Читать книгу Herodes. König der Juden - Freund der Griechen - Verbündeter Roms - Ute Schall - Страница 8
Sage mir, woher du kommst …
ОглавлениеKein Geringerer als der römische Geschichtsschreiber Publius Cornelius Tacitus charakterisierte in seinen Historien den Zustand Judäas zur Zeit von Herodes’ Geburt wie folgt: „Die Makedonier waren schon schwach, die Parther noch nicht stark genug und die Römer fern. Da setzten die Juden selbst Könige ein. Durch des Volkes veränderlichen Sinn vertrieben, gewannen sie ihre Herrschaft mit Waffengewalt zurück und begannen, Kinder, Gattinnen und Eltern zu ermorden und all die Freveltaten zu begehen, deren Tyrannen fähig sind. Schließlich missbrauchten sie noch die Würde des Priestertums zur Stütze ihrer politischen Macht.“1
Drehen wir das Rad der Geschichte ein wenig zurück. Die Tage der Königin Alexandra Salome waren gezählt. Zufrieden blickte sie von ihrem Sterbebett auf das tiefe Tal, das die Oberstadt Jerusalems vom Tempel trennte, auf dem „der Rauch des großen Brandopferaltars mit seiner nie erlöschenden Flamme regelmäßig gen Himmel stieg. Ja, die Verehrung des Einen Gottes war für alle Zeiten gesichert. Welch gesegneten Wandel hatte die nationale Erhebung geschaffen! Denn noch vor hundert Jahren hatte sich genau hier, an der Stelle ihres Palastes, die Akra, die Zitadelle der heidnischen Griechen erhoben und den heiligen Berg beherrscht. Unter ihren Fenstern hatte sich das lästerliche Gymnasion erstreckt; junge Juden und sogar Priester hatten dort voller Eifer – nackt oder den fremdländischen Hut auf dem Kopf – Sport und Spiel der Heiden getrieben, und der Hohepriester selbst hatte solche Hurerei gefördert! War es da ein Wunder, dass Antiochus glauben konnte, das Judentum sei tot und der Hellenismus triumphiere? Aber der Eine, Heilige Gott – er sei gepriesen! – hatte die Söhne des Mattathias erweckt, um die Heiden aus Seinem Erbe zu vertreiben. Alles war wieder gut, Frieden und Überfluss herrschten im Lande, und Gottes Lobpreis erscholl auf dem Berg Zion …“2
Ein günstiger Himmel verhinderte, dass die Königin erleben musste, welche fremden Mächte bereits darauf lauerten, ihr mit Blut und Schweiß errichtetes Reich zu zerstören. Binnen eines Jahrzehnts nach ihrem Tod sollte der Hellenismus in ihrem Land vorherrschen und ein Ungläubiger ungehindert nicht nur den Tempel, sondern das Allerheiligste betreten, was nach dem Glauben der Väter nur dem Hohepriester, und auch ihm nur einmal im Jahr, nämlich am Versöhnungstag, gestattet war.
Ein tiefer Riss spaltete das jüdische Volk. Oberflächlich betrachtet, hatten ihm die hasmonäischen Führer zwar zu nationaler Einheit verholfen. Aber nur Judas Makkabäus hatte wirklich für den Ruhm seines Gottes gekämpft und den Juden noch einmal das Gefühl der Auserwähltheit gegeben. Seine Brüder und Nachfolger ließen sich vor allem vom weltlichen Ehrgeiz leiten, profanierten das heilige Amt des Hohepriesters und führten ein ausschweifendes, Gott kaum gefälliges Leben. Simon fiel betrunken durch Mörderhand. Alexander Iannaeus galt, obwohl Hohepriester Jahwes, als Sadist und brutaler Trunkenbold, wenn er vielleicht auch auf dem Sterbebett noch einen moralischen Wandel erfuhr. Es verwundert nicht, dass sich die Frommen angeekelt abwandten und „die Makkabäer im rabbinischen Schrifttum nur wenig Beachtung fanden“3. Die „Bücher der Makkabäer“ blieben apokryph.
