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4. Zusammenfassung

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Aristoteles entwickelt die ethische Untersuchung ausgehend von der Struktur des menschlichen Handelns und Strebens, das wesentlich auf ein Ziel oder Gut gerichtet ist. Auch wenn er beiläufig immer wieder betont, das Ziel sei dasselbe für Individuum und Polis und sogar besser noch für die Polis (1094b7ff.), ist seine Ethik in ihrem begrifflichen Ansatz am individuellen Leben orientiert.49 Denn die emphatische Frage nach dem besten Gut, die Aristoteles schon in I 1 einführt, ergibt sich aus der Beschaffenheit des individuellen Strebens, das ins Leere läuft, wenn alles, was es tut, um eines anderen willen gewünscht wird, wenn es keine Ziele gibt, deren Erreichen das Streben erfüllt. Genauer, so der entscheidende nächste Schritt, sollte es sich dabei um ein letztes Ziel oder bestes Gut handeln.

Wie bereits oben angedeutet (S. 30), ist dieser Schritt zwar nicht zwingend, hat jedoch einige Plausibilität, die sich nach dem Durchgang durch I 8–11 noch verstärkt. In der Zeitlichkeit der Existenz liegt eine ständige Gefährdung des Lebens durch den äußeren Zufall, die im Gegenzug den Wunsch nach einem dauerhaft oder im Ganzen guten Leben erzeugt. Wie wir genauer in der Ausarbeitung der aretai in Buch II–VI sehen werden, führt auch die Komplexität der Person schon zu einem und demselben Zeitpunkt zu einem ähnlichen Ergebnis. Aristoteles sieht die menschliche Person so, dass sie mit disparaten Affekt- und Strebensbereichen ausgestattet ist, jedoch auch mit der Fähigkeit zur praktischen Überlegung, die alle Bereiche übergreift und uns daher mit der Frage nach dem insgesamt besten Leben konfrontiert, in dem die unterschiedlichen Teile der Persönlichkeit harmonisch integriert sind.

Was sich aus der Zeitlichkeit bzw. Veränderlichkeit des Lebens und der Vielheit der psychischen Aspekte plausibel machen lässt, ist, dass sich uns als Lebewesen mit einer solchen Beschaffenheit die Frage nach einem besten Ziel stellt, an dem wir das Leben im Ganzen ausrichten können, oder dass es für uns wünschenswert oder ratsam wäre, uns in allem Tun an einem solchen Ziel zu orientieren. Nicht hingegen ist damit gezeigt, dass es ein solches Ziel gibt, und zwar, worauf Aristoteles gegen Platon wert legt, als ein durch Handeln erreichbares Ziel. Die Existenz eines besten Guts wird zunächst durch den Hinweis gestützt, alle stimmten darin überein, dass das beste Gut die eudaimonia ist, auch wenn die Auffassungen seines Inhalts divergieren. Diese alltägliche Auffassung wird untermauert durch die schwierigen Ausführungen über die Zielhaftigkeit von Zielen in I 5. Auch wenn deren Interpretation im Detail umstritten ist, besagen sie aber sicherlich, dass die eudaimonia deswegen als das beste Gut qualifiziert ist, weil sie der Anforderung genügt, das Streben ganz zu erfüllen oder das Leben insgesamt gut zu machen.

