Читать книгу Gschwind - Урс Маннхарт - Страница 11

KAPITEL 3

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Schon fast dunkel ist’s, als Pascal Gschwind am Flughafen der kleinen Insel in ein Taxi steigt, sich hineinbegibt in den dämmrigen, nach Duftbäumchen stinkenden Bauch des Wageninneren und sich dahinschaukeln lässt. Um seine Müdigkeit vor sich zu rechtfertigen, zählt Gschwind die Stunden, die seit seinem Aufbruch in Mufulira vergangen sind, zählt und rechnet, beginnt nochmals von vorn, und weil er die Sache aufgrund der Zeitzonen nicht klar zu fassen bekommt, fühlt er sich zusätzlich berechtigt, hundemüde zu sein.

Nochmals Nachrichten überfliegend, Sätze aufschnappend über die anhaltende Trockenheit in der Schweiz, über leere Stauseen, sonnenversengtes Gemüse, wassersparende Maßnahmen in der Industrie und über die Diskussion, wann aus einer anhaltenden Trockenheit eine Dürre wird, merkt Gschwind, wie wenig er noch aufzunehmen vermag, wie schwer seine Augen bereits sind, wie er ganz Passagier wird; seinetwegen könnte ihn der Chauffeur jetzt nach Hause fahren, egal, wie lange das dauerte, in die Schweiz, nach Oberhofen an den Thunersee, zu seiner Rina, die er mit einem Mal schmerzlich vermisst, zu seiner Rina, mit der er sich nun gerne vernachrichtlichen würde, wie sie das nennt. Verliebte Zeilen möchte er hin und her schieben, ihr einen schriftlichen Kuss auf den Bildschirm und in den Nacken legen, sie fernschriftlich umgarnen, an seine Seite und an seine Haut holen. Wahrscheinlich sitzt sie behaglich in ihrem Korbsessel, auf ihrem Lieblingsplatz, den Blick in einem Buch und zwei, drei Finger in den Locken. Katzengleich in ihren Korbsessel geschmiegt, wo er sie gerne küssen und in ihren Wintergartlichkeiten zärtlich unterbrechen möchte.

Jetzt, übermüdet in der Krippe der Taxirückbank liegend, regt sich in seinem Mund, regt sich in seiner Mitte eine dunkle Sehnsucht nach ihrem Körper, nach ihrer zart küssenden Zunge; eine gute Portion Rinalismus wäre nun das Richtige. Während seiner Zeit bei der Suissecom war das schon so und ist es auch jetzt, da er für Valnoya permanent reisen muss: Es bietet sich ihnen nur selten Gelegenheit für Erotisches. Dass sie sich im Alltag kaum sehen, betrachtet er jedoch als anziehungserhaltenden, als eheverlängernden Kollateralnutzen seines Jobs. Er schaut sie gerne an, hat sie gerne vor sich, in Kleidern oder nackt, die Unterarme schamvoll beschützend vor ihren Brüsten, die Hände vor dem Schlüsselbein; er liebt es, wenn sie in Erregung gerät, wenn sie ihn herausfordert.

Aber sein Kopf fühlt sich leer an, sein Sprachzentrum verdorrt, es bleibt bei der Sehnsucht, auf der Rückbank des Taxis ihre körperliche Nähe zu fühlen, ihre Haut, ihre Fingerspitzen, ihre lasziven Lippen, wie sie sie nennt in selbstbewussten Momenten, ihre Luxuslippen (les deux), in anzüglichen Momenten.

Rinalismus aber ist keiner möglich auf dieser Taxirückbank und deswegen schließt Gschwind die Augen und berührt zärtlich seinen Ehering, benetzt mit seiner Zungenspitze die Lippen.

Wiegengleich schaukelt das Taxi durch die Vorortsstraßen. Mehrmals nickt Gschwind ein, wobei sich sein Mund öffnet, Arme und Beine leicht zucken, mehrmals erwacht er, etwa wenn es im Taxi an einer Ampel still wird, die Schläfe an der Scheibe, einen Traumfetzen hinter den Lidern. Gerne möchte er sich darüber beschweren, dass er auf der Rückbank sein Telefon nirgends aufladen kann, aber er will sich beim Fahrer für dessen Schweigen bedanken, indem er selber schweigt.

Der nächste Traum schickt ihn in eine Situation mit seinem Sohn Levin, der sich ein Baumhaus baut und nicht mehr herunterkommen will. Pascal sieht den 18-Jährigen glücklich im Baumhaus, ärgert sich aber über dessen Erklärung, er habe, hier oben, jetzt alles, was er benötigt, und werde nie mehr runterkommen. Nie mehr. Es vergehen Stunden, Tage gar, aber egal, wie sehr sich Pascal auch bemüht, wie innig er auch, unter dem Baumhaus stehend, bettelt und wirbt und erklärt, mit der Feuerwehr droht und mit der Polizei: Sein Levin bleibt oben und glücklich. Er sagt, er brauche keine Schule, kein Essen, schon gar keinen Vater; er habe alles Nötige in seiner Baumkronenwelt, und er, Gschwind, schaut zu Levin hoch und erkennt, sein Sohn hat recht.

Um aus dem Traum zu finden, konzentriert sich Gschwind während mehrerer Minuten auf den Verkehr, auf das Vorwärtsgleiten des Taxis.

Gschwind ist zum ersten Mal auf dieser Insel. Er versteht nicht, inwiefern sie britisch sein soll, ohne zu Großbritannien zu gehören. Was Gschwind deutlich besser einleuchtet, sind die zahllosen Tochtergesellschaften von Valnoya, die auf der Insel angemeldet sind: Steuern für Firmen sind hier niedrig bis inexistent. Und Hillers hat hier, Gschwind hat sich das jüngst erzählen lassen, seinen neuen Privatjet angemeldet. Angeblich kam Hillers aus den USA geflogen und hätte in Douglas ordentlich Steuergelder abdrücken müssen für die Einfuhr dieses Jets in den Luftraum der EU. Direkt am Flughafen aber gründete er mit seinem Jet eine Fluggesellschaft, bei der er nun für jeden Flug ein fiktives Ticket kaufen muss. Da Firmengründungen auf der Isle of Man steuerlich stark begünstigt werden, hat Hillers nun 4,6 Millionen Euro gespart. Und er stellt sich seither gerne als Chef einer Fluggesellschaft vor.

Das Taxi hält; der Chauffeur gibt Gschwind zu verstehen, dass sie angekommen sind. Gschwind schält sich aus dem Halbschlaf und drückt dem Fahrer, was er sonst in Taxis nie macht, ein Trinkgeld in die Hand. Leute, die einer schlechtbezahlten Arbeit nachgehen, so Gschwinds Meinung, sollten nicht durch Trinkgelder verführt werden, länger bei ihrem Job zu bleiben.

Schief und verknittert steht Gschwind in der warmen Abendluft, mit kleinen Augen schaut er sich um: die Hauptstadt der Isle of Man ist ein Dorf. Verglichen mit Sambia, wo er sich eben noch durch die dichtesten Menschenansammlungen hat drücken müssen, wirkt das hier wie ein Freilichtmuseum nach Besuchsschluss.

Gschwind

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