Denn anders als alle bis dahin bekannten Staatsführungen legte die jüdische „alle Gewalt und Autorität in die Hände Gottes“, wie Flavius Josephus bemerkte und wofür er einen eigenen Begriff prägte: Theokratie.4 „Es war eine kühne Formulierung, die aber den jüdischen Schriftsteller unsterblich machen sollte.“5
Wenn Tacitus auch meinte, die Makedonier seien schon schwach gewesen, bevor die Makkabäer den Schauplatz der Geschichte Judäas betraten, so hatte doch der Hellenismus in Vorderasien einen gewaltigen Siegeszug angetreten, noch ehe Alexander der Große seine berühmten Feldzüge unternahm. Die griechische Zivilisation, vor allem die zumindest von allen Gebildeten gesprochene und verstandene Sprache sowie die polis, die Stadt, als Ziel und Mittelpunkt eines für jeden Einzelnen erstrebenswerten Lebens, hatten auch auf viele Juden, vor allem die liberalen, einen unwiderstehlichen Reiz ausgeübt, sodass sie sich fortan westlich orientierten. Sie argumentierten, man müsse mit der Zeit gehen und dürfe sich Neuerungen nicht verschließen.
Gläubige und hellenistisch gesinnte Juden bildeten die Bevölkerung Judäas, und unter den Gläubigen gab es noch Schattierungen. Streng am überlieferten Glauben und den alten Riten hielten die „Söhne Zadoks“ fest, die Sadduzäer, die die einflussreichen und wohlhabenden Kreise der Bevölkerung vertraten und den Tempelkult kontrollierten. Sie waren mit der ihnen bekannten Welt zufrieden und wünschten sich zunächst keine Veränderung. Misstrauisch betrachteten sie die volksnäheren Pharisäer, die neuerdings von Geistern und Engeln, von der Auferstehung und einem ewigen Leben träumten. Zweifellos waren sie eine Gefahr für die bestehende Ordnung. Aber ihre Zahl und ihr Einfluss waren so stark, dass sich ihnen die Sadduzäer, wollten sie als strenggläubige Juden überleben, zwangsläufig anpassen mussten. Die Pharisäer, die „wesentlich aus der Bewegung der Chassidim entstanden und sicher wie diese aus Schreiberkreisen hervorgegangen waren“6, gewannen nach der Aussöhnung mit Alexandra Salome auch zunehmend an Einfluss im Sanhedrin, der obersten politischen und religiösen Körperschaft des jüdischen Volkes. Dennoch scheint bis zur Zerstörung des Tempels unter Titus im Jahr 70 n. Chr. die sadduzäische Tempelaristokratie die stärkste gesellschaftliche Position innegehabt zu haben.
Von parasch, sich absondern, leitete sich der Name Pharisäer ab, und so wurden sie von ihren Gegnern auch als „sich Absondernde“ beschimpft. Sie fühlten sich dem Ideal der Kedusch verbunden, der Heiligkeit. Zu ihren Grundüberzeugungen gehörten das Fernhalten von Sünden und das Beachten der Gebote. Deshalb war ihnen das Studium der Thora ein Hauptanliegen, wobei das ganze Volk einbezogen werden sollte. Sie verstanden sich als Schriftgelehrte und Nachfahren jenes Esra, der einst nach der Heimkehr aus der Babylonischen Gefangenschaft den Juden „das Gesetz“ zurückgegeben hatte. Sie förderten die Synagoge als Ort von Gottesdienst und Lehre, polemisierten, wenn auch nicht geschlossen, gegen den Tempel und waren überzeugt, dass Gott überall und allgegenwärtig sei und deshalb an jedem beliebigen Ort angebetet werden könne. Und doch haben auch sie später um den zerstörten Tempel geweint.
Erstaunlich modern muten ihre Vorstellungen vom freien Willen des Einzelnen in Verknüpfung mit der göttlichen Vorsehung, der Eigenverantwortlichkeit des Menschen und schließlich seiner Entlohnung für dieses Leben in der kommenden Welt an.
Aber auch sie bildeten keine homogene Einheit. Die rabbinische Literatur nennt sieben pharisäische Richtungen. Eine davon waren die Zeloten. Wie ihr Name, Eiferer, andeutet, handelte es sich bei ihnen um eine auch politisch besonders aktive, ja fanatische Gruppe, die im Krieg der Römer gegen die Juden in den Jahren 66 bis 73 n. Chr. eine verhängnisvolle Rolle spielen sollte.
