Читать книгу Gschwind - Урс Маннхарт - Страница 12

KAPITEL 4

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Das lediglich von vier Sternen gewürdigte Hotel Sefton macht auf Gschwind durch seine Lage direkt am Meer und durch seine prunkvolle Fassade einen luxuriösen Eindruck.

Nun, da er auf den Eingangsstufen zu sehen ist, da sich beobachten lässt, wie er die Lobby durchquert, soll die Frage erlaubt sein, ob Gschwind nicht vielleicht ein bisschen hinkt. Aber es ist einfach das eine Bein, das nicht jenen Schwung entwickelt, der im anderen Bein zuhause ist. Und Augenblicke später, da er sich an der Rezeption meldet, seinen Namen nennt und nach der für Valnoya reservierten Bar fragt, müsste sich die Frage anschließen, ob er nicht etwa stottere. Aber es ist schlicht sein Mund, der, wenn Gschwind müde ist oder nervös, ganz rasch zwei- oder dreimal jene Silben wiederholt, mit denen ein Satz beginnt.

Gerne möchte Gschwind kurz in seinem Zimmer verschwinden, den Timer auf 90 Sekunden stellen und sich mit einem Power nap von der Reise erholen, ehe er sich ins Meeting wirft. Allerdings vernimmt er schon an der Rezeption stehend eine bunte Mischung ihm bekannter Stimmen: Gleich im Raum neben der Lobby hat sich das Board of Directors von Valnoya versammelt; es sind auch ein paar Valnoya-Figuren eingeladen, die nicht zum Verwaltungsrat zählen, so wie Gschwind, und es ist erwartungsgemäß Hillers’ Stimme, die sich am besten heraushören lässt.

Als Gschwind die Bar betritt, wird er feierlich empfangen; aufgrund des Schweizer Rapacitaniums herrscht ansteckende Euphorie. Es ist das erste Mal, dass Gschwind den seiner körperlichen Fülle zum Trotz doch auch sportlich wirkenden Hillers in angeheitertem Zustand vor sich hat, mit Schweißperlen auf der breiten Stirn, es ist auch das erste Mal, dass er von ihm mit einer Umarmung begrüßt wird.

Während einer gar nicht so kurzen Weile steht Gschwind im Mittelpunkt; alle loben ihn für den von Bundesrat Gadellier aus Mufulira abgesandten Tweet, alle beglückwünschen ihn, den Bundesrat derartig um den Finger gewickelt zu haben, und Hillers schwingt sich gar mit rudernden Unterarmen zu der Behauptung auf, Gschwind habe damit mehr für das weltweite Ansehen Valnoyas erreicht als die seit zwei Jahren forcierte Nachhaltigkeitskampagne.

Pascal Gschwind fühlt sich hineingetauft in eine Gemeinschaft von Auserwählten. Ihm wird warm, er wischt sich Schweiß aus dem Gesicht, die lobenden Worte dringen tief in ihn ein.

Es beglücken Gschwind diese Komplimente auch deshalb besonders, weil ihn die neue Anstellung bei Valnoya häufig stark belastet; wieder und wieder hat er in den ersten Wochen geglaubt, er sei seiner Aufgabe möglicherweise nicht gewachsen. Verglichen mit dem, was bei Valnoya von ihm erwartet wird und was insgesamt auf dem Spiel steht, war sein vormaliger Job bei der Suissecom nichts als ein Sandkastenspiel. Die Suissecom, so denkt er heute, gab sich nach außen hin stets ungemein dynamisch; die Geschäftsleitung setzte sich aus blasierten Schönrednern zusammen, die mit ihrem Gebaren und mit großen Worten davon abzulenken versuchten, dass die Suissecom faktisch noch immer ein Staatsbetrieb ist, ein von Ambitionslosigkeit geprägter Laden mit gesetzlich garantierter Monopolstellung. Bei Valnoya hingegen ist überhaupt nichts staatlich, und wenn irgendwo auf Sumatra 50 Asiaten in einer heruntergekommenen Mine, die sich mit einem vernünftigen Aufwand nicht besser organisieren lässt, verschüttgehen, wenn irgendwo im Norden Kanadas Leitungen vereisen und infolge dessen 300 Arbeiter eine halbe Woche lang gelangweilt in ihren Baracken hocken und dennoch entlohnt werden müssen, oder wenn im Kongo bürgerkriegsbewegte Guerilla-Soldaten eine Mine überfallen, weil sie Mittel benötigen für neue Waffen, dann zeigt sich das Risiko, das Valnoya einzugehen bereit ist. Ein brutal großes Risiko, das im besten Fall mit einem fantastischen Gewinn honoriert wird.

