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„Guten Morgen, Lena“, wurde sie freundlich begrüßt.

Marco nahm sie mit ins Esszimmer. Dort stand am Fenster eine blonde Schönheit, die aussah, als wäre sie gerade aus einem Hochglanzmagazin gestiegen. Sie hatte lange, glänzende Haare, die in Wellen über die Schultern fielen. Große, blaue Augen musterten Lena gelangweilt und arrogant. Sie hatte eine sehr gerade kleine Nase, volle, akkurat gemalte Lippen. Ihre Figur war makellos. Es war Muriel, Marcos Frau.

Marco machte die beiden Frauen miteinander be­kannt, aber Muriel gab Lena nicht die Hand. Völlig uninteressiert betrachtete sie ihre Fingernägel und nickte nur. Lena setzte sich an den Tisch, wo Marco ihr den Stuhl zurechtrückte. Er winkte seine Frau freundlich zu sich.

„Komm, Schatz, frühstücke doch mit uns. Dann könnt ihr euch noch ein bisschen unterhalten.“

Muriel sah ihn böse an und erwiderte genervt: „Denkst du, ich sehe so aus, weil ich esse? Wenn deine Frau Reporterin etwas wissen will, kann sie mich auch so fragen. Aber ich muss gleich weg. Das kann sie dann an einem anderen Tag machen oder mir die Fragen zuschicken. Sie sitzt ja hier ein halbes Jahr herum.“

Muriel ging dann einfach aus dem Zimmer und Lena sah sie durch das Fenster in dem kleinen weißen Sportwagen vom Hof fahren. Lena war entsetzt und verunsichert.

Dieser wunderbare Mann hatte eine üble Zicke als Frau. Warum um alles in der Welt hatte er so eine geheiratet? War sie mal netter gewesen? Oder war das der Hunger, der die schlechte Laune mit sich brachte? Sie schaute jetzt zu Marco, der Lena beo­bachtet hatte.

Er sagte leise: „Es tut mir leid, dass sie so blöd zu dir war. Sie ist eigentlich nicht so.“

Marco stand auf und trat ans Fenster.

Dann drehte er sich um und meinte: „Doch, was rede ich denn da? Sie ist immer so. Muriel in­teressiert sich nur für eins: sich selbst.“

„Aber warum seid ihr dann verheiratet? Liebst du sie denn gar nicht?“

„Liebe? Frag mal nach Liebe. Was ist das? Ich liebe den Wein, meine Arbeit, aber Muriel kann man nicht lieben. Sie ist eiskalt und bösartig. So wie ihre Mutter und ihre Freundin Petra. Die beiden wirst du auch noch kennen lernen. Ich habe meine Eltern, die vor einigen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, sehr geliebt. Sie waren enge Freunde von Muriels Eltern und so hatten sie vereinbart, dass wir einmal heiraten. Geld und ein guter Name zu Ruhm und Ehre. So war das gedacht. Und in einer Familie wie unserer tut man, was die Eltern glücklich macht.“

„Bist DU glücklich? Ist es nicht wichtig, die Frau zu lieben, mit der man das Leben teilt? Sollte dann diese Frau nicht vollkommen dahinterstehen, was ihr Mann tut und ihn unterstützen, so gut es geht?“

Sie sah die Verzweiflung in seinen Augen, als er antwortete: „Ja, eigentlich sollte es genauso sein. So, wie du es im Café gesagt hattest. Der Mann macht guten Wein und die Frau schmeißt den Laden. Meine Frau schmeißt nur mit Geld um sich. An­sonsten interessiert sie sich nicht für mich und das Weingut.“

Lena war aufgestanden und zu ihm ans Fenster getreten. Sie strich einmal vorsichtig über seinen Arm. Das war ja wie im Mittelalter.

„Und bis eben dachte ich wirklich, es wäre eine Idylle. Mit Mann, Frau, Kindern und gemeinsamen Aktivitäten. Warum habt ihr keine Kinder?“

Er lachte böse auf.

„Meine Frau denkt, eine Schwangerschaft würde ihre Figur ruinieren. Darum haben wir keine Kinder.“

„Wie hältst du das alles aus? Man kann doch nicht ohne Liebe leben?“

Er nahm ihre Hand.

„Solche Momente wie dieser hier mit dir, mit einem Menschen, der sich für mich interessiert, die bauen mich wieder auf. Ansonsten leben Muriel und ich aneinander vorbei. Die meiste Zeit verbringe ich sowieso mit Manuel. Er ist auch der einzige Mensch, an dem Muriel interessiert ist, weil ihre Freundin scharf auf ihn ist. Aber Manuel kann die beiden absolut nicht ausstehen.“

Lena entzog ihm ihre Hand. Sie fühlte sich ihm gerade so nah, dass es ihr unheimlich war. Am liebsten hätte sie Marco in den Arm genommen. Er konnte sich doch trennen. Warum lebte er denn mit so einer Frau zusammen? Dann setzten sie sich an den Tisch und frühstückten schweigend.

Lena hatte beschlossen, nach Hause zu fahren. Sie wollte hier weg und schreiben. Das half immer, wenn sie traurig war.

Er sah sie an und fragte: „Aber du kommst doch morgen wieder, ja? Du bist die einzige Person, die mir hier im Moment wichtig ist. Ich finde es sehr angenehm, mit dir Zeit zu verbringen.“

„Ja, ich komme wieder. Nur im Moment muss ich das alles erstmal auf die Reihe kriegen. Ich soll eine romantische Familienidylle beschreiben. Wie soll das denn bitte gehen, ohne zu lügen?“

Er nahm ihre Hand und sah sie nur traurig an. Zum Abschied küsste er sie auf die Stirn.

„Bis morgen, Lena. Ich freue mich auf dich.“

Lena war völlig durcheinander und musste noch einmal im Weinberg anhalten, um ein Stück zu laufen. Marco und seine Frau gingen ihr nicht mehr aus dem Sinn. Sie musste herausfinden, warum die beiden immer noch zusammenlebten. Schliefen sie tatsächlich in einem Bett? Sie konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen.

Sie rieb sich die Stelle an ihrer Stirn, wo seine Lippen sie berührt hatten. Dieser unglückliche Mann tat ihr Leid und ihre Gefühle fuhren Achterbahn Aber konnte sie so ihren Auftrag erledigen? Sie wollte Inka morgen um Rat fragen.


Frag mal nach Liebe

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