Eine weitere, äußerst fanatische Strömung bildeten die Essener, über die nur wenig und zum Teil sogar Widersprüchliches bekannt ist, zumal sich die jüdischen Geschichtsschreiber Philon von Alexandria (20 v. – 40 n. Chr.) und Flavius Josephus in ihrer Schilderung dieser frommen Priestersekte unterscheiden. Es scheint, als hätten sie das städtische Leben verachtet und ein einfaches Dasein in ländlicher Abgeschiedenheit vorgezogen. Die Kommune, die sich am Westufer des Toten Meeres, in Qumran, ansiedelte, gehörte wohl zu ihren fanatischsten Anhängern. Aber Essener waren auch in den Dörfern über ganz Judäa verstreut. Ihre Unterschiede zu den anderen religiösen Gruppierungen waren nicht grundlegender Art. Man könnte sie als „Extremisten mit pharisäischem Einschlag bezeichnen“8. Sie hassten den Tempel mit seinen Priestern und nahmen nicht am Kult teil, vielleicht weil sie die Hoffnung aufgegeben hatten, die Entwicklung des Landes noch beeinflussen zu können. Ihr Verzicht auf jegliche Zivilisation mag ein Protest gegen den Zustand der Gesellschaft gewesen sein. Aber sie bildeten zu den Pharisäern nicht den Gegensatz, der jene von den Sadduzäern trennte.
Im Laufe der Zeit wurden die Sadduzäer, die am Königshof und im Tempel von Jerusalem den Mittelpunkt ihrer Weltanschauung sahen, immer stärker von den Pharisäern verdrängt, nicht zuletzt, da diese auch außerhalb der Hauptstadt weite Teile der Bevölkerung hinter sich hatten.
Schon zu Herodes’ Zeit waren sie eine einflussreiche Gruppe, die von ihm wahrscheinlich sogar gefördert wurde. Die Sadduzäer betrachtete er hingegen als Anhänger der Hasmonäerpartei und Repräsentanten der jüdischen Oberschicht und damit als natürliche Feinde, und es bestand kein Anlass, sie besonders zu privilegieren.
Herodes selbst gehörte später keiner dieser konkurrierenden religiösen Strömungen an. Von seiner Weltanschauung her fühlte er sich am ehesten zum Hellenismus hingezogen, wie fast alle bedeutenden und gebildeten Regenten jener Zeit. Das jüdische Geistesleben interessierte ihn nur, soweit es seine Macht betraf.
Doch zurück zum Geschehen: Noch zu Lebzeiten seiner Mutter hatte Aristobul versucht, sich der Herrschaft zu bemächtigen. Eines Nachts verließ er heimlich Jerusalem, sammelte ein Heer und besetzte 22 Festungen in der unmissverständlichen Absicht, seinen älteren Bruder Hyrkan zu verdrängen. Aber Alexandra Salome wusste sich zu wehren. Sie ließ die Frau und die vier Kinder ihres Jüngeren – zwei Söhne und zwei Töchter – festnehmen und hielt sie als Geiseln in der Zitadelle Baris, die später zu Ehren des Römers Marc Anton in Antonia umbenannt wurde, in Jerusalem gefangen. So brach erst nach ihrem Tod der offene Bruderzwist aus. Hyrkans Truppen wurden bei Jericho geschlagen. Hyrkan selbst floh und suchte in der Zitadelle seiner Mutter Schutz. Die Familie seines Bruders diente nun ihm als Garant für seine Sicherheit. Offensichtlich aber verspürte er wenig Lust, sich den Mühen und Gefahren des Regierens auszusetzen und seinen Thron zu verteidigen, zumal ständig Nachrichten von Aristobuls Siegen zu ihm drangen. Man fand eine Lösung, indem Hyrkan auf seine weltlichen und wohl auch geistlichen Ansprüche zu Aristobuls Gunsten verzichtete. Im Gegenzug wurden ihm alle Ehren als Bruder des Königs zuerkannt. Die Belagerung wurde aufgehoben, und Aristobul erhielt seine Angehörigen unversehrt zurück. Die Versöhnung fand im Tempel statt, wo sich die beiden Brüder in feierlicher Zeremonie herzlich umarmten.
