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KAPITEL 8

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Nach kommunikativ anspruchsvollen Stunden im Büro, nach einer langen Diskussion um die Frage, wie sich im Kapitel Risk Management Policy die Daten zur High Risk Incident- und zur Lost Time Injury Frequency Rate in den Sustainability Report integrieren ließen, ohne den Eindruck entstehen zu lassen, ein Arbeitstag in einer Valnoya-Mine sei nichts als eine Anhäufung mehr oder weniger schwerwiegender Unfälle, nach nicht enden wollenden Korrespondenzen, die abzuschließen er auch während der Zugfahrt von Aarau via Olten und Bern nach Thun nicht wirklich geschafft hat, steigt Pascal Gschwind ebendort in den letzten Linienbus, der unter der Woche noch fährt, und lässt sich, zu keinem hellen Gedanken mehr fähig, in einer dämmrigen, vom ruckenden Beschleunigen und Bremsen des Busses getakteten Viertelstunde in das beschauliche, um diese Uhrzeit längt vollkommen menschenleer am Ufer des pechschwarz schillernden Thunersees liegende Oberhofen fahren. Das Einzige, an das Gschwind jetzt noch zu denken vermag, ist die sommerliche Hitze, die sich diesmal bis in den Herbst hineinzieht, und wie fast immer, wenn er nicht mit dem Tesla unterwegs ist, sondern sich die Umständlichkeit des öffentlichen Verkehrs zumuten mag, kommt es auch heute bei seiner späten Heimfahrt zu jenem von ihm innig geschätzten Augenblick, in welchem, kurz vor der Bushaltestelle, die alte Steinmauer rechts des Gehsteigs abfällt und den Blick freigibt auf die beiden alten Villen am See, wobei die zweite, die kleinere, aber, wie Gschwind findet, klar schönere, seit fast 15 Jahren für ihn, für Rina, für Levin das Zuhause bildet.

Das Gebäude, umfasst von einem ausladenden Garten mit alten, hohen Bäumen, strahlt eine stolze Behaglichkeit aus. Vielleicht haben sie damals ein bisschen viel bezahlt für das Anwesen, aber seine Rina war vom ersten Augenblick an begeistert, nein, regelrecht verliebt, und die Hypothekarzinsen halten sich erstaunlich tief. Jetzt, in der nur von einem schwachen Mond durchbrochenen Dunkelheit, kann er vom Haus nicht viel mehr erkennen als dessen Umrisse, und hinter dem Gebäude die beiden mächtigen Silberweiden, von denen er immer wieder gerne denkt, dass sie doch sehr würdevoll das alte Bootshaus flankieren. Das Bootshaus, das er noch dieses Jahr renovieren lassen muss, um bei der Steuerbehörde Unterhaltsarbeiten geltend machen zu können.

Das Haus betretend, sehnt er sich danach, von Rina liebevoll geküsst zu werden, auf den Mund, die Wangen, in den Nacken – und von diesen Liebesportionen beschenkt gleich ins Bett fallen zu können.

In der Küche findet er niemanden vor, auf dem Küchentisch aber liegen ein Korkenzieher und eine leere Packung sündhaft teurer, in kaltgepresstem Olivenöl gewendeter Biogemüsechips aus violetten, lokal produzierten und angeblich vom Aussterben bedrohten Kartoffeln.

Schlechte Laune kommt in ihm auf, das vieldiskutierte Artensterben geht ihm auf den Wecker: Solange Menschen hungern, sollte man seiner Meinung nach in erster Linie dafür sorgen, dass alle Arbeit und Geld erhalten, um die weltweite Armut zu bekämpfen. Die Natur könne auch mal eine Nahtoderfahrung durchmachen, ließ Gschwind einmal in einer Diskussion mit Levin verlauten. Levin hatte damals keine Antwort mehr vernehmen lassen; empört hatte er die Küche verlassen. Gschwind erinnert sich daran, als wäre es gestern passiert.

Aus dem Wintergarten kommend, dringen nun Stimmen bis zu ihm vor; das kann nichts Gutes, das kann nur Besuch bedeuten. Pascal Gschwind bleibt bei der Packung Chips stehen und fragt sich, seit wann seine Frau beruflich derart wenig ausgelastet ist, dass sie abends noch die Energie aufbringt, fremde Leute ins Haus zu lassen. Er ärgert sich, und glaubt, er habe alles Recht dazu. Er kennt keine Gäste, die keine Energie kosten und ihm jetzt noch willkommen wären. Ihre Yoga-Freundinnen können es nicht sein: Alkohol gilt bei denen als Fluchtmittel für achtsamkeitszertrampelnde Ignoranten der Gegenwart.

