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Mutter Erde, Schöpferin und Erhalterin des Lebens, wurde von den Menschen seit jeher lokal erlebt – dort, wo sie wohnten. Im Lötschental ist die Landschaftsahnin Holzmiättärra auch unter einem anderen Namen bekannt: Aanu. Es gibt zuhinterst im Tal einen Aanugletscher, einen Aanusee und einen Aanubach. Diese Bezeichnungen sind uralt, stammen aus einer vorindoeuropäischen Sprache und sind zurückzuführen auf die bereits erwähnte Ana/Anu/Dana – eine Erd- und Wassergöttin, die überall im Alten Europa und im Vorderen Orient verehrt worden ist (siehe S. 32 und 59).

Diese Grosse Ahnfrau zeigte sich allerorts in rautenförmigen Bergen, Felsbrocken oder Menhiren in ihrer Steingestalt. Die Raute war offenbar von alters her ein Bild für den weiblichen Körper, und schon in der Altsteinzeit stellten die Menschen die ersten Figurinen der Urmutter in dieser Form dar. Im Bündnerland werden bestimmte rautenförmige Felsformationen noch immer Muma Veglia (alte Mutter) genannt, und es sind Bräuche zu ihrer Verehrung noch bis weit in die christliche Zeit hinein bekannt. Knaben, die erstmals auf der Alp waren, mussten sie zum Beispiel küssen.12

Auch der Gerynstein, von dem die Sage berichtet, hat die Form einer Raute. Interessanterweise wird er heute von den Einheimischen noch Chees-Chessin genannt, also Käse- oder Alpkessel. Dabei ist anzumerken, dass der Kessel Alltagsgegenstand, zugleich aber auch ein Gefäss mit grosser symbolischer Bedeutung ist. Diese zeigt sich in seiner empfangenden, runden Form, die von jeher mit dem mütterlichen Schoss, der das neue Leben trägt und gebiert, in Beziehung gebracht und kultisch verehrt wurde.13

Zurück in den Schoss der Erdenmutter kehren auch die Seelen der Verstorbenen. Und nach einer Zeit der Regeneration können diese an bestimmten Orten in der Natur wieder ins irdische Leben drängen und dort von den Frauen empfangen werden. So glaubten und erfuhren es die Menschen der vorchristlichen Zeit. Relikte dieses Weltbilds sind im Lötschental noch immer zu finden.

Bis in die 1970er-Jahre existierte im Riedholz bei Kippel eine hohle Lärche, die als Kinderherkunftsbaum bekannt war. Felsrücken auf der Fafler- und der Guggialp galten ebenfalls als Orte, wo die Kinderseelen geholt werden konnten (siehe S. 136).

Der Holzmiättärra-Stein ist von Blatten, dem hintersten Dorf im Lötschental aus, am rechtsseitigen Berghang zu sehen. Vom Geryndorf, einer ehemaligen Siedlung, sind nur noch Ruinen zu finden.

Weitere Sagen zur Kinderherkunft bzw. zur kultischen Bedeutung des Kessels:

Vom alten Brauch des Kinderholens, Seite 136

Das Geheimnis der Kindbetterfluh, Seite 139

Im Kessel der Holzmüotterlini, Seite 223

Bergmütter, Quellfrauen, Spinnerinnen

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