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Die Humanistischen Psychotherapien
Grundhaltungen und Ideen
Die Humanistische Psychotherapie wurde von Viktor Frankls Konzept der Logotherapie und der Existenzanalyse begründet, in Abgrenzung zu der Psychoanalyse von Siegmund Freud und Alfred Adler. Da dem Menschen Körper, Seele und Geist innewohnen, erlaubt ihm die geistige Dimension, sich mit seiner Psyche, seinem Körper und seiner Existenz auseinanderzusetzen. Frankl geht von einer Veränderungsmöglichkeit des Menschen aus. Wir sind nicht auf ein »So-Sein-Müssen« festgeschrieben, sondern haben die Möglichkeit, uns verändern zu können. Der menschliche Geist erlaubt dem Menschen Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion. Diese Distanz zu sich verschafft ihm die Möglichkeit und Fähigkeit zur Selbstverantwortung, zur Willens- und Entscheidungsfreiheit, ja letztlich zu seiner Selbstbestimmung und Würde.
In dieser Haltung entwickelten sich seit den 30er-Jahren eine Fülle von Therapieansätzen, die sich, aus unterschiedlichen Richtungen kommend, gegenseitig inspirierten und zu eigenständigen Verfahren herausbildeten. Dazu zählen die wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie nach Carl Rogers, die Jungianische Psychoanalyse nach Carl Gustav Jung und die Ausführungen von Verena Kast, die Transaktionsanalyse nach Eric Berne, die Gestaltpsychotherapie nach Fritz Perls, die Integrative Gestaltpsychotherapie nach Hildegund Heinl und Hilarion Petzold, die Bioenergetik nach Alexander Lowen, die Al Pesso Therapie, die Focusing-Therapie nach Eugen Gendlin, das Psychodrama nach Jacob Levy Moreno, die Psychosynthese nach Roberto Assagioli, die Hakomi-Therapie nach Ron Kurtz, die Psychodynamisch-Imaginative Traumatherapie nach Luise Reddemann, die Ego-States-Therapie nach John und Helen Watkins, die Systemischen Therapien der letzten 40 Jahre und die Systemische Therapie mit der Inneren Familie nach Richard Schwartz u.a.m.
Durch Carl Gustav Jung zog östliches Gedankengut, insbesondere taoistische und buddhistische Prinzipien, in die Psychotherapie ein; auch die Meditation, auf Achtsamkeit basierend, eine ganzheitliche Betrachtungsweise und die Imagination wurden psychotherapeutisch salonfähig und fanden hier ihre weitläufige Einbeziehung und Entwicklung. Die Idee, Träume subjekthaft und objekthaft deuten zu können, erweiterte die Möglichkeit der Betrachtungsweise innerer Zustände und deren Vielfalt beträchtlich. Durch das Wechseln der Position des Beobachters wurde eine neue Dimension der Betrachtung von Erlebnisinhalten geschaffen, nämlich einmal alle Elemente des Traumes zu sein und/oder die Elemente des Traumes oder den Traum als Objekt mit etwas Abstand zu betrachten. Diese Art der Traumdeutung erweiterte die Introspektionsmöglichkeiten des Träumenden und des Therapeuten und bedeutete eine Abkehr von der Deutungshoheit des Therapeuten. Die Wahrnehmung fein auf den Körper zu richten sollte helfen, ihn von Blockaden und Panzerungen zu befreien und ihn zu seinem natürlichen Ausdruck zu führen. Wilhelm Reich gebührt das Verdienst, als Erster den Körper und seine Ausdrucksmöglichkeiten in seine Charakteranalyse mit einbezogen zu haben. Er war der Ansicht, dass unterdrückte Emotionen sich in Körperpanzerungen äußern.
In den 60er-Jahren mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen erkundeten Gynäkologinnen und Feministinnen in aller Ausführlichkeit und mit Neugier ihre Körper, »our bodies – our selves«. Mit der Enttabuisierung der Sexualität in den 70er-Jahren war die Entdeckung des Körpers verbunden und erlaubt, was zu Zeiten von Wilhelm Reich noch eine Außenseiterposition dargestellt hatte. Die modernere Körperpsychotherapie ist teilweise noch von seinen Ideen, teils von der experimentellen Gestalttherapie von Fritz und Laura Perls inspiriert, die von einer Einheit von Körper, Seele und Geist ausgingen. Sie bauten schon auf die Fülle und die Ressourcen des menschlichen Daseins auf, wie die integrative Gestalttherapie nach Hilarion Petzold und Hildegund Heinl, die auch von einer ganzheitlichen Sichtweise ausgehen. In ihr ist die Rede vom Leib, womit der beseelte Körper gemeint ist. Ihm wird ein implizites und ein explizites Gedächtnis zugeschrieben. Im Körpergedächtnis können Erinnerungen aller Art gespeichert sein, wunderbare, alltägliche und schreckliche, die dem Bewusstsein und der Erinnerung nur partiell zugänglich sind. Alles, was der Mensch jemals erlebt hat, ist in seinem Leib wie auf einer Gravur-Tafel eingeschrieben, und wurde szenisch abspeichert. Da die körperorientierten Psychotherapieverfahren zunehmend in der Lage waren, die dem Menschen innewohnenden Potenziale aufzudecken, und damit begannen, die Innenwelt eines Individuums zu beleuchten, entwickelten sich durch sie wesentlich differenziertere Wahrnehmungsmöglichkeiten von Seins-Zuständen, von den Objekten innerer Vielfalt und ihres Ausdrucks in den Gefühlen, dem Körper, den Gedanken und dem Verhalten.