Am liebsten würde Pascal nun in den oberen Stock schleichen und sich unbemerkt schlafen legen. Nein, noch lieber würde er seiner Rina unmissverständlich klar machen, dass einer, der so viel arbeitet wie er, auch mal seinen Schlaf braucht.

Er hört seine Ohren pfeifen; er denkt an Frau Doktor Lepple, er weiß, er muss sich beruhigen. Tief atmet er ein, hält die Luft an, atmet langsam aus und lässt seine Gliedmaßen baumeln. Das wiederholt er drei Mal, unsicher, ob es wirkt.

Um innerlich Anlauf zu nehmen, stellt er sein Telefon stumm, lässt es in die Ledermappe gleiten, blickt auf seine Patek Philippe, ohne die Uhrzeit wahrzunehmen, und verlässt die Küche Richtung Wintergarten. Als er in der Wohnstube um die Ecke biegt, noch gute zwölf Schritte vom Wintergarten entfernt, erkennt er, dass Rina im geblümten, etwas altmodischen, aber doch sehr gefälligen, ihre schöne Hüfte und den schlanken Bauch gut betonenden Sommerkleid im bequemen Korbsessel sitzt, umgeben von Franziska und Bernhard Ruthenbeck, den Nachbarn, mit denen sie sich angeregt bei einer Flasche Wein unterhält.

Pascal Gschwind muss sich zusammenreißen, um nicht umzukehren. Wenn es etwas gibt in Oberhofen, mit dem er nichts zu tun haben möchte, dann das dünkelhafte, kulturbeflissene Paar, das Bernhard und Franziska in seinen Augen abgeben. Die beiden nach Jazz stinkenden, knapp fünfzigjährigen Ruthenbecks sind ihm zutiefst unsympathisch, vor allem, weil Bernhard, als Notar, absurd viel Geld allein damit verdient, dass er täglich zwischen neun und fünfzehn Uhr mit einem sündhaft teuren Stift in einem künstlerischen Schwung ein paar läppische Papiere unterzeichnet, während seine knochige Gattin Franziska sich um nichts anderes zu kümmern scheint als darum, nirgends ein Gramm Fett anzusetzen und ihr stets geschminktes Gesicht faltenfrei zu halten. Außerdem steht zu vermuten, dass sich unter ihren Kleidern angesichts aller anderen nicht vorhandenen Kurven ein chirurgisch optimierter Busen abzeichnet. Jedenfalls ist klar: Sie ist bestrebt, ihr Gesicht auch am Ende ihrer Tage so glatt zu halten wie die Oberfläche des Sargs, in dem es zu liegen kommen wird.

Ehrlicherweise fragt sich Gschwind nun auch, ob die Nachbarn ihm nun derart miese Laune machen, da ihre Anwesenheit ihn daran hindert, Rina zu verführen oder sich bei ihr wenigstens ein paar Zärtlichkeiten abzuholen. Für Bernhard Ruthenbeck empfindet Gschwind immerhin doch auch ein gewisses Mitleid, da sich dieser, obschon kaum fünfzig, angeblich einer Herzoperation hatte unterziehen müssen, die ihn kurz an den Rand des Todes gebracht hat.

Mit seinem Eintreten in den Wintergarten unterbricht Pascal Gschwind ein Gespräch, das sich offenbar um das wegen zunehmender Flugscham in diesem Jahr wohl nicht stattfindende Weihnachts-Shopping in New York dreht. Aber eine Woche Zermatt sei halt doch ein gutes Stück teurer.

Der Kuss, mit dem Pascal seine Frau begrüßt, fällt etwas fade aus; auch vermag Pascal nicht zu sagen, ob Rina überhaupt bemerkt, dass er beim Hinsetzen seine Hand kurz an ihre Hüfte legt, dass er ihr diesen Hauch von Zärtlichkeit unbedingt schenken will. Klar ist bloß: Rina genießt ihre Gäste mit vollem Herzen, die Weinflasche ist schon fast leer.