Diese geschäftlichen Risiken, mit denen der breitschultrige Hillers jeden Tag zu tun hat, berauschen Gschwind; jetzt derart deutlich zu fühlen, dass er Teil von Valnoya geworden ist, erfüllt ihn mit Stolz. Tatsächlich hat er bereits vergessen, dass er seit mehr als 24 Stunden ohne Schlaf ist. Er spürt nur noch, dass er sich zugehörig fühlen darf, er fühlt, Hillers wäre wohl nicht abgeneigt, ihn mit einer Lohnerhöhung zu adeln.

Mufulira ist für den Rest des Abends kein Thema mehr, denn bald drehen sich die lauter werdenden Gespräche nur noch um das am Nordufer des Thunersees entdeckte Rapacitanium. Alle sind sich einig, allein die Aufspürung der Seltenen Erde gleiche einem Märchen: Da finden zwei Hobbyhöhlenforscher per Zufall einen speziellen Stein, überreichen ihn einer befreundeten ETH-Geologin, worauf ihn diese erst in ihrer Wohnung herumliegen lässt, immer wieder erwägend, ihn in den Vorgarten zu schmeißen. Wochen später erst entscheidet sie, ihn petrochemisch untersuchen zu lassen – und glaubt erst an einen Irrtum, als das Labor hohe Anteile von Rapacitanium ausweist, jenem Seltene-Erde-Metall, das für den Bau rasch aufladbarer Batterien unentbehrlich geworden ist.

Diese Geologin, Gabriela Hollenstein, behält die Sensation vorerst für sich, schickt Wissenschaftler in die Beatus-Höhlen – und kommt erst jetzt, zwei Jahre später, mit Fakten an die Öffentlichkeit: Das Gestein dieses unscheinbaren Berges am Thunersee enthält Rapacitanium von einer Qualität, die jene der vom Weltmarktführer China gehandelten Ware deutlich in den Schatten stellt.

Die Schweiz muss demnach ein paar Kapitel ihrer Erdgeschichte neu schreiben. Wesentlicher aber ist, dass sie ihre wirtschaftliche Zukunft neu schreiben kann: Das kleine Land in der Mitte Europas zählt nun zu jenen Ländern, die über einen international stark nachgefragten Rohstoff verfügen.

Das Valnoya-Board diskutiert hitzig über die wirtschaftlichen Chancen, die das helvetische Rapacitanium eröffnet. Vor allem der schwer schwitzende, blitzschnell denkende Hillers kann sich kaum bremsen und hört nicht auf zu schimpfen über die lahmen Politiker, die nun Angst hätten, ihre latent grün denkende Wählerschaft zu verlieren, und er hört nicht auf, all jene zu loben, die im Windschatten des Wirtschaftsdachverbandes fordern, so rasch wie möglich mit dem Abbau des Rapacitaniums zu beginnen.

Andere Verwaltungsratsmitglieder schlagen in die gleiche Kerbe: Sie ärgern sich über Geologin Gabriela Hollenstein, die überall von der großen Verantwortung schwafle, welche der Schweiz nun aufgebürdet sei, sie ärgern sich über die Medien, die nicht müde würden, Hollensteins oft wiederholte Aussage zu verbreiten, der wichtigste Rohstoff der Schweiz bleibe ihre Natur, ihre intakte Landschaft.

Je länger sich der Abend hinzieht, je länger die Männer über die globale Rohstoffsituation sprechen, über verschiedene, sich auch im Rohstoffsektor langsam durchsetzenden Ökolabels, über den öffentlichen Druck einer zunehmend ökologisch bewusst handelnden Gesellschaft, desto deutlicher versteht auch Gschwind, wie bedeutsam der Umgang mit dem helvetischen Rapacitanium für die Geschäfte von Valnoya werden wird.