Hyrkans Berater Antipater hielt sich gerade in Nabatäa auf. Er und andere Feinde Aristobuls verhinderten, dass der ausgehandelte Friede von Dauer war.
Antipaters gleichnamiger Vater, der Großvater Herodes’ des Großen, war der erste aus der Familie der Herodäer, der die politische Bühne Palästinas betrat. Nach Flavius Josephus, der Hauptquelle der Lebensgeschichte des Herodes, entstammte der ältere Antipater einem alten, vornehmen und wohlhabenden Idumäergeschlecht.7 Doch Nikolaos von Damaskus, Philosoph, Ratgeber und Vertrauter des Herodes, der an dessen Hof lebte und wirkte, weist die Familie den angesehenen Heimkehrern aus dem Babylonischen Exil zu, möglicherweise, um die jüdische Herkunft seines Dienstherrn und Freundes aufzuwerten. Frühe Kirchenväter hingegen versuchten, den König der Juden herabzusetzen: Dessen Vorfahre sei nichts weiter als ein gewöhnlicher Bürger Askalons gewesen oder gar nur ein Tempelsklave Apollons in dieser berühmten Philisterstadt.
Soviel jedenfalls steht fest: Alexander Iannaeus ernannte den älteren Antipater zum Oberbefehlshaber über ganz Idumäa. Was dieses Amt beinhaltete, ist nicht bekannt. Möglicherweise kam es dem eines Militärgouverneurs gleich. Jedenfalls gelang es seinem Inhaber, die Freundschaft seiner arabischen Nachbarn, der Nabatäer, zu gewinnen. Die guten Beziehungen kamen auch dem Hasmonäerkönig zustatten. Er konnte zufrieden sein.
Was die antiken Autoren auch immer über ihn berichten: Der Großvater Herodes des Großen war zweifellos ein tüchtiger, angesehener und wohlhabender Mann. Was hätte seinen Sohn ansonsten in die Nähe des Hofes, ja in den unmittelbaren Einflussbereich des Königs gebracht?
Der jüngere Antipater, der noch höher steigen sollte als sein Vater, lebte in Jerusalem, wo er in den obersten Kreisen verkehrte. Er avancierte zum Ratgeber Hyrkans II. und hegte zweifellos den Wunsch, seine einflussreiche Stellung noch weiter auszubauen, zumal er erkannt hatte, dass der Erstgeborene des Alexander Iannaeus antriebsschwach und alles andere als zum Herrschen geeignet war.
Dennoch: Er war der rechtmäßige König, und es war nicht mehr als recht und billig, ihm diese Stellung wieder zu verschaffen und sie gegen die ehrgeizigen Pläne Aristobuls zu verteidigen.
Woher rührte Antipaters abgrundtiefer Hass gegen Aristobul? Wir wissen es nicht und können darüber nur Vermutungen anstellen. Rechnete er sich schon jetzt durch die Unterstützung des zurückhaltenden, lustlosen Hyrkan für sich und seine Söhne bessere Karrieremöglichkeiten aus? Glaubte er, mit Hyrkan leichtes Spiel zu haben? Denn hätte ihm an der Erhaltung der Macht der Hasmonäer wirklich gelegen, hätte er sich eigentlich dem dynamischen und durchsetzungsfähigen Aristobul zuwenden müssen, der allein eine Herrschaft mit fester Hand gewährleistet hätte.
Antipaters Aufgabe, Hyrkan II. wieder auf den Thron zu bringen, war nicht leicht. Er wusste, dass er sie ohne fremde Hilfe nicht würde erfüllen können. Aber, was vielleicht noch schwieriger war, auch Hyrkan musste von seinem Erstgeborenenrecht überzeugt werden. Ihm flüsterte er immer wieder ein, Aristobul trachte ihm nach dem Leben, um auch in Zukunft des Thrones sicher zu sein.