Aber kann es in der Wirklichkeit etwas geben, was das menschliche Streben ganz erfüllt? Dagegen spricht zweierlei. Erstens die Existenz von Wünschen, die miteinander in Konflikt stehen und sich daher nicht alle zusammen befriedigen lassen. Zweitens ist die Reichweite unserer Wünsche, wie Aristoteles selbst in Buch III betont, sehr viel umfangreicher als die unserer Handlungsmöglichkeiten. Die „naturalistische“ Wendung in I 6 hat die Aufgabe, eine Lebensweise zu finden, die einerseits den Anforderungen an das beste Gut gerecht wird und die andererseits dennoch bei uns liegt, also realisierbar ist. Das Leben in der Betätigung der spezifisch menschlichen aretē, das vernunftgemäße Tätigsein, erfüllt weitgehend die zweite Bedingung, durch Handeln erreichbar zu sein. Es ist, wie wir gesehen haben, nicht für jeden errreichbar, aber doch für alle jene, die unter normalen (in der Bedeutung, die das für Aristoteles und seinesgleichen hat) Bedingungen aufwachsen. Weniger klar ist, ob es der ersten Anforderung genügt, also das Streben ganz erfüllen, die eudaimonia ausmachen kann. Dazu fehlt zum einen ein Zwischenschritt, den Aristoteles erst später ausarbeiten wird, der Nachweis, dass diese Lebensweise subjektiv befriedigend oder lustvoll ist. Zum andern kann man bezweifeln, ob es Aristoteles in I 8–11 wirklich gelingt, die Bedenken gegen die Identität von eudaimonia und Tätigkeit gemäß der aretē auszuräumen. Auch wenn die eudaimonia notfalls ohne die Voraussetzung des günstigen Schicksals, der eutychia nicht ganz verloren geht, so würde man es doch vorziehen, makarios statt nur eudaimōn zu sein. Das heißt, dass die eudaimonia genau genommen nur dann das Streben einer Person ganz erfüllt, wenn sie unter zumindest nicht katastrophalen äußeren Bedingungen realisiert wird.

Wenn dem so ist, fragt man sich, ob Aristoteles nicht doch noch näher an einer idealen metaphysischen Auffassung des besten Guts ist, als seine Kritik an Platon erwarten lässt. Auch wenn wir die Überlegung akzeptieren, dass es für Wesen unserer Seinsstruktur nahe liegt, nach einer ganzheitlichen Lebensorientierung zu suchen, könnte man aus der Abhängigkeit der Wunscherfüllung von äußeren Bedingungen ja auch die Konsequenz ziehen, nicht nach der vollkommenen eudaimonia zu suchen, sondern die Frage unter Berücksichtung der Realität anders zu stellen. Etwa zu fragen, wie für ein Wesen, dessen Streben aufgrund seiner und der Welt Beschaffenheit grundsätzlich nicht ganz erfüllbar ist, ein möglichst befriedigendes oder sinnvolles Leben aussieht.

Fasst man die Frage so, dann ist es allerdings auch nicht mehr trivial, die gesuchte Lebensorientierung mit der eigenen eudaimonia gleichzusetzen. Es gibt Menschen, die ihr höchstes Lebensziel nicht im eigenen Glück sehen, sondern z.B. in der Aufopferung für andere, in der Herstellung eines besseren Gesellschaftszustands.50 Zu behaupten, dass sie dann eben darin ihre eudaimonia finden, würde nicht mehr dem Sinn dieses Begriffs entsprechen. Überzeugend an der griechischen Konzeption scheint mir jedoch, dass sich die Ebene der Beschaffenheit des eigenen Lebens, auch wenn man darüber hinausgehende Lebenskonzeptionen hat, nicht überspringen lässt oder dass es wenig ratsam scheint sie zu überspringen, eben aufgrund der von Aristoteles herausgestellten Tatsache, dass, was immer wir tun, wir damit auf bestimmte Weise unser eigenes Leben in Handlungen vollziehen.

Wie der Zusammenhang zwischen der eudaimonia und dem Vollzug einzelner Tätigkeiten genauer aussieht, ist vorläufig noch offen. Die eudaimonia, das beste Gut, ist das Ziel, an dem das Leben im Ganzen sich orientiert. Sie ist, wie Aristoteles am Anfang von I 7 sagt, nur im Umriss bestimmt und muss von jedem Individuum für seine konkreten Lebenssituationen jeweils konkret ausgearbeitet werden. Dass wir jeweilige Handlungen um der eudaimonia willen tun, wäre dann nicht so zu verstehen, dass wir sie als Mittel zu einem vorgegebenen übergeordneten Ziel, der eudaimonia, tun (dominante Interpretation). Auch nicht so, dass wir damit Teile zu einem vorgegebenen Inhalt namens eudaimonia beitragen (inklusive Interpretation). Die mangelnde konkrete Bestimmtheit des Inhalts der eudaimonia legt nahe, dass es vielmehr darum geht, durch einzelne Handlungen allererst zu konkretisieren oder zu artikulieren, was eudaimōn zu leben für eine bestimmte Person unter bestimmten Umständen bedeutet. Das beste Gut für ein Individuum, seine konkrete eudaimonia, würde also durch die Abfolge solcher Artikulationen bestimmt. Der skopos, der Orientierungspunkt, wäre dann die im Umriss bekannte eudaimonia, an der sich die Artikulation ausrichtet. Dass das selten gesehen und stattdessen die Kontroverse über die dominante oder inklusive Interpretation perpetuiert wird, mag daran liegen, dass Aristoteles hier ausnahmsweise eine wenig differenzierte Begrifflichkeit hat, nämlich nur über den Begriff des „um willen“ verfügt, der in der Tat alle diese Verhältnisse, das von Mittel und Ziel ebenso wie das von Teil und Ganzem wie das von Artikulation und umrisshaftem Leitziel, ausdrücken kann.