Die Runde ist längst beim Cognac angekommen, als Ulo Tanyeri, ein sonst eher zurückhaltender, sich mit afrikanischen Zinkminen bestens auskennender Gentlemen aus Johannesburg, laut auf den Tresen klopfend vorschlägt, Gschwind solle doch – als einziger gebürtiger Schweizer der Runde, als Einziger mit lokalem Wissen – möglichst umgehend den gesamten Beatenberg kaufen, damit Valnoya später, falls sich zeige, dass der Berg wirklich auch genügend Rapacitanium hergeben werde, seine Mine unter günstigen Bedingungen aufbauen könne.

Die Runde verstummt, alle Augen richten sich auf Gschwind.

Gschwind hat von dieser Praxis gehört: Man schickt in ein wertvolle Rohstoffe enthaltendes Gebiet einen unscheinbaren Strohmann, lässt ihn, mit welchen vorgeschobenen Interessen auch immer, das Land kaufen, und ein, zwei Jahre später, wenn das Projekt reif ist, kauft Valnoya das Land dem Strohmann zu einem Spottpreis ab und beginnt zu baggern. Auf diesem Weg spart sich Valnoya Kosten und vor allem juristischen Ärger.

Gschwind nimmt zwar wahr, wie alkoholisiert Tanyeri ist, dennoch irritiert es ihn zu sehen, dass dieser Kollege allen Ernstes annimmt, eine Geschäftspraxis wie diese funktioniere auch in der Schweiz. Gschwind fühlt seinen Puls steigen und hofft, dem hierarchisch höherstehenden Tanyeri, immerhin Mitglied des Verwaltungsrates, nicht erklären zu müssen, dass es in der Schweiz durchaus ein paar Gesetze gibt, die das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt stehen.

Erwartungsvoll blickt Gschwind zu Hillers, dessen rhetorisches Geschick Abhilfe schaffen könnte. Hillers aber schweigt, lässt dann sein schweres, schweißnasses Haupt ein Nicken andeuten, verengt wie immer, wenn er sich Wichtiges zu sagen anschickt, die Augen zu schmalen Schlitzen, und gibt nach einer bedeutungsschweren Pause, in der sich Gschwinds Ohren bereits mit einem Rauschen füllen, mit alkoholverziertem Schwung Tanyeri recht und behauptet, das sei die Idee des Abends: »Jawohl, Gschwind kauft für Valnoya den Beatenberg! Und legt damit den Grundstein für einen erfolgreichen Abbau des schweizerischen Rapacitaniums.«

Endlich im Bett, es ist bereits tiefe Nacht, gleitet Gschwind in einen überdeutlichen Traum: Er muss sich aufgrund seiner Ohren einer komplizierten Untersuchung unterziehen. Die Ärzte zeigen sich überrascht vom Resultat. Derart überrascht, dass sie erst gar nichts sagen wollen. Sie lassen ihn lediglich wissen, es sei die Untersuchung zu wiederholen, womöglich liege ein technisches Problem vor. Und schieben ihn ein zweites, ein drittes Mal durch die Röhre. Generalstabsmäßig stramm steht Frau Doktor Lepple da und lächelt zahnfleischrot ihr schiefes, überlegenes Lächeln. Gschwind weiß genau, es liegt überhaupt kein technisches Problem vor, auch ist es überhaupt nicht meistens reine Interpretationssache, nein, es liegt eine Absonderlichkeit vor, und diese befindet sich in seinem Hirn. Etwas nie Gesehenes ist dort entdeckt worden, und nachdem man ihn ein viertes Mal durch die Röhre geschickt hat, sieht Gschwind triumphierende Ärztegesichter: Sie haben in seinem Schädel, gleich hinter den Ohren, Rapacitanium gefunden. Am nächsten Tag steht es in allen Zeitungen, alle Sender berichten von diesem sensationellen Fund, und der schwitzende, breitschultrige Daniel Hillers erklärt in einem Interview auf zugängliche, sympathische Weise, es sei dies ein Glücksfall für eine Rohstofffirma, und er wäre erfreut, auch bei anderen Mitarbeitern im Hirnareal Rohstoffe zu finden.

