Читать книгу Aristoteles "Nikomachische Ethik" - Ursula Wolf - Страница 27

b) Genauigkeit relativ zum Erkenntnisinteresse

Оглавление

In I 7 (1098a28ff.) wird eine weitere Hinsicht der Genauigkeit genannt. Nicht nur sei, wie Aristoteles in Wiederaufnahme von I 1 sagt, der Genauigkeitsgrad dem Gegenstand anzupassen; er müsse sich vielmehr auch nach der Art der Untersuchung richten. Mit Bezug auf einen und denselben Gegenstand können also unterschiedliche Genauigkeitsgrade sinnvoll sein. Der Schreiner und der Geometer haben beide mit der geraden Linie zu tun. Doch während es zur Aufgabe des Geometers gehört, das Was der Linie zu untersuchen, nach ihrem Wesen zu fragen, also eine exakte Definition zu finden, ist es für die Zwecke des Schreiners unnötig zu klären, worin das Linie-Sein besteht. In diesem Beispiel ist die These durchaus nicht, dass keine exakten Aussagen möglich sind; vielmehr geht es um die Frage, wie viel Genauigkeit für den Zweck, zu dem jemand mit Linien umgeht, nötig ist.

Überträgt man das auf die Ethik und Politik, scheint Aristoteles zu sagen, dass auch für ihren Gegenstand, den Menschen und die Polis, exakte Arten der Untersuchung denkbar wären, dass es aber für die praktische Zielsetzung dieser Disziplinen ausreichend und daher auch angemessener ist, sich mit schwächeren Aussagen zu begnügen. Diese Auffassung steht allerdings in Widerstreit zu Thesen, die Aristoteles in anderen Texten vertritt. So betont er in der EE (1216b38ff.), die politische Wissenschaft dürfe nicht darauf verzichten, philosophisch zu arbeiten, also den Grund der Sachen aufweisen, Wesensdefinitionen zu geben.5 Dagegen spricht die oben erörterte These in I 1, wonach der Gegenstandsbereich der Ethik zu schwankend ist, als dass exakte Aussagen möglich wären. Was ist dann das Fazit für die Genauigkeitsanforderung an die Ethik?

Aristoteles

Подняться наверх