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Eingrenzung der Zuständigkeit
ОглавлениеDiese ›Allzuständigkeit‹ ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Auf der Makroebene führt dies zur Schwierigkeit, eine Definition des Gegenstandes Sozialer Arbeit zu finden ( Kap. 2.1). Ebenso spiegelt sie sich wider in der großen Breite und Heterogenität der Arbeitsfelder ( Kap. 2.2.1). Für die Profession bedeutet dies, dass der Grad an Spezialisierung – zumindest in der Grundausbildung – nur sehr gering sein kann. Mit der Heterogenität der Arbeitsfelder einher geht auch eine fehlende Monopolisierung des Tätigkeitsfeldes (vgl. Galuske/Müller 2012:591). So arbeiten nur selten ausschließlich eine Sozialarbeiterin und ein Klient an einem Thema; meistens sind weitere Fachleute aus unterschiedlichen Professionen und Berufen in einen Fall involviert, mit denen die Sozialarbeiterin in irgendeiner Form zusammenarbeitet. Soziale Arbeit vollzieht sich also zumeist in interprofessionellen Kontexten ( Kap. 5.2). Dabei haben Professionelle der Sozialen Arbeit manchmal mit Statusproblemen zu kämpfen, die u. a. durch die wenig klar abgrenzbare Zuständigkeit mitbedingt ist.
Auf der Mikroebene der alltäglichen Intervention stellt sich diese Allzuständigkeit als Schwierigkeit dar, die eigene Zuständigkeit einzugrenzen.
Ein Beispiel: In der Beratung einer jungen Frau, die Sozialhilfe bezieht, lautet der organisationsinterne Auftrag, die Erwerbsintegration zu thematisieren; dabei geht es hauptsächlich um die Themen Finanzbedarf der Familie, Arbeitssuche bzw. Ausbildung sowie um die extrafamiliale Betreuung der beiden kleinen Kinder und die Schulprobleme des ältesten Sohnes. Sind nun die ehelichen Schwierigkeiten, welche die Frau neu auch anspricht, ebenfalls Thema der sozialarbeiterischen Unterstützung? Ab welchem Intensitätsgrad sollte die Klientin diesbezüglich an eine andere Beratungsstelle verwiesen werden?
In Bezug auf Zuständigkeit und Spezialisierung unterscheidet sich die Soziale Arbeit also deutlich von anderen Professionen. Anders als beispielsweise eine Ärztin habe der Sozialpädagoge nur einen schwach ausgeprägten thematischen Filter, mit denen er Probleme aussteuern könne, konstatiert Galuske (2013:41), und er fährt fort: »Der Begriff Allzuständigkeit impliziert nicht, dass alles ein sozialpädagogisches Problem ist, sondern dass es eine enorme und diffuse Bandbreite von Problemen gibt, die prinzipiell zum Gegenstand Sozialer Arbeit werden können. Was faktisch Gegenstand der Bearbeitung wird, konkretisiert sich im situativen und institutionellen Kontext der Fallbearbeitung und ist nicht zuletzt ein Produkt der Aushandlung zwischen SozialpädagogInnen und KlientInnen.« (ebd.:42, Hervorh. Original). Was in einem Fall ›der Fall ist‹, muss also immer zunächst eingeschätzt und diskursiv ausgehandelt werden.
Müller verweist auf die Gefahr dieser diffusen Allzuständigkeit. Weil Soziale Arbeit den Anspruch verfolgt, sich um die Alltagsprobleme des ›ganzen Menschen‹ in seiner jeweiligen Lebenssituation zu kümmern, gerate sie »in die Gefahr eines totalitären, weil prinzipiell grenzenlosen Zugriffs auf den Alltag ihrer Klienten zu kommen« (1991:112). Das ganzheitliche und alltagsnahe Handlungsverständnis der Sozialen Arbeit habe für die Klientenseite notwendigerweise ein Doppelgesicht: Es ermögliche zunächst, dass die Komplexität der belastenden Lebenslagen überhaupt sichtbar werden kann. Die Kehrseite sei, dass die Kontrollmöglichkeit des Klienten, welche Leistungen er konkret erwarten kann und welche nicht, ebenfalls diffus wird (vgl. ebd.:113). Das Aushandeln der Grenze der Intervention mit der Klientin ist für Müller deshalb ein wesentliches Strukturmerkmal der Intervention selbst (vgl. ebd.:114).