Darauf angesprochen, dass es gewiss nicht einfach werde, das Rapacitanium aus dem Schädel herauszubekommen, ohne den Mitarbeiter zu verletzen, antwortet Hillers, er vertraue auf die Möglichkeiten der zeitgenössischen Medizin. Übrigens handle es sich bei Gschwind um einen überaus loyalen Mitarbeiter; er zweifle keinen Augenblick, dass Gschwind alles tun und geben werde, damit Valnoya an sein Rapacitanium gelange. Aufgrund bereits bestehender Komplikationen im Gehör des Mitarbeiters werde es für diesen eine Erleichterung sein, sich die Ohrmuschel, die man sich wie eine verwachsene, ins Hirn eindringende Höhle vorzustellen habe, operativ verändern zu lassen.

Gschwind erwacht verstört, reibt sich den Kopf, betastet seine Ohren. Er benötigt eine Weile, um sich von den Traumgespinsten zu lösen und in seinem steril wirkenden Hotelzimmer anzukommen; er fühlt sich matt und entkräftet. Ihm ist, als wäre im Schlaf etwas Ungehöriges mit seinem Hirn geschehen. Einmal mehr fühlt er sich leise dazu gedrängt, an seiner psychischen Gesundheit zu zweifeln, und er vermutet, es bedeute nichts Gutes, derart intensiv zu träumen.

Zackig steht er auf, um Distanz zu schaffen zu diesem Traum.

Vier Stunden hat er sicher geschlafen, vielleicht sogar fünf, und zusammen mit dem restlichen Alkohol pulsieren noch die Komplimente vom Abend durch Gschwinds Blutbahnen. Am liebsten würde er Hillers gleich anrufen, diesen betrunkenen Hillers, der sich wünscht, er, Gschwind, würde den Beatenberg kaufen. Gschwind ist klar, der nüchterne Hillers wird ganz anders über die Sache denken.

Willensstark absolviert Gschwind 25 Liegestützen und stellt sich unter eine eiskalte Dusche; eine zuverlässige Methode, nach schlechten Nächten wach zu werden.

Blass im Gesicht, im weitläufigen Frühstückssaal des Hotels sitzend, kaut Pascal Gschwind an einem welken, nach Verpackungsindustrie schmeckenden Buttercroissant. Das Messer in der Hand, den zweiten doppelten Espresso in der Tasse, liest er erneut über die anhaltende Trockenheit, unter der die Schweizer Landwirte angeblich zu leiden haben. Er liest, dass Helikopter Wasser hochfliegen zu den Alpweiden, damit das Vieh nicht verdurste, er liest von Ertragsausfällen und starkem Schädlingsbefall bei Gemüse und Getreide, er liest von sinkenden Seespiegeln, trockenen Mooren und sterbenden Amphibien; angeblich alles Folgen der fortschreitenden Klimaerwärmung.

Was ihn deutlich mehr interessiert, ist die Nachricht von japanischen Wissenschaftlern, die auf dem Boden des Pazifischen Ozeans Rapacitanium entdeckt haben. Die Forscher schätzen den Umfang des Vorkommens auf ungefähr 100 Milliarden Tonnen. Das begehrte Metall soll sich in einer Tiefe von 3500 bis 6000 Metern befinden, in internationalen Gewässern, östlich und westlich von Hawaii und östlich von Tahiti. Ob sich das Rapacitanium tatsächlich aus dem Meeresboden holen lasse, sei unsicher. Zwar ließen sich die Vorkommen mit Säure aus dem Boden waschen, doch dafür müsste der Schlamm hochgepumpt werden. Ob dies technisch möglich und wirtschaftlich tragbar sei, bleibe fraglich. Zu den ökologischen Folgen der Gewinnung von Rapacitanium machten die Wissenschaftler keine Angaben.

