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b) Dialektik

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In der EN begegnen uns zahlreiche Erklärungen grundlegender handlungstheoretischer Begriffe (Lust, Unbeherrschtheit usw.), die nicht physikōs sind, also nicht das innerhalb einer Einzelwissenschaft übliche Definitionsverfahren verwenden, sondern dasjenige Verfahren, das Aristoteles im Gegensatz zu physikōs als logikōs oder auch als dialektisch bezeichnet.8 Dieses Verfahren ist, wie Aristoteles in Topik I 2 erklärt, insbesondere in zwei Kontexten relevant, in denen die gewöhnlichen wissenschaftlichen Verfahren nicht weiterhelfen. Erstens lassen sich die letzten Prinzipien einer Einzelwissenschaft, ihre Grundbegriffe und Axiome, innerhalb der Wissenschaft nicht weiter zurückführen und müssen daher auf andere Weise plausibel gemacht werden. Zweitens gibt es eine Wissenschaft, die anders als die übrigen Wissenschaften keinen ausgegrenzten Gegenstandsbereich hat, sondern sich mit allem beschäftigt, nämlich die Philosophie, und auch für sie ist daher eine von der einzelwissenschaftlichen verschiedene Methode erforderlich. Das dialektische Vorgehen, in dem diese Methode besteht, findet sich in der Ethik häufig (aber auch in der theoretischen Philosophie, wo es denselben Sinn hat).

Die bekannteste Stelle in der EN, an der Aristoteles die dialektische Methode erläutert, ist der Beginn der Abhandlung über die Unbeherrschtheit in Buch VII (1145b2ff.): „Wir müssen zuerst die Phänomene vor uns bringen und sodann, nachdem wir die Aporien erörtert haben, die Wahrheit aller angesehenen Meinungen … beweisen, oder, wo das nicht gelingt, der meisten und maßgeblichsten; denn wenn wir sowohl die Aporien auflösen wie die angesehenen Meinungen übrig behalten, werden wir den Fall hinreichend bewiesen haben.“ Es geht also darum, hinsichtlich einer Frage die bekannten Phänomene und bewährten Meinungen zu sammeln und zu sehen, wo diese zusammengenommen in Aporien, etwa Inkonsistenzen führen. Ist das der Fall, muss die Lösung der Aporien versucht werden. Das kann auf verschiedene Weise geschehen. Eine Möglichkeit besteht in der Überprüfung der Meinungen an den Tatsachen.9 Zum Beispiel: Dass alle Lebewesen nach Lust streben, ist ein so unübersehbares Faktum, dass es sich nicht übergehen lässt (1153b25f.), also die entgegengesetzte Meinung aufgegeben werden muss. Ein andere Möglichkeit besteht darin, dass man weitere begriffliche Differenzierungen vornimmt und so eine Aporie als nur scheinbare erweist. Um beim Beispiel der Lustheorie zu bleiben, so lassen sich nach Aristoteles die Aporien, die die Lust als etwas ebenso Gutes wie Schlechtes erscheinen lassen, auflösen, wenn man zwischen der sinnlichen Lust und der Lust am Vollzug von Tätigkeiten unterscheidet.

Das dialektische Verfahren ist weniger streng geregelt als Definition und Begründung in den Einzelwissenschaften. Es unterliegt jedoch durchaus gewissen Regeln (Konsistenz, Begriffsdifferenzierung usw.), und seine Ergebnisse sind sicher nicht ungenau in dem Sinn, in dem Aristoteles der Ethik Ungenauigkeit zuschreibt. Denn die Dialektik wird ja ebenso in der Metaphysik verwendet, die es mit unveränderlichem Seienden zu tun hat.

Aristoteles

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