Lange vermochte sich Hyrkan mit der Vorstellung, dass es sein Bruder nicht ehrlich mit ihm meinte, nicht anzufreunden. Es bedurfte Antipaters ganzer Überredungskunst, den rechtmäßigen Thronerben zu veranlassen, nach Petra zu fliehen und dort bei Aretas III., dem König der Nabatäer, mit dem Antipater verschwägert war, Zuflucht zu suchen. Dieser werde ihm, so versprach Antipater listig, nicht nur Asyl gewähren, sondern ihn auch im Kampf um die Zurückgewinnung der Macht unterstützen.
Immerhin ließ Hyrkan durch Antipater selbst bei Aretas anfragen, ob er zur Hilfestellung bereit sei, und erst als jener mit einer entsprechenden Versicherung nach Jerusalem zurückgekehrt war, machten sich die beiden Männer eines Nachts heimlich auf den Weg.
Hohe Bestechungsgelder und das Versprechen, zwölf Städte, die Alexander Iannaeus den Nabatäern abgerungen hatte, wieder zurückzugeben, veranlassten deren König, ein gewaltiges Heer – Flavius Josephus spricht, wohl übertrieben, von 50.000 Mann8 – gegen Aristobul zu schicken. Der Usurpator wurde geschlagen und zog sich nach Jerusalem auf den Tempelberg zurück. Viele vornehme Bürger der Stadt flohen, des ewigen Mordens müde, nach Ägypten.
Aretas, Antipater und Hyrkan belagerten die Festung. Die pharisäische Mittelschicht, die einst zu den Feinden des Alexander Iannaeus gehört hatte, schloss sich ihnen an. Nur die Sadduzäer unterstützten Aristobul. Diese Ereignisse fielen in das Jahr 65 v. Chr., in die Zeit kurz vor dem Paschafest.9 Antipater muss also schon damals eine führende Stellung innegehabt und in Judäa großes Ansehen besessen haben.
Scheiden sich über Antipaters Herkunft auch die Geister der Gelehrten, so sind sie sich doch einig, dass seine Frau Kypros Nabatäerin war. Sie entstammte, so wieder Flavius Josephus,10 einer vornehmen Familie, doch ist nicht bekannt, ob sie zum Judentum konvertiert war. Man warf Herodes später gern vor, dass er als Sohn eines jüdischen Vaters und einer nichtjüdischen Mutter allenfalls ein halber Jude war. Die Zugehörigkeit zum Judentum richtete sich nach dem Glauben der Mutter, da die Vaterschaft nicht nachzuweisen war. Immerhin gab es auch Konvertiten, deren Judentum vielen nicht weniger als das ererbte galt. Herodes sollte sich jedenfalls zeitlebens um ein entspanntes Verhältnis zu den Juden bemühen, wenn er von ihnen auch als „Römling“ geschmäht wurde.
Misstrauisch, aber verhältnismäßig ohnmächtig hatten die Völker der damaligen zivilisierten Welt mit ansehen müssen, wie sich im westlichen Teil des Mittelmeeres ein anfangs eher unbedeutender Stadtstaat zur führenden und alle bedrohenden Macht entwickelte, die nahezu unersättlich schien: Rom.
Bis zum Ende des dritten vorchristlichen Jahrhunderts (das damals freilich noch nicht so genannt wurde, da die alten Götter noch herrschten) hatten sich dessen territoriale Interessen nach Westen gerichtet, dann nach Süden, wo 146 v. Chr. seine größte Handelsrivalin, Karthago, die Hauptstadt des Punischen Reiches, gefallen war, am selben Tag übrigens wie das griechische Korinth, das ebenfalls eine blühende Handelsmetropole gewesen war. Schließlich lenkte Rom, schon jetzt eine Großmacht, seine Aufmerksamkeit nach Osten, wo es noch unbekannte Länder in ungeheuren Weiten zu entdecken und zu erobern galt.
Im Zuge der Erweiterung seines Imperiums, das nach antiken Maßstäben schon bald die halbe Welt umspannen sollte, gelangten die römischen Legionen im Jahr 66 v. Chr. auch an die Nordgrenze des Judenstaats, den die zerstrittenen Hasmonäersöhne einander nicht gönnten.