Gegen seinen Willen lässt sich Pascal auch ein Glas füllen; die Worte, mit denen er sich bedankt, geraten etwas laut. Während er mit den anderen die Gläser zum Klingen bringt, überlegt er, wer wohl den Kauf dieses biodynamischen Weines zu verantworten hat und ob es seine Rina inzwischen auch in Sachen Weinbau für wertvoll hält, überall Schnecken, Käfer und Würmer mitessen zu lassen. In Erwartung eines unerfreulichen Gesprächs sucht Pascal Zuflucht bei einem großen Schluck und versichert sich mit einem flinken Blick auf die Etikette, dass das Gebräu trotz biologischer Herstellung genügend Alkoholprozente aufweist. Von den Biochips mit den violetten Nahtod-Kartoffeln ist offenbar nichts mehr übrig.

Bernhard wendet sich an Pascal und erklärt ihm, weswegen Franziska und er zu ihnen gekommen sind: Zusammen mit Levin sei ihre Tochter Angelika eine der tragenden Figuren von Back to the Fruits, der ökologischen Schule, die in einer Waldhütte bei Sigriswil ihren Betrieb aufgenommen hat. Auch Angelika habe das Gymnasium geschmissen.

Pascal versteht weder den wohlwollenden Tonfall, den Bernhard vernehmen lässt, noch erschließt sich ihm, wie sein Nachbar von Betrieb sprechen kann, wenn ein paar Jugendliche, statt die Mittelschule abzuschließen, in einer Waldhütte abhängen.

Mit einem Blick zu seiner Frau versucht Pascal zu ergründen, wie die über das Desaster denkt. Es will ihm jedoch nicht gelingen, zu Rina einen näheren Kontakt herzustellen; sie geht nicht auf seinen Blick ein, auch gehört ihre Aufmerksamkeit nicht ihm, sondern dem Thema, sie konzentriert sich auf Bernhard, der es gewohnt ist, andere zum Zuhören zu zwingen und nun wortreich davon redet, wie beeindruckt er sei von diesen Jugendlichen, die dem ressourcenverschlingenden Irrsinn unserer Zeit endlich ein Ende bereiten wollen. Auch angesichts der anhaltenden Dürre sei das ein Gebot der Stunde. Allerdings wisse er wenig bezüglich des Unterrichts; um Ressourcen zu schonen, bleibe Angelika die meiste Zeit offline.

Als könne er sich damit vor der Erwartung schützen, antworten zu müssen, nimmt Pascal abermals einen großen Schluck und blickt angestrengt stumm in sein Glas; er versteht nicht, wie es seinem Nachbarn möglich ist, ohne Ironie über die Angelegenheit zu sprechen. Bernhards gönnerhaftes Verständnis für die pubertären Ideen dieser Jugendlichen widert ihn an, und er fühlt, er wird, falls das so weitergeht, bald in der Laune sein, ihm dies ins Gesicht zu sagen.

Nun unterstreicht Franziska, wie toll sie das Experiment finde, auch weil sie denke, die Jugendlichen stünden, da die Schweiz sommers zukünftig vielleicht immer sowohl mit Dürren wie auch mit heftigem Regen auskommen müsse, in ihrem Leben noch vor großen Herausforderungen.

Falls Pascal richtig begriffen hat, haben sich Bernhard und Franziska bereits die Mühe gemacht, die von ihnen als Waldschule bezeichnete Hütte aufzusuchen. Franziska zeigt sich beeindruckt von Levin, der ganz selbstverständlich und ohne Allüren eine Vorbildfunktion übernommen habe. Ganz furchtlos verspeise er dort oben die widerlichsten Insekten.

Auch Bernhard, der seinen Blick immer wieder höchst aufmerksam auf Rina richtet, als müsse er prüfen, ob sie vielleicht nicht doch attraktiver sei als seine optimierte Franziska, lobt nun Levin aus ganzem Herzen. Eine autonome Schule zu gründen in einer stromlosen Waldhütte, sei etwas ganz anderes, als mit einem Plakat vor dem Bundeshaus zu sitzen, Selfies zu knipsen und dem Rest der Gesellschaft vorzuhalten, er unternehme nichts in Sachen Klimaschutz! Ja, was Back to the Fruits hier anreiße, sei wirklich revolutionär. Außerdem diese großartige Aktion mit den Strohballen und die visionäre Idee eines Fahrrads made in Europe; Levin zeige damit auf, was es heißt, in wirklich allen Details ökologisch zu denken. Da ginge es eben nicht, sich von einem E-Bike anschieben zu lassen. Es sei doch wahr: Die Elektro-Mobilität und dieser unfassbare Wahn, alles, vom Lastwagen bis zur Zahnbürste, mit einer Batterie zu betreiben – das sei einfach Raubbau an der Erde.