1 Zu den Unterschieden im Beginn der Ethiken auch Schneider 17ff.

2 Das Zitat findet sich auch in Topik 116a19f. und Rhetorik 1362a23.

3 Das Wort technē bleibt im Weiteren unübersetzt. Das Wort „Kunst“, mit dem es manchmal wiedergegeben wird, ist zwar möglich, wenn man es im Sinn von „Können“ versteht, jedoch assoziiert man bei diesem Ausdruck zu leicht die „schönen Künste“. „Fertigkeit“ oder „Geschicklichkeit“ andererseits haben den Nachteil, dass wir sie auch auf ein bloß erfahrungsmäßiges Können anwenden, während für Aristoteles zur technē das explizite Kennen der Gründe gehört, die die Bewirkung eines Ergebnisses erklären (vgl. Metaphysik 981a1ff.).

4 Verwirrend ist, dass Aristoteles hier „Handlung“ (praxis) kurz hintereinander in zwei Bedeutungen gebraucht, die noch dazu nicht mit der im ersten Satz verwendeten identisch sind. Im ersten Satz meint praxis das Handeln, das nicht hervorbringend ist. In a5 hingegen wird praxis als Oberbegriff für alle Arten von Tun verwendet, wozu auch die Ausübung von technē gehört.

5 Beide Varianten haben Vor- und Nachteile. Substantivierungen sind in der Philosophie immer ein Problem, bei „Gut“ assoziiert man leicht „Wert“, und dieses Wort hat eine sehr unklare Verwendung, während der Ausdruck „etwas Gutes“ den Vorteil hat, die Herkunft aus dem Adjektiv „gut“ deutlich anzuzeigen. Andererseits ist durch das Substantiv „Gutes“ die Gefahr der Verwechslung mit „das Gute“ größer, das den Begriff oder die Eigenschaft des Guten bezeichnet, das, was allen Dingen, Handlungen etc., die gut sind, gemeinsam ist. Um diese Assoziation der platonischen Idee des Guten zu vermeiden, verwende ich die Übersetzung „ein Gut“. Andere Sprachen bieten hier gar keine Unterscheidungsmöglichkeit.

6 Es gibt drei Übersetzungsmöglichkeiten für tagathon (Zusammenziehung von to (Artikel) und agathon) an dieser Stelle: „das Gute“, „ein Gut“, „das Gut“. Manche Übersetzer verwenden zwar im ersten Satz das Wort „ein Gut“, nehmen dieses aber im zweiten Satz mit „das Gute“ auf. Damit verschiebt man jedoch den Sinn in die in Anm. 5 erwähnte platonische Richtung. Für diese Unterscheidungen in der Verwendung von „gut“ ist immer noch die beste Quelle v. Wright, siehe insbesondere 10. Zu Aristoteles auch Ricken 1976, 21.

7 Ähnlich formuliert Schmidt 303 Anm. 3. Dass Aristoteles in Rhetorik I 5 sagt, es gebe für jeden einzelnen und für alle gemeinsam einen Zielpunkt, der das Streben leitet (1360b4f.), ist kein Einwand, sondern erklärt sich daraus, dass die eudaimonia als das beste Gut für den Menschen dort sofort genannt wird. Denn in der Rhetorik zählt Aristoteles einfach populäre Vorstellungen des guten Lebens auf, während er in der EN an der Erklärung des Stellenwerts und der Herleitung des Inhalts des besten Guts interessiert ist. In der EE betont Aristoteles ausdrücklich, es sei falsch zu sagen, dass alles nach einem Gut strebt, vielmehr habe jedes sein eigenes Gut (EE 1218a30ff.).