Gnaeus Pompeius, Kollege, Freund, später Schwiegersohn und erbitterter Gegner Gaius Iulius Caesars, dazu einer der bedeutendsten Feldherrn des Altertums, hatte gerade Mithradates, den König von Pontus (an der südlichen Schwarzmeerküste), besiegt und die Reste des alten Seleukidenreichs in Syrien zerstört, als er von dem Bruderzwist im Hause der Hasmonäer und von der Einmischung des Königs Aretas hörte. Schon damals mag das Sprichwort von dem Dritten, der sich freut, wenn zwei sich streiten, Gültigkeit gehabt haben. Pompeius jedenfalls witterte mit dem praktischen Scharfsinn des Römers für sich und Rom eine Gelegenheit, die so schnell nicht wiederkäme. Zwar marschierte er selbst weiter nach Armenien, aber er wies einen Unterfeldherrn, M. Aemilius Scaurus, an, von dem römischen Standlager im soeben eroberten Damaskus unverzüglich nach Judäa aufzubrechen, um den Streit im Sinne Roms zu schlichten.
„Auf die Kunde von dem Herannahen des Römers beeilten sich denn auch die Hasmonäer, Abgesandte zu ihm zu schicken und ihre Sache ihm zu unterbreiten.“11 Rom hätte sich wohl, unabhängig von dem Bruderkrieg, in Kürze ohnehin des hasmonäischen Palästinenserstaats bemächtigt. Denn er galt als äußerst aggressiv, und es wäre politisch unklug gewesen, ihm seine volle Souveränität zu belassen.
Gewaltig war die Streitmacht, die Hyrkan und der Nabatäerkönig aufgeboten hatten, eine Furcht einflößende Armee, die Aristobul und seine Anhänger derweil im Tempel von Jerusalem belagerte. Das Paschafest rückte näher, und es war Sitte, Jahwe zu diesem Anlass reiche Opfer darzubringen. Besonders den Sadduzäern lag viel daran, dieser religiösen Verpflichtung nachzukommen, jedoch standen ihnen keine Tiere zur Verfügung. Sie baten deshalb ihre sie belagernden Glaubensbrüder, ihnen die nötigen Opfergaben zur Verfügung zu stellen und ließen den verlangten Kaufpreis – eine weit überhöhte Summe von 1.000 Drachmen für jedes einzelne Tier – durch Maueröffnungen hinab. Die Belagerer nahmen zwar das Geld, verweigerten den Belagerten aber die zugesagten Schlachttiere. „Als die Priester sich getäuscht sahen, flehten sie zu Gott, er möge sie an ihren Landsleuten rächen …“ Angeblich habe der Herr die Rache nicht aufgeschoben, sondern einen heftigen Sturm geschickt, der alle Feldfrüchte der Gegend zerstörte.12 Auch der griechische Geschichtsschreiber Dio Cassius berichtet von einem Erdbeben, das 64 v. Chr. Vorderasien heimgesucht habe. Noch lange erinnerten die Juden in ihren Erzählungen an die Strafe Gottes für diesen an den Belagerten begangenen Wortbruch.
Kaum hatte Scaurus mit seinem Heer den Boden Judäas betreten, da sandten ihm, wie gesagt, beide Brüder Boten entgegen, die mit dem Versprechen reicher Bestechungsgelder ausgestattet waren. Sie sollten dem römischen Feldherrn ihre Sache unterbreiten und um sein Urteil bitten. Jede Partei bot Scaurus 400 Talente. Da der Römer Aristobul als wohlhabenden und großzügigen Mann einschätzte, der zudem weniger Gegenleistungen als der geizige Hyrkan erwartete, gab er jenem den Vorzug. Möglicherweise war für seine Entscheidung auch die Tatsache Ausschlag gebend, dass Aristobul im Augenblick der Throninhaber war.
Aretas wurde auf jeden Fall befohlen, die Belagerung abzubrechen und mit seinen Leuten aus Judäa abzuziehen. Ansonsten würde er zum Feind Roms erklärt.
Kaum war Aristobul frei, setzte er mit seinen Truppen Hyrkan und dem Nabatäerkönig nach und fügte ihnen in einem Gefecht bei Papyron schwere Verluste zu. Unter den angeblich 6.000 Gefallenen der vereinigten Streitmacht befand sich auch Antipaters Bruder Phallion, der sich als Verbindungsmann beim Heer befunden hatte, ein schwerer Schlag für Herodes’ Vater, zu dessen feindseligen Gefühlen gegenüber Aristobul sich jetzt noch Rachegedanken gesellten. Für den Augenblick schien Hyrkan den Kampf um den Thron verloren zu haben.