Pascal versteht nicht, ob Bernhard ihn nun auch persönlich angreifen will. Noch rätselhafter ist ihm, wieso Bernhard nicht auffällt, dass da genau sein eigener Lebensstil am Pranger steht. Bernhard wohnt in einem Anwesen, das deutlich fetter ist als die auch nicht gerade kleine Villa, die er mit Rina und Levin bewohnt, er hat zwei übergewichtige Wagen in der Garage stehen, beide von neuestem Jahrgang, beide bestückt mit einer hocheffizienten Rapacitanium-Batterie, und er besitzt ein unendlich viele Liter Diesel verbrennendes Motorboot, das im Bootshaus kaum Platz findet, und dieses Bootshaus – Bernhard hat es einmal stolz erwähnt – lässt sich sogar beheizen, obwohl es nicht isoliert ist!

Gschwind merkt, Rina hat seine Laune zur Kenntnis genommen; ihre Hand berührt kurz seinen Ellbogen, nicht zum Zeichen liebevoller Verbindung, nein, sie signalisiert ihm nur die Frage, ob er noch etwas Wein möchte.

Das will er. Vor allem ist er froh, dass es Bernhard offenbar gleichgültig ist, wie er, Gschwind, über das Gebaren der Kinder denkt. Als käme er frisch aus einer gemeinsamen Sitzung, erzählt Bernhard begeistert von den Ideen, die Angelika und Levin noch umsetzen wollen.

Wenn Pascal richtig hört – und er hört nicht mehr besonders gut – lauten die Schulfächer, die Angelika und Levin in den Lehrplan aufgenommen haben, unter anderem: Zukunft ohne Fortschritt. Oder: Lob ohne Leistung. Und: Sommer mit Dürren und Starkniederschlag. Und: Mobilität ohne Motor.

Franziska fügt an, Back to the Fruits stelle, falls es wirklich weitergehen könne, die beste Matura-Arbeit dar, von der sie je gehört habe.

Um mehr Raum einnehmen zu können, hievt sich Bernhard ein paar Zentimeter aus dem Korbsessel und schlägt in einem fast schon feierlich anmutenden Ton vor, gemeinsam einen Brief an die Erziehungsdirektion zu schreiben, um die Sache den Behörden zu erklären. Um zu erreichen, dass die Schüler nicht suspendiert, sondern, im Gegenteil, für ihr selbstinitiiertes Engagement gewürdigt werden.

Hätte Pascal Wein im Mund, er würde sich jetzt verschlucken.

Es sei nötig, dem Amt die Ziele und die Vision von Back to the fruits darzulegen. Nur so werde sich die Erziehungsdirektion überzeugen lassen. Danach liege es am Kanton: Der habe die Wahl, sich fortschrittlich zu zeigen – oder aber so zu tun, als habe eine Schule nichts mit ökologischer Verantwortung zu tun.

Pascal Gschwind bleibt die Spucke weg, er fühlt Übelkeit und Schwindel in sich aufsteigen. Er merkt, lange wird er die Idiotie der Nachbarn nicht mehr ertragen. Eine Idiotie, die durch das sachliche, aufmerksame Zuhören seiner Rina noch unerträglicher wird.

Rina lehnt sich in ihrem Sessel vor, als wolle sie zeigen, dass nun alle zusammenrücken müssten, und erwähnt, gestern erst gelesen zu haben, dass 73 Prozent der gesamten Umweltbelastung, die der Schweizer Konsum auslöst, nicht in der Schweiz, sondern im Ausland anfallen. Das müsse man sich einmal vor Augen führen: Als würde sie sich einen Porsche kaufen, der 100.000 Franken kostet, von denen sie aber, schlicht weil sie Schweizerin ist, nur 27.000 bezahlen müsse, während die verbleibenden 73.000 namenlose Leute im Ausland übernähmen, die sie nicht kenne und denen sie, weil ihnen das Geld für eine Reise fehle, in der Schweiz auch nie begegnen werde.