8 So auch Broadie 10. Gegen eine empirische Lesart Dirlmeier 1956, 265.

9 Man könnte denken, dass die Erwähnung der praxis gegen diese Deutung spricht. Jedoch geht es Aristoteles hier vermutlich nicht um das detaillierte Ziel einer z.B. tapferen Handlung im Hier und Jetzt, sondern eher um die tapfere usw. Handlung als Typ, die als Ziel das Tapfersein im Leben insgesamt hat.

10 Dazu Ricken 1976, 24.

11 Die Übersetzung „bestes Gut“ hat den Vorteil, den Zusammenhang mit „ein Gut“ deutlich zu machen, ohne bereits eine bestimmte Interpretation zu präjudizieren, wie es der Ausdruck „höchstes Gut“ tut. Ich übernehme diese Lösung von Irwin 1985, 2.

12 Ähnlich Ricken 1976, 22.

13 Am nächsten kommt die Übersetzung „gutes Leben“. Jedoch ist dieser Ausdruck im hier gemeinten Sinn gerade als Übersetzung für eudaimonia aufgekommen und lässt sich nur durch Rückgriff auf das griechische Verständnis dieses Begriffs erläutern. Daher kann man ebensogut das Wort eudaimonia stehen lassen.

14 Dass der systematisch grundlegende Begriff in der EN nicht eudaimonia, sondern ariston ist, sieht ähnlich Cooper 1975, 91.

15 Die andere Frage, ob es überhaupt zwingend ist, das beste Gut mit der eudaimonia gleichzusetzen, würde den Gedankengang länger unterbrechen und soll daher erst in der Zusammenfassung aufgenommen werden (siehe unten S. 55).

16 Die Übersetzung „zielhaft“ entspricht ungefähr Kennys Hinweis, mit teleion werde ein telos als besonders „endy“ charakterisiert (Kenny 2001, 21). „Endziel“ (Dirlmeier und Gigon) und „fin finale“ (Gauthier/Jolif) haben den Nachteil, dass sie nur für den Superlativ teleiotaton passen und sich in adjektivischen Verwendungen nicht durchhalten lassen. Wirklich zielhaft ist ein Ziel, das nur um seiner selbst willen gewünscht wird. Ich verwende bewusst die informellen Ausdrücke „um eines anderen willen“, weil Übersetzungen wie „Mittel“ Vorentscheidungen über die Relation der eudaimonia zu ihren Teilen und Bedingungen treffen, die wir an dieser Stelle noch nicht überprüfen können (siehe dazu unten S. 56).

17 Diese Ziele sind also offenbar nur in der Weise weniger zielhaft als die eudaimonia, dass sie sich um der eudaimonia willen erstreben lassen, nicht aber in dem Sinn, als sie der eudaimonia ihre Wünschbarkeit verdanken. Es scheint allerdings schwer zu verstehen, wie es Handlungen geben kann, die Selbstzweck sind, gleichzeitig aber um eines anderen (der eudaimonia) willen geschehen. Zu diesem Problem Jacobi und Engberg-Pedersen.

18 Aristoteles beginnt mit der konkreten Frage, ob die Autarkie für das isolierte Individuum gilt oder seinen engeren sozialen Kontext einbezieht (1097b8–14). Diese Abschweifung passt nicht in die begriffliche Überlegung des Abschnitts, und ich werde ihren Inhalt daher erst im Zusammenhang mit I 8–12 behandeln, wo ähnliche Probleme erörtert werden (siehe unten S. 49).

19 So Hardie 1980, 22.

20 Dieser aktivische Sinn von teleion, wonach es „Erfüllung bringend“ bedeutet, ist zwar nur in der Dichtung belegt, scheint aber hier mitzuschwingen.

21 Dazu auch Reeve 121f.

22 Ähnlich Bostock 14f.