Antipater erkannte, dass seine Pläne hoffnungslos fehlgeschlagen waren. Die Römer, auf die er eigentlich gesetzt hatte, waren nun die Verbündeten Aristobuls geworden! Aber er hatte aus der Niederlage gelernt. Er durfte weder Hyrkan noch irgendeiner Mittelsperson vertrauen. Es war am besten, sich selbst um alles zu kümmern. Überhaupt: War jener Scaurus nicht ohnehin nur der Handlanger eines Mächtigeren, in dessen Entscheidungskraft letztlich ihrer aller Schicksal lag? Er beschloss deshalb, den Streit der beiden Brüder Pompeius selbst zur Entscheidung vorzulegen.
Der römische Oberbefehlshaber zog inzwischen südwärts Richtung Damaskus, um dort die Angelegenheiten Syriens in Ordnung zu bringen. Schon eilte ihm der Ruf voraus, ein zweiter Alexander zu sein. Vor einiger Zeit hatte er stolz im Alter von nur 43 Jahren den Titel „der Große“ angenommen, der ihm, wie er meinte, völlig zu Recht verliehen worden war. Hatte er doch nicht nur in Spanien und Afrika triumphale Erfolge errungen und das Mittelmeer von den Seeräubern befreit. Er hatte Rom auch einen guten Teil Asiens zu Füßen gelegt. Zu ihm, Pompeius Magnus, machte sich nun Antipater auf. Aber auch ein Mann namens Nikodemus, Abgesandter Aristobuls, fand sich vor dem Römer ein. Und schließlich hatten die Pharisäer eine Abordnung geschickt.
Wenig diplomatisch begann Nikodemus sofort, sich über Scaurus und seinen Helfer, den Tribunen Gabinius, bitter zu beklagen. Sie hätten, so seine Anschuldigung, von Aristobul Bestechungsgelder in Höhe von 800 Talenten (heute ca. 2,5 Millionen Euro13) erpresst. Die unbedachten Äußerungen des Gesandten ließen die beiden Beschuldigten sogleich zu Todfeinden Aristobuls werden, wie Flavius Josephus trocken bemerkt.14 Dies aber vermehrte noch die Zahl derer, die dem jüdischen Usurpator ohnehin nicht freundlich entgegenkamen. Und auch der mächtige Römer scheint von ihm nicht eingenommen gewesen zu sein. Denn nicht einmal das kostbare Geschenk, das ihm Nikodemus im Namen seines Auftraggebers überreichte, eine goldene Rebe im Wert von 500 Talenten (ca. 1,5 Millionen Euro15), die später wohl in Rom im Tempel des kapitolinischen Jupiter ausgestellt wurde, vermochte ihn von der Rechtmäßigkeit Aristobuls Anspruch zu überzeugen. Aber er wollte noch keine endgültige Entscheidung treffen und verwies die Antragsteller auf einen Empfang, den er im nächsten Frühjahr, 63 v. Chr., in Damaskus geben wollte. Dort sollten die streitenden Brüder persönlich vor ihm erscheinen.
Leider konnte von der Wissenschaft noch immer nicht eindeutig geklärt werden, wo sich Pompeius damals aufhielt, zumal Flavius Josephus’ Angaben hierzu widersprüchlich sind. Wahrscheinlich kam er mit seinen Truppen vom kleinasiatischen Aspis (dessen genau Lage noch immer unbekannt ist), um im syrischen Antiochien den Winter 64/63 v. Chr. zu verbringen.16 Einig sind sich die Gelehrten allerdings darüber, dass „Antipaters Überlegungen dabei ähnliche Wege wie die gewisser angesehener Judäer und auch Aristobuls“ gingen: „Pompeius sollte dazu gebracht werden, für keinen der beiden Brüder einzutreten, sondern die Königsherrschaft ganz abzuschaffen und durch ein Hohepriestertum zu ersetzen.“17
Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass sich die Dinge ganz anders entwickeln würden.