Körperpsychotherapeutische Methoden vereint mit achtsamer Wahrnehmung des Körpers unterstützen die Erinnerungskraft stark. Während in den 70er-Jahren in den Therapien oftmals noch heftig »gepushed« wurde, sodass Klienten z.T. von szenisch gespeicherten traumatischen Erinnerungen katastrophal überflutet wurden, geht heute die körperorientierte Traumatherapie ausgesprochen achtsam und eher den Prozess verlangsamend vor, dem Tempo der Klient*innen folgend, um so der Weisheit und den Botschaften des Körpers besser lauschen zu können. Durch die behutsame, einfühlende psychotherapeutische Begleitung können die Klienten das Erlebte mitsamt ihren szenischen Erinnerungen und Gefühlen im Damals durcharbeiten. Sie können durch Externalisierungstechniken diese Prozesse auch emotional dimmen. Die Klient*innen bekommen eine Beobachterposition im Hier und Jetzt, wodurch die Selbstwahrnehmung und Selbstregulierung gefördert werden. Sie helfen, den Dreiklang der Traumatherapie – Stabilisierung, Konfrontierung und Integration – zu befördern.
Die introspektive Wahrnehmung in der Gestaltpsychotherapie übt innere »awareness«, also intensive Selbstwahrnehmung in einem Zustand von geistiger Wachheit und Bewusstheit im Moment, ein Zustand ähnlich der Achtsamkeit. Sie ist in der Lage, die Ebenen ihrer Wahrnehmung zu wechseln. So kann sie die feine Wahrnehmung zuerst nach innen auf sich selbst, auf das Erleben des jeweiligen Augenblicks im Hier und Jetzt und auf den Kontext und die Umgebung richten. (John O. Stevens)
Mit der achtsamkeitsbasierten Wahrnehmungsschulung wie sie Thich Nhat Hanh lehrt oder die mittlerweile weltweit verbreitete MBSR-Methode – Mindfulness-Based-Stress-Reduction – nach Jon Kabat Zinn wurden Strukturen feiner Selbstwahrnehmungsmöglichkeiten geschaffen. Das Erlernen eines achtsamkeitsbasierten Selbstmitgefühls schult die Empathie-Fähigkeit für sich selbst und für andere – eine Voraussetzung für emotionale Intelligenz und emotionale und psychosoziale Kompetenz.
Achtsamkeit meint reine Wahrnehmung ohne Bewertung. Durch Achtsamkeitstraining können neuronale Aktivitäten angeregt werden, die andauernde positive Veränderungen im Gehirn verursachen, wie neuropsychologische Forschungsergebnisse zeigen. Dass der Körper bei allem, was wir erleben, mitreagiert, haben Körpertherapeuten schon immer intuitiv vorausgesetzt. Bewiesen ist es durch Antonio Damasio, der unter anderem erforscht hat, dass jedes Erleben mit Körperreaktionen verbunden ist. Diese sind bereits eine halbe Sekunde vorausgegangen, bevor das Ereignis überhaupt in unser Bewusstsein vordringen konnte. Unser Körper ist also in allem einen Tick schneller als unser Bewusstsein. Jeder Gedanke, jedes Gefühl, jedes Erlebnis geht mit körperlichen Reaktionen einher.
So erscheinen mir die auf diesen Prinzipien aufgebauten achtsamkeitsgeleiteten humanistischen Psychotherapien natürlich und heilsam. Den Körper nicht in eine Therapie mit einzubeziehen erschiene mir genauso fremd, wie seinen Verstand nicht zu benutzen. Es bedarf Körper, Seele, Geist und Verstand von Klient*in und Therapeut*in, um sich der Komplexität eines menschlichen Wesens halbwegs anzunähern. Das tiefere Wissen eines Menschen um sich selbst sollte mit in die Therapie einbezogen werden. Die Psychotherapeut*innen können mit den Theorien und der Haltung der humanistisch-psychotherapeutischen Therapien unter der Einbeziehung des Körpers dazu beizutragen, auf all die Verletzungen, Narben, Konflikte und Erkrankungen von Klient*innen, Patient*innen und sich selbst heilsam zu wirken sowie die Ressourcen zu fördern.