23 Im engeren Sinn definierbar sind für Aristoteles Arten von Gegenständen. Nach der Lehre in den Analytica Posteriora sind jedoch auch Zustände oder Eigenschaften von Gegenständen definierbar, sofern sie wesentlich mit einer bestimmten Art oder Gattung von Gegenständen verbunden sind; beispielsweise ist Gesundheit definierbar, sofern sie wesentlich auf Lebewesen bezogen ist. Das heißt dann aber, dass die Definition in derartigen Fällen immer einen Bezug auf die Gegenstandsart enthalten muss, die Träger der zu definierenden Eigenschaft ist (also bei der Gesundheit auf Lebewesen, bei der eudaimonia auf Menschen).

24 Trotz Halper, der die These vertritt, Aristoteles halte sie für eine Quasi-Substanz.

25 Anders Reeve 132, der meint, wir sollten entgegen dieser nahe liegenden Vermutung auch hier eher mit einem dialektischen Vorgehen auf der Basis von gängigen und bewährten Überzeugungen rechnen.

26 Aristoteles nimmt damit die in I 1 erwähnte Unterscheidung zwischen Zielen auf, die ein Produkt (ergon) sind, und solchen, bei denen die Handlung (praxis) selbst das Ziel ist. Manchmal verwendet er auch den ergon-Begriff im weiten Sinn, so dass er beide Bedeutungen, dass das Ziel ein Produkt jenseits der Handlung ist oder die Tätigkeit selbst das Ziel ist, umgreift (EE 1219a12ff.).

27 Die Übersetzung von aretē durch „Vortrefflichkeit“ und spoudaios durch „hervorragend“ ist zu stark. Es geht um die gute Qualität, die über dem Durchschnitt liegt, nicht um die extreme Spitze des Hervorragenden. „Tüchtig“ erscheint passender, hat aber den Nachteil, dass es heute nicht mehr gebräuchlich ist und außerdem zwar auf Menschen, aber weniger gut auf Werkzeuge passt.

28 So Roche 1992.

29 In der Metaphysik definiert er die Form (eidos) von Gegenstandsarten (ihre wesentliche Beschaffenheit) so, dass Bezugspunkt der Definition die sogenannte Zweckursache, das telos oder ergon der Art ist. Diese teleologische oder funktionale Art der Definition des reinen eidos ermöglicht es, dass auch die Art als konkrete, das eidos in seinem Bezug auf die Materie, definiert werden kann, weil das telos eine bestimmte Beschaffenheit und Anordnung der materiellen Teile vorgibt. Zum Beispiel: Das telos des Hauses ist es, Schutz für Menschen und Güter zu bieten, und daraus ergibt sich, dass Steine oder Holz in einer bestimmten Weise angeordnet werden müssen, um diesen Schutz herzustellen (1043a31f.). Bei Lebewesen ist das interne telos das Leben, die Form ist die Seele, die dieses Leben organisiert und vollzieht (1050a34ff.). In der praktischen Abhandlung der EN redet Aristoteles zwar zunächst vom Menschen, der sein Leben vollzieht, jedoch verfällt er dann doch in die exaktere Ausdrucksweise aus der Metaphysik, wonach dies die Seele tut (1098a7).

30 Das griechische Wort logos ist in seinem Sinn weiter als „Vernunft“; es kann je nach Kontext „Satz, Rede, Sprache, Rechnung, Erklärung, Vernunft usw.“ bedeuten.

31 Die Unterscheidung zwischen dem Besitz einer Fähigkeit (dynamis) und ihrer Ausübung oder Betätigung (energeia) entwickelt Aristoteles ausführlich in Metaphysik IX 1 und 6. Dass das in der Betätigung der Vernunft bestehende Leben kyrioteron (eigentlicher, wichtiger, schärfer den Begriff treffend) ist als der bloße Besitz der Vernunft, lässt sich am einfachsten im Sinn der Prioritätskriterien verstehen, die Aristoteles in Metaphysik IX 8 präzisiert: Wir können eine Fähigkeit nur als diese bestimmte erkennen und definieren über die Tätigkeit, zu der sie die Fähigkeit ist.

32 Einen solchen neutral-deskriptiven Schritt nimmt Gómez-Lobo an.

33 Der Satz nimmt mehrere Anläufe, um zu seinem Ergebnis zu kommen, und manche Kommentatoren nehmen daher an, dass es sich um zwei Redaktionen desselben Gedankengangs handelt. So Gauthier/Jolif II 58.