Gerne würde Pascal seine Rina fragen, seit wann sie sich für Autos interessiere, aber da nickt schon ganz angeregt die makellos glatte Franziska und fügt an, sie stelle sich manchmal vor, entlang der Schweizer Grenze, aber eben gleich außerhalb der Schweiz, türmten sich riesige Abfallberge, fänden sich gerodete Wälder und verschmutzte Gewässer, wie ein Schmutzwall, der die schöne Schweiz umgebe. Da frage sie sich, was sie eigentlich für eine Generation darstellten und wie sie derart dumm sein könnten, sich noch immer über das Wirtschaftswachstum zu freuen. Es sei beschämend; ja, auch sie selber, ganz persönlich, fühle sich schuldig und schäme sich.

Pascal gibt vor, sein Telefon klingeln zu hören und entschuldigt sich.

Allein in der Küche, stützt er sich neben der leeren Biochipspackung auf den Tisch. Er fühlt sich wie nach einer Folter, seine Ohren brummen, ihm schwindelt. An seiner Armmuskulatur zerrt eine ungesunde Spannung. Vielleicht hat er als Teenager auch ein paar Dummheiten begangen. Aber sicher hat er seine pubertären Ideen nicht ernst genommen und damit seinen Schulabschluss riskiert.

Am liebsten würde er Rina vorschlagen, morgen in aller Früh in diesen Wald zu fahren und Levin, notfalls mit Gewalt und in seinem unökologischen Tesla, nach Hause zu holen. Und zwar bevor es Bernhard tatsächlich schafft, der Erziehungsdirektion einen unsinnigen Brief zu schreiben.

Aber er versteht, das bringt wahrscheinlich nichts. Das ist nicht zielführend, wie Rina sagen würde. Und womöglich ist es allein sein Problem, dass er sich danach sehnt, wenigstens in grundsätzlichen wirtschaftstheoretischen Dingen mit Rina gleicher Meinung zu sein.

Er weiß nicht, ob sein Eindruck richtig ist, wenn er glaubt, seine gesundheitlichen Probleme, der Schwindel und der rauschende, sausende und bisweilen dröhnende, von innen her sein Hörorgan füllende Lärm würde sich häufiger und auch deutlicher zeigen. Oder gibt es in seinem Leben jetzt häufiger Ärger? Was, wenn es sich wirklich um Morbus Menière handelt? Was, wenn die MRI-Untersuchung im Inselspital auch bei den liberalsten aller Interpretationen zu dem Fazit kommt, dass in seinem Schädel ein Tumor wächst?

Vielleicht wird er die Erziehungsdirektion darum bitten müssen, seinen Sohn notfalls mit Gewalt ans Gymnasium zurückzuholen. Außerdem könnte er jemanden finden, der die Waldhütte kauft und die Jugendlichen vor die Tür setzt. Das könnte er alles tun und noch viel mehr, aber jetzt kann er es nicht, er ist schlicht erledigt. Er klemmt sich die Ledermappe unter den Arm, geht schwankend hoch ins Schlafzimmer, legt sich hin und schaut sich Bilder des Rum Runners an. Die Nachbarn werden ihn entschuldigen; sie wissen, er hat einen anspruchsvollen Job.

Die Bilder des wuchtigen Motorboots, das bald schon ihm gehören wird, beruhigen ihn. Er sieht sich zusammen mit Rina auf diesem Boot ausfahren, sieht alle anstrengenden Diskussionen hinter sich zurückfallen. Allmählich verringert sich der Schwindel, das Rauschen in seinen Ohren klingt ab.

Er versucht, an nichts mehr zu denken. Aber wenn er die Termine richtig im Kopf hat, müsste bald jemand von der Baufirma aufkreuzen, um die Renovation und den Umbau des Bootshauses zu besprechen. Denn in der kleinen Bootshütte, wie sie jetzt am Wasser steht, wird der Rum Runner nicht unterzubringen sein.

Mit geschlossenen Augen putzt sich Gschwind die Zähne; gedanklich umschleicht er das Schweizer Rapacitanium, das seine Karriere bei Valnoya beflügeln wird.

Endlich legt er sich ins Bett und schaut, letzte Kräfte aufbietend, kurz nach, wie viel er heute mit seinen Fonds verdient hat. Die Papiere der mit Wasserkraft verbandelten Konzerne hat er zum Glück noch rechtzeitig abgestoßen, die hätten seine Bilanz merklich nach unten gezogen; jetzt zeigt sich ihm eine schöne, vierstellige Summe. Eine Summe, die ihn darüber hinwegtröstet, mit Rina nicht immer gleicher Meinung zu sein. Ehe er einschläft, verdoppelt er, ohne Rücksprache mit Bahnsen, die Anzahl seiner Valnoya-Aktien.


Gschwind

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