Netz von schlechten Nachrichten über eine Valnoya-Mine in Peru: Ein paar wenige Indigene haben in der Nähe von Cerro de Pasco, wo Zink und Blei abgebaut werden, einen Protest auf die Beine gestellt. Sie behaupten medienwirksam, Valnoya zerstöre ihren Lebensraum, verschmutze ihre Luft und nutze illegal ihr Land. Irgendein Polizist hat offenbar die Nerven verloren: Jetzt ist auf Youtube ein Uniformierter zu sehen, der mit Schlagstock gegen eine wehrlose Frau vorgeht, die schließlich vor seinen Füßen im Dreck liegt – heulend. Dieser Geschichte wegen prasseln seit zwei Tagen tonnenweise Mails in Gschwinds Account, und während es tatsächlich Leute gibt, die annehmen, der enthemmte Polizist habe seinen Schlagstock direkt im Auftrag Valnoyas gezückt, kursieren im Netz und in den Medien immer noch absurdere Daten zur Luftverschmutzung in der Region. Abgesehen von Journalisten, die einen vor drei Jahren erstellten Messwert für aktuell halten, gibt es offenbar auch Medienvertreter, die glauben, die Bevölkerung eines Landes atme keine andere als die direkt aus dem Schornstein einer Fabrik wehende Luft. Als müsste in Peru der Wind erst noch erfunden werden.

Immer wieder klickt Gschwind Newsfeeds weg, ignoriert geflissentlich Kommentarspalten; angesichts der grassierenden Dummheit der breiten Masse will er kühlen Kopf bewahren. Er leidet darunter, dass zahlreiche Menschen offenbar glauben, eine florierende Wirtschaft komme ohne Rohstoffe aus, und am liebsten würde er den Polizisten, der so dumm war, sich bei seinem Ausrutscher mit dem Schlagstock filmen zu lassen, ohrfeigen und fristlos kündigen. Denn eigentlich sitzt Valnoya – und damit vor allem er selbst – jetzt bloß seinetwegen in der kommunikativen Bredouille.

Die allerneueste Mail aber stammt von Hillers, Gschwind will sie sofort lesen. Aber egal, wie oft, kräftig und schnell Pascal Gschwind auf sie einklickt: Die Mail will sich nicht öffnen. Je weniger sie sich öffnen lässt, desto mehr will Gschwind wissen, was ihm Hillers mitteilt. Gewiss geht es um das Rapacitanium, das sensationeller Weise im Beatenberg, am nördlichen Ufer des Thunersees, gefunden wurde; der Pressedienst irgendeines geologischen Instituts an der ETH hatte die wuchtige, das bisherige Bild einer Schweiz ohne nennenswerte Rohstoffe komplett über den Haufen werfende Nachricht vor drei Tagen veröffentlicht.

Wie oft hat Gschwind diese Mail jetzt schon angeklickt, ohne dass sie sich öffnet? Er flucht leise, ein Druck baut sich in ihm auf, seine Unterarme füllen sich mit einer unheimlichen Anspannung, und als ihm der Laptop die fehlende Internet-Verbindung anzeigt, schwingt er sich aus seinem Sitz und sucht hinter dem Vorhang, der die Business Class vom Vorraum zum Cockpit abtrennt, nach einer Flugbegleiterin.

Keine ist zu finden; sich jetzt also auch noch in der Economy umsehen zu müssen, ärgert Gschwind. Er hört sein Herz pochen, vernimmt ein Rauschen im Ohr. Wie immer, wenn das mit den Ohren beginnt, zeigt sich auch ein unangenehmes Kribbeln; die starke Anspannung in den Armen dehnt sich auf den gesamten Körper aus. Als würde demnächst in seinem Inneren etwas platzen. Unbehaglich fühlt er sich daran erinnert, dass es womöglich klug wäre, sich und sein Nervenkleid eingehender untersuchen zu lassen. Aber die neue Anstellung lässt ihm dazu keine Zeit; allein der Gedanke an Ärzte, die selbstredend davon ausgehen, ein in leitender Position arbeitender Mensch habe Zeit für ihre umständlichen Untersuchungen, macht ihn wütend. Er will keine Untersuchungen, will kein MRI, da kann seine Ärztin, die im Kantonsspital Thun wirkende Frau Doktor Lepple noch so sehr scherzen: MRI: Meistens reine Interpretationssache, gefolgt von der maßlosen Enttäuschung in ihrem Gesicht, als er den Lepple’schen Humor nicht lustig findet – nein: er will jetzt diese Mail lesen. Sobald er diese Mail von Hillers lesen kann, wird seine Gesundheit kein Thema mehr sein.

Möglich, dass er tatsächlich etwas laut spricht, als er die Uniformierte schließlich vor sich hat, oder aber die Leute sind es nicht gewohnt, dass einer von der Business Class überhaupt nach hinten kommt. Jedenfalls glotzen ihn einige so unverblümt an, als wäre er in seinem Ärger über diesen lausigen Service durchaus fähig, der schönen, scheinbar ewig lächelnden Frau mit der porzellanfarbenen Haut beispielsweise den Hals zuzudrücken, der so dünn ist, dass dies wohl sogar relativ leicht zu bewerkstelligen wäre. Ihr Mund würde sich leicht öffnen, die Augen und die feinen Nasenöffnungen würden sich weiten, etwas mehr Farbe im Gesicht stünde ihr gut, denkt Gschwind.

Als die Flugbegleiterin erklärt, sie sei nicht zuständig, werde seine Anfrage aber weiterleiten, stellt Gschwind klar, es handle sich nicht um eine Anfrage, sondern um eine Aufforderung. Und er stellt sich nun noch etwas genauer vor, wie es sich anfühlen würde, diesen blassen, schwanenhaft dünnen Flugbegleiterinnenhals mit beiden Händen zu umfassen und kraftvoll zuzudrücken. Es gibt da etwas in seinen Händen, etwas Schmerzhaftes, und es will hin zu diesem dünnen Hals. Je stärker er drückt, desto eher wird sie tun, was er will.


Gschwind

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