34 Auch Tätigkeiten können natürlich faktisch mit Ergebnissen verbunden sein. Der Unterschied zur technē bleibt davon unberührt, denn die technē ist durch ihr Ergebnis definiert, während es für die Frage, was Flötespielen wesentlich ist, nichts beiträgt, dass man damit unter Umständen Geld verdienen kann.

35 Siehe Everson 1998b, S.99.

36 Diese ist für Aristoteles zugleich begrifflich und biologisch, da für ihn eine Definition nicht einfach eine Verbaldefinition ist, sondern eine Realdefinition, das heißt zugleich eine wissenschaftliche Erklärung.

37 So hält Whiting die Argumentation für durchgängig normativ.

38 Diese Formulierung stammt von J. St. Mill, Der Utilitarismus, Stuttgart 1976, 18.

39 Es ist strittig, ob en biō teleiō wirklich „in einem vollständigen Leben“ bedeutet oder teleios hier den Sinn von „voll entwickelt“, „reif“ hat. Auch wenn es gute Argumente für Letzteres gibt (siehe Gauthier/Jolif II 59f.), scheint mir der folgende Satz, eine Schwalbe mache noch keinen Sommer, doch für die üblichere Interpretation zu sprechen, wonach es um die Dauer geht. Dafür sprechen auch die weiteren Überlegungen in I 8–12.

40 Zur Frage, was genau sich hinter den „exoterischen Schriften“ verbirgt, ausführlich Dirlmeier 1956, 274f.

41 Innerhalb der philosophischen Schriften gibt es eine eigene Abhandlung über die Seele, De Anima. Dort legt Aristoteles Wert darauf, dass man „Seele“ allgemein nur im Umriss bestimmen kann, während eine Definition nur möglich ist für die Seele einer jeweiligen Art von Lebewesen.

42 Ich folge Gauthier-Jolif II 97, dass wir es mit einer Mehrfacheinordnung des Strebevermögens und daher im Großen mit einer Dreiteilung zu tun haben, gegen Dirlmeier 1956, 292, der eine Vierteilung annimmt.

43 Ähnlich Joachim 62f.

44 Hierzu Cooper 1985.

45 In I 11 wird darüber hinaus die in gängigen Intuitionen verankerte Möglichkeit ins Auge gefasst, dieser Zusammenhang könne sogar so wesentlich sein, dass das Schicksal Nahestehender in gewisser Weise noch nach dem Tod einer Person auf deren eudaimonia zurückwirkt, dass also das Leben einer verstorbenen Person rückblickend weniger glücklich war, wenn nach ihrem Tod etwa ihre Kinder scheitern oder früh sterben (1100a13–32). Obwohl es begrifflich zu Paradoxien führt, wenn Tote vom Glück ins Unglück wechseln können (1100a28), gibt Aristoteles der Alltagsvorstellung recht, dass es ebenso seltsam ist, wenn das Schicksal der Nachkommen nicht ein Stück weit auf die eudaimonia der Verstorbenen zurückwirke. Die definitive Stellungnahme zu diesem Problem erfolgt in 1101a21–b9: Das Schicksal nahestehender Menschen wirkt auf die Toten ein, jedoch in so schwacher Form, dass ihre eudaimonia dadurch nicht aufgehoben werden kann.

46 Dazu ausführlich Kenny 1992, Kap.5 und 6.

47 Zur Zeitauffassung Solons siehe Theunissen 2000, Kap.3.

48 Dieses Bedenken könnte man durch den Hinweis entkräften, in I 8–12 gehe es nicht um die Frage, was die eudaimonia ist, sondern um die Frage, wann wir einen Menschen oder sein Leben eudaimōn nennen (so Reeve 149ff.). Doch scheint Aristoteles selbst eher der Auffassung zu sein, dass von diesem Unterschied nicht viel abhängt.

49 Für die Auffassung, das gesuchte letzte Ziel sei nicht in der Struktur des individuellen Wollens angelegt, sondern sei der Gegenstand der Politik, plädiert Roche 1992. Dafür, dass nicht nur Aristoteles dies anders sieht, sondern dass es sich auch in der Sache umgekehrt verhält, ausführlicher Wolf 1999a, Einleitung und Kap.2.

50 Dazu Kenny 1969, 48.

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