Читать книгу SELBST-geführte Psychotherapie - Uta Sonneborn - Страница 15
Oszillieren
ОглавлениеWenn zwei Menschen in Kontakt treten, nehmen sie sich gegenseitig mehr oder weniger bewusst wahr. Es entsteht recht schnell ein erster Gesamteindruck, der als »Gefühl« von Sympathie, Neutralität oder Ablehnung registriert wird. Es ist aber eigentlich kein Gefühl, eher eine soziale Bewertung oder eine Interpretation. In dieser blitzschnellen Kategorisierung des Gegenübers liegen eigene Gefühle, Gedanken, Körperempfindungen, Erlebnisse, Erfahrungen, Erinnerungen, Projektionen, Vorurteile etc. verborgen, die diese Einteilung in Freund, Feind oder neutral haben zustande kommen lassen. Dass so etwas so schnell geschieht, ist vermutlich noch einem archaischen Überlebensdrang geschuldet. Es ist klar, dass wir damit unserem Gegenüber, aber auch uns selbst mit unseren psychosozialen Möglichkeiten und kommunikativen Fähigkeiten nicht gerecht werden, ja uns beiden die Möglichkeit, uns wirklich kennenzulernen, erschweren. Um unserer als subjektiv und selektiv bekannten Wahrnehmung mehr Präzision zu verschaffen und um Ich und Du schön auseinanderzuhalten und nicht unzulässigerweise zu vermischen, hat Hildegund Heinl, die »Grande Dame« der Integrativen Gestalttherapie, einen Prozess des Oszillierens beschrieben, wie jeder auf den unterschiedlichsten Ebenen gleichzeitig bei sich selbst und beim anderen sein kann – auf allen Ebenen, im Hier und Jetzt, in der Vergangenheit, und wieder zurück in der Gegenwart. Diese Übung kann in Seminaren zu einer außerordentlichen Selbsterfahrung führen und auch im Kontakt zu anderen Menschen eine Fülle von Erfahrungen und Nutzen bringen. Haben beide Partner*innen dieser Übung eine Haltung von Wertschätzung und Respekt sich selbst und dem anderen gegenüber und versuchen, sie nicht zu bewerten, kann tiefes eigenes und gegenseitiges Erleben die Folge sein. Für manche ist diese Übung am Anfang schon nach ein paar Minuten sehr dicht. Geübtere oszillieren mehrfach hin und her und erfahren so zum Beispiel in einer Stunde wirklich viel über sich und ihr Gegenüber, wenn sie darüber reflektieren und sich zusätzlich noch über das Erlebte austauschen. Eine solche Wahrnehmung seiner selbst und der anderen wird der Komplexität eines jeden Menschen gerechter, es kann dadurch erlebter Kontakt und Begegnung entstehen. Zwei Personen haben so die Möglichkeit, sich nicht ungewollt zu »verwurschteln«. Anders, wenn von Anfang an klar ist: Jeder hat seinen eigenen persönlichen, familiären, kulturellen, zeitgeschichtlichen Hintergrund und ist geprägt von seiner Geschichte. Ich bin ich und du bist du, frei nach Martin Buber: Das Ich erfährt sich am Du.