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c) Grad der Genauigkeit der Ethik

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Zu Beginn von I 7 findet sich ein Hinweis, der die gerade genannten Unstimmigkeiten auflösen könnte. Im Rückblick auf I 6 sagt Aristoteles, dort sei etwas im Umriss oder in den Grundlinien geklärt worden, während die konkrete Ausgestaltung Sache des Individuums sei und sich mit der Zeit finden werde (1098a21ff.). Was in I 6 im Umriss dargelegt worden war, ist die Definition der eudaimonia. Wie wir gesehen haben (oben S. 38), geht Aristoteles dabei naturwissenschaftlich oder – so könnte man im Sinn der erwähnten Stelle aus der EE auch sagen – philosophisch vor, d.h. er zeigt den Grund oder das Warum (dia ti) der eudaimonia auf. Da die eudaimonia kein eigenständiges Seiendes, sondern nur als Eigenschaft bzw. Tätigkeit des Menschen zu verstehen ist, bedeutet dies aufzuzeigen, was am Menschen aufgrund welcher Struktur des menschlichen Seins die Tätigkeiten der eudaimonia ausüben kann. Es ist nicht anzunehmen, dass Aristoteles die Genauigkeit dieses wissenschaftlichen Verfahrens in I 6 bestreiten will.6

Aus dem Exaktheitsanspruch ausgenommen sind vielmehr die konkreteren Aussagen, die das im Umriss Definierte ausfüllen. Das Bild ist übernommen aus einer Passage in Platons Nomoi (768c3ff.), wo ebenfalls ein erster Umriss gegeben und dann gesagt wird, die konkreten Gesetze, Verordnungen, Institutionen im Staat müsse man mit der möglichen Genauigkeit abfassen, deren Grad allerdings weiteres Ausmalen und späteres Korrigieren unerlässlich mache. Das Konkrete scheint, wenn von Gesetzen etc. die Rede ist, immer noch in allgemeinen, aber inhaltlich bestimmteren Aussagen oder Normen zu bestehen, etwa dass man tapfer sein und entsprechend handeln sollte. Analoges würde für die Regeln gelten, nach denen der individuelle Charakter zu bilden ist. Wenn hier immer weiter konkretisiert werden muss, gelangt man schließlich zu der Frage, was jeweils in einer Einzelsituation zu tun gut ist. Dass letztlich diese konkrete Entscheidungssituation gewonnen und expliziert werden soll, liegt in der These, das Ziel der ethischen Untersuchung sei nicht Erkenntnis, sondern Handeln. Wie wir genauer in Buch VI (Kap. VI) sehen werden, ist die Handlungsentscheidung aus der Perspektive der ersten Person in einer konkreten Handlungssituation eine Angelegenheit der phronēsis, des guten ethischen Überlegens, und eine solche konkrete Entscheidung lässt sich nicht wissenschaftlich begründen.

Die Ungenauigkeit der Sätze, die die umrisshafte Definition der eudaimonia ausfüllen, ist die Ungenauigkeit im ersten Sinn. Solche Sätze können aufgrund ihres Gegenstands nicht exakter sein. Ein echter Fall von Ungenauigkeit im zweiten Sinn, der sich allein aus der Zielsetzung der Untersuchung ergibt, scheint vorläufig nicht vorzukommen. Fragen wir jetzt, ob er denkbar ist, indem wir die verschiedenen Methoden, die Aristoteles in der Ethik verbindet, kurz zusammenstellen. Neben dem schon erwähnten Vorgehen, das physikōs ist, ist dabei das dialektische Verfahren zu nennen. Als Drittes spielen konkrete Verfahren der Anwendung eine Rolle, und wie sich zeigen wird, sind insbesondere diese für die Ungenauigkeit der Ethik verantwortlich.

Aristoteles

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