Zufrieden lässt Gschwind die Meldung eine Weile auf dem Display leuchten: Zu wissen, dass das im Beatenberg liegende Rapacitanium einfacher und ökonomisch sinnvoller zu gewinnen sein wird, macht ihm gute Laune. So einfach, wie Tanyeri sich das vorstellt, wird es allerdings nicht gehen.

Gschwind blickt auf seine in Platin gehaltene, leider keinen Schleppzeiger aufweisende Patek Philippe, beißt nochmals in das entkräftete Croissant und sinniert darüber, dass Hillers keinen Begriff von den Schweizer Verhältnissen hat. Abgesehen davon, dass er in Gstaad eine vielleicht zwei Mal jährlich für zwei Wochen bewohnte Villa besitzt, wo er mit seinem Privatjet bis fast vor die Haustür fliegen kann, und abgesehen davon, dass er sich hin und wieder im Hauptsitz seiner Firma blicken lässt, damit dort nicht vergessen werde, wer der Chef ist, hat Hillers kaum etwas mit der Schweiz zu tun, bewegt sich ausschließlich auf dem internationalen Parkett und kennt eigentlich kein anderes Gesetz als das des Kapitals.

Kaum hat Gschwind diesen Gedanken halbwegs vollzogen, taucht am Frühstücksbuffet tatsächlich Daniel Hillers auf, und Gschwind muss unwillkürlich an einen Rinderzüchter denken, während er Hillers robuste Lederstiefel betrachtet. Als er seinen am Buffet stehenden und das Angebot prüfenden Chef mustert, wandern seine Gedanken vom Rinderzüchter zu einem sympathisch-altmodischen Banditen, der mit der Kraft der eigenen Hände und mit ein wenig Grips aus dem Knast getürmt ist und sich nun, euphorisiert von der selbst errungenen Freiheit, in wilde Taten stürzt.

Dem Buffet den Rücken kehrend, steuert Hillers unvermittelt auf Gschwinds Tisch zu. Gschwind fühlt sich ertappt. Nicht nur, weil er das Gefühl hat, Hillers habe bemerkt, dass er ihn beobachtet und in Gedanken wahlweise als Rinderzüchter oder Banditen diffamiert hat, sondern vor allem, weil er vermutet, Hillers würde glauben, es sei arbeitsfaul, derart lange zu frühstücken.

Eilends streckt Gschwind seinen Rücken durch und befürchtet, noch Schlaf in den Augen zu haben, da steht Hillers bereits vor ihm. Hillers begrüßt ihn auf das Freundlichste, setzt sich gut gelaunt an seinen Tisch und verbindet sich mit ihm durch einen aufmunternden Blick. Gschwind wischt die Scham weg, seinem Chef zerknittert gegenüberzusitzen. Er fühlt, Hillers ist voller Wohlwollen, und die eben noch in Gschwind wirksame Anspannung verwandelt sich umgehend in eine angenehme Neugierde.

Euphorisch schildert Hillers, er habe vergangene Nacht von einem Mittelsmann zur ETH erfahren, das Rapacitanium im Beatenberg erreiche in allen bisherigen Proben einen Anteil von bis zu 17 Prozent im Muttergestein. Deutlich mehr als in den besten Minen Chinas.

Hillers strahlt derart, dass Gschwind für einen Moment glaubt, er warte nur darauf, von ihm umarmt zu werden.

»Und noch wichtiger«, fährt Hillers etwas lauter fort: »Die Proben, das hat die vertrackte Hollenstein bisher verschwiegen, sind über insgesamt vier Quadratkilometer verteilt entnommen worden, und jede einzelne Probe weist Rapacitanium auf. Die Mine wird also nicht klein sein, im Gegenteil: Es sieht schwer danach aus, als könnten wir den ganzen Berg abbaggern!«

Als er diesen Satz sagt, ballt Hillers seine Fäuste wie ein Elfmeterschütze nach einem Torschuss.

»Es ist genau so, wie Tanyeri gestern proklamiert hat«, schließt Hillers und schaut Gschwind dann eindringlich an, neigt sich zu ihm vor und sagt leise und bedeutungsschwanger: »Wir brauchen dieses Land, koste es, was es wolle. Und du wirst es uns unter den Nagel reißen!«

Gschwind, bis eben gerade tatsächlich drauf und dran, Hillers um den Hals zu fallen, weicht unwillkürlich zurück. In seinen Stuhl gelehnt, sucht er in den Augen seines Gegenübers verzweifelt nach einem Hinweis auf Ironie, nach einem wie winzig auch immer ausfallenden Zwinkern, mit dem Hillers signalisieren würde, es sei natürlich Unfug zu glauben, man könne in der Schweiz, was Landnahme angeht, ähnlich vorgehen wie in Afrika.

Aber Gschwind findet auf der Hillers’schen Gesichtsleinwand keinerlei Signale der Ironie, und das nächste, was Hillers in euphorischem Ton von sich gibt, ist die Frage, wann er mit Neuigkeiten von ihm rechnen dürfe. Es gehe ja erst einmal darum, herauszufinden, wem das Land gehöre, unter dessen Boden man das Rapacitanium gefunden habe.

Blockiert durch diesen komplett unrealistischen Auftrag, zweifelt Gschwind kurz an Hillers Intelligenz. Fragend blickt er zu den breiten Wangen, zum kräftigen Unterkiefer, blickt suchend hinein in dieses Bauarbeitergesicht – und hält Hillers für einen umwerfend guten Schauspieler.

Hillers wartet auf seine Replik, und Gschwind nimmt innerlich Anlauf. Er weiß, er wird ein bisschen stottern, seine Anspannung verraten, aber er rafft sich auf zu einem klaren Blick und hört sich sagen: »In acht … acht … 48 Stunden hast du einen ersten Bescheid.«

Hillers hält kurz inne, als sei es nötig, die gestotterten Silben an sich vorbeiziehen zu lassen, dann umfasst er mit beiden Händen Gschwinds Rechte und schüttelt sie so energisch, dass Gschwind befürchtet, er wolle ihn doch vielleicht wachrütteln.

Schließlich erhebt sich Hillers schwungvoll vom Tisch, verzieht seine fleischigen Banditenlippen zu einem Lächeln, wünscht Gschwind Erfolg und eilt energisch davon.

Gschwind atmet aus. Den Satz mit den 48 Stunden hat er vor Jahren in einem Managerseminar gelernt; angeblich klingen 48 Stunden deutlich strebsamer, als wenn man von zwei Tagen spricht.

Gschwind stützt sein Gesicht in die Hände, sammelt sich und lässt die Scham vergehen, die sein Stottern ihm beschert. Dass es in solchen Situationen selten ohne den Sprachfehler geht, kann er sich verzeihen.

Während er das restliche Croissant isst, versucht Gschwind, seine Gedanken zu sortieren. Er ist überzeugt, Hillers versteht durchaus, wie unmöglich es ist, in der Schweiz einen Berg zu kaufen. Hillers weiß aber umso genauer, wie wichtig es ist, nur die tauglichsten Leute um sich zu versammeln. Das allein, so ist Gschwind jetzt überzeugt, erklärt dessen Verhalten.

Gschwind versteht allmählich: Offenbar hätte er sich nicht erlauben dürfen, bei der Zusage durch die Personalabteilung Freude aufkommen zu lassen. Diesen neuen Job bei Valnoya – er hat ihn noch gar nicht. Hillers zeigt ihm, er befindet sich erst in der Probezeit.

Einerseits hält Gschwind Hillers’ Verhalten für höchst manipulativ und verwerflich. Andererseits findet er, dass sich ein Firmenchef, der es zu etwas bringen will, genau so zu verhalten habe.

Voller Wut auf diesen Hillers und ihn gleichzeitig bewundernd, wischt sich Gschwind mit einer Serviette den Mund ab und steht auf.

Im Zimmer, wo er sich frisch macht und seine Sachen packt, begegnet er kurz seinem Spiegelbild, dem er vorwirft, doch ein dummer romantischer Kerl zu sein. Geschwind fühlt, er will nicht nur diesen Job, er will auch die Freundschaft von Hillers.